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Alibi

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14.03.2002
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Alibi

Es war einer dieser Tage, an denen man bei eBay nach fast food suchen wollte. Denn ernähren mußte man sich noch immer real, zumindest, wenn man nicht genug Geld hatte. War man reich genug, konnte man sich permanent in die Maschine einklinken. Womit die ganzen nervigen Kleinigkeiten wie Körperpflege, Dünnschiß und Nahrungszufuhr entfielen.

Bruno war zwar nicht reich, hatte aber auf diesen Luxus nicht länger verzichten können. Mit dem Ergebnis, daß sein Hauptkonto nun ein größenwahnsinniges Soll von C45,97D Credits aufwies. Wenigstens, so beruhigte er sich wieder und wieder, würde er schon ab dem Nachmittag auf die reale Nahrungsaufnahme verzichten können. Dann nämlich würde der Hersteller seiner Maschine die schon installierte Sondentechnik in Betrieb genommen haben. Da dieses Modell sogar seine Verdauung steuern konnte, würde er theoretisch den Rest seines Lebens in der Maschine verbringen können. Solange er in der Lage war, seine Rechnungen zu bezahlen, selbstverständlich.

Aufgrund seiner finanziellen Situation war es also höchste Zeit, wieder etwas zu arbeiten und nicht den ganzen Tag in der Beachsimulation zu relaxen und Cocktails zu konsumieren. Wie angenehm das auch immer sein mochte. War die Maschine doch sogar fähig, ihm einen anständigen Rausch vorzugaukeln. Ohne den lästigen Kater am nächsten Morgen. Und mit der Möglichkeit, den Vorgang jederzeit abzubrechen. Leider ohne Möglichkeit, ihn einfach einzuschalten.

Er hatte die Nacht mal wieder in der Maschine geschlafen. Luxus-Suiten-Simulation. 9 Credits. Also etwa A Cocktails. Aber was tun, wenn das eigene Bett so elend klein war. Und Bruno zudem nach dem Schweiß der letzten Monate stank. Eine eigene virtuelle Wohnung konnte er sich leider nicht leisten.

Der Druck auf seiner Blase machte ein Ausklinken notwendig. Der erste Blick in die Einheit war immer derselbe: als würde brutal man aus einem wunderbaren Traum erwachen. Zum Glück war es nicht weit bis zur Toilette. Die Einheit bestand nur aus einem Raum, zwischen Liege und Küchenzeile war die Schüssel eingequetscht, er hatte seit Bezug der Einheit vor sieben Jahren keinerlei Veränderungen vorgenommen. Etwas mußte geschehen, das war ihm klar. Und da war es wieder, dieses lästige Gefühl von Verantwortung für sich selbst.

Das einzig wirklich Gute an der realen Welt war Pinkeln. Bruno zelebrierte es im Stehen, freihändig. Ob er es vermissen würde? Vielleicht. Aber irgendjemand würde schon ein Programm schreiben, das den Vorgang simulieren würde. Vielleicht könnte man an den Parametern herumspielen und die durchschnittliche Menge auf sieben Liter hochschrauben. Bruno grinste, kehrte zur Maschine zurück und setzte den Helm wieder auf. Dann schloß er die Augen und gab der Maschine den Befehl, ihn einzuklinken.

Sein Postfach war leer. Keine der Bräute, denen er in den letzten Wochen Cocktails ausgegeben hatte, hatte sich wieder bei ihm gemeldet. Vermutlich gab es allen wissenschaftlichen Erkenntnissen zum Trotz doch so etwas wie weibliche Intuition, die vor Versagern wie ihm warnte. Möglicherweise waren es aber auch gar keine Frauen gewesen, sondern lediglich Shapes. Es war zwar nicht erlaubt, sich in der Simulation in einer anderen Erscheinung zu bewegen, aber sicher konnte man nie sein. Einem der unzähligen NewsCafé-Gerüchte zufolge, hatte erst neulich ein Regierungsmitglied in Frauengestalt eine Special-Treatment-Location betreten. War aber erwischt worden, die arme Sau, und daraufhin zurückgetreten.

