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Alfred

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05.06.2008
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Alfred

Er fuhr voller Spannung zu seiner Familie. Ein wichtiges Treffen, wurde ihm gesagt. Eine Versammlung von Mutter, Vater, Sohn und Sohn. Alfred war Sohn. Der zweite. Der jüngste der Familie und gleichzeitig das sogenannte "schwarze Schaaf". Alfred konnte machen was er wollte, es gelang ihm nicht. Sei es das eigenständige Schulranzen-Packen in der Grundschule, die Selbstbeherrschung auf seiner ersten Party auf der Realschule, bei der er den gesamten Kühlschrank der Müllers entjungferte, das Innehalten bei seinem Vorstellungsgespräch, welchem eine Rechnung für einen neuen Stuhl und 50qm² Teppichboden zu Folge hatte, oder kürzlich der widerliche Darmausstoß, was das Wachkoma eines Priesters und den Rauswurf seiner gesamten Verwandtschaft aus der Kirche verursachte. Alfred, Tollpatsch, 33 Jahre alt, verheiratet, Familienentehrer und Hundebesitzer, fuhr voller Spannung zu seinem Elternhaus.
Er sah die vertrauten Kirschbäume im Vorgarten. Ein Wohlbefinden breitete sich in ihm aus. Alfred parkte auf der gegenüberliegenden Straßenseite, und während er diese dann überquerte, überlegte er sich, wie er seine Liebsten denn überraschen könnte. Da fiel ihm der Notfallschlüssel unter der Begrüßungsmatte ein. Er öffnete die Tür, brüllte: "Überraschung!", und stürmte durch den Flur ins Wohnzimmer.
Seinem glücklichen Gesichtsausdruck folgte ein Verwirrter.
"Hallo Alfred" sagte seine Mutter. "Wir wussten, dass du so kommen würdest." Sie prüfte noch einmal die Schlinge an ihrem Hals, ebenso die, ihres Mannes und die ihres Sohnes. "Wir hassen dich." sagte sie ihm kalt ins Gesicht, guckte ihre beiden Lieblinge an und zählte: "3, 2, 1." Beinahe synchron kippten die Drei ihren Stuhl um und man hörte ein Genick knacken. Der Vater war sofort tot. Alfred stand sprachlos in der Tür. Mutter und Sohn schnappten noch kurz nach Luft, doch auch sie starben kurz darauf.
Alfred ging sprachlos zur Tür hinaus. Sein Mund stand noch offen als er den Zündschlüssel umdrehte und nach Hause fuhr. Sein Mund stand noch offen als er zur Tür hinein kam, an seinem Gummibaum vorbeiging und sich neben seine Frau auf sein Sofa setzte. Eine Reportage lief. Alfreds Frau, Anita, hob seine Beine an, zog ihm seine Socken aus und schob ein Fußbad unter seine Füße. Alfred sagte nichts. Er sah sich die Reportage an und sein Mund öffnete sich noch weiter als er sie sah. Seine Frau. Anita war in einer Reportage über gescheiterte Ehen zu sehen. Ein Reporter fragte Anita ob sie in ihrer Ehe glücklich sei.
"Nein" antwortete sie. "Eigentlich hasse ich meinen Mann."
Alfred riss seine Augen auf. Er wurde für nicht liebenswürdig erklärt. Im Fernsehen. Alfreds kurze, abgekaute Fingernägel krallten sich in Anitas Arm.
"Alfred?" sagte sie mit einem beinahe gelangweilten Ton, "Es geht nicht mehr"
Die Bildschirm-Anita lachte lauthals.
"Aber.." winselte Alfred.
"Kein aber, es geht nicht mehr. Ich kann nicht mehr mit dir leben." sagte sie mit einer schon unheimlichen Gelassenheit, holte mit starrem Blick auf den Fernseher eine glänzend geputzte Desert Eagle unter dem Kopfkissen hervor und schoss sich mit einem leisen "Hahaha" ins Auge. Ihr Gesicht verteilte sich an der weißen Wand. Einige Spritzer flogen auf Alfreds Wange. Anitas Hirnfetzen schleiften wie frische Spaghetti-Bolognese die Wand hinunter, gewürzt mit einem Hauch Iris. Alfreds Augen standen immernoch offen, genauso wie sein Mund. Der Hund des Hauses freute sich, lief hinter die Couch und knabberte an Anitas Ohrläppchen. Alfreds kurze, abgekaute Fingernägel krallten sich immernoch in Anitas Arm.
Nach kurzem Überlegen stand Alfred auf und verließ verwirrt das Haus. Man hörte im Hintergrund noch das Knurren des Hundes, der gerade mit Anitas Unterkiefer herumspielte, als Alfred ohne zu gucken die Straße überquerte. Ein lautes Hupen übertönte den Hund. Ein regungsloser Alfred. Ein panischer Autofahrer. Er riss das Lenkrad rum, verwandelte ein Eichhörnchen in eine misslungene Kopie einer Apfeltasche und raste in ein Haus. Verzweifelte Schreie verfolgten Alfred, der verstört über die Straße ging. Sein Weg führte ihn zu einer Backerei. Er bertrat mit seinem offenem Mund und aufgerissenen Augen den Laden.
"Kann ich Ihnen helfen?" fragte die Kassierin.
"Tot" stammlte Alfred.
"Wir haben Vollkornbrot, Schwarzbrot, normales Brot.."
"So viele tot" unterbrach sie Alfred.
"Wie viele denn?" fragte sie.
"Alle" schluchzte Alfred.
"A-alle?" sagte sie verdutzt. Alfred nickte. Die Verkäuferin drehte sich um und fing an alle Brote in einen Karton zu legen. "Sagen sie mal, kennen wir uns? Sind sie nicht dieser Alfred? Hausnummer 13?"
"Ja" sagte Alfred.
Als die Frau daraufhin nach einem weiter oben liegenden Brot griff, verlor sie das Gleichgewicht und fiel auf die Brotschneidemaschine. Diese setzte sich in Gang und verarbeitete die breiten Hüften der Dame in mundgerechte Brotscheiben. Alfred setzte sich hin. Er setzte sich in den Schneidersitz und wippte hin und her.

 

hallo keinnamezero

hat mir sehr gut gefallen.
den anfang fand ich bisschen schwierig, da bist du mit ein paar formulierungen übers ziel hinausgeschossen, die sind zwar einigermaßen originell, aber so unhandlich.

bei der er den gesamten Kühlschrank der Müllers entjungferte, das Innehalten bei seinem Vorstellungsgespräch, welches eine Rechnung für einen neuen Stuhl und 50qm² Teppichboden zu Folge hatte, oder kürzlich der widerliche Darmausstoß, was (besser: der) das Wachkoma eines Priesters und den Rauswurf seiner gesamten Verwandtschaft aus der Kirche verursachte.

wie man einen kühlschrank entjungfern kann, versteh ich auch grad nicht. hoffentlich nicht so ein witzchen a la american pie. das innehalten und die folgen kriege ich auch nicht auf den schirm, und das mit dem wachkoma ist etwas übertrieben, und zu flach.

aber danach hats mir gut gefallen! alle killen sich, weil sie seine verwandschaft oder die beziehung nicht mehr ertragen können. die ultimative strafe. wenn sie noch etwas liebe übrig gehabt hätten, hätten sie ihn erledigt. gut fand ich auch die szene, in der anita per fernseher schlussmacht und gleichzeitig neben ihm sitzt. die medien spielen im leben der meisten so eine große rolle, tauchen aber erstaunlich selten in geschichten auf.

"Wir hassen dich." sagte sie ihm kalt ins Gesicht

da gibts bestimmt ein besseres wort. der wirkt nicht hassenswert, starke menschen werden gehasst. schwache erregen eher mitleid oder abscheu.

grüße
kubus

 

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