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Abendsonne

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20.05.2010
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Abendsonne

Michael wusste: Die Hölle existiert. Sie existierte für einen geliebten Menschen, in einem kahlen Raum, der nach Altenheim riecht.
Michaels Großmutter hatte vor sechs Monaten einen Schlaganfall. Vor einigen Jahren konnte er sich noch gut mit ihr unterhalten, doch nun war sie kaum noch in der Lage zu sprechen, geschweige denn sich zu bewegen. Durch mehrere epileptische Anfälle baute sie körperlich und geistig noch stärker ab. Dieser Verfall wurde möglicherweise auch dadurch beschleunigt, dass niemand außer Michael sie besuchte. Michael war sich sicher, dass sie das spüren konnte. Niemand sonst konnte oder wollte das Elend sehen. Wer geht schon freiwillig in die Hölle?
Auch Michael hatte früher oft überlegt, ob er seine Oma noch besuchen sollte. Der Anblick, wie sie in ihrem Bett lag, eingefallen und ohne Zähne schmerzte ihn jedes Mal erneut. Was war aus der starken Frau geworden, die gerne Fahrrad fuhr, schwimmen ging, verreiste oder sich mit Freunden zum Tanzen verabredete? Die Frau, die einst so aktiv war und Spaß am Leben hatte? Er hatte das Gefühl, diese Frau starb zusammen mit ihrem Ehemann vor gut zwei Jahren und es befand sich nur noch die leere Hülle in dem kleinen, kahlen Zimmer, von dessen Wand Familienangehörige fröhlich lächelten. Doch er erinnerte sich an die schöne Zeit, die sie als er noch ein Kind war miteinander verbracht hatten.
Wenn Michael seiner Großmutter in die Augen schaute, konnte er ihre Traurigkeit sehen. Blicke sagen doch mehr als tausend Worte es je könnten. Sie wollte nicht mehr in dieser Hölle dahinvegetieren und er wusste es. Als sie noch reden konnte, sagte sie zu ihrem Enkel: ,,Junge, falls ich nicht mehr kann wie ich will, dann will ich gar nicht mehr. Versprichst du mir das?’’ Und er hatte es versprochen, in der Hoffnung, dass es nie dazu kommen würde. Jetzt konnte sie nicht mehr. Es war soweit.
An einem Nachmittag im Frühjahr, die Sonne schien bereits warm, besuchte er seine Großmutter ein letztes Mal. In seiner Jackentasche hatte er das Paradies – einen Beutel mit Schlaftabletten. Mit schwerem Herzen öffnete er die Tür und betrat das Zimmer, in dem seine Oma wie schon so lange im Bett lag. Sie blickte aus dem Fenster, zumindest ruhte ihr Kopf in dieser Richtung, und bemerkte wohl nicht, dass Michael ins Zimmer kam. Er gab ihr einen Kuss auf die Stirn und flüsterte: ,,Ich erlöse dich aus dieser Hölle. Ich habe es dir versprochen’’ Nun blickte sie ihn an. Hatte sie verstanden?
Michael nahm den Trinkbecher vom Nachtschrank und schüttete die Tabletten, die er bereits zu Hause zerdrückt hatte in das Glas. Dann füllte er es mit Apfelsaft. Den trank sie am liebsten. In verschieden Büchern und im Internet hatte er sich genau über die Wirkungsweise von trizyklische Antidepressiva informiert. Er hatte sich sogar mit einem alten Schulfreund, der Medizin studierte unterhalten. Alles nur rein informativ, hatte Michael versichert. Eine Träne lief ihm das Gesicht hinab, doch er hatte es versprochen und musste es tun, als er das traurige Geschöpf ansah war er sich sicher: Er wollte es tun. Sie wollte es auch. Langsam beugte er sich zu seiner Großmutter und setzte den Becher an ihre Lippen. Sie trank. Sie trank schnell. Sie trank mit Genuss. Dabei schaute sie ihren Enkel an. Kurze Zeit später war der Becher leer und Michaels Großmutter legte sich zurück. Währendessen lief Michael ins Bad und spülte das Glas gründlich aus. Danach nahm er sich einen Stuhl und setzte sich neben das Bett. Die Tabletten sollten bald wirken. Hoffentlich würde kein Pfleger in den nächsten Stunden das Zimmer betreten. Hoffentlich würde niemand etwas bemerken. Was sollte er tun, falls es auffällt, dass er sie ,,erlöst’’ hatte. Es war doch aber ihr Wunsch. Würde das Gericht eine solche Begründung akzeptieren? Darüber wollte er sich jetzt keine Gedanken machen. Er nahm die kalte, gealterte Hand seiner Großmutter und streichelte sie. Sie lächelte ihn an. Das war das erste Mal seit Monaten, dass er sie lächeln sah. Dann schloss sie die Augen und schlief mit einem kleinen Lächeln auf den schmalen, spröden Lippen ein. Michael wollte noch ein paar Minuten warten, bevor er ging. Er sah hinaus. Der Himmel war bereits rot gefärbt und die Abendsonne bereit unterzugehen. Einzelne Schleierwolken zogen am Himmel entlang.
Zum Abschied küsste er seine Großmutter ein letztes Mal. Auf dem Weg zum Ausgang traf er einen Pfleger, dem Michael, so schwer es ihm auch fiel, freundlich zu nickte. Traurig, auf eine andere Art aber erleichtert verließ Michael da Heim.
Die Abendsonne war bereits untergegangen

