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Abendvorstellung

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26.11.2001
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Abendvorstellung

Eigentlich ist es nicht meine Art. Aber was will man machen, wenn man neu in der Stadt ist. Ich sitze in einem Biergarten und zwar allein.
Na gut, dann bestelle ich mir eben noch ein Bier. Das Zweite. Die Bedienung stolziert auf ihren hohen Stöckelschuhen vorbei. Ich winke. Sie ignoriert mich. Statt dessen bewegt sie sich zu den beiden älteren Herren am Nachbartisch. Der eine trägt einen monströsen Schnauzer im Gesicht, der andere ganz klassisch in die einheimische Tracht gekleidet. Mit heftigem Dialekt geben sie ihre Bestellung auf, flirten ein wenig mit der Bedienung, die den beiden einen Blick in ihren Ausschnitt gewährt. Gute Geschäftstaktik. Sie kommt an meinem Tisch vorbei. Wieder nichts. Ich setze mein leeres Glas an die Lippen. Natürlich weiß ich, das es leer ist, aber so sieht es vielleicht so aus, als ob ich hier hingehöre. Mein Blick schweift über den kleinen Platz, an dem der abendliche Verkehr vorbeirauscht. Gegenüber ist ein kleines Kino. Nein, ein kleines Lichtspielhaus, wie es in großen Lettern über dem Eingang steht. Lichtspielhaus. Ich dachte eigentlich, daß diese Bezeichnung schon lange nicht mehr geläufig ist. Aber hier ist ja alles ein bisschen anders.
Heute abend läuft hier ein ziemlich aktueller Film, den ich mir wohl nie ansehen werde. Aber es scheint nur mir so zu gehen, denn vor dem Kino, entschuldigung, Lichtspielhaus, versammelt sich eine ganze Menge Leute.
Mist, die Bedienung ist schon wieder vorbei. Der letzte Tropfen Bier rutscht an der Innenseite des Glases in meinen Mund. Jetzt muß ich mir aber was einfallen lassen, bevor es albern wird. Mein Blick wandert wieder zu dem Eingang des Lichtspielhauses.
Ein Mann, um die dreißig, steht mit einer Rose in der Hand neben dem Eingang. Er schaut auf die Uhr, sein Blick irrt umher. Wohl versetzt worden. Wieder ein Blick zur Uhr. Langsam schlendert er den Bürgersteig entlang.
Er ist aufgeregt, wahnsinnig aufgeregt. Zum Glück hat er noch eine rote Rose ergattern können. Das Erkennungszeichen. Wie in einem schlechten Film. Wie sie wohl aussieht? Eigentlich bescheuert, sich mit jemanden zu treffen, den man gar nicht kennt. Nur per Chat-Room. Seit etwa fünf Monaten haben sie Kontakt per Mausklick. Für ihn ist das ja sowieso die einzige Möglichkeit, jemanden kennenzulernen. Viel Arbeit, kaum Freizeit. Selbst wenn, er würde ja doch keine Frau ansprechen. Im Chat-Room ist das was anderes. Keine Probleme. Es hat ihn einige Überwindung gekostet, ihr dieses Treffen vorzuschlagen. Anfangs war sie überrascht, hat aber doch noch zugesagt. Wo sie nur bleibt ? Er schaut wieder auf die Uhr. Zwanzig Minuten überfällig. Wäre auch zu schön gewesen.
Ich zünde mir eine Zigarette an und lehne mich in meinem Stuhl zurück. Über mir, irgendwo in den Bäumen zwitschern die Vögel. Von der Bedienung ist nichts zu sehen.
Ein alter Mann hält ein Filmfoto in den Schaukasten, pflückt eine Nadel aus einem Nadelkissen, das an senem Arm befestigt ist. Sorgfältig streicht er das Foto glatt und pinnt es mit der Nadel fest. Er geht einen Schritt zurück und prüft sein Werk. Dann zieht er die Nadel wieder heraus, plaziert das Foto neu. Das nächste, die gleiche Prozedur. Nach einigen Minuten hat er zwei Fotos aufgehängt. Ein jüngerer, unsympathisch aussehender Mann kommt dazu, sagt irgendetwas. Nicht zu verstehen, der Verkehr ist um diese Uhrzeit noch ziemlich heftig. Aber allen Anschein nach ist es nicht sonderlich freundlich. Der Ältere zuckt unter dem Redeschwall zusammen, nickt heftig und macht sich wieder an die Arbeit, diesmal bedeutend schneller. Bald hat er alle Fotos aufgehängt, schief natürlich. Wehmütig blickt er in die Fene, in eine vergangene Zeit. Damals hatte er ein eigenes Kino. In der guten, alten Zeit, als Filme noch richtige Filme, Schauspieler noch richtige Schauspieler waren. Es war sein Leben. All die lächelnden Gesichter der Leute nach dem Film. Er hat die Rollen eigenhändig aufgelegt, hat Puffreis verkauft. Kennt den heute überhaupt noch jemand? Dann, irgendwann, kamen keine Leute mehr. Blieben einfach weg. Er saß alleine an der Kasse. Die Leute wollten nun in die großen, amerikanisch wirkenden Filmpaläste. Er verkaufte sein Kino, da ist jetzt ein Mc Donalds drin. Aber seine Träume sind geblieben, vom großen Zeitalter des Filmes.
