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Aber ich kann doch noch
5. November 2007 ein wunderschöner Tag. Die Sonne scheint - es ist sehr warm.
Der Kleine überschlägt sich beim Laufen, schon seit Tagen. Die Nase angehauen, eine Schwellung an der rechten Vorderpfote. Ich bin nicht mehr so stark wie er.
Nehme einen halben Tag Urlaub. Kaufe eine Riesenportion Putenfleisch. Koche Reis dazu. "Komm, wir gehn mal raus in den Garten". Eine Hand unter dem Bauch des Dalmatiners, in der anderen den Reis, tapsen wir aus dem Haus. Ich lege den Kleinen draussen im Garten auf eine schöne Matte. Seine Henkersmahlzeit liegt auf einem grossen Teller. In den Napf kommt er beim Liegen mit seiner langen Schnauze nicht richtig hinein. Er liegt auf der Matte und frisst. Obwohl ich nicht weiss, warum, filme ich ihn dabei. Bin froh später. Er sieht doch so normal aus. Sieht so jemand aus, der leidet? Macht er es nur mir zuliebe - weil ein Hund alles tut, was sein Herrchen will? Die Vögel singen. Es klingt fast wie das Piepsen, wenn er was will. Aufstehen, pinkeln, trinken. Ich werde das leise Piepsen nie vergessen. Es klingt wie eine ungeölte kleine Tür. Nicht aufdringlich, nur nach dem Motto "Wenn mal einer Zeit hat, dann bitte hochheben". Aber jetzt frisst er.
Es ist 14 Uhr. Fast alles aufgefressen. Er kippt zu Seite. Es sieht mittlerweile routiniert aus. Was ist aus dem starken Tier geworden, das mich am Mountainbike den Berg hochgezogen hat. Ich mache ein paar Photos. Gehe hin zu ihm. Streicheln , viel streicheln.
Sollen wir wirklich heute alles beenden? Schau, er kann doch fast wieder alleine gehen! Ich hab ja noch Zeit. Es ist 15 Uhr und ich nehme mir vor, erst mal Gassi mit ihm zu fahren. Er liegt wieder auf seiner Matratze. Ich greife unter ihn und befördere ihn auf die Beine. Es ist nicht, dass wir ihn nicht mehr pflegen wollen. Wie lange haben wir Kot und Urin ertragen, ohne es ihm vorzuwerfen. Wir haben uns an alles gewöhnt. Mir kommen die Worte in den Sinn : Ein Hund ist ein Bewegungstier.
Ich sammle noch mal alle Fakten, warum ich es machen muss. Jetzt. Heute. Er kann nicht mehr allein trinken. Nicht allein pinkeln. Gassi gehen will er nicht mehr. Er dämmert nur noch von Piepsen zu Piepsen. Es wird von Tag zu Tag weniger. Ich will ihm nicht eine weitere Folgekrankheit ermöglichen. Es ist ein Sonnentag. Wir werden ihn nutzen. Jetzt. Ich rette mich hinaus, dass wir ja nach dem Gassi immer noch entscheiden können, wieder heim zu fahren. Er und ich. Zusammen. Und wir haben dann wieder einen weiteren Tag. Eine weitere Entscheidung.
Ich stelle ihn auf seine steifen Beine und wir staksen los. Ums Haus, die für ihn angeschüttete Rampe aus Erde, damit er nicht die Treppen runterfällt. Er steht vor dem Hauseingang. Sein Gurtzeug ist 2 Meter weg. Ich lasse ihn schnell stehen, greife das Geschirr, komme zurück. Er steht immer noch! Sollen wir es machen? Ich lege das Geschirr an. "Gassi geh ma. Groosses Gassi". Brav steckt er, wie tausende Male zuvor seine Schnauze durch das Gurtzeug. Wir gehen Richtung Zaun. Draussen am Auto lege ich ihn hinten rein. Ich geh noch mal ins Haus. "Ich machs jetzt", sag ich.