 
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Moikka Patty91,

tja, hier hast Du ein potentiell sehr spannendes und kontroverses Thema gewählt, aber semmelst da derart wischlappenmäßig drüber, daß es einem schon wehtun kann. Lieblos und lapidar kommt hier ein grausames blabla, wobei 'im Bett liegen und eingefallen aussehen, nicht mehr Fahrradfahren können etc.' sofort mit der Hölle gleichgesetzet wird. Puha.

Schlimmer als ein Schicksalbericht in einer Illustrierten wird hier Friede Freude Eierkuchen durch ne Überdosis vermittelt. Die Welt ist aber nicht schwarz-weiß, sondern sehr komplex - und wenn man ein solches Thema wählt, sollte man schon einige psychologische Kenntnis und ein halbwegs sicheres Stilgefühl haben.


Michael wusste: Die Hölle existiert. Sie existierte für einen geliebten Menschen, in einem kahlen Raum.
Okay, der Anfang ist schonmal gut, man wird aufmerksam, wie kommt der Typ darauf.

Michaels Großmutter war sehr krank. Vor einigen Jahren konnte er sich noch gut mit ihr unterhalten, doch ihr ging es immer schneller immer schlechter. Möglicherweise wurde es dadurch beschleunigt, dass niemand außer Michael sie besuchte. Niemand sonst konnte oder wollte das Elend sehen. Wer geht schon freiwillig in die Hölle?
Dann gehen die Behauptugen los. Platt, runtergeleiert. Wie macht sich die Krankheit bemerkbar, wie leidet die Frau denn? Hat sie einen Katheder, Dekubitus, ist sie lungenkrank und bekommt keine Luft mehr, Hautkrebs, schreckliche Schmerzen ...
Oder kann sie einfach nicht mehr Fahrradfahren? Das fluppt so nicht, das ist zu glattgebügelt, da ist kein Leben drin, keine Realität, kein Schmerz (weder ihrer noch seiner), keinerlei Überzeugungskraft, nichts, was uns mitfühlen läßt.

