- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 2
4 1/2 Minuten
Ich weiß, John McLean wird gleich kommen und er wird mir den Schmerz nehmen, wie er es all die 9 Jahre zuvor gemacht hat.
Wenn er kommt wird alles gut und wenn er geht, werde ich wissen, ob es für mich weitergeht. Es hat eine drückende Hitze an diesem Junitag, ich liege am Rücken und blicke in den grellen Himmel des Frühsommers. Bei 32 Grad fröstelt mir, weil erst John mir sagen wird, was weiter passieren wird. Wie oft habe ich so dagelegen und in den Himmel gestarrt, wie oft habe ich mir gewünscht, dort oben zu sein? Wie oft habe ich auf John gewartet? Oft schien es Stunden zu dauern, bis er über mir erschien wie ein Engel, im gleißenden Sonnenlicht, mich ansah und sagte: "Das kriegen wir schon wieder hin, das wird schon wieder, Dave "
Vier Arme richten mich auf, kurz wird mir schwarz vor Augen, keine Entschuldigung von Christiano, nach all den Jahren.... Dann erinnere ich mich wieder, noch 4 1/2 Minuten, aber von Christiano hätte ich mir schon, erwartet, dass er etwas sagt. Ove Mikkelsen, der eindeutig beste Mann für diesen Job, fragt, ob alles in Ordnung ist und schlägt mir, nach all den Jahren, fast freundschaftlich auf die Schulter, lächelt und ist auch schon wieder weg, aber nur 9,15 Meter. Ich stehe wieder, dass ist mir immer am wichtigsten gewesen, wieder zu stehen. Jetzt spüre ich wieder die Hitze dieses Tages und wie sie meinen Körper langsam nochmal einnimmt, noch ein letztes Mal. Wie immer wenn ich wieder aufrecht stehe, nehme ich alles so viel stärker wahr als Minuten zuvor. Die Hitze, die Gerüche um mich, den Lärm, meinen Atem, meinen Schmerz, der beginnt etwas nachzulassen. Als wäre es ein Neuanfang, und alles was zuvor war, ist vergessen. Ich bin froh, fast glücklich. Wie oft hat er nicht nachgelassen, wie oft musste ich mit ihm weiter leben...
Der grelle Pfiff holt mich unmittelbar wieder zurück und mein Beruf hat mich wieder voll und ganz. Mein Blick blendet alles unwichtige aus, ich spüre nichts mehr, keine Hitze, keinen Schmerz. Es läuft alles so viel schneller als noch vor 9 Jahren, noch 2 Minuten. Plötzlich fällt mir alles unheimlich schwer. Zurück, ich muss zurück, deutet mir Michael. All die Jahre hat er mir immer gesagt, ich soll nicht so viel denken. Jetzt tue ich es. Lasst mich jetzt bitte einmal denken, wenigstens für die letzten 1 1/2 Minuten. Ich gehe nur mehr, möchte nicht mehr laufen. Ich betrachte mich noch einmal, wie lange habe ich daran gearbeitet, darauf gewartet, gehofft hier sein zu dürfen. Wem gebe ich es, ich denke es wird Adrian sein, nach all den Jahren...
Jetzt scheint es mir etwas deplatziert zu wirken, trotzdem tue ich es und denke nicht, was andere jetzt denken könnten. Ich berühre es noch ein letztes Mal. Nach so vielen Jahren kann ich es immer noch nicht glauben, viele haben es noch nicht getragen, viele werden es nie tragen, ich durfte es tragen. Es fühlt sich gut an, fein gewebt, erhaben und festgenäht, als müsste es ewig verbunden bleiben. Ein goldener Stern, darunter drei Löwen übereinander in ein Wappen gepresst. Die Zeit scheint kurz stillzustehen. Ich trabe nur noch dahin und jetzt ist alles leicht und ich glaube zu schweben, kein Schmerz mehr, wo ist plötzlich nur der Schmerz. Jetzt nimmt mich Michael gleich zu sich, ich weiß es, ich spüre es, es ist ausgemachte Sache. Langsam fährt meine linke Hand zum rechten Oberarm und beginnt diese Binde abzurollen. An manchen Tagen spürte ich sie mehr, an manchen weniger. Manchmal war sie auch schwerer als alles andere. Zuerst scheint sie wie festgewachsen und ich muss kurz lächeln, ob sie das jetzt auch einfangen und aufnehmen, fast muss ich laut lachen, jetzt nehmen sie gleich alles auf. Aber noch bin ich kurz für mich allein, jetzt gleitet sie fast mühelos über den verschwitzten Arm. Tom kommt schon auf mich zugelaufen, alles wie im Drehbuch, jetzt ist er da. Er lächelt, hebt die Arme und legt sie um meinen Hals, ein kurzer Klaps auf den Rücken, mehr nicht. "Jetzt hast du es hinter dir. Alles Gute !" Die Worte fallen ihm schwer, er ist außer Atmen, nach 75 Minuten und auch nicht mehr der Jüngste. Ich merke, wie unsicher ich plötzlich werde. Ich ?Unsicher? Nach all den Jahren. Ausgerechnet ich, der fast immer am Lautesten geschrien hat. Jetzt sehen sie mich alle, analysieren jeden Gesichtszug, jede Bewegung. Ich bin es gewohnt, nur nicht so intensiv, nicht so, in dieser Art und Weise. Was machen die Kinder, wo ist Izzy, wir werden viel zusammen unternehmen, so viel wie noch nie.
Wieder der grelle Pfiff, immer gleich und doch immer anders, konditioniert und automatisiert über all die Jahre blicke ich zu Ove. "Geh jetzt, es ist genug, es war eine schöne Zeit", scheint sein Blick mir über die Distanz zu sagen. Ich sehe schon den Tunnel, laufe gerade darauf zu, er scheint mich magisch anzuziehen. Ich hebe die Arme über den Kopf, beginne zu klatschen, warum eigentlich, für euch, die mich jahrelang nicht da haben wollten, wo ich jetzt bin, wo ich bald war. Ich spüre, wie alles auf mich ausgerichtet ist, wie sie mich mit ihren Blicken verfolgen, aber nur noch für Sekunden. So viel Lärm, seltsamerweise höre ich nichts. Der Tunnel erscheint mir jetzt wie die Erlösung, seine Dunkelheit hat mir immer Sicherheit gegeben, ist er letztendlich der Ort meines eigentlichen Ziels ?
Mein Blick trifft diesmal genau seinen und dieser Moment bleibt für ungewöhnlich lange, wie oft war dies nicht der Fall ? Michael klatscht mich ab, wie er es immer gemacht hat, kurz mit einer Hand, wenn er zufrieden war, hat er sie immer ganz kurz länger gehalten, so wie heute. Als ich fast bei ihm vorbei bin, höre ich ein "Danke für alles, Grüß mir Izzy und die Kinder" geflüstert, fast ein wenig gebrochen. Ich gehe jetzt nur mehr in diesen Tunnel und dann bin ich bei ihr und bei David und Lisa, für immer....