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Abschied
„Ich wünsch dir noch ein schönes Leben“, sagte Marie und versuchte ihrer Stimme einen festen und gleichgültigen Klang zu verleihen. Florian sah auf, erwiderte ihren Blick und für den Bruchteil einer Sekunde konnte sie die Verwunderung in seinen Augen lesen.
„Wir sehen uns doch wieder, oder?“, fragte er und erschrak im selben Moment über die leichte Furcht in seiner Stimme. So kannte er sich gar nicht, er hatte sich doch sonst immer unter Kontrolle und hätte wahrscheinlich nicht einmal die Frage gestellt, sondern mit einem oberflächlichen „Wünsch ich dir auch“ geantwortet. Aber mit ihr war alles anders und genau darin lag das Problem. Wie war das alles nur passiert?
„Ich weiß es nicht“, flüsterte Marie und senkte den Kopf leicht schräg und sah Richtung Boden. Er sollte nicht sehen, wie weh ihr dieser Abschied tat, er spürte es wahrscheinlich sowieso schon viel mehr als ihr lieb war.
„Aber ihr wolltet doch im Sommer wiederkommen?“, versuchte er es noch mal in der Hoffnung eine eindeutige Antwort von ihr zu bekommen und in seiner Stimme spürte sie eine Dringlichkeit, die sie fast hoffen ließ. Allerdings nur bis sie sich an die vergangene Nacht erinnerte. Ein Schatten huschte bei diesem Gedanken über ihr Gesicht und ließ die Hoffnung vergessen. Sie wandte sich ihm wieder zu. Er sah sie immer noch an. „Er kann nicht wirklich eine Antwort von mir erwarten?“, dachte sie und ein Funken Wut kochte in ihr hoch, allerdings nicht lange genug, um zum Ausbruch zu kommen und ihm alle ihre Gedanken entgegenzuschleudern.
Resigniert wandte sie sich ab und ging zu dem etwas entfernten Sebastian, Florians Bruder, um sich auch von ihm zu verabschieden. Da stand sie nun, scherzte mit Sebastian umarmte ihn zum Abschied und war in Gedanken doch die ganze Zeit bei gestern Abend:
Sie hatte Florian in der Küche abgefangen. Er hatte sich noch einen Kaffee gemacht, während die anderen alle schon schlafen gegangen waren und sie waren zum ersten Mal seit ihres Kennenlernens wirklich allein gewesen.
„Du willst doch sicher auch noch einen“, sagte er lächelnd und stellte ihr schon eine Tasse Espresso und den Zucker vor die Nase. Mehr als ein kurzes Danke kriegte sie nicht heraus, sie war schon froh, dass sie vor lauter Nervosität nicht alles über den Tisch schüttete. „Ist alles okay bei dir? Du zitterst ja.“ Sie glaubte einen leichten Anflug von Besorgnis wahrzunehmen, sagte aber nichts. Was hätte sie ihm auch antworten sollen: Ich zittere, weil ich dir sagen will, dass du der Mann meines Lebens bist, obwohl ich dich erst seit zwei Wochen kenne? Das hörte sich schlimmer an, als jede Bravo-Foto-Lovestory oder die Groschenromane, die sie als Teenager verschlungen hatte.
Sie löste ihren Blick von der kobaltblauen Tasse und beobachtete ihn. Er saß zurückgelehnt und vollkommen entspannt auf seinem Stuhl, die Beine weit von sich gestreckt, so dass sich ihre Waden berührten, und sein warmer offener Blick ruhte auf ihr.
Seine Ruhe strahlte anscheinend auf sie ab, denn sie spürte, wie sich ihre Aufregung langsam nur noch als leichtes Bauchkribbeln bemerkbar machte. Irgendwie schaffte er es immer, dass sie ihr seelisches Gleichgewicht fand und noch nie hatte sie sich bei einem Mann so geborgen und verstanden gefühlt, wie bei ihm und dass obwohl zwischen ihnen nie mehr körperliche Nähe gewesen war, als eine kurze Umarmung und Küsschen auf die Wange.