Altern geht auch nicht von heute auf morgen - was für einen gestern noch gesunden, fitten Menschen möglich war, ist nicht unbedingt das Maß aller Dinge für alte und/oder kranke Menschen. Das müßte hier überzeugender kommen - wer sagt denn, daß die Oma an nichts mehr Freude hat? Vllt kann sie aus dem Fenster schauen, und dort im Baum mümmelt jeden Tag ein Eichhorn seinen Tannenzapfen, oder sie guckt gern auf die bunten TV-Bilder oder oder oder ... In einer solchen Situation kann es um andere Dinge gehen, Kleinigkeiten.

Auch Michael hatte oft überlegt, ob er seine Oma noch besuchen sollte. Der Anblick, wie sie in ihrem Bett liegt, eingefallen und ohne Zähne schmerzte ihn jedes Mal erneut. Was war aus der starken Frau geworden, die gerne Fahrrad fuhr, schwimmen ging, verreiste oder sich mit Freunden zum Tanzen verabredete? Er hatte das Gefühl, diese Frau starb zusammen mit ihrem Ehemann vor gut zwei Jahren und nur noch die leere Hülle befand sich in dem kleinen, kahlen Zimmer, von dessen Wand Familienangehörige fröhlich lächelten.
Dadurch, daß er sie dann später einfach nur ungern besucht, erschließt sich für mich nicht, warum er diesen Leidensdruck so stark mitfühlt, daß er sie tötet.

Und hier ist der Knackpunkt: er hätte ihr ja Gesellschaft leisten können, daß sie nicht so einsam ist. Er erträgt den Anblick aber nicht. Er hat keine Energie, sich auf ihren Schmerz einzulassen. Klar ist es spaßiger, wenn die alten Leute noch Kraft und Lust haben, einen Schwank aus ihrem Leben zu erzählen. Schweigen läßt sich für jüngere Leute schwer aushalten - aber auch das ist Kommunikation, Berührung z.B., ganz einfach. Und damit, ganz hart, tötet er sie aus Selbstmitleid. Vllt aus schlechtem Gewissen. So kann die Psyche durchaus funktionieren. Das wird hier aber völlig außen vor gelassen.

Dann habe ich noch ein Problem: Die Großmutter darf bei Dir nicht agieren, es wird nicht gesprochen. Bei Bewußtsein und helle scheint sie ja noch zu sein, sonst könnte sie sich nicht einsam fühlen, wie Du grad behauptet hast, könnte keine Trauer für ihren verstorbenen Ehemann empfinden. Dadurch erscheint mir sein Handeln noch dazu als gruselig willkürlich (nicht etwa auf ihren expliziten Wunsch hin): er entscheidet, daß sich das so nicht lohnt, und bringt sie um. Das stößt mir hier wirklich mehr als unangenehm auf, zumal ich den starken Eindruck habe, Du seist Dir dieser Problematik gar nicht richtig bewußt geworden.

,,Ich erlöse dich aus dieser Hölle.’’ Nun blickte sie ihn an. Hatte sie verstanden?
Aha, nein, sori, sie hat ihn nicht darum gebeten, er hat selbstherrlich entschieden. Das nun finde ich wirklich eine Zumutung, uns hier sowas als gute Tat aufzuschwatzen. Heißt, sie versteht gar nicht, daß sie ermordet wird, schön auch. (Du schreibst ihr zwar später ein zustimmendes Lächeln hin, aber zu dem Zeitpunkt des Verabreichens existierte nur die hier zitierte Unsicherheit.)
Eine Träne lief ihm das Gesicht hinab, doch er war sich sicher.
Tatsächlich? Ist das so einfach? Das meinte ich mit grausam simpler Schwarz-Weiß-Malerei: es ist nämlich nicht so einfach - entweder, er liebt sie nicht, dann ist es Mord, oder er liebt sie, bildet sich Tötung auf Verlangen ein, und wird, obwohl er vllt von der Richtigkeit seines Handlens überzeugt ist, dennoch selbst Qualen leiden. Da tut es nicht eine Träne und ein Hauch Abendsonne. Das geht so einfach nicht, hier mußt Du einfach tiefer rein. Hier ist überhaupt kein Konflikt, nicht das Fünkchen eines Verständnisses für Deine Prots.