Ich werde angerempelt. Neben mir machen sich gerade die beiden Ureinwohner auf den Weg. Der mit dem Schnauzer winkt mir noch freundlich zu. Ich winke zurück.
Eine junge Frau schaut sich die Aushangfotos an. Recht hübsch, aber mit einem etwas griesgrämigen Gesichtsausdruck. Sie wartet auf ihre Freundin, ihre beste Freundin. In letzter Zeit hatte diese kaum Zeit für sie. Gerade jetzt, wo sie eine gute Freundin nötig hätte. Wo bleibt sie nur. Ungeduldig geht sie auf und ab. Dann verschwindet sie im Eingangsbereich, kommt kurze Zeit später mit zwei Karten in der Hand wieder heraus. Die letzten Leute gehen jetzt hinein, können es wohl gar nicht erwarten, diesen Schrott zu sehen. Auf dem Bürgersteig ist es jetzt leer geworden. Noch ein letzter verzweifelter Blick die Straße herunter, dann geht sie rein, verkauft die zweite Karte wieder und sucht alleine ihren Platz auf.
Ein Fahrrad saust auf das Kino zu. Die etwas abgehetzt wirkende Frau, sie hat leuchtend rote Backen, schließt in aller Eile ihr Rad ab, stürmt zur Kasse. Im Kino ist es schon dunkel, sie kann die Freundin beim besten Willen nicht finden. Na ja, jetzt auch egal. Ist vielleicht auch besser so, sie könnte ihr sowieso nicht in die Augen schauen, nicht nach dem, was noch vor einer halben Stunde in ihrem Bett abgegangen ist. Und ausgerechnet mit dem Freund der besten Freundin. Ob sie was ahnt ? Sie hat so komisch am Telefon geklungen.
Zwei Reihen weiter vorne, ziemlich weit links, drängelt sich ein Mann mit einer Rose durch die Reihe. Die Leute maulen. Ein Platz ist noch frei. Neben einer unglücklich aussehenden Frau. Sie wischt sich gerade eine Träne aus den Augenwinkeln. Der Mann setzt sich neben sie, lächelt sie an. Er überlegt kurz, dann beugt er sich rüber und schenkt ihr die Rose. Verdutzt blickt sie ihn an, dann lächelt sie etwas schüchtern zurück. Dann beginnt der Film.
Ich schrecke aus meinen abendlichen Tagträumen und blicke hoch. Die Bedienung fragt mich doch tatsächlich, ob ich noch was trinken will. Unglaublich. Tja, brauche eigentlich nicht lange zu überlegen und bestelle mir ein Bier. Und siehe da, der Hauch eines Lächelns spielt um ihre Mundwinkel und weg ist sie.
Der Film ist zu Ende, die Leute quellen aus dem Kino, jetzt verbessere ich mich nicht mehr, und zersteuen sich in alle Richtungen. Eine junge Frau mit einer Rose in der Hand, in ihrer Begleitung ein Mann schlendern am Biergarten vorbei, er sagt irgendwas zu ihr, sie nickt. Wahrscheinlich gehen sie noch irgendwo was trinken. Ein älterer Mann kommt heraus und setzt seinen Hut auf. Prüfend sieht er sich die Aushangfotos an, schüttelt den Kopf und geht seiner Wege. Und dann ist da noch eine Frau, sie kommt ziemlich als letztes heraus. Sie sieht sich noch einmal nach allen Seiten um, schließt ihr Fahrrad auf und weg ist sie. Hat es ganz schön eilig.
Mein Bier ist auch leer, ich winke der Bedienung zu. Diesmal ist sie sofort an meinem Tisch. Ich bezahle, verabschiede mich mit einem Winken. Sie lächelt.
Mir geht es gut.

 

Hallo Holger Köbel,

angenehm zu lesen, deine Geschichte, die vielmehr in den Rahmen Stimmungsbild passt. Ruhiger Ablauf und demzufolge ziemlich entspannend. :)

Allerdings erschließt sich mir die Aussage deiner Geschichte nicht, sofern eine überhaupt vorhanden ist. :confused:

Kino im Wandel der Zeit?
Bedeutung des Kinos - verzeih, des Lichtspielhauses - in der Gesellschaft?


Doch auch wenn deine potentielle Intention mit der Geschichte im Verborgenen bleiben sollte, sollst du hier wenigstens nicht auf dein Bier warten müssen! :prost:


Gruß, Hendek

 

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