Abschied
Abschied
Es war endlich fertig und die Stunden harter Arbeit hatten sich wirklich gelohnt. Sein Kopf pochte angenehm von der Emotionsflut, die sich von dort auf sein Blatt Papier ergossen hatte und seine Hände zitterten leicht vor freudiger Erregung. Er hatte sich die halbe Nacht damit um die Ohren geschlagen, Worte von A nach B zu verschieben, zu ersetzen, Vokale in Einklang mit dem Sprachfluss zu bringen. Er hatte stundenlang über mehrsilbige Reime nachgesonnen, hatte sie aus seinen Gehirnwindungen geklaubt und mit seinem Stift zum Leben erwachen lassen, sie immer wieder vor sich hingesagt und dabei die verschiedensten Nuancen der Betonung perfekt auf einander abgestimmt. Die meiste Zeit jedoch hatte er dem Plätschern seiner Gedanken gelauscht, hatte sich von seiner Muse in immer tiefere Regionen seines lyrischen Genies mitreißen lassen und seine sprachlichen Bilder mit den schillerndsten Farben ausgemalt, die ihm in seiner mentalen Palette zur Verfügung standen. Es war ihm nicht leicht von der Hand gegangen in dieser Nacht, aber dafür war das Ergebnis besser als alles, was er je zustande gebracht hatte. Schließlich hatte er sich lächelnd zurückgelehnt und wenig später zu seinem Mikrophon gegriffen, die Macht des Wortes durch seine Hand pulsieren gefühlt. Dann hatte er begonnen in atemberaubender Geschwindigkeit die Worte aneinander zu reihen, die er sich während der gesamten Nacht zurechtgelegt hatte. Die Bässe, der Klang des Schlagzeuges und die Begleitmelodie waren mit dem rauchigen, leicht aggressiven Charakter seiner Stimme verschmolzen - die er nach jahrelangem Training so perfekt zu kontrollieren wusste, wie Jimmy Hendrix seine Gitarre- und bildeten eine sublime Mischung aus lyrischer Brillanz und Zungenakrobatik auf höchstem Niveau. Er hatte die Konsonanten beinahe ausgespuckt, während er die Vokale nur leicht angehaucht und den Worten damit Tiefe verliehen hatte. Als er sein Gedankengut endlich dem Mikrophon anvertraut hatte, hatte er das instrumental dieses besonderen Musikstückes mit seiner Stimmaufnahme zusammengebracht und sah nun vor sich auf dem Computerbildschirm, gerade zu lächerlich klein, ein Dateisymbol. Er hatte der Datei den Titel "Abschied" gegeben und war sich sicher, dass dies ein würdiger Abschied sein würde. Vielleicht wird es sogar irgend jemand verstehen, dachte er verträumt und räkelte sich auf seinem unbequemen Bürostuhl.
Er lächelte, dann holte er seinen Revolver aus der Schreibtischschublade.
Er machte das Licht aus. Nahm Abschied.