Ich mach die Tür zu - fahre los. Sag nichts. 200 Meter später dreh ich um. Ich finde, er soll wie früher im Auto neben mir liegen. Auf dem Vordersitz. Ich brauche eine Plastikplane und eine Decke. Ich komme rein ins Zimmer. Ich brauch eine Decke. Gehe wieder. Ich zerre meinen Süssen hinten raus. Falte ihn auf den Beifahrersitz. Fahre los. Der Gurtwarnton schlägt an. Ich stecke den Gurt hinter Butzi rein. Der Alarm ist aus.Wir fahren los - wie früher. Eine Hand auf dem Kopf mit den langen Ohren. Es wird gekrault. Er mag das - wie immer - und streckt seine lange Schnauze in meine Richtung, obwohl er doch da so eingerollt recht unbequem liegt. Aber ich werde ihn nicht hinten dorthin transportieren. Es ist 3 Uhr. Die Sonne steht tief. Wir fahren zu einer grossen Wiese bei uns um die Ecke. Will er nochmal mit mir rumgehen ? Ich hebe ihn am Gurt raus. Es sind ein paar Hunde da. In sicherer Entfernung. Wir gehen los. Ich gehe rechts von ihm. Er kann sich ein bischen anlehnen. Es ist schon mutig, blind und lahm mit dem Jäger zu gehen, um Beute zu suchen. Er gibt sich viel Mühe, fast, als will er sagen, schau, wie locker es heute geht. Schau, es ist kein Tag zum Sterben.
Ich mache ihm Mut, locke ihn immer weiter. Gleich haben wir die Hälfte. Wir kommen an einer Bank vorbei. Ein altes Ehepaar sitzt drauf. Als wir vorbei sind, höre ich, wie der Mann eine Katze nachmacht. Wir reagieren beide nicht drauf. Wir haben anderes vor. Dann eine einsame Frau auf einer Bank. Ich schaue ihr nicht ins Gesicht. Habe Angst - vor dem was kommt. Wir ziehen und stützen uns gegenseitig Schritt für Schritt weiter. Es ist eher ein tappsen. Mal kommt er aus dem Gleichgewicht, mal ich - wie zwei Besoffene torkeln wir vorwärts. Eine Frau mit Hund kommt uns entgegen. Leint ihren Hund an. Er geht an uns vorbei. Böses Knurren kommt aus seiner Kehle. Butzi reagiert kaum. Wir gehen so gut es geht weiter. Der Sonne entgegen. An der Diagonalen von unserem Start her gesehen ist es Zeit für eine Pause. Es ist für mich anstrengend, seinen Gang auszugleichen. Gebückt mit 20 cm Schrittchen. 400 Meter - wann ist er das letzte mal so weit so gerne gegangen. Ich lege ihn auf einen alten Haufen Ästchen von Tannen. Es ist ein wenig hart - aber sicher warm. Ich sitze daneben auf einer dicken Astgabel. Wir schweigen uns ein bischen an. Nicht vorwurfsvoll. Zufrieden. Die Sonne gibt sich Mühe und wärmt so gut sie kann im November. Frühlingsstimmung und trotzdem alles andere als Frühling. Mir kommt es vor, wie an einem reich gedeckten Tisch zu sitzen mit Magenverstimmung. Butzi kann noch nichts ahnen. Ich habe mich immer noch nicht entschlossen. Kämpfe mit mir. Vielleicht doch noch mal zu unserem ganz alten Tierarzt fahren. Aber wenn er dann sagt es geht nichts mehr. Dann wieder zur Klinik ? Wer kann professioneller töten. Diese Frage beschäftigt mich am meisten. Man hört so Geschichten von Zucken und Spritze ins Herz, von Aufbäumen und minutenlangem Sterben. Ich denke an die Menschen, die durch Giftspritzen zum Tode verurteilt sind und den Stop des obersten Gerichthofs in den USA. Die Zweifel nagen und bohren. Aber wieder nach Hause, jetzt wo wir so weit schon sind. 400 Meter. Oder gerade deswegen ? Wieviele 400 Meter wollen wir noch laufen ?
Früher zog er beim Gassi grundsätzlich seine Kreise um mich herum - mit 400 Meter Abstand. Nicht zum Jagen. Es musste alles nur genau geschnüffelt werden. Schnüffelbutzi sagte mein älterer Sohn Pascal immer zu ihm. Mein Schnüffelbutzi. Ein Pfeiffen - so wie der Radetzki Marsch beginnt - die ersten 2 Töne - dann kam er. 15 Sekunden - direkter Weg - Beine in Vollgasstellung. Einmal tapste er in ein Loch - Überschlag über gut 4 Meter. Ein einziger Muskel, friedlich, zurückhaltend, bestimmt.