„Wovon träumst du?“ fragte er und riss sie aus ihren Gedanken. Sie konnte sich das „Von dir“ gerade noch so verkneifen und antwortet stattdessen: „Ich dachte immer, dass sei eine typische Frauenfrage, stark verwandt mit ‚Woran denkst du gerade’". Er lachte, wurde aber wieder ernst, als er ihre verkrampfte Miene bemerkte.
Marie wusste, dass sie es jetzt sagen musste, ansonsten würde sie wieder irgendwelche Ausflüchte finden. „Florian, ich weiß, wir kennen uns erst seit zwei Wochen, aber für mich ist das zwischen uns mehr als nur Freundschaft.“ Sie war froh, dass es endlich ausgesprochen war, wenn auch nicht sehr wortgewandt, aber seine Reaktion überraschte sie.
Er hatte sich aufrecht hingesetzt, so dass es keine körperlichen Berührungspunkte mehr zwischen ihnen gab und seine Augen wirkten so undurchsichtig und verschlossen, als hätte sich eine Wand hinter ihnen aufgebaut. „Warum?“ Obwohl Marie sich immer wieder vorgestellt hatte, wie er reagieren würde, war sie auf diese Frage nicht vorbereitet. „Ich kann das nicht erklären. Es ist einfach so ein Gefühl, wenn ich bei dir bin und ich glaube dir geht es genauso. Zumindest hast du dich in den letzten Tagen so verhalten.“ Florian stand auf, als er ihr antwortete: „Es tut mir leid, aber du musst da was überinterpretiert haben. Ich meine es macht Spaß, wenn wir alle miteinander weggehen und wir hatten auch echt eine gute Zeit, aber für mich bist du nicht mehr als eine Bekannte.“ Während der ganzen Zeit hatte er es nicht geschafft ihr ins Gesicht zu sehen, sondern hatte starr an der Arbeitsplatte gelehnt und den Boden bewundert, als wäre dort Da Vincis ‚Mona Lisa’ abgebildet. Marie wurde immer verwirtter. Sie hatte mit vielem gerechnet, aber nicht mit dieser Reaktion, es passte alles nicht zusammen. „Ich glaube dir nicht“ , sagte sie mit fester Stimme und war überrascht, dass sie die Worte ernst meinte.
Florian betrachtete immer noch die grau-melierten Fliesen - es war das erste Mal, dass sie ihn so unruhig erlebte, fast als würde er selbst nicht wissen, was er tun sollte. „Ich glaube ich geh besser schlafen.“ Und bevor sie etwas erwidern konnte, war er schon an ihr vorbei ins Wohnzimmer und Richtung Schlafzimmer gelaufen.
Sie selbst hatte noch bis zum Morgengrauen am Küchentisch gesessen und sich gefragt was der Grund für seinen Rückzug war. Hatte er nur Angst? Die Umstände waren nicht die optimalsten: Die kurze Zeit ihres Kennens, die räumliche Distanz und seine Vergangenheit. Oder hatte sie sich wirklich alles nur eingebildet - vielleicht hatte sie seine Gefühle für sie falsch verstanden und in Situationen mehr reininterpretiert, als eigentlich da war.
Sie war in dieser Nacht zu keinem Ergebnis gekommen und auch jetzt als sie in Sebastians Armen lag hatte sie keine Ahnung, was sie von all dem halten sollte.
Florian konnte den Blick nicht von ihr lassen und beobachtete jede ihrer Bewegung so genau, als müsse er sie sich merken, für den Fall, dass er sie nie wieder sehen würde.
Sie stand vor seinem Bruder, das Gewicht auf ein Bein verlagert und während sie redeten und lachten, gestikulierte sie leicht mit den Händen oder strich sich die langen schwarzen Haare aus dem Gesicht, wenn der Wind sie ihr in die Stirn wehte.
Auf den ersten Blick sah alles normal und entspannt aus, aber bei genauerem Hinsehen merkte er, dass es nicht so war. Ihr Lachen und ihre Gesten waren weniger leidenschaftlich als sonst und ihre Augen glitten immer wieder zu einem Punkt in der Ferne und entblößten dabei eine bittere Traurigkeit.
