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Abschädeln

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14.03.2005
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Abschädeln

Ich weiß nicht was passiert war, doch der Stammkneiper unserer Stammkneipe machte irgendwie eine sorgenvolle Miene. Vielleicht hatte das etwas mit den Plakaten zu tun, welche draußen an der Wand hingen. „Gerhard Schöne – Lieder für die Getretenen“. Was um Himmels Willen hatte sich der Kneiper dabei gedacht?
Gerhard Schöne saß bereits auf der Bühne und zuppelte nervös an seiner Klampfe herum. Der Kneiper schaute immer noch sehr sorgenvoll. Kein Mensch war gekommen. Selbst der Kalli und der Meester hatten sich an diesem Tag verspätet.
Auf meinem Weg zum Tresen zwinkerte mir der Kneiper zu und sagte mir im Vertrauen, wir sollten wenigstens so tun als ob uns es gefällt und um Himmels Willen keine Ärger machen. Auf meine Frage, was er sich denn dabei gedacht hat, unsere schöne Rock’n Roll-Kneipe mit blasphemischer Akkustikgitarren-Musik zu entweihen sagte er, dass Gerhard Schöne gestern gefragt hatte, ob er hier spielen dürfe. Es sei immerhin eine dieser spontanen Touren, wo er Musik für das einfache Volk spielt. Eintritt frei, und ein bisschen mehr Umsatz wäre auch drin. Ich erklärte ihm, dass es nicht gut zu heißen ist, wenn man für den schnöden Mammon seine geheiligten Ideale verrät.
„Mann muss ja schließlich mit den Arsch an die Wand kommen“ plärrte mich der Kneiper an.
Schande über ihn. Ich machte ihm klar, dass ich zwar für mich, aber nicht für den Meester bürgen könne, der immer gleich lautstark kundtut, wenn ihm irgendwas passt.
Mit einem Knall sprang die Tür auf und der Meester polterte herein. Wenn man von Teufel spricht...Allerdings war er alkoholisch gesehen schon jenseits von Gut und Böse. Auch fiel er durch häufiges Umfallen auf. Als er den bibbernden Schöne mit seiner Akkustikgitarre auf der Bühne erspähte, erhob er die Faust, spreizte Zeigefinger und kleinen Finger ab und brüllte dem verschreckten Barden eine lautes, grunzendes „Modderhäd, Modderhäd“ entgegen. Das Gesicht des Kneipers spiegelte schiere Verzweiflung wider.
Es dauerte auch nicht lange, da stürmte Malle in den Raum und begab sich schnurstracks in Richtung Tresen. Unterwegs hielt er noch mal kurz inne und musterte die Person auf der Bühne von oben bis unten. Schöne sah in das Boxergesicht, und man merkte, dass der Film seines bisherigen Lebens schon anfing, sich abzuspulen. Malle richtet seine Blick wieder auf den Kneiper und trötete die Neuigkeiten heraus.
„Soll ich dir mal sagen, was die Flachwichser mit mir gemacht haben?“
Eigentlich wollten wir das nicht wissen, aber Malle war nicht davon abzubringen, uns zu schildern, wie seine Kollegen ihn auf der Baustelle in ein Dixiklo einsperrten. Sie haben behauptet, er sei verrückt geworden und so. Einer hätte sich als Baustellenleiter ausgegeben und gesagt, dass er jetzt das Auto mit den netten weißen Männer holt, die ihn dann an einen wunderschönen Ort bringen. Ja, ja, der Malle hatte wirklich nichts zu lachen. Und das alles nur, weil er bei seiner Chefin mal ein Rohr verlegen wollte.
„Maaaaaalle, Schnauuuuuuuze!....Modderhäd!“ Mit diesem Kommentar des Meesters wurde Malle mundtot gemacht. Der Kalli war inzwischen auch eingetroffen und war wie alle im Raum etwas irritiert. Wie eine Katze um den heißen Brei scharwenzelte er um das Akkustikinstrument herum. Vergeblich suchten seine Augen nach einem mächtigen Marshall-Verstärker oder einem überdimensionalen Double-Bass-Schlagzeug.
Mittlerweile hatten sich ein paar Liedermacherfreunde zu uns gesellt. Zum Leidwesen des Kneipers bestellten die fünf Rollkragenträger nur drei Schwarze Tee, einen Fencheltee und ein Radler mit nicht so viel Bier. Das Gesicht des Kneipers war heute der reinste Seelenspiegel. Erst Sorge, dann Verzweiflung und jetzt Mordlust. Der Kalli bekam die Misere des Kneipers mit und verschwand mit ihm zur Lageberatung mal kurz in der Küche. Kurze Zeit später kam der Kalli mit einem Plastikeimer voller tiefgefrorener Bockwürste zurück. Was er damit vor hatte, blieb aber zunächst noch im Dunkeln.
Nach einer intensiven Diskussion zwischen dem Meester und mir wurde das wöchentliche Skatspiel kurzerhand abgesagt. Wir beschlossen, dem Akkustikbrutalo auf der Bühne die Freude an seiner Musik-für-das-Volk-Tour etwas zu versüßen. Ich möchte hier noch mal ausschließlich betonten, dass ich Respekt vor jedem Musikschaffenden habe. Aber nichts desto trotz muss man als Jünger der elektrisch verstärkten Gitarre auch mal ab und zu zeigen, wo der Hammer hängt.
Die ersten Akkorde plätscherten so vor sich hin, da sprangen der Kalli, der Meester und ich auf, schnappten uns die Luftgitarren und rockten los wie die Berserker. Herr Schöne machte gute Miene zu unserem, wie ich finde lustigen Spiel und klampfte etwas verkrampft weiter. Unsere Abschädeleinlage wurde immer heftiger, so dass sich der Barde genötigt sah, seine Vorführung für einen kurzen Moment zu unterbrechen. Wir hielten ebenfalls inne und lauschten den Ausführungen des Meisters.
„Ich gebe ja zu, dass das kein Heavy Metal ist, aber könntet ihr vielleicht nur zuhören? Selbst Ihr könnt noch etwas lernen!“
Wir begaben uns wortlos wieder zurück auf unsere Plätze. Er hatte noch keine drei Akkorde gespielt, da sprangen wir wieder vor die Bühne uns bangten uns das Gehirn aus dem Schädel.
Der Meister uns seine Jünger waren jetzt doch ganz schön angepisst. Die Rollkragenpulloverfraktion, die sich um den Fencheltee versammelt hatte, fing an zu murren. Wir sollten doch gefälligst ruhig sein. Des weiteren warfen sie uns Respektlosigkeit gegenüber dem Künstler vor. Das brat mir doch einer einen Storch! Das konnten wir nun nicht auf uns sitzen lassen. Der Kalli baute seine gut zwei Meter vor dem Tisch der Fenchelabteilung auf und hielt einen Vortrag über gastronomische Sitten. Er zückte seine Riesenfaust und mahnte, wenn sie nicht jeder mindestens ein Bier und einen Schnaps bestellen, würden der Meister und seine Gefolgschaft heute ohne Gitarre und abgefüllt bis zur unkontrollierten Urinabgabe das Lokal verlassen. Die Jungs und Mädels willigten ein. Beim Anblick des, wie ein Stier schnaubenden Kalli hatten sie auch kein andere Wahl.
Der Kneiper war heftig am Bier zapfen, als ich mir den Kalli zur Brust nahm und ihn wegen der Bedrohung zu Rede stellte.
„Ich hatte gerade keine Knarre dabei.“
Na das schlägt doch dem Fass den Boden aus. Ich erzähle ihm irgendwas von Gewaltlosigkeit und er fing an, über Schusswaffen zu reden. Der Kalli brauchte eine Lektion in Waffenlosigkeit. Da beißt die Maus keinen Faden ab. Selbst Kallis Hinweis, dass er gar keine Waffe besitze und das Ganze nur ein Scherz war, hielt mich nicht davon ab, ihn eine Entschuldigung abzunötigen.
Zähneknirschend ging der Kalli auf die Meute los und entschuldigte sich. Als Dank versicherten die Rollis, heute nur noch kriechend den Saal zu verlassen. Der Kneiper war entzückt, dies zu hören und stellte den Meester kurzer Hand zum Gläser spülen ein.
Als sich die Situation etwas beruhigt hatte, fing der Meister wieder an zu klampfen.
„Und nun speziell für unsere freundlichen Gastgeber dieses kleine Lied.“
Mit tiefgefrorener Bockwurst bewaffnet brachten sich der Kalli und der Meester in Position, um die blasphemischen Worte des Barden stehenden Fußes zu bestrafen. Doch welch eine Überraschung: Der Meister spielte doch tatsächlich einen Song von Motörhead. Eine Schnulze zwar, aber immer hin. Das hatten wir ihm absolut nicht zugetraut.
Herr Schöne hatte gerade noch einmal die Kurve gekriegt. Die tiefgefrorenen Bockwürste wurden ins heiße Wasser geschmissen, Bier und Schnaps flossen in Strömen und die Rollkragenfraktion machte ihre Drohung war und kroch samt mitgebrachtem Liedermacher erst weit nach Mitternacht aus dem Lokal.