Ein älteres Paar kommt mir entgegen mit einem Labrador. Ich muss Butzi aus der Gefahrenzone bugsieren. Hebe ihn wieder auf seine steifen Beinchen. Wir gehen in die Defensive, aber sie kommen auf uns zu. Ob er krank ist, wollen sie wissen. Ich sage: "Ja - und auch fast 13 Jahre alt. Es sind die letzten Stunden". "Schlimm", meint die Frau, "es ist ihr vierter Hund. Operiert. Kann wieder laufen. Aber es war jedesmal schlimm". Wir gehen weiter. Es kommen zwei Radfahrer aus einem Seitenweg. Der kleine bemerkt sie erst im Vorbeifahren. Zuckt - kaum sichtlich. Weisst du noch, wie damals mit dem Herbert. Butzi liebte Radfahren. Die einzige Möglichkeit, die komplette Power aus ihm rauszuholen. 40, 50, 60 Kilometer. Jeder Radfahrer wurde sofort begleitet, in der Annahme, es sei Herbert. Auf die Art lief er die Tour doppelt.
Einmal, es war eine riesige Mountainbiketour von Schloss Ellmau zur Bockhüttte und weiter zur Reintalangerhütte und zurück. Ich dachte er ist platt. Zumindest tat er so. Mit schlechtem Gewissen platzierte ich ihn hinten in das Auto. Wir liessen noch die Klappe offen und genossen den beginnenden Abend. Ein Fuchs huschte in 50 Meter Entfernung über den Parkplatz. Es krachte in dem Auto - ein unbändiges Aufbäumen , ein Sprung über drei Meter aus dem Auto raus. Über ein paar Pfützen hinweg. Nach wenigen Sekunden war er an dem Platz, wo der Fuchs gerade noch dachte, hier sei sein Revier. So nicht Herr Reinecke ! Er konnte sich aber auch mit einem einzigen Sprung durch das geöffnete Seitenfenster hechten, um dann mal schnell einen Baum zu markieren. Ich hätte dieses Kunststück vorher nicht für möglich gehalten. Einmal sass er vor einer Mauer. 2,50 Meter hoch - Butzi hat nie die lumpigen Gartenzäune übersprungen. Aber da reizte ihn etwas. Aus dem Sitzen war er mit einem Satz oben.
Die Radfahrer sind vorbei. Wir beginnen den vierten Teil - der kleinen Wanderung. Es sind noch 100 Meter. Es sind seine letzten 100 Meter, die wir mit einer Pause einleiten müssen. Gegenüber ist ein Kindergarten. Kinder mag er wahnsinnig gern. Wir gehen hin, aber er muss sich auf seinen Weg konzentrieren. Nicht umfallen, nicht umfallen - solange ich nicht umfalle bin ich noch da, lebe ich, atme ich. Die Kinder sehen ihn nicht. Wir kommen sehr langsam voran. Die letzen Meter muss ich ihn fast schleifen. Wir müssen beim Auto ankommen, bevor wir ein weiteres Paar mit Hund treffen. Ein kleiner Wettlauf beginnt. Unser letzter. Gewonnen. Butzi wird von mir auf den Vordersitz zusammengerollt. Köpfchen auf der Armlehne. Traditionelle Beifahrerfahrstellung. Die Tür schlägt zu. Sein Hinterteil wird von der Tür ein bischen angeschubst. Der letzte Schubser. Das Paar steigt am Nachbarswagen ein. Die Frau hält inne, fragt: "Ist er krank?"
"Sein letztes Gassi", stammle ich. Erschrocken springt sie mit einem "Oh Gott!" ins Auto. Wir fahren ab. Es ist 15 Uhr 45. Um 17 Uhr macht die Klinik auf. Wir haben Zeit - viel Zeit. Spontan beginne ich einen Gedanken zu verfolgen. Ich könnte doch zu unserem alten Tierarzt und doch noch mal untersuchen lassen. Aber ich biege rechts ab. Weg von seiner Adresse. Verstand und Herz haben keinen gemeinsamen Weg mehr. Ich kämpfe mit mir. Fahre ziellos weiter. Ich wusste, dass es so kommt. Ich schalte den Radio ein - leise. Alle Programme sind mir zu aggressiv. Ich suche was ruhiges für meinen Butzi. Bleibe bei so einer Wunschsendung hängen wo Enkel ihren 95 jährigen Opas gratulieren. Beruhigende Stimme des Moderators, Lieder über Menschen die ihrem Herrn folgen. Komisch wie das alles langsam zusammenpasst. Ich fahre Richtung Lungenklinik wo ich vor 6 Jahren beinahe gestorben wäre. Lungenentzündung. Als ich heimkam nach 10 Tagen hat er mich kaum begrüsst. Wie kannst du nur solange wegbleiben - als Herrchen - wollte er sagen. Ich fahre dran vorbei. Es ist eine andere Welt. Schöne Plätze habe ich damals dort ausgekundschaftet während meines langsamen Gesundwerdens. Noch langsamer war ich damals als wir zwei heute zusammen. Kaum zurückgekommen bin ich von meinen Ausflügen. Aber heute schaffen wir keinen dieser Ziele mehr. Ich fahre im Kreis. Genauso wie meine Gedanken.
