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Abschied

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22.03.2006
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Abschied

Abschied

Es war endlich fertig und die Stunden harter Arbeit hatten sich wirklich gelohnt. Sein Kopf pochte angenehm von der Emotionsflut, die sich von dort auf sein Blatt Papier ergossen hatte und seine Hände zitterten leicht vor freudiger Erregung. Er hatte sich die halbe Nacht damit um die Ohren geschlagen, Worte von A nach B zu verschieben, zu ersetzen, Vokale in Einklang mit dem Sprachfluss zu bringen. Er hatte stundenlang über mehrsilbige Reime nachgesonnen, hatte sie aus seinen Gehirnwindungen geklaubt und mit seinem Stift zum Leben erwachen lassen, sie immer wieder vor sich hingesagt und dabei die verschiedensten Nuancen der Betonung perfekt auf einander abgestimmt. Die meiste Zeit jedoch hatte er dem Plätschern seiner Gedanken gelauscht, hatte sich von seiner Muse in immer tiefere Regionen seines lyrischen Genies mitreißen lassen und seine sprachlichen Bilder mit den schillerndsten Farben ausgemalt, die ihm in seiner mentalen Palette zur Verfügung standen. Es war ihm nicht leicht von der Hand gegangen in dieser Nacht, aber dafür war das Ergebnis besser als alles, was er je zustande gebracht hatte. Schließlich hatte er sich lächelnd zurückgelehnt und wenig später zu seinem Mikrophon gegriffen, die Macht des Wortes durch seine Hand pulsieren gefühlt. Dann hatte er begonnen in atemberaubender Geschwindigkeit die Worte aneinander zu reihen, die er sich während der gesamten Nacht zurechtgelegt hatte. Die Bässe, der Klang des Schlagzeuges und die Begleitmelodie waren mit dem rauchigen, leicht aggressiven Charakter seiner Stimme verschmolzen - die er nach jahrelangem Training so perfekt zu kontrollieren wusste, wie Jimmy Hendrix seine Gitarre- und bildeten eine sublime Mischung aus lyrischer Brillanz und Zungenakrobatik auf höchstem Niveau. Er hatte die Konsonanten beinahe ausgespuckt, während er die Vokale nur leicht angehaucht und den Worten damit Tiefe verliehen hatte. Als er sein Gedankengut endlich dem Mikrophon anvertraut hatte, hatte er das instrumental dieses besonderen Musikstückes mit seiner Stimmaufnahme zusammengebracht und sah nun vor sich auf dem Computerbildschirm, gerade zu lächerlich klein, ein Dateisymbol. Er hatte der Datei den Titel "Abschied" gegeben und war sich sicher, dass dies ein würdiger Abschied sein würde. Vielleicht wird es sogar irgend jemand verstehen, dachte er verträumt und räkelte sich auf seinem unbequemen Bürostuhl.
Er lächelte, dann holte er seinen Revolver aus der Schreibtischschublade.
Er machte das Licht aus. Nahm Abschied.

 

Hallo Deschain

Vom Stil her finde ich deine Geschichte sehr schön, besonders solche Bilder wie
"die meiste Zeit jedoch hatte er dem Plätschern seiner Gedanken gelauscht"
gefallen mir sehr gut.
Du hast es durch deine Sprache geschafft mich in die Geschichte zu ziehen und meine Neugier geweckt.
Der Schluss der Geschichte gefällt mir jedoch nicht so gut, zwar ist der Überraschungseffekt sicher da, aber ich sehe keinerlei Motivation des Künstlers...
Warum hat er sich umgebracht? Kann mir vorstellen, dass du genau diese Frage auslösen wolltest, aber ich hätte es schön gefunden, wenn in dem oberen Teil versteckte Hinweise auf den Grund seines Selbstmordes zu finden wären.
Am Ende denkt dein Prot "vielleicht wird es sogar irgendjemand verstehen", tut mir leid ich habs wohl nicht verstanden, liegt vielleicht auch an mir...
Liebe Grüße
Kücken

 

Hy, Kücken

Ich muss mich dafür entschuldigen, dass meine Geschichte derart uneindeutig ist. Mir fehlt wohl offenbar in dieser Hinsicht die Objektivität. Als ich die Geschichte geschrieben habe, habe ich darüber nachgedacht, was ein Rapper wohl tut, wenn er in die mittleren Jahre kommt und darüber hinaus. Ich wollte von mir selbst wissen, was ein Interpret, dieser durchaus jungen Musikrichtung tut, wenn er alt ist.
Der Text beschreibt einen abgehalfterten verlebten Mann, in dem bestenfalls noch ein Fünkchen Kreativität steckt, das sich mit einem letzten Aufbäumen entläd. Nachdem das jedoch passiert ist, und er seine Karriere damit abgeschlossen hat, gibt es für ihn keinen Grund mehr weiterzuleben.

 

Die Thematik find ich nicht schlecht. Vielleicht solltest du sie mehr in deine Geschichte einfließen lassen, es muss ja gar nicht so ausführlich sein, eher in Andeutungen. Mir kam dein Prot nämlich ehrlich gesagt recht jung und lebendig vor, so dass ich keinen Grund für den Selbstmord entdecken konnte.
Mit deiner Erleuterung gefällt mir die Idee der Geschichte aber.
Liebe Grüße
Kücken

 

Grüße Zurück, Kücken

Danke für den Denkanstoß, den ich deiner Kritik zu verdanken habe.
Beim nächsten mal weiß ich ja jetzt Bescheid;)

 

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