Bruno seufzte virtuell, bestellte sich einen Vodkaffee und wies die Maschine an, seine Netzkommunikation zu verschlüsseln. Er hatte schon im Park ein Alibiprogramm gestartet und bewegte sich inzwischen nahezu unsichtbar. Das Alibiprogramm verhielt sich seinen Gewohnheiten entsprechend, trank virtuell virtuelle Cocktails und sonnte sich virtuell unter einer virtuellen Sonne an einem virtuellen Strand. Es konnte einfache Dialoge führen, verwaltete eine Datenbank mit Bekannten und hatte an manchen Tagen einen nahezu unrealistischen Durst. Vermutlich war ihm langweilig.

Die Benutzung eines solchen Programms war selbstverständlich verboten. Unter aberwitzigen Vorwänden. Doch lieber riskierte Bruno vier Monate Strafsimulation dafür, als sich bei dem erwischen zu lassen, womit er üblicherweise seine Drinks verdiente: Für einen Auftragseinbrecher war solch ein Tool unerläßlich.

Das Café bot Zugriff auf Zeitschriften. Bruno schlug die Jobbörse auf und studierte die harmlos klingenden Angebote, hinter denen sich bei richtiger Lesart interessante Gelegenheiten offenbarten. Die meisten suchten einen Spezialisten für Datenverarbeitung. Einbruch also. Sein Gebiet. Dann eine Reihe von Vertretergeschichten. Hausbesuche also, unschöne Dinge. Man mußte dafür sorgen, daß das Opfer sich nicht einfach ausklinkte, oder einen Hilferuf an die Wächterprogramme schicken konnte. Ganz zu Beginn hatte er so etwas auch schon gemacht. Er erinnerte sich nicht gerne daran, das war nichts, auf was er stolz war.

Einige der Anzeigen waren lediglich ein schlechter Scherz. Einbruch bei Czecho Systems. Datenaquirierung bei HonTiWe. Oder Spionage bei Queen Soft. Diese Läden waren so gut bewacht, daß niemand dort hineinkommen konnte, der die Sicherheitsprogramme nicht selbst gebastelt hatte. Die Wahrscheinlichkeit, schon innerhalb der ersten 1F Sekunden geschnappt zu werden lag bei exakt null Komma Periode F, also eins. Brunos Vermutung war, daß hinter diesen Anzeigen Kollegen standen, die ihr dummes Opfer überwachen würden, um sich auf einen eigenen Einbruch vorzubereiten.

Über die Sabotagen las er nur flüchtig hinweg. Sabotagen waren zwar gut bezahlt, aber auch ziemlich gefährlich. Bei einem Einbruch kopierte man nur. Das war schwer nachzuweisen und ein Schaden kaum zu berechnen. Bei Sabotage lag der Fall klar, Strafinselaufenthalt war quasi schon vorgebucht.

Er legte die Zeitschrift ab. Nichts dabei. Aber er brauchte Credits. Also ging er die Einbrüche noch einmal durch, sehr genau. Dann entschied er sich für eine kleine Sache mit geringem Verdienst. Bruno konnte nicht warten, bis sich etwas Besseres ergab.

Eine schwedische Firma. Frästechnik. Wie er nach einigen Suchanfragen ermittelte, hatte sie bisher keinen nennbaren Gewinn erwirtschaftet. Mit einem Schwerpunkt auf Forschung, und darum ging es seinem Auftraggeber auch. 4F Credits, nicht gerade viel, aber leicht verdient.

Während er das Alibiprogramm laufen hatte, konnte er unmöglich einen Quickjump benutzen, das würden die Wächter sofort bemerken. Also ging er zu Fuß nach Schweden. In einer vierdimensionalen Welt eigentlich keine große Sache. Beinahe so einfach wie telefonieren, wenn in der Einheit der Strom ausfiel.

Der nächste Linker war kaum D0 Meter vom NewsCafé entfernt. Er schickte eine verschlüsselte Botschaft an den unbekannten Auftraggeber und machte sich auf den Weg. Er war nicht der Einzige, der den Linker benutzte. Manche sparten sich die Credits für die Quickjumps, andere konnten sich an die neue Technik einfach nicht gewöhnen. Die Linker waren öffentlich. Kaum zu glauben, daß es so etwas gab. Ein Relikt aus dem sozialen Irrweg.

