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Abschied (Nesthäkchen ist flügge!)
Es war schon vorgestern angefangen. Mir war so komisch gewesen. Im Laufe des Tages hatte sich dieses Gefühlswirrwarr noch verstärkt, bis es mich schließlich total unter Kontrolle hielt. Nicht ich beherrschte meine Gefühle, sondern sie mich.
Gestern dann lief ich mit argem Herzklopfen durch die Gegend, stets bemüht, einigermaßen gefaßt zu erscheinen. Letztendlich war das, was auf mich unweigerlich zukäme, völlig normal, mußte eines Tages ja so kommen und gab eigentlich eher Anlass zum Stolz. Obwohl mein Verstand versuchte, mir genau das einzuhämmern, spielte mein Herz verrückt. In der Nacht dann war es soweit: Ich heulte. Ich führte mir verzweifelt nach Fassung ringend alles vor Augen, was mir ein mitfühlender Außenstehender garantiert auch gesagt hätte. Aber es half nicht. Ich fühlte mich hundeelend.
Ich dachte nur noch: Hoffentlich ist es morgen früh schnell vorüber. Hoffentlich geht es schnell, das Abschiednehmen. Ja, ich hätte mich von Katja zu lösen. Papa würde sie nach Paris bringen, wo sie in einer französischen Familie ein Jahr lang als Aupair leben sollte. Sie hatte mir bereits Fotos von der Familie gezeigt. Sehr sympathische Eltern und zwei ganz süße Kleinkinder. Ein Mädchen von zweieinhalb und ein Junge von fünf Jahren. Katja hatte sie während eines Kurzurlaubs in der Bretagne schon näher kennen gelernt. Sie waren ihr also nicht mehr ganz fremd.
Dann wurde es "morgen früh". Erwartungsgemäß wachte ich schon gegen halb sieben Uhr relativ unausgeschlafen auf, riss Hund "Knödelchen" aus seinem Tiefschlaf und spazierte mit ihm eine kleine Runde durch die frische Luft. Als wir heimkehrten, hörte ich den Papa meiner Kinder schon in der Küche rumoren. Schlagartig wackelten mir die Beine. Dermaßen früh des Morgens rumorte da sonst nie jemand herum.
Kurze Zeit später klappte in der oberen Etage eine Tür, Katjas Zwillingsschwester Tina war auch auf. Mit betretener Miene erschien sie in der Küche, war äußerst wortkarg. Das wunderte mich gar nicht, denn mir ging es genauso. Wir hatten alle keine Lust, irgendwelche Banalitäten auszutauschen. Jeder hing seinen Gedanken nach, die nicht zu kennen für die zwei Anderen wohl eher eine "Gnade" war. Allerdings wären es wohl sehr ähnliche Überlegungen, die alle bewegten.
Wir warteten auf die Hauptperson des heutigen Tages, unser Nesthäkchen Katja. 21 Jahre und zwei Minuten jünger als Tina. Ab und an machten sich diese zwei Minuten Altersunterschied sogar bemerkbar. Dann lächelte ich still vor mich hin.
Katja ließ nicht lange auf sich warten, setzte sich an den Tisch und goß sich Orangensaft ein. Dann schnappte sie sich eine ihrer geliebten Laugenbrezeln und biss hinein. Im nächsten Moment legte sie sie versteinerten Gesichtsausdrucks zurück auf den Teller, trank auch keinen einzigen Schluck, wandte sich ab und meinte: "Ich habe Bauchschmerzen. Ich habe keinen Hunger." Sie verschwand und beschäftigte sich unnötig hektisch mit ihren Koffern, die, so wie es für mich aussah, längst fertig gepackt waren. Mir war klar: Katja litt auf ihre stille Weise und wollte versuchen, ihre Gefühlsaufwallung allein in den Griff zu bekommen. Die Reise verschob sich um eine halbe Stunde, weil meiner Tochter einfiel, sie hätte etwas Wichtiges vergessen auszudrucken. Deshalb brachen Papa und sie erst gegen halb zehn auf. "Mama, kommst du denn mit nach draußen?", fragte mich meine Tochter. "Natürlich!", sagte ich nur und streichelte kurz ihren Arm. Ein unsicherer Blick von ihr in meine Augen, dann wandte sie schnell den Kopf zur anderen Seite. "Himmel, wie übersteh`ich nur die nächsten Minuten?" Mein Herz raste. Mein einziger Gedanke war: "Gleich ist mein Jüngstes fort. Ich sehe es erst Weihnachten wieder!" Sentimental, aber vielleicht da doch normal.
Ziemlich hilflos standen wir dann alle vor dem Wagen. Kurzentschlossen ergriff ich die Initiative und drückte meine Tochter an mich. Prompt kamen mir die Tränen und mir versagte fast die Stimme. "Kati, du wirst mir fehlen!", presste ich schluchzend hervor. Ich sah sie an. Katja ging es kein bisschen anders als mir. Sie brachte kein Wort heraus. Dann verabschiedeten die Zwillinge sich voneinander. Als sie sich umarmten, weinten beide. Katja beeilte sich ins Auto zu steigen und schlug ihre Türe sofort fest zu. Sie sah starr geradeaus. Ich konnte mich noch nicht trennen, ging langsam auf ihr Fenster zu und klopfte mit dem Zeigefinger kurz dagegen. Katja schaute mich mit einem verkrampften Lächeln an. Der Papa startete den Wagen und sie verschwanden langsam hinter der nächsten Kurve. Ich stand da und winkte. Tina hatte sich schon verkrümelt. Mir war klar, sie war fertig mit der Welt. Auch ich ging ins Haus zurück, verkroch mich in meinem Zimmer und heulte mir die Anspannung und Traurigkeit von der Seele.
Und dann hielt ich mir vor:
Eigentlich sollte ich doch stolz auf meine Kinder sein, die so zielstrebig ihr Leben in die Hand nahmen. Ich war es und ich litt trotzdem.
Es war doch kein Abschied für immer. Paris war nicht aus der Welt. Tina und ich führen bald hin, um Katja dort zu besuchen. Ich freute mich doch so für sie und dennoch fiel es mir so schwer.
Dann, als ich mich ein wenig beruhigt hatte, sagte ich mir:
Du hast sie eben sehr lieb...deshalb!!