Ich sehe eine Bank, an der ich schon oft vorbeigefahren bin. Eine kleine Anhöhe. Ich halte. Packe Brot, Leberwurst, Wasser und den Hund aus. Lege ihn vor die Bank. Es wird kalt, obwohl die Sonne noch scheint. Ich hab das Messer vergessen - zum Brot schmieren. Ich reisse ein Stückchen ab von der Brotscheibe und presse die Leberwurst drauf. Er mümmelt daran rum. Im Liegen geht es schlecht. Da ist er wieder, ein weiterer Grund warum ich diesen Weg mit ihm heute gehen muss.
Ich will ihn nicht abfüllen. Am Ende wird ihm schlecht. Mache noch weitere Photos von ihm. Komme mir schlecht dabei vor. Ein Bauer kommt und wendet Heu. Komisch - im November. Ich forme aus der Alufolie eine kleine Schüssel. Gebe Wasser rein. Unser Schnüffelbutzi schlürft ein bischen. Viel mag er nicht. Ich packe alles zusammen. Hebe ihn wieder auf den Vordersitz. Es ist 16 Uhr. In einem grossen Kreis nähere ich mich der Klinik. Je näher ich komme, desto grösser wird mein Widerstand. Ich entscheide mich noch für den See. Wir fahren an eine Stelle, wo ich als Kind das Schwimmen gelernt habe, indem mich mein Freund einfach mal aus dem Boot geschmissen hat. Prustend tauchte ich auf, während er sich festhalten musste um nicht vor Lachen hinterherzufallen. Seitdem kann ich schwimmen. Mein Schwimmstil ist der Gleiche geblieben. Manche Dinge können so einfach sein! 40 Jahre später stehe ich wieder hier. Im November sind hier keine Menschen nur ein paar Jogger. Das ist gut so. Ich gehe mit Butzi zum Wasser. Er geht rein. Ich halte ihn, damit nur die Füsse drin stehen. Er pinkelt rein. Ich hol ihn wieder raus. Gehe runter in die Hocke. Ich stütze ihn. Wir schauen beide auf die Bergkette vor uns. Ein Blick vom Brauneck über die Bendiktenwwand Kesselberg, Herzogstand und Heimgarten, und weiter bis zur Zugspitze. Unser Gebiet! "Schau" sag ich und nenne ihm die Namen, wo wir schon so oft drauf waren. Und er schaut über den See hin zu seinen Bergen, in denen wir zu Hause waren. Es wird dunkel. Fast 17 Uhr. Wir gehen noch zehn Schritte, aber er will nicht mehr. Dunkel ist schlecht. Er verrichtet noch mal sein letztes Geschäft. Ich stütze ihn hinten, sonst würde er sich draufsetzen. Wir gehen weiter zurück zum Auto. Die Strassenüberquerung wird zu einem spannenden Wettlauf mit den Autos. Irgendwann sind wir drüben. Ein letztes Mal kommt er auf den Vordersitz. Diesmal liegt er so drin, dass beim Zuschlagen nicht sein Hinterteil angeschubst wird. Wir sind ein eingespieltes Team. Aber in welchem Team opfert man seinen Kameraden - fährt ihn zum Henker. Vielleicht beim Bergsteigen, wenn zwei im Seil hängen und der Oberste muss einen von beiden Abschneiden, dass die anderen eine Chance haben unversehrt runter zu kommen?