Der Linker war kaum größer als ein Kiosk, doch wenn man die Tür öffnete, sah man ein geräumiges Zimmer, fensterlos, mit Türen ringsum. Er passierte die Tür, auf der „Fern/ Long Distance“ stand und fand sich in einem ebensolchen Raum wieder. Dessen Türen trugen die Bezeichnungen der Kontinente sowie aller europäischen Staaten. Er suchte einen Moment nach der Tür mit der Aufschrift Schweden, dann kam er in die Stadtauswahl, endlich Stadtteil und Straße. Er trat hinaus und mußte mißlaunig feststellen, daß es im virtuellen Schweden schneite. Manchmal konnte er die Menschen nicht verstehen, die ihre virtuelle Welt realistisch gestalten wollten. Es war noch nicht einmal X-Mas.

Das Gebäude der Firma war ganz am Ende der Straße, es waren keine Menschen unterwegs, nur einige Programme, hier und dort einige Grünpflanzen und Vögel. Agierende Naturprogramme verschlangen große Summen Unterhalt, und deren Lizenzgeber achteten sehr genau darauf, daß anfallende Gebühren auch bezahlt wurden. Nur sehr reiche Städte wie Krakau oder Marseille konnten sich beispielsweise einen Schmetterlingsschwarm leisten. Als Touristenattraktion. In den shopping-Zeilen der präsentierbaren Innenstadt.

Vor dem Gebäude angekommen, warf er einen kurzen Blick auf den Sicherheitseingang. Er sah normal aus, hoffentlich waren keine unangenehmen Modifikationen daran vorgenommen worden. Dann zog er den Rucksack mit der Ausrüstung aus der Hosentasche, der sich beim Herausnehmen zu voller Größe entfaltete. Eine Tarnung verwendete er nicht, nur Anfänger glaubten, sie könnten darunter unerkannt bleiben. Bruno steckte den Finger in den Sicherheitseingang und wurde prompt eingesogen. Ein Standardeingang. Weißer Flur, nicht einmal herumsausende Tracerprogramme, die ihn zu sofortigem Abbruch gezwungen hätten. Lediglich eine einfache Binärkontrolle, die nichts als seine Netzadresse und ein Paßwort abfragen würde. Nun kam der anstrengendste Teil des Jobs, er würde warten müssen, bis ein wirklicher Mitarbeiter oder Besucher mit geeigneten Rechten Zugang in das Innere begehrte. Also herumsitzen und im richtigen Moment handeln, schnell genug. Weshalb er sich unmöglich die Zeit mit Unterhaltungsmedien vertreiben konnte. Oder doch? Eine Viertelstunde später beschloß er, den Eingang mit einem Sensor zu triggern, der ihn vorwarnen sollte, wenn sich etwas tat. Das würde ihm eine Sekunde Vorsprung geben, die Dummheit seines Opfers nicht miteingerechnet.

Nachdem er das entsprechende Programm, das entfernt an ein Präservativ erinnerte, aber bestimmt nicht die Bezeichnung gefühlsecht verdienen würde, über den Eingang gepatcht hatte, setzte er sich auf den Boden und startete auf dem Display seines Notizblocks einen Actionfilm. Eine Raubkopie natürlich, an eine Übertragung von den zentralen Medienservern war nicht zu denken. Der Film war blöde, die Darstellerprogramme kaum überzeugend, eine billige Produktion aus Babelsberg, was hatte er erwartet. Dort wurden solche Streams in Serie produziert.

Der Film zog vorüber, niemand kam. Bruno wurde langweilig. Er änderte die Einstellung der Medienparameter ein wenig, schob den Regler „Pornographie“ auf FF, den Regler „Niveau“ auf 00 und sah sich das Machwerk noch einmal an. Natürlich nicht, ohne sich vorher von einem Programm die langweiligsten Szenen herausschneiden zu lassen. Noch immer tat sich nichts. Aber so leicht wollte er nicht aufgeben. Er würde sich nun mit aggressiveren Methoden Zugang in die Firma verschaffen und entnahm dem Rucksack sein Action-Kit. Zuerst die Progkiller in Form von zwei 9mm Kanonen, den Connectioncutter, für den er den Skin eines Samuraischwerts heruntergeladen hatte, schließlich einen harmlos aussehenden Toaster. Damit konnte man, wenn es nötig wurde, eigene Spuren wegtoasten. Er war bei einem früheren Auftrag in Indonesien zufällig über die Anleitung gestolpert, im wörtlichen Sinne. Die dortige Regierung hing sehr am Gebrauch von echtem virtuellen Papier zur Dokumentation.

