Was ist neu

Abwärts

Mitglied
Beitritt
04.01.2007
Beiträge
7

Abwärts

Tim saß neben seiner Mutter im Auto und sie rauschten die wenig befahrene Straße entlang, die von hohen Bäumen gesäumt wurde. Angestrengt spähte seine Mutter auf den grauen Asphalt. Sie kniff die hellbraunen Augenbrauen konzentriert zusammen. Der Gesichtsausdruck erinnerte Tim an eine Eule auf Mäusejagd, fast hätte er lauthals gelacht.
„Mama, mir ist langweilig", hörte Tim seinen kleinen Bruder Paul vom Rücksitz aus jammern. Ungeduldig trommelte der Siebenjährige gegen Tims Sitz.
„Wir sind ja gleich zu Hause, Schatz."
"Mama, ich hab zwei Tore geschossen. Zwei. Gut, oder?"
"Sicher, dass du auch das richtige Tor getroffen hast?", feikste Tim.
"Ja, Schatz. Toll", mischte sich Eva in das Gespräch ein, bevor es eskalieren konnte.
Das letzte was sie heute gebrauchen konnte, war ein Streit zwischen ihren Söhnen. Sie beschleunigte das Auto.
"Und Jan nur eins. Heute war ich gut in Form. Wenn ich morgen so spiele wie heute, gewinnen wir. Hat mein Trainer gesagt", erklärte Paul mit ernster Stimme.
"Träum weiter. Warum mussten wir eigentlich noch unbedingt Einkaufen fahren? Das hättest du doch auch machen können, bevor du mich vom Training abgeholt hast", Tim lehnte sich zurück.
"Entschuldige. Glaubst du eigentlich ich habe den ganzen Tag nichts anderes zu tun?"
"Wir hätten schon längst zu Hause sein können. Stattdessen muss ich mir das Gelaber von diesem Hosenscheißer anhören. Warum konnte der nicht bei Marlon bleiben?"
Tim konnte sich die Antwort selbst geben. Sein Zwillingsbruder weigerte sich seit Jahren hartnäckig auf seinen kleinen Bruder aufzupassen - genauso wie Tim es tat. Marlon und er lebten für ihre Musik - da war für einen schreienden, kleinen Jungen einfach kein Platz. Jeden Tag übten sie zusammen. Marlon an der Gitarre, Tim am Bass. Es gab nichts was sie mehr hassten, als Pauls Anwesenheit während sie spielten, da er zu der Sorte von Kindern gehörte, die stets wissen wollten, warum und wieso etwas so war, wie es war.
"Halt den Mund", zischte seine Mutter ohne ihn anzusehen.
"Ich bin kein Hosenscheißer. Ich werde bald acht", entrüstete sich Paul.
Tim war müde und hätte seinem Bruder am liebsten befohlen die Klappe zu halten. Aber selbst dazu fühlte er sich zu erschöpft.
"Ich will was Süßes", murmelte Paul während er aus dem Auto starrte und seine Stupsnase gegen die kalte Scheibe drückte. Immer wenn ihm langweilig war, zählte er die weißen Streifen auf der Fahrbahn und jubilierte, sobald er zehn davon gezählt hatte. Wahlweise zählte er auch Autos einer bestimmten Farbe - nur das sich im Moment keine anderen Autos auf der Straße befanden, die er hätte zählen können.
„Jetzt doch nicht. Es gibt gleich Abendessen", fauchte Eva als Tim das Handschuhfach öffnete.
„Dann ist er aber ruhig", enttäuscht legte er den Lolli zurück, den er seinem Bruder gerade in den Mund stopfen wollte.
„Sei du lieber ruhig ", sie bedachte ihn mit einem strafenden Blick, dann wurde ihre Stimme wieder weich wie Samt, „Nicht jetzt, Schätzchen. Nach dem Abendessen darfst du aber ein Bonbon haben, wenn du möchtest."
„Juhu. Hast du das gehört? Hast du das gehört?", schrie der Kleine los und versuchte in seinem Sitz aufzuhüpfen - was natürlich misslang.
„Beruhig dich doch, Mäuschen", sie wandte sich wieder der Straße zu und umklammerte das Lenkrad so fest, dass ihre Knöchel weiß wurden. Sie beschleunigte wieder. Wenn der Kleine so quängelte, würde er bald bockig werden. Und ein übelgelaunter Paul war schwer zu ertragen.
Tim lehnte sich tiefer in den Sitz und legte seine Füße auf das Armaturenbrett.
„Tim, bitte. Muss das sein?"
Er verdrehte seine Augen und zog seine Füße gemächlich zurück. Dann wandte er sich dem Autoradio zu, um einen rockigeren Sender zu finden. Der Klassiksender seiner Mutter war zum Fürchten und trotzdem lief er ständig, nur wenige Menschen wagten es Evas Sender zu verstellen. Ab und zu wurde eine Kinderkassette für Paul in das Radio geschoben. Tim wusste nicht was schlimmer war - Klassik aus dem letzten Jahrtausend oder Ernie und Bert.
"Nimm deine Finger da weg, aber schnell", protestierte Eva.
"Lass mich halt. Wir sind doch eh gleich zu Hause. Is doch jetzt auch egal."
"Nein das ist es nicht", sie wandte sich ihrem Sohn zu und wollte seine Hand zur Seite schieben.
„Scheiße, scheiße", rief Eva als sie ihre Aufmerksamkeit wieder auf die Straße richtete.
Tim hob den Kopf, sah ein Auto auf sich zukommen und dann explodierte seine Welt. Er wurde hart in seinen Gurt geworfen. Alles wurde schwarz. Er verlor den Orientierungssinn, wusste nicht mehr wo oben und unten war, Geräusche schienen an Bedeutung zu verlieren. Die Welt war verstummt. Warme Flüssigkeit rann seinen Hals hinab, Glasscherben - oder irgendetwas das sich so anfühlte - bohrten sich in seinen Körper. Er konnte die genaue Stelle nicht lokalisieren. Er spürte nur den Schmerz. Es waren nur wenige Sekunden - vielleicht zehn - aber Tim erschien es wie ein ganzes Leben. Dann kam das Auto zum Stillstand - zumindest glaubte er das. Endlich konnte er die Augen wieder öffnen. Was er sah, verwirrte ihn. Die Farben erschienen ihm seltsam grell, die Konturen zeichneten sich stärker ab, als sonst. Im nächsten Moment verließ ihn die Kraft und seine Augen fielen zu, ohne das er es gewollt hatte. Er dachte an Marlon, den er nicht alleine lassen wollte. Weder er noch Eva realisierten das sie starben. Dann war es vorbei.

 

Hallo,
ich finde deine Geschichte ganz gut.
Das Einzige was ich zu kritisieren habe ich vielleicht der Titel:
Er macht die Geschicht von Anfang an ziemlich durchschaubar.
Sobald ich gelesen hatte, dass die Hauptfiguren in einem fahrenden Auto sitzen war eigentlich, aufgrund des Titels, klar, dass es zu einem Unfall kommt...:(
Vielleicht kann man die Geschichte mit einem anderen Titel etwas weniger durchschaubar machen!
Aber ansonsten :thumbsup:

 

Huhu :),
erstmal vielen Dank für deine Kritik. Ja mit dem Titel hast du auf jeden Fall Recht. Es liegt aber daran, dass es eigentlich ein Prolog einer längeren Geschichte ist :D. Aber wenn ich den Text als Kurzgeschichte stehen lasse, ist ein anderer Titel wirklich vorteilhaft.
Dankeschön :)
Liebe Grüße,
Zerocool

 

Letzte Empfehlungen

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom