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Abschied
für meine allerbestigsten Freundinnen
Wir waren beste Freunde, damals, in der Schule. Nach dem Abitur trennten sich unsere Wege. Einige Telefongespräche und Briefaustausche folgten, aber nichts Handfestes mehr.
Jetzt sehen wir uns wieder. Zum ersten Mal nach fast zwölf Jahren. Wir fallen uns in die Arme und drücken uns, die Welt um uns verschwindet, es gibt nur noch uns, neben den hunderten Menschen in der Berliner Fußgängerzone. Wir lösen die Umarmung, treten jeder einen Schritt zurück und mustern uns.
„Weißt du noch...?“ flüstert sie leise.
Weißt du noch? Wie könnte ich je vergessen?
Ich sehe ihre Schuhe, weiß noch genau, wie wir damals in diesem Laden waren und die Verkäuferin verarscht haben, ihr weismachen wollten, die High Heels wären für mich, nicht für sie und wie uns die Verkäuferin schließlich wutentbrannt rausgeschmissen hat – wir standen auf der Straße und krümmten uns vor Lachen – obwohl die Aktion gar nicht lustig war, sie ist eher aufgrund eines Versprechers der Verkäuferin spontan entstanden – wir waren beide schon immer gute Schauspieler gewesen, liebten es, mitten in einer Situation einen verqueren, gespielten Streit vom Zaun zu brechen und uns hinterher lachend in die Arme zu fallen (ganz zum Erstaunen der Zuschauer übrigens) – wir standen auf der Straße und lachten über die Reaktion der Verkäuferin, sie drohte uns lebenslanges Hausverbot an – ich weiß nicht, ob sie jemals versucht hat, wieder in den Laden zu gehen, ich für meinen Teil tat es nie, es war ein Geschäft für Frauenschuhe; ich sehe ihre Beine, wunderschöne wohlgeformte Beine, nicht außergewöhnlich lang zwar - ihr ganzer Körper ist ja nicht sonderlich groß - erinnere mich, wie ich sie immer bewundert habe, dass sie sich trotz ihrer geringen Körperlänge immer durchgesetzt hat, trotz ihrer Kleinheit immer Größe gezeigt, immer ein offenes Herz hatte, ein weites Tor für Jeden; ich sehe ihre Hüften, kann ihren süßen Po erahnen, weiß noch, wie sie mir immer auf meinen Po geschlagen hat, aus Spaß – wir konnten darüber lachen, anders als ihr fester Freund, der damals wegen mir mit ihr Schluss gemacht hat, aus Eifersucht, doch unsere Freundschaft war ihr wichtiger als alles Andere auf der weiten Welt, selbst als Liebe – ich bin nicht sicher, ob sie ihren damaligen Freund wirklich geliebt hat, eines ist klar: sie liebte mich und ich liebte sie, das wusste ich, das wusste sie, ohne Worte dafür verwenden zu müssen, auch wenn wir es uns eigentlich gegenseitig sagen konnten, wir liebten uns, nicht körperlich – jedenfalls nicht auf die profane Weise mit Sex, nein, unsere Körperlichkeit ging weiter, wir umarmten uns so innig, dass wir uns dadurch näher waren als hätten wir miteinander geschlafen – wir küssten uns auch nicht auf die Wange, wir waren keine Bussi-hier-Bussi-da-Kumpels, wir waren, im wahrsten Sinne des Wortes - wir wussten, was es heißt - Freunde; ich sehe ihren Bauch, erinnere mich, wie ich sie damals oft in diesen Bauch, der eigentlich keiner ist – sie ist noch immer sehr dünn, nicht angsterweckend, nein, eher auf eine süße, zierliche Art – erinnere mich, wie ich in sie damals oft in diesen Bauch piekste, sie im Unterricht – wir saßen ja in jeder Stunde beieinander (wie hassten wir doch die endlosen Mathe-Stunden, die nur durch Käsekästchen erträglich wurden – ich glaube, ich habe nie ein Spiel gewonnen) – sie im Unterricht mit Stiften oder dem Zeigefinger piesackte, sie so lange piesackte bis sie stöhnend mit sich auf und ab bewegenden Rippen neben mir saß und mich der Lehrer erneut ermahnte – ich piesackte sie damals oft, weil es so viel einfacher ist, sich zu ärgern, als zu sagen, wie sehr man den anderen mag; ich sehe ihre Brüste, sie hat sie sich nicht machen lassen, kann mich entsinnen, wie sie das erste Mädchen, noch vor meiner festen Freundin war – ich weiß nicht, ob ich sie damals wirklich geliebt habe, habe ich nicht immer nur die geliebt, die jetzt vor mir steht? – die mir sagte, sie hätte ein Problem damit, dass ihre Brüste so klein sein, ich antwortete: Wer dich liebt, liebt dich, da kommt es nicht auf die Oberweite an, mir ist egal, ob du kleine Brüste oder Megatitten hast (die Wortwahl war sicherlich nicht geschickt, aber meine Gedanken waren damals so, ich weiß es noch heute) – sie hatte ein Problem mit ihren kleinen Brüsten und konnte mit mir darüber sprechen, obwohl ich ein Junge war und sie mein Mädchen, das war für mich damals was Besonderes – ich weiß auch noch, wie sie, wenn wir nebeneinander übernachteten (wobei nie etwas gelaufen ist) im BH vor mir stand und ich sie unverhohlen betrachten konnte – für sie war es kein Problem, ich war als ihr bester Freund ein asexuelles Objekt, mehr oder weniger schwul in ihren Augen, vielleicht sah sie mich als Mädchen, ich weiß es nicht, ich habe sie nie gefragt – für mich war es nach außen hin kein Problem, auch wenn ich unter der Decke eine leichte Erektion bekam, ich wollte keinen Sex mit ihr, aber ich war ein pubertierender Mann und sie ein hübsches Mädchen, dass in BH vor mir stand, ich konnte nichts dazu; ich sehe ihr Gesicht, sie ist nicht älter geworden, ist immer noch so süß wie früher, sie ist reifer geworden, ohne Falten, aber ihr Blick verrät es, sie war immer hübsch, ich zumindest fand sie immer hübsch, sie hat mich aufgequollenes misslungenes Etwas mit ihrer Schönheit immer überstrahlt – und dennoch wurden wir von allen immer als Ganzes angesehen, kaum einer hat nur sie wahrgenommen, wie oft wurden wir gefragt, ob wir zusammen sein – wir waren nie zusammen, obwohl ich sie immer geliebt habe und auch sie mich geliebt hat – aber eine feste Beziehung hätte nicht funktioniert, da bin ich mir sicher, so, wie es war, hat alles wunderbar geklappt und uns beide glücklich gemacht, glücklicher als eine normale Beziehung – schließlich waren wir nicht normal, jeder hat seine Macken, doch wir liebten sie an uns; ich sehe ihre Haare, weiß noch genau, wie sehr sie süßlich gerochen haben, nach einem Magnolia-Shampoo, welches sie immer benutzt hat, ein betörender Duft, der mich manche Mathe-Stunde hat überstehen lassen, ich liebte diesen Duft, ich liebte sie.
„Weißt du noch?“, flüstert sie leise.
„Ja...“