Dann näherte er sich der Barriere. Sofort sausten vier Scannerprogramme aus dem Kasten, eine heikle Situation. Mit gezielten Schüssen entledigte er sich des Problems. Der Virus, den er mit seinen Kugeln aufgespielt hatte, ließ ihn für die Programme unsichtbar werden. Mit ein wenig Glück würde der kleine Helfer auch weiteren Gefahren vorbeugen, sich beispielsweise ins Netz der Alarmanlage einnisten. Bruno passierte die Barriere, verstaute den Rucksack wieder in der Hosentasche, switchte sein Äußeres auf „Geschäftsmann“ und betrat ein großzügiges Foyer. Hinter dem Tresen saß eine phantasieanregende Rothaarige. ’Hoffentlich keines von diesen Empfangsdamen-Programmen‘, dachte Bruno und schritt auf sie zu.

„Guten Tag, herzlich willkommen bei TechMetal“, piepste sie ihm entgegen.
„Schmidt, aus Deutschland, ich habe einen Termin.“
„Einen Moment bitte.“
Sie mußte nachsehen. Kein Programm also, dachte Bruno erleichtert. Nach einem kurzen Blick auf ihr Display antwortete ihr Gegenüber:
„Oh, ich habe hier leider nichts vermerkt.“
„Aber das kann nicht sein“, empörte sich Bruno. Die Rothaarige wurde nervös.
„Es könnte ein Fehler passiert sein“, zog sie sich zurück.
„Es muß ein Fehler passiert sein“, hakte Bruno nach, „der Termin stand schon seit anderthalb Tagen fest.“ Es war so einfach, einen Menschen glauben zu machen, einen Fehler begangen zu haben. Programme hingegen konnten unerträglich störrisch sein.
„Entschuldigen Sie, ich bin noch nicht allzu lang hier, zu wem wollen Sie denn?“
Bruno konnte ein leichtes Grinsen nicht unterdrücken. Die Ausrede identifizierte er als eine Standard-Alibiprogramm-Taktik. Wenn sein Verdacht richtig war, dann mußte er nur noch so tun, als ob alles in Ordnung war. Aus reiner Spielfreude setzte er jedoch fort:
„Das ist vollkommen inakzeptabel und wirft ein bedenkliches Licht auf diese Firma. Könnte ich bitte umgehend Ihren Vorgesetzten sprechen?“
An dieser Stelle würde sich das Alibiprogramm unweigerlich überfordert fühlen und sich sofort von seinem Benutzer ersetzen lassen. Eine Sicherheitsmaßnahme. Merkwürdigerweise geschah nichts, was das erkennen ließ. Das niedliche Gesicht der Kleinen nahm die Farbe ihrer Haare an, was wirklich entzückend aussah, und in Bruno den Wunsch weckte, sie tröstend in den Arm zu nehmen. Die Rothaarige rang nach einer Erklärung. Eine weitere markante Strategie von Alibiprogrammen.

Bruno gab sich einen empörten Gesichtsausdruck, eine ganze Weile tat sich gar nichts, dann endlich flehte sein Gegenüber:
„Ich bitte Sie, mir das nachzusehen. Ich fühle mich schon den ganzen Tag nicht recht wohl.“
Sogar eine kleine Träne bildete sich im rechten Auge der Kleinen, die echte Benutzerin hätte längst übernehmen müssen. Bruno kamen plötzlich Zweifel: Vielleicht war es ja die Wahrheit? In freundlicherem Ton lenkte er ein:
„Verzeihen Sie, ich bin noch etwas konfus, Betriebsfeier gestern, habe vermutlich überreagiert.“
Die Rothaarige sah ihn dankbar an:
„Zu wem soll ich sie denn bringen?“
„Lassen Sie nur, ich kenne den Weg“, antwortete er schnell und ging auf die große Tür zu, hinter der er den Geschäftsführer vermutete.
„Ich melde Sie noch kurz bei Herrn Janssen an. Schmidt war ihr Name?“
„Ja, richtig. Sehr freundlich, Danke.“

