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Abschied

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11.03.2004
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Abschied

Der Anruf riß mich aus der Arbeit. „Herr Mengler, ihrem Vater geht es sehr schlecht. Wir befürchten, daß er die Nacht nicht überleben wird“. „Ich werde sofort kommen!“. Es ist Stunden her, seit ich das gesagt habe. Ich sitze immer noch an meinem Schreibtisch, zwischen den Papieren. Es war nicht überraschend, daß der Anruf kommt. Vater ist schon lange krank. Seit Wochen liegt er im Krankenhaus und uns allen war klar, daß er diesmal nicht wieder nach Hause kommen wird. Es war nur eine Frage der Zeit, bis der Anruf kommt. Er hat mich überrascht.

Ich betrachte die Uhr, die auf meinem Schreibtisch steht. Der Sekundenzeiger schiebt sicht unaufhaltsam vorwärts. Tick Tack. Zwei Sekunden vorbei. Tick Tack. Wieder zwei Sekunden vorbei. Wie viel Zeit hat Vater noch? Wie viel Zeit habe ich noch? Ich schließe die Akte, die vor mir liegt. Zeit für was?

Was sagt man einem Menschen in seinen letzten Stunden? Was soll ich Vater sagen? „Mach’s gut!“ oder „Tschüß“? Es werden Worte sein, die Vater auf seine letzte Reise mitnimmt. Soll er ein „Tschüß“ mitnehmen? Oder sind ein paar aufmunternde Worte angebrachter: „Wird schon nicht so schlimm sein, was Dich da erwartet, wo Du jetzt hingehst“? Soll ich ihm die Hand zum Abschied schütteln? Ich kann die Geräusche des Sekundenzeigers nicht länger ertragen, ich nehme meine Jacke und laufe los.

Vater liegt genauso da, wie in den letzten Wochen. Sein Zimmer riecht immer noch nach frischer Bettwäsche und einem Hauch von Sterilität. Alles ist wie bei meinen vorigen Besuchen, nur diesmal dreht sich sein Kopf nicht zur Tür, als ich reinkomme. Seine Augen blicken starr an die Decke. Vor seinem Bett sitzt eine Frau. Es dauert eine Weile, bis ich Schwester Barbara erkenne. Ich habe sie nicht oft gesehen. Schwester Barbara liest meinem Vater aus der Bibel vor. „Ich ermahne euch aber, Brüder, im Namen Jesu Christi, unseres Herrn: Seid alle einmütig und duldet keine Spaltungen unter euch.“ Vater liegt nur da, ich bin mir nicht sicher, wie viel er mitbekommt. Hält ihn der Tod schon so fest umklammert, daß er ihm jede Wahrnehmung abschnürt? Oder ist sein Kopf noch so wach, wie er Vaters ganzes Leben wach war? Ich sehe es seinem Körper nicht an.

„Ich danke Gott, dass ich niemand von euch getauft habe, außer Krispus und Gaius.“ Krispus und Gaius. Taufe. Vater war nie religiös. Er hat sich über Religion immer lustig gemacht, er hat sie verachtet. Und jetzt liegt er hier und muß sich Bibelzitate anhören. In seinen letzten Stunden liegt er hier, er kann nicht weg und da ist jemand, der ihn mit Bibelzitaten malträtiert. Vielleicht schreit es in ihm „Hör auf damit! Ich will diesen Unsinn nicht hören. Ich liege im Sterben und ihr habt nichts besseres zu tun, als mich mit Bibelzitaten zu quälen?!“.

Viel zu ruppig reiße ich Schwester Barbara das Buch weg. „Er konnte mit Religion nie viel anfangen“ quittiere ich ihren fragenden Blick. Sanft nimmt sie das Buch aus meiner Hand. „Wir haben in den letzten Wochen viel über Gott gesprochen. Wenn die Zeit da war, habe ich ihrem Vater viel aus der Bibel vorgelesen. Dieser Vers hier liegt ihm besonders am Herzen.“

Schwester Barbara schlägt das Buch wieder auf und liest den Absatz fertig. Vorsichtig steht sie auf und streicht Vater zärtlich über den Arm, ohne ihren Blick von ihm abzuwenden. „Sie wollen jetzt bestimmt mit ihm alleine sein.“ „Nein“, möchte ich schreien, stattdessen nicke ich stumm.

Ich setze mich, schaue auf Vaters eingefallenen Körper. Er ist noch dünner geworden als bei meinem letzten Besuch vor sechs Wochen. Seine Haut ist fahl. Sie sieht ganz durchsichtig aus. So als könnte man die Knochen darunter sehen. Sein Körper hat nichts mehr mit den kräftigen Mann zu tun, der er sein Leben lang war. Ich kann es mir kaum mehr vorstellen, wie mir dieser Körper gegenüber stand und mich aufforderte, daß Haus zu verlassen. „Geh jetzt und glaub nicht, daß Du wieder kommen kannst.“ Jetzt liegt er hier. Vater liegt hier. Tick tack. Zwei Sekunden. Tick tack, wieder zwei Sekunden. Wieviel mal zwei Sekunden hat er noch? Ich strecke meine Hand aus, ziehe sie gleich darauf zurück. Was, wenn er nicht will, daß ich ihn berühre? Er kann es nicht sagen, er kann es nicht zeigen. Er soll seine letzten Stunden nicht damit verbringen, daß sein Sohn ihn dazu nötigt, seine Hand auf seinem Arm zu spüren. Vielleicht ist ihm meine Anwesenheit schon zu viel. Vielleicht hofft er einfach nur, daß ich gehe, daß Schwester Barbara wieder reinkommt, mit der Bibel in der Hand.