Die Menschen überlassen es einfach dem Sterbenden zu Sterben. Ein anvertrautes Tier legt sein Leiden und seinen Todeskampf in die Hände des Freundes. Dieses Spiel gefällt mir nicht. Wir fahren weg vom Parkplatz. Für mich steht fest, wenn die Spritze ins Herz kommt, muss ich vorher raus. Die vage Vorstellung, wie es passieren wird, macht mich wahnsinnig. Wir kommen wieder in der kleinen Stadt an. Blind fahre ich die Klinik an. Sonst musste ich immer suchen, aber jetzt ist es, als hätte ich einen Beifahrer der mir den Weg sagt. Ich komme an der Busstation vorbei, wo meine Kids in ca. 20 Minuten aussteigen werden und dann die S-Bahn nehmen. Zufall ? Ich drehe einen Kreis auf dem Parkplatz. Die Klinik ist nur noch 200 Meter entfernt. Warten ? Die Kids haben auch ein Recht, sich zu verabschieden. Aber ich habe die Pflicht, es über die Bühne zu bringen. Ohne Aufregung für den Hund. Ohne wieder schwach zu werden und ein weiteres Mal wieder wegzufahren, wie schon so oft zuvor.
Ich geb Gas und fahre weiter. Langsam taucht die Klinik vor uns auf. Meine kleine Maus hebe ich vom Vordersitz. Tapfer steht er wieder seinen Hund. Schau doch, es geht noch scheint er mir zu sagen. Oder will ich es so einfach sehen. Warum mach ich es mir so schwer. Warum sag ich nicht einfach "Man kann ihn doch nicht so leiden lassen". Rein - Hinrichten - Tierverwertung - Heim.
Er trottet mit mir weg vom Eingang. Verfolgt eine Spur. Ich lass mich ziehn. Wir drehen einen kleinen Kreis. Ich lege ihn in den Kofferraum. Will mich erst anmelden. "Hallo ich war schon mal da. Vielleicht nochmal Anschauen ..., ... im Notfall Einschläfern ... ." Ich wusste, dass ich nicht in der Lage bin, noch mehr zu sagen. Ob ich den Hund holen will. "Klar", sag ich leise und hol ihn. Draussen hebe ich ihn das letztemal aus dem Kofferraum. Wieder weg vom Eingang zieht er mich. Er wittert sein Ende. Mit sanfter Gewalt sind wir durch den Eingang durch. Wir fahren Lift. An der Rezeption das Übliche. Wir setzen uns. Kalte Luft sickert von einem offenen Fenster bedrohlich auf meinen Hund. Ich steh auf und mach es zu. Ich mach ein Fenster zu. Halte den Tod fern von ihm. Ich streichle ihn. Es ist 17 Uhr 30. Ich bin für jede quälende Minute dankbar. Ich könnte Jahre mit ihm hier sitzen. Ich gehe selber pinkeln. Stelle fest dass ich seit heut früh nicht war. Beim Zurückkommen liegt er noch am Boden. Man könnte glauben, er hat es nicht gemerkt. Ich werde nochmal meinen ganzen Mut zusammen nehmen und fragen, ob man ihm helfen kann. Obwohl ich schon so weit bin. Verdammt - ist das feige. Soll ich wieder heimfahren? Ätsch hier sind wir - reingefallen? Eine Schwester kommt und sagt: "Jetzt kommt mal der Butzi rein" Ich steh auf. Nicht anders wie sonst. Aber Butzi weiss es.
Ich hebe ihn hoch, stelle ihn auf seine Pfoten. Seine Vorderbeine versteifen und mit ganzer Kraft stemmt er sich gegen die Richtung, wo er hin soll.
"Hey, Junge wir müssen doch da nicht rein. Das schaffen wir doch alleine. Du musst mich nur auf meine Pfoten stellen und dann zeig ich Dir mal, wie ich die Treppe runterkomme und aus der Klinik hüpfe. Eins, zwei, drei und Sauseschritt. Weisst Du, wie wir es früher immer gemacht haben. Und ich fand das jetzt auch ganz toll mit Dir am See und dem Bergblick und das Gassi und an der Bank in der Sonne liegen. Ich werd auch nicht mehr mit meinen Zähnen klappern, dann hast Du auch Ruhe und hörst mich nicht. Und wenn ich mich überschlage, weil meine Beinchen vorne einknicken, dann tut es mir ganz bestimmt nicht mehr weh. Und wenn ich einfach umknicke und daliege, dann beachte mich nicht. Ich fall Dir nicht zur Last. Must mich nur aufstellen auf meine vier Pfoten. Nur einmal aufstellen. Ab dann gehts wieder. Ich fühl mich schon wieder ganz stark. Und ich mach auch nie wieder ins Haus. Ich versprech Dir das. Nur nicht in dieses Zimmer mit der Frau mit den Spritzen, da will ich nicht mehr rein. Nicht mehr rein."