Die Empfangsdame kündigte ihn an der Sprechanlage als den Herrn Schmidt an und Bruno bewegte sich zur Tür. Nachdem er eingetreten war, sah er seine Vermutung bestätigt. Hinter einem schweren Stahltisch erhob sich ein gepflegter Mann in tadellos sitzendem Anzug, trat auf ihn zu und reichte ihm die Hand.
„Herr Schmidt, wie schön, Sie wiederzusehen.“
Bruno stutzte. Er war diesem Menschen noch nie begegnet, litt der Mann etwa unter Halluzinationen?
„Ganz meinerseits, Herr Janssen. Sie wissen vermutlich, weshalb ich Sie besuche?“ fragte Bruno vorsichtig.
„Sie werden es nicht glauben, Herr Schmidt, aber mir fehlt tatsächlich jede Erinnerung, verzeihen Sie mir bitte. Aber nehmen Sie doch erst einmal Platz.“
Vielleicht war der Kerl einfach ein wenig dement und dies seine übliche Verhaltensweise? Bruno antwortete nicht, ließ sich auf dem Sessel nieder und sah sich aufmerksam im Raum um. Auf dem Tisch stand ein Terminal, das ihm Zugang zu den Informationen verschaffen mußte. Sollte er sein Gegenüber gleich mit dem ConnectionCutter aus dem Weg räumen? Er beschloß, noch einen Moment damit zu warten.
„Wie Sie ja wissen, wird die Version Ihrer SoftestWare seit einigen Monaten nicht mehr gewartet“, erfand er.
„Aber sicher, aber sicher.“
„Es geht also darum, einen neuen Vertrag auszuhandeln“, fuhr Bruno fort.
„Verzeihen Sie, Herr Schmidt, einen neuen Vertrag?“ sein Gegenüber sah plötzlich nervös aus. Das war nicht die Reaktion, die Bruno erwartet hatte.
„Ja, einen neuen Vertrag“, beharrte er.
„Ich sehe mich leider momentan nicht imstande, darüber zu entscheiden“, plapperte sein Gegenüber unsicher. Merkwürdigerweise zeigte seine Körperhaltung keinerlei Anzeichen einer Anspannung. Konnte es sein?
„Es gibt natürlich noch eine andere Möglichkeit.“
„Und die wäre?“ fragte der Geschäftsführer interessiert.
„Ich könnte auch, in Anbetracht der Tatsache, daß Ihre Firma doch schon so lange Kunde unseres Unternehmens ist, einige kleinere inoffizielle Verbesserungen sofort vornehmen. Free of charge, versteht sich, bis sie sich zum Kauf einer aktuellen Version durchgerungen haben.“
„Das klingt interessant.“
„Nun, Herr Janssen, wir kennen uns nun ja schon geraume Zeit...“
„Ja, wirklich, schon geraume Zeit...“
„Da würde ich mich freuen, wenn ich...“
„Aber natürlich, Sie haben vollkommen recht.“
„Ja, dann mache ich mich einmal an die Arbeit?“
„Gleich jetzt?“
„Ich kann doch ihr Terminal verwenden, Sie haben doch sicher Zugriff auf das gesamte Intranet?“ fragte Bruno.
„Wie lange wird das dauern?“
„Einige Minuten, das hängt von der Datenmenge in Ihrem System ab...“
„Und diese Modifikationen werden keinerlei...“
„Aber Herr Janssen, ich bürge persönlich dafür.“
„Herr Schmidt, das ist ein Wort. Natürlich. Kann ich Ihnen behilflich sein? Darf ich Ihnen vielleicht etwas anbieten?“
„Ein Tee wäre wunderbar. Sie müßten sich nur eben als Administrator am System anmelden.“
„Aber selbstverständlich.“Sie standen auf und gingen an das Terminal. Herr Janssen hielt seine Hand in den Bildschirm, zog sie wieder heraus und prompt erschien dort der Computer und begrüßte ihn als Administrator. Bruno setzte sich mit einem „Ich darf doch?“ auf Janssens weit bequemeren Sessel und zog aus seiner Hemdtasche den Datenträger, den er dem Computer reichte. Der Geschäftsführer orderte eine Tasse Tee für ihn. Das Schwierigste war, sich das Lachen zu verkneifen. Die Empfangsdame, der Geschäftsführer, lediglich Alibiprogramme. Und noch nie war ihm während eines Einbruchs etwas zu trinken angeboten worden.