 

Hallo Angry,

tja, die Sparte Humor und die Erwartungen derer, die eine KG daraus lesen :hmm: .

Ich konnte nicht lachen. Damit will ich sagen, es gibt Texte, bei denen ich beim Lesen laut herauslachen muss oder zumindest bewußt grinse.

Ich stelle mir vor, wenn ich selbst mit einem gewissen Alkoholpegel versehen in der Kneipe gesessen wäre und diese Szenerie hätte beobachten können: Vielleicht hätte ich da auch Tränen gelacht. Das von aussen zu beschreiben ist sicher nicht leicht, jedenfalls hat es bei mir nicht gezündet.

Kneipengeschichten mag ich gerne, unter "Alltag" hätte ich sie auch mit "anderen Augen" gelesen, da mich deinSchreibstil als solcher anspricht.

Lieber Gruß
bernadette

Nachtrag: Mit dem Begriff abschädeln kann ich nichts anfangen, wenn es durch den Kontext jetzt zwar etwas zu erahnen gibt. Was genau bedeutet das denn?

 

bernadette schrieb:
Hallo Angry,


Nachtrag: Mit dem Begriff abschädeln kann ich nichts anfangen, wenn es durch den Kontext jetzt zwar etwas zu erahnen gibt. Was genau bedeutet das denn?

Abschädeln heisst soviel wie headbangen, Kopf schütteln, Haare fliegen lassen. Wie man das bei Heavy Metal so macht.

 

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