Ich habe die Röntgenbilder in der Hand, kann Butzi nicht schieben. Ich gebe sie der Schwester. Nehme ihn, meinen 30 Kilo Burschen und trage ihn wie so oft zuvor. Wir sind in dem Untersuchungsraum. Nach kurzem Gespräch und Untersuchung meint die Ärztin, die den Fall schon vor einem Jahr diagnostiziert hat: "Zusätzlich zu seinem Problem mit den Hinterläufen gibt es ein Problem im vorderen Nackenbereich, der sich auf die Vorderfüsse auswirkt. Ich sollte ihn jetzt gehen lassen". Ob ich das will. Ich breche in Tränen aus. Ich bin Trainer und weine. Verdammt. Butzi steckt seine Schnauze in meinen Schoss. Will er mich trösten ? Er mich! Verdammt.
"Schläfern Sie ihn ein - bitte", höre ich mich sagen. "Es geht leichter wenn wir ihn auf den Boden legen", meint die Ärztin. Liegen das hat er jetzt schon so lange gemacht. Wir legen ihn zur Seite auf den Boden. Es ist das letzte Mal das ich ihm helfe, sich hinzulegen. Linoliumboden. Man kann ihn gut wischen. Sein Beinchen wird rasiert. Er guckt, was da passiert. Wie sonst, wenn einer zum Zimmer reinkommt hebt er seinen Kopf. Ich presse meinen Schenkel gegen seinen Rücken, halte den Kopf etwas erhöht. Habe seine beiden Ohren in meinen Händen.
"Na gut jetzt sind wir doch wieder da drin bei der Frau mit den Spritzen. Eigentlich mag ich Frauen. Auch die. Wird schon richtig sein. Mein Herrchen hat immer alles richtig gemacht. Es kitzelt an meinem Bein. Ob sie bald fertig sind. Wozu machen die das denn. Schön wie mein Herrchen meine Ohren krault. He,du, es hat mich was gestochen. Gerade eben. Merkt das keiner. Warum tut ihr mir weh? Was ist mit meinem Herrchen. Sonst hat er doch immer auf mich aufgepasst. Ich hätte doch nicht reingehen sollen. Ich hab dir doch gesagt, lass uns nicht reingehen. Aber du hast mich hochgehoben. Du hast mich reingetragen. Ich habe dir vertraut. Die haben immer mir ins Fleisch gestochen und meinen Beine geknickt und geschaut wie lang ich auf geknickten Pfoten stehen kann. So sind die hier. Wusstest Du das nicht? Hast Du das vergessen? Ich werde plötzlich so müde. Irgendwas Kaltes strömt mein Beinchen rauf. Ich werde mal gähnen, sonst schlaf ich noch ein. Gähnen ist gut wegen dem Sauerstoff. Ich bin so verdammt müde. Ich schlaf mal kurz. Nur ein bischen. Ist das ok? Ich will eigentlich nicht unhöflich sein. Normalerweise pass ich auf, dass meinem Herrchen nichts passiert. Ich schlaf eigentlich nur, wenn alles in Ordnung ist. Ehrlich. Ich finde eigentlich, es ist jetzt alles in Ordnung. He, mein Kopf wird so schwer. Ich hab keine Kraft mehr. Ich kann meinen Kopf nicht mehr halten. He warte, nimm mich wieder mit. Weisst du noch gerade am See. Berge, ich sehe unsere Berge. Hallo. Ich kann nichts mehr bewegen. Es ist ja schlimmer als vorher. Ich dachte du hilfst mir. Aber meine Augen, die lass ich offen. Ich schau dir ins Gesicht. Egal was jetzt passiert. Keinen lass ich aus den Augen. Wo bist du. Wo sind denn alle. Hallo! Schau mal mein Barthaar zuckt noch. Warum sieht es keiner. Ich bin doch noch da. Schön wie du meine Ohren kraulst. Kraulst. Kraulst. Wasser lassen. Ich muss Wasser lassen. Ich kann es nicht halten. Es ist doch meine verdammte Pflicht, Wasser zu halten. Es wird alles Dunkel um mich herum. Ich spüre keine Schmerzen mehr. Ich will aufstehen. Ich kann aufstehen! Ich stehe auf meinen Beinen. Ich stehe auf meinen Beinen! Ich drehe meine Schwanzspitze nach oben. Na also, es geht doch wieder. Komm, wir