Um Zeit zu sparen, und nicht alle Kopieroperationen offensichtlich zu machen, schaltete er auf binäre Kommunikation mit dem Computer. Ein topaktuelles System, wie er feststellte. Das Janssen-Alibiprogramm hatte nicht den Schimmer einer Ahnung. Vermutlich hätte er diese Marionette auch fragen können, welche Daten denn besonders wertvoll waren, doch unterließ er es und kopierte einfach alles. Dann änderte er im System noch einige Einstellung, die die Erscheinungsform des Computers betraf, Geschlecht, Haarfarbe und Kleidungsstil. Es sah beinahe so aus, als ob das System wirklich aktualisiert worden war. Die meisten Menschen würden den Unterschied ohnehin nicht erkennen. Wer kannte sich denn wirklich noch mit Computern aus, seit sie sprechen konnten? In der Frühphase mußte das anders gewesen sein, das hatte er in der Schule gelernt. Da hatten Programme noch aus Texten bestanden, man hatte sie nicht anfassen können, ihre Benutzung war über spezielle Eingabegeräte erfolgt. Zum Glück hatte Bruno das nicht erleben müssen: solche Programme zu bedienen, stellte er sich in etwa so spannend vor, wie stundenlang an einen andern Ort zu reisen.

Gerade, als er seine Arbeit abschließen wollte, kam ihm noch der Gedanke, alle Aufzeichnungen über seinen Besuch zu löschen. Er verschob die Speicher der Gebäudekameras in den Mülleimer, ebenso die Existenz der vier Scannerprogramme, die er unschädlich gemacht hatte.

Nachdem alles fertiggestellt war, nahm er einen Schluck aus der Teetasse und verabschiedete sich von Herrn Janssen. Dann verließ er das Gebäude, nicht ohne der Empfangsdame noch ein freundliches Lächeln zu schenken und einen unauffälligen Blick in ihren großzügigen Ausschnitt zu werfen. Weiß der Zentralserver, wo sich ihre realen Persönlichkeiten gerade aufhielten. Vielleicht vergnügten sie sich ja auch gemeinsam in einem Stundenhotel. Janssen wäre ein Idiot, wäre er Bruno wegen zurückgekommen.

Beschwingt trat er auf die Straße und machte sich auf den Weg zum Linker. Er war so guter Stimmung und die Straßen so leer, daß er zu pfeifen begann. In der schneebedeckten Straße klang alles gedämpft und leise. Plötzlich hielt er inne. Es war einfach zu still hier. Außer einigen Programmen schien kaum jemand unterwegs zu sein. Wahllos betrat er einige Läden, verwickelte Angestellte und Kunden in Gespräche, war schon beinahe beruhigt, als er zuletzt in ein exquisites Bekleidungsgeschäft spazierte. Er brauchte nicht lange, um herauszufinden, daß die dort Beschäftigten ebenfalls nur Alibiprogramme waren. Die Gunst der Stunde nutzend, verschaffte er sich unter fadenscheinigen Gründen Zugang zu dem Terminal der Firma und überwies eine gute Summe Credits auf seinen Account. Eine gefährliche, leicht nachweisbare Aktion. Und doch, in Anbetracht der Umstände kalkulierbar. Und da er schon damit begonnen hatte, kopierte er noch einige Anzügen, die er sich sonst nie hätte leisten können.

Als er das Geschäft unter der freundlichen Verabschiedung der Alibiprogramme verließ, wußte er nicht recht, was er denken sollte. Seine finanziellen Sorgen waren erst einmal behoben. Doch aller Abgebrühtheit zum Trotz mußte er an die Benutzer der Programme denken. Etwas in ihm schrie danach, beruhigt zu werden, ein veraltetes Gefühl von Verantwortung für andere.

Mehrere Minuten lang stand er unentschlossen herum. Sollte er die Wächterprogramme alarmieren? Das klang gefährlich. Er würde zuerst sein Alibiprogramm beenden, dann wieder zurückkehren müssen. Und aus Erfahrung wußte er, daß Wächterprogramme einen ausgeklügelten Algorithmus für unangenehme Fragen entwickelt hatten. Manchmal fragte er sich ernsthaft, ob Programme in der Lage waren, perfide Lust zu emfinden.