Ich stehe auf und beuge mich über ihn, ich versuche seinen Blick zu finden, der immer noch starr an die Decke gerichtet ist. Ich sehe in die Augen, die ich mein Leben lang nicht verstanden habe. Sein Blick ist leer, aber ich meine etwas in seinen Augen entdecken zu können. Ist es ein unkontrolliertes Zucken der Pupille? Oder ist da was? Sieht er mich an, erkennt er mich? Weicht die Ausdruckslosigkeit seiner Augen für etwas oder bilde ich mir das ein?

Ich fasse nach seiner Hand. Ich muß nach seiner Hand fassen, will sie drücken und muß so sehr aufpassen, daß ich sie nicht zu fest drücke. Sie zerdrücke. Die zerbrechliche Hand meines Vaters. Vater. Ich. Vater und ich. Ich muß nichts sagen, ich weiß, daß ich nichts sagen muß.

 

Hallo funky-fish,

Erstmal zum Formalen:

  • Es ist Stunden her, seit ich das gesagt habe. -> Absatz davor empfehlenswert
  • Und jetzt liegt er hier und muß sich Bibelzitate anhören. In seinen letzten Stunden liegt er hier, er kann nicht weg und da ist jemand, der ihn mit Bibelzitaten malträtiert. -> doppelt gesagt
  • Hör auf damit. Ich will diesen Unsinn nicht hören. -> Ausrufesätze?
  • cwieder -> wieder
  • ziehe sie gleich darauf zurückziehen -> zurück
  • Was, wenn er nicht will
  • Es soll seine letzten Stunden -> Er soll ...
  • Es soll seine letzten Stunden nicht damit verbringen, daß sein Sohn ihn dazu nötigt, seine Hand auf seinem Arm zu spüren. - Der Satz macht nicht so richtig Sinn
Die Geschichte macht auf mich einen guten Eindruck (für den sehr guten fehlt ein wenig Tiefe). In klarer, schnörkelloser Sprache sprichst du vom Abschied des Prots von seinem Vater. Man merkt deutlich die Distanz zwischen Vater und Sohn, dass sich beide nie richtig verstanden haben und einander aus dem Weg gegangen sind. Natürlich hätte man den inneren Konflikt des Sohns noch weiter ausführen können. Der Sohn macht sich mehr Gedanken um das "wie?" des Abschieds und die langsam vergehende Zeit als um die Beziehung, die er zu seinem Vater hat(te).
Trotzdem wirkt die Geschichte auf mich abgeschlossen und schlüssig. Schließlich kann es durchaus vorkommen, dass eine schlechte Vater-Sohn-Beziehung auch am Lebensende nicht besser wird.

Gruß,
HienTau

 

Ein wenig sprachschlampig hier und da, aber trotzdem ein durchaus gelungener Text. Beonders schön finde ich die die Sequenz mit Schwester Barbara, die in den letzten Wochen ein intensiveres Verhältnis zu dem Vater aufbauen konnte, als der Sohn in seinem ganzen Leben.

Das gibt der Geschichte eine tragische Dimension und macht sie besonders.

 

@ Henry_L
Was meinst Du mit sprachschlampig? Gib mir bitte ein paar Beispiele.

 

@ HienTau
Danke fürs Hinweisen auf die Rechtschreibfehler. Hab das Ding schon zu oft gelesen, um sowas zu finden. Werde sie gleich mal rausmachen.

 

Es ist nicht viel, nur ein paar Dinge, die die Logik stören, so wie das hier:

Der Anruf riss mich aus der Arbeit. Es war nur eine Frage der Zeit, bis der Anruf kommt. Er hat mich trotzdem überrascht.

Oder etwas holprige Formulierungen, so wie hier:

„Wird schon nicht so schlimm sein, was Dich da erwartet, wo Du jetzt hingehst“?

Und generell finde ich es immer unprofessionell Ausrufezeichen und Fragezeichen zusammen zu setzen.

...als mich mit Bibelzitaten zu quälen?!“.


Also nichts Weltbewegendes, aber doch kleine Dinge, die man vermeiden könnte.

LG Henry

 

Hallo Henry,

das mit dem Anruf ist Absicht. Erstmal liegt der gute Vater ja schon länger im Krankenhaus und der Protagonist weiß, daß er sterben wird - allerdings gings da erstmal nicht um Stunden oder Tage, sondern Wochen. Also kann er ruhig aus der Arbeit gerissen werden. Das er tortzdem überrascht ist, liegt daran, daß er es verdrängt hat. Zumindest wollte ich das damit sagen ;-)

Und die Ausrufezeichen und Fragezeichen - ist ein Spleen von mir. Aber hast ja recht, macht man nicht.

Die holprige Formulierung war Absicht. Es sollte holprig sein, weil der Protagonist so unsicher ist.

Aber auf jeden Fall Danke für die Kritik!!!

 

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