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Er wusste, dass sie ihn beobachtete...
Spürte ihren bohrenden Blick...
Jedes mal wenn er seinen Blick von ihr abwendete, um einen Schluck Tee zu trinken, registrierte sie es.
Kalt, berechnend, ohne ein Wort zu sagen...
Er hasste es, er hasste sie...
Diese Fremde an seinem Küchentisch...
Doch wer war sie?
Was hatte sie vor?
Warum beobachtete sie ihn mit diesem leeren Blick?
Dieses gezwungene Lächeln, kalt, mechanisch...
Was war passiert? Wer war sie?
Er erinnerte sich an diesem Morgen ungewöhnlich früh erwacht zu sein, im Zimmer war es noch dunkel, die Sonne ging gerade auf, einzelne Lichtstrahlen fielen durch die vorhanglosen Fenster und krochen langsam über seine Bettdecke.
Der stechende Schmerz in seinem Kopf zwang ihn die Augen wieder zu schließen. Sein Mund war trocken und er verspürte leichte Übelkeit...
Es war Mittwoch, oder vielleicht Donnerstag? Er konnte es nicht genau sagen.
Er brauchte einen Schluck Wasser, zwang sich die Augen wieder zu öffnen, das Hämmern in seinem Kopf zu ignorieren und den ersten Fuß aus dem Bett zu schieben.
Erneutes Aufkommen von Übelkeit ließ ihn inne halten und für einen Moment seinen eigenen Schatten auf der Bettdecke beobachten.
Die Sonne war noch nicht ganz zur Hälfte aufgegangen und beleuchtete das Zimmer nur spärlich.
Er kniff seine schmerzenden Augen zusammen und setzte den zweiten Fuß auf den Boden.
Er fror.
Hatte er letzte Nacht mit seinen Jungs gesoffen? Er erinnerte sich bloß fragmentartig, verschwommene Bilder, laute Stimmen... Filmriss ganz klar.
Er musste nüchtern werden, bevor seine Frau zurück kommt, sonst würde es wieder ein riesen Theater geben. Seine Frau...
Der Versuch sich zu erinnern verstärkte nur seine Kopfschmerzen.
Erst mal nüchtern werden... erst mal die verdammten Kopfschmerzen in den Griff kriegen...
Er schlurfte ins Bad, trank aus dem Wasserhahn und griff nach den Schmerztabletten. Er guckte in den Spiegel. Seine Augen waren blutunterlaufen, seine Lippen spröde und leicht aufgerissen, seine Haare fettig. Die Bartstoppeln in seinem Gesicht ließen darauf schließen, dass er sich seit mindestens drei Tagen nicht rasiert hatte.
War es nicht Mittwoch? Zur Arbeit erschien er doch nie unrasiert...
Er schmiss zwei Tabletten ein und wollte gerade das Bad verlassen, als er eine große Kratzverletzung an seinem Hals entdeckte. Verdutzt blickte er genauer in den Spiegel. Hatte er sich geprügel? Er entdeckte kleine Blutspritzer auf seinem T-Shirt, erbrach sich ins Waschbecken und schlurfte zurück ins Schlafzimmer.
Die Sonne füllte nun das ganze Zimmer mit Licht, sein Kopf schien explodieren zu wollen, ein Stechen in seinem rechten Fuß ließ ihn zusammenzucken.
Er fluchte und suchte nach der Ursache des Schmerzes.
Auf dem Boden, direkt vor dem Bett, lag eine zerbrochene Blumenvase, er kniete sich nieder, sein Fuß blutete. Zwei kleine Scherben hatten sich in die Haut zwischen seinen Zähen gebort. War das nicht die Lieblingsvase seiner Frau?
Langsam zog er die Splitter aus dem Fleisch und versuchte sich zu erinnern warum die Vase zersplittert auf dem Fußboden lag.
Wieder sah er verschwommene Bilder vor seinem geistigen Auge... Lärm... Geschrei... eine Frau?
In seiner Stammkneipe sind doch nie Frauen...
War er letzte Nacht wieder mit den Jungs im Puff gewesen?
Er wollte gerade wieder aufstehen, da sah er das Ende eines Hosenbeines unter dem Bett. Er zog die Hose hervor, es war seine.
Ein großer dunkler Blutfleck in Höhe des rechten Knies...
Was war letzte Nacht passiert?
Ungläugib betastete er den Fleck... Er war noch feucht...
Das musste eine ordentliche Prügelei gewesen sein. Schon oft hatte er dem ein oder anderen Arschloch aufs Maul gehauen, aber so viel Blut hatte er noch nie an seiner Kleidung gehabt. Bestimmt hatte er den Wichser richtig schön verdroschen.