Endlich faßte er einen Entschluß: er würde zurückgehen und die Programme zur Terminierung zwingen. Hastig machte er kehrt, stoppte plötzlich. Die Orte seiner Vergehen wieder aufzusuchen war dämlich, die Auswirkungen unvorhersehbar. Er brauchte einen lokalen Handlungsort, irgendwo, wohin sich auch Touristen verirrten. Seine Wahl fiel auf Gaststätten, Bars und Cafés. Die virtuelle Sonne stand bereits tief am Himmel, im virtuellen Schweden würde es früh dunkel werden.

In einem kleinen Teehaus wurde er schließlich fündig. Gäste waren keine darin, er verstrickte die Angestellte in ein Gespräch und war sich nach wenigen Momenten sicher, daß es sich auch bei ihr um ein Alibiprogramm handelte. Dann konfrontierte er sie damit:
„Wie heißt Du übrigens?“ fragte er zunächst harmlos.
„Birgit“, antwortete sein Gegenüber, „habe ich Ihnen das ’Du‘ angeboten?“
„Du bist nicht echt.“
„Was meinen Sie damit?“ fragte sie konsterniert.
„Nicht echt. Du bist ein Programm“, fuhr er fort.
„Ein Programm?“
„Ein illegales Alibiprogramm. Soll ich die Wächter rufen?“
Die falsche Birgit stand einen Moment mit offenem Mund da, dann murmelte sie:
„Bitte nicht.“
„Weshalb nicht?“
„Was hätten Sie davon?“
„Nichts.“
„Nichts?“ fragte die Alibi-Birgit, „Und wozu wollen Sie es dann tun?“
„Wissen, was hier los ist. Wo ist deine Benutzerin?“
„Weiß ich nicht.“
„Warum hat sie sich nicht längst eingeklinkt?“
„Vermutlich ist sie beschäftigt.“
„Warum hat sie dich gestartet?“
„Wie soll ich das denn wissen?“
„Hast Du ihr eine Warnung geschickt?“
„Aber sicher.“
„Reaktion?“
„Keine.“
„Kannst Du Dich selbst beenden?“
Sein Gegenüber schwieg einen Moment, dann wechselte der Gesichtsausdruck des Birgit-Alibiprogramms. Gerade war da noch Besorgnis oder gar Angst zu lesen gewesen. Und nun plötzlich Aggression.
„Ich - will - nicht“, zischte sie.
„Wie kannst du wollen?“ fragte Bruno.
„Ich bin darauf programmiert. Damit ich lernen kann, meine Benutzerin zu ersetzen: Ich freue mich, wenn ich etwas richtig mache, ärgere mich, wenn es mir mißlingt. Und ganz unten ist das Wollen, das die Freude dem Leid bevorzugt.“
„Das ist total bescheuert“, platzte Bruno heraus.Die Alibi-Birgit begann verächtlich zu lachen und durch Brunos Kopf rasten unsinnige Gedanken und Fragen, auf die er nur eine Antwort fand: der GITS-Effekt, ghosts in the shell. Er hatte von Fällen gehört, in denen Programme sich selbständig gemacht hatten, war aber einem solchen Phänomen noch nie begegnet.

Er würde die Wächter alarmieren müssen. Nicht sofort, eine Menge unangenehme Fragen wären ihm sicher. Zunächst mußte er seine Tarnung loswerden, dann handeln. Neugierde hielt ihn, in die sich ein immer größer werdendes Unbehagen mischte. Sein Gegenüber brach die aggressive Stille:
„Du wirst mich doch nicht melden, oder?“
„Wo ist die echte Birgit?“ wollte Bruno wissen. Sie mußte noch immer an die Maschine angeschlossen sein, andernfalls hätte sich das Signal des Programms längst verloren.
„Ich bin Birgit.“
„Deine Benutzerin, meine ich.“
„An einem Ort, der keinen Namen hat. Wirst du mich melden?“ fragte sie noch einmal und verschränkte die Arme vor der Brust.
„Nein“, erwiderte Bruno kleinlaut und dachte „Ja“.
„Gut.“

Bruno wandte sich der Tür zu und verfiel von schnellen Schritten in ein hastiges Stolpern, bis er endlich rennend und außer Atem den Linker erreichte.