Es tat ihm weh Marie so zu sehen, besonders weil er wusste, dass er Schuld daran hatte. Er mochte sie und zwar mehr als er ihr und auch sich selbst eingestehen wollte.
Sie hatten sich über ihre gemeinsame Freundin Lisa kennen gelernt. Diese war, wie jedes Jahr in das Ferienhaus im nahegelegen Ort gekommen, doch diesmal hatte sie Marie mitgebracht. Anfangs hatte er sie kaum wahrgenommen; sie war nett und sicherlich fand er sie auch attraktiv, aber das waren viele Frauen.
Nach ein paar Tagen allerdings fing er an ihre Gesellschaft zu genießen und sich auf die Abende mit ihr zu freuen. Mit ihr konnte er im einen Moment lachen und im nächsten schon über Gott und die Welt philosophieren. Selten hatte er sich so wohl mit einer Frau gefühlt und zum ersten Mal seit langer Zeit, hatte er das Gefühl, dass ihn jemand verstand und hinter seine Fassade sehen konnte.
Doch bis gestern Abend hatte er sich das Offensichtliche nicht eingestehen müssen: Er war kurz davor sich in sie zu verlieben, wenn es nicht längst passiert war.
Die Situation in der Küche gestern war auch für ihn schwer gewesen. Florian wusste nicht, wie oft er daran gedacht hatte, sie einfach in den Arm zu nehmen, doch jedes Mal war die Angst stärker gewesen. Er würde es nicht ertragen, wenn er noch mal einen Menschen verlieren würde, also lieber kein Risiko eingehen.
„Also ich glaube es ist dann Zeit zu fahren.“, meinte Lisa und ihre Umarmung holte ihn vollends in die Wirklichkeit zurück. Florians ganzer Körper zog sich zusammen bei dem Gedanken Marie jetzt gehen zu lassen, auch wenn er wusste, dass er durch seine gestrige Antwort, selbst für diese Situation verantwortlich war.
Er hätte sie gerne umarmt, noch einmal ihre Wärme gespürt und den Duft ihrer Haare gerochen. Unbewusst ging er einen Schritt auf sie zu und ihre Blicke trafen sich.
Bildete sie sich das ein, oder sah Florian traurig aus? Aber konnte wirklich ihr Abschied der Grund dafür sein? Marie wusste es nicht und momentan hatte sie auch keine Kraft sich darüber Gedanken zu machen, so langsam machte sich ihr Schlafmangel der vergangenen Nacht bemerkbar.
Lisa war inzwischen schon die paar Meter zum Auto gelaufen und wartete nur noch auf sie. Einen kurzen Augenblick zögerte Marie noch, aber dann ging sie zielstrebig auf Florian zu und umarmte ihn. Spürte, wie er sie fest an sich zog und roch sein Aftershave, dessen Name sie nicht kannte, aber dessen Geruch sie von nun an nie mehr vergessen würde. Als sie sich voneinander lösten, sah sie ihm in die Augen und sie glaubte seine Gefühle und damit auch den Grund für sein Verhalten zu verstehen. Dann drehte sie sich um und stieg zu Lisa ins Auto.
Sie war sich nun sicher, dass sie ihm nicht egal und seine Vergangenheit ein wesentlicher Grund für sein Verhalten war.
Lisa hatte ihr vor dem Urlaub erzählt, dass Florians Freundin vor zwei Jahren bei einem Autounfall gestorben war und ihn das immer noch stark beschäftigte. Dieses Wissen machte es zwar nur wenig leichter für sie, aber es gab ihr auch die Hoffnung, dass es irgendwann einen besseren Zeitpunkt für sie beide geben könnte.
Florian sah dem Auto hinterher und seine Gefühle schwankten zwischen der Erleichterung, dass die Gefahr ihrer Nähe nun endlich gebannt war und der Empfindung, dass ihm etwas Wesentliches fehlte.