In der Linken Hosentasche fand er eine zerknautschte Zigarettenschachtel, zwei zerbrochene Zigaretten waren übrig. Ebenfalls unter dem Bett fand er sein Feuerzeug und eine nur halb abgebrannte Zigarette.
Kleine, kreisrunde Löcher waren in den Teppich gebrannt. Er überlegte für einen Moment sich die halbe Zigarette anzustecken, als sein Blick auf etwas glitzerndes viel, einen halben Meter neben dem Bett.
Eine Glasscherbe...
Das Sonnlicht brach sich ihn ihr und erst jetzt bemerkte er den Wandspiegel. Er war zerbrochen, hunderte blutiger Scherben lagen auf dem Teppich.
Blut war von der Mitte des Spiegels in einem Rinsal gen Boden geflossen und hatte eine kleine Lache auf dem Teppich gebildet.
Erschrocken sprang er auf. Was war hier passiert!?
Und dann sah er sie...
Eine Frau lag in seinem Bett! Die Beine an die Brust gezogen und die Hände um die Knie geschlungen, nur ihre Füße waren noch von der Decke bedeckt. Sie schlief.
Starr vor Entsetzen stand er da und betrachtete sie. Ihr Gesicht war sehr blass, ihr Liedschatten verschmiert. Auf dem Kopfkissen lagen ausgerissene Haarbüschel. Am Haaransatz und unter ihrer Nase klebte getrocknetes Blut, ihr ganzes Gesicht wirkte seltsam geschwollen.
Er war sich sicher diese Frau noch nie zuvor gesehen zu haben, dennoch kam sie ihm merwürdig vertraut vor.
Wer war sie? Was war passiert?
Das Pfeifen des Wasserkochers schreckte ihn aus seinen Gedanken auf.
Panisch starrte er sie an.
Sie erhob sich nur langsam.
Ihr einst vermutlich hellblauer Morgenmantel war alt und abgetragen
Er traute ihr nicht...
Wusste genau, dass sie etwas plante...
Doch wer zum Teufel war sie?
Sie goss heißes Wasser über die Teebeutel in ihren Tassen...
Die zu kurzen Ärmel des Morgenmantels entblößten kleine, kreisrunde Verbrennungen an ihrem rechten Unterarm.
Er schwitzte...
Seine zu fäusten geballten Hände fühlten sich klebrig an...
Ihre Hand zitterte als sie die Tasse anhob und er bemerkte eine stark eiternde Wunde an ihrem Ringfinger...
Der Fingernagel fehlte.
Ihre unterlippe war eingerissen...
Er glaubte einen abgebrochenen Schneidezahn gesehen zu haben.
Regungslos starrte sie für einen Moment in ihre Tasse.
Dann nahm sie einen Schluck und blickte ihm direkt ins Gesicht.
Ihm wurde schwindelig...
Er hatte Angst...
Er hatte schreckliche Angst vor dieser fremden Frau.
Er musste etwas tun...
Ohne eine Miene zu verziehen stand sie erneut auf...
Öffnete eine der vielen Schubladen und zog ein Küchenmesser hervor...
Voller Panik sprang er auf, wollte die Küche verlassen, doch noch ehe er die Tür erreichte spürte er einen brennenden Schmerz in der Seite.
Er schrie, viel zu Boden und schleppte sich ins Wohnzimmer. Mit langsamen, beinahe bedächtigen Schritten folgte sie der Blutspur, die er hinter sich
herzog.
Im Wohnzimmer versuchte er sich aufzurichten, zog sich mit aller Kraft an einer Stehlampe hoch, blieb einen Augenblick in gebückter haltung stehen und sank dann aufs Sofa.
Ihm wurde schwarz vor Augen, er verlor das Bewusstsein...
Ein siedend heißer Stich in seiner Brust holte ihn zurück.
Ungläubig starrte er auf das Küchenmesser, dass bis zum Griff in seiner Brust steckte.
Er würgte, spuckte Blut, sein Blick trübte sich...
Nur unscharf sah er die Fremde Frau vor sich. Sie zog das Messer mit beiden Händen aus seiner Brust, zerschnitt mit einer zärtlichen Bewegung ihre Pulsadern und sank neben ihm auf dem Sofa nieder.
Der geschmack von Eisen füllte seinen Mund, jeder Atemzug war eine Qual. Mühevoll drehte er seinen Kopf und starrte die fremde Frau fragend und vorwurfsvoll an.
Ihr Blick war kalt und leer, keine Regung.
Nur ein trauriges, kaum warnehmbares Lächeln umspielte ihre aufgeplatzten Lippen als sie ihm ein in Silber gerahmtes Foto reichte.
Das Foto zeigte einen Mann im Anzug und eine Frau in einem schönen Kleid... Sie wirkten sehr glücklich...
Irgendwoher kannte er die beiden...