Das ganze psychologische Gerüst stimmt hinten und vorne nicht, das ist schlampig konzipiert. Das kannst Du bei dusseligen Humorstories machen, aber nicht bei einer Geschichte um Mord oder Sterbehilfe.

Ich weiß, wovon ich rede, auch wenn ich niemandem Tabletten gegeben habe. Du fühlst schon Schuld, wenn Du einen Menschen weder leben noch sterben lassen kannst - da erzähl hier bitte nichts von

Traurig aber erleichtert verließ Michael das Heim.

Das sagt man so vllt, wenn man ne Fünf in Mathe hatte, und das grad den Eltern gebeichtet, oder wenn man die Katze hat einschläfern lassen - jedenfalls aber nicht die Oma. Falls Du selbst mit dem Thema Erfahrungen hast, bügel da nicht so drüber, falls nicht, brauchst Du wohl bessere Recherche.

Dann schloss sie die Augen und schlief mit einem kleinen Lächeln auf den schmalen Lippen ein.
Schön auch, daß die Dame so easy wegstirbt (praktischerweise fast im off, zu nah wollen wir ja auch nicht ran, oder wie?), daß der Junge wohl genau weiß, wieviel von welchen Tabletten man nehmen muß, daß nicht alles wieder erbrochen wird, daß sie nicht vllt qualvoll erstickt etc pp. Ja, hübsch alles rosarot, so eine nette Geste und so ein leichtes Sterben, schwupps, noch ein Streifen Abendsonne hinzugezaubert, und fettich is.
Puha, mich schüttelt's, tut mir leid, das so hart sagen zu müssen.

Die Tabletten sollten bald wirken. Hoffentlich würde kein Pfleger in den nächsten Stunden das Zimmer betreten. Hoffentlich würde niemand etwas bemerken.
Das hat ungefähr den Tiefgang und die Überzeugungskraft, als hättest Du gesagt, "Hoffentlich hat der Lehrer nicht gemerkt, daß ich mein Kaugummi unter den Tisch geklebt habe!". Daß eine Entdeckung sein Leben verändern würde, eine Anklage, was sagt seine Familie dazu, würde es vllt sein Schuldbewußtsein nochmal ändern, vor allem: Reue ...
Keine Spur hier, nix. Mannomann, echt schauderhaft.

Das Wetter als Stimmungsverstärker einzusetzen ist übrigens ziemlich abgegessen und billig, wenn man es nicht ironisch einsetzt (und das ist bei diesem Thema wohl schlecht möglich). Den Trick würde ich besser in der Mottenkiste lassen.

Ich kann Dir nur allerdringendst anraten, hier nochmal gründlich einzusteigen, und zu überlegen, was Du da erzählst, und wie Du das besser rüberbringen kannst - dem Thema angemessen. Das ist jedenfalls äußerst ärgerlich. Bleib mal vllt besser bei so leichten Humorstories.

Formalia:
Der fettgedruckte Titel dient schon als solcher, den doppelten kannst Du selbst rauslöschen.
Bitte geh nochmal durch den Text, Du spingst unmotiviert zwischen Gegenwart und Vergangenheit hin und her, z.B.

Der Anblick, wie sie in ihrem Bett liegt, eingefallen und ohne Zähne schmerzte ihn jedes Mal erneut.

Viel Erfolg, toi toi toi
Katla

 

Hallo Katla!
Danke für diese ausführliche Kritik.
Einige Anmerkungen von dir habe ich versucht jetzt umzusetzen. Stimmt, ich war an vielen Stellen sehr oberflächlich. Ich bin ja auch kein Psychologe, sondern habe versucht Gedanken, die ich persönlich zu diesem Thema habe zu äußern.
Anderes von dem, was du sagst kann ich nicht ganz nachvollziehen. Aber gut. Ist ja deine Meinung.

 

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