gehen. Ich kann wieder richtig sehen. Mein Herrchen kniet am Boden. Vor mir? Aber ich bin doch hier! Zwischen uns ist ein tiefer breiter Spalt, der immer grösser wird! Hörst du nicht mein Piepsen? Mein Bellen? Hörst du es nicht? Warum bleibst du dort drüben, wo es so kalt ist? Warum kommst du nicht her? Schau mal, hier riecht es nach so vielen Hunden. Ganz da hinten sehe ich sogar einen. Ich muss mal schnell schauen, wer das ist. Du kennst mich doch. Nur mal kurz schauen. Bin gleich wieder da. Erst langsam, dann immer schneller. Halt. Muss schnüffeln. Hier waren schon verdammt viele Hunde auf dem Weg. Muss schnell markieren. Hebe mein Beinchen. Ich kann mein Beinchen wieder heben! Ich drehe mich um. Schaue nach meinem Herrchen, nach den Jungs. Ich war nie alleine unterwegs. Ob ich schnell weiter kann? Der Hund ganz da hinten bellt zweimal, wedelt mit dem Schwanz. Ich wedel zurück und laufe näher und näher. Ich schau nur mal kurz, wer das ist und komm dann gleich wieder - ehrlich. Hey, es ist ein Dalmatiner - genauso einer wie ich. Es ist ein Weibchen. Sie hat ein schwarzes und ein weisses Ohr und einen ganz weissen Schwanz - genau wie ich. Ist das nicht komisch".
Tapsig galoppiert er auf sie zu. Ganz ruhig steht sie da und wartet bis er angekommen ist. Schnauze an Schnauze stehen sie sich gegenüber. Die Schwänze wackeln hin und her.
"Hallo Junior" sagt sie. "Du hast dir ja ganz schön Zeit gelassen. Hab lang auf Dich gewartet. Aber jetzt bist Du da. Komm lass uns gehen."
"Ich muss aber wieder zu meinem Herrchen. Ich glaube ich hab ihn pfeifen hören."
"Ja, mein Kleiner, aber erst spielen wir hier ein bischen rum."
"Gut, aber nicht lange - nur ein bischen!"
"Was ist das", sagt Marcel und deutet auf die in Alufolie eingewickelte Leberwurst.
"Ich muss dir was sagen Marcel, heute haben wir ihn hingefahren und einschläfern lassen. Wir haben es doch schon so lange vorgehabt. Heute ist es passiert." Ich rede und rede. Aber er hört nicht mehr zu. Er weint leise vor sich hin. Fussballer weinen eigentlich auch nicht. "Das schlimme ist", sagt er, "dass er für immer weg ist und nicht mehr da ist". "Nun" meine ich, "DA war er nur kurz, aber für immer - für immer ist er jetzt bei uns". Ein Trost ist das nicht. "Willst du wissen wie es passiet ist?".
Ich bin jetzt so froh, die letzten Stunden festgehalten zu haben. Man vergisst so unheimlich schnell und alles taucht in einem Nebel ab.
Wir essen Spagetti, wie immer. Die Teller bleiben stehen - nicht abgeschleckt. Marcel und Pascal schaffen eine normale Portion - Ich nicht.
Besuche Marcel noch auf seinem Zimmer. Er schluchzt. Es ist 23 Uhr. Eine Kasette läuft im Hintergrund. Ich zeige ihm die Photos und den Film, wie Butzi frisst. Wenn man das sieht will, man sein so frühes Ende fassungslos nicht glauben wollen. Ich erzähl ihm von meiner Schildkröte Susi - Tot im Winterschlaf. Dass Butzi nicht will, dass wir uns so lange grämen. Dass sonst alles, was er verkörperte umsonst war. Dass seine Kraft und Schnelligkeit in Marcels Körper weiterlebt. Dass er die ganze Kraft verwenden soll, um in die Bundesliga zu kommen. Dass er in der Bundesliga bei seinem ersten Tor sein Trickot runterziehen wird. Und dass er dafür gelb kassiert. Und auf seinem Unterhemd wird ein Name stehen, auf dass ihn die ganze Welt lesen kann und von ihm erfährt.
"Was glaubst du welcher", flüstere ich?
Marcel kann nicht sprechen. Er deutet auf das Photo meiner Kamera.