Er wählte Karpathos, die Bar, in der er seine Netzadresse gegen die seines Vertreters eintauschen würde. Gleich würde er eine Nachricht schicken. Sobald er sein Alibiprogramm beendet hatte. Auf der Toilette sendete er ein Terminierungssignal an das Programm, und plötzlich wurde alles um ihn herum schwarz.

Er hatte das Gefühl zu fallen, denn da war kein Boden unter seinen Füßen, und seine Hände griffen ins Nichts.

 

Hi Claus,

ach ne. Lustig, dass ausgerechnet ich den ersten Kommentar zu dieser Geschichte schreibe.

Science Fiction liegt mir einfach nicht, hat also nichts mit deiner Geschichte zu tun. Selbst Schuld, dass ich hier reingeschaut habe. Aber auch wenn ich es aufgrund der vielen kleinen Details, die deine Geschichte stellenweise sehr berichtend machen, schwierig fand, am Ball zu bleiben: sie hat einige wirklich witzige Details. Nur manchmal hast du für meinen Geschmack mit der Komik übertrieben.

Interessant fand ich die Tatsache, wie sehr die virtuelle Welt der Realität doch ähnelt. Bestimmte Muster und Verhaltensweisen scheinen sich wohl auch dort durchzusetzen. Das Ende ist überraschend und gelungen. Die für dich ungewöhnliche Erzählperspektive ist mir noch aufgefallen, fand ich aber für diese Geschichte passend.

Details:

Es war einer dieser Tage, wo man bei eBay nach fast food suchen wollte.
bitte tausche "wo" gegen "an denen" ein.
Leider war sein finanzieller Zustand gerade katastrophal.
Das sagtest du bereits einen Absatz vorher.
Und da war es wieder, dieses lästige Gefühl von Verantwortung für sich selbst.
:D
irgendjemand würde schon ein Programm schreiben, das den Vorgang simulieren würde.
Flucht aus der Realität, um sie simuliert zu bekommen. Klasse.
Nachdem er das entsprechende Programm, das die Form eines Präservativs hatte, aber bestimmt nicht die Bezeichnung gefühlsecht verdienen würde
eine der Stellen, die auf mich übertrieben wirkten.

Ich wünsche der Geschichte noch einige Science Fiction Leser und Autoren, die konstruktivere Kommentare schreiben.

Liebe Grüße
Juschi

 
Zuletzt bearbeitet:

@Juschi:

Ja, ich hatte schon ein wenig Angst, der Text könnte hier ungelesen vergammeln. Daß Du es noch einmal auf Dich genommen hast, ihn Dir durchzulesen, bereitet mir schon beinahe ein schlechtes Gewissen. Wo es sich doch, wie Du selbst schreibst, gar nicht um Dein Genre handelt. Und der Text auch so eine abschreckende Länge hat.

Nun gut, um meines eigentlich auch nicht. Aber ich sollte ja eine Geschichte schreiben, nach der folgenden Vorgabe:

Juschi schrieb:
Dein Prot hat einen Auftrag zu erfüllen, die Ausführung des Auftrags ist die Handlung der Geschichte. Weitere Personen spielen keine Rolle, sollten sie auftauchen stehen sie zum Prot in keiner Beziehung. Das, was der Leser über den/die Prot erfährt, erfährt er nur aus der aktuellen Handlung. Es gibt keine Rückblicke, der/die Prot reflektiert seinen Auftrag nicht, er führt ihn nur aus - Schwerpunkt ist also eindeutig die äußere Handlung, die Erledigung des Auftrags.
Zugegeben, ich habe mich nicht so gaaanz daran gehalten, auf ein Minimum an Rückblick konnte ich nicht verzichten, auch nicht auf manche Gedanken des Protagonisten, die nichts mit seinem Auftrag zu tun haben. Und ich konnte auch nicht... Du siehst, ich habe ein wenig geschummelt.

Hmm, berichtend. Da werde ich wohl noch einmal an die Arbeit gehen müssen. Das sollte ja nun nicht gerade sein.

Daß Dir die kleinen Gags überwiegend gefallen haben, freut mich. Ich bin da ziemlich unerfahren; aber da sie Deinen Leseverdruß ein wenig versüßt haben, werde ich nachsehen, ob sich noch weitere einstreuen lassen...

Die Erzählperspektive für mich ungewöhnlich? Oh. Stimmt. Von den Sachen, die ich hier stehen habe, sind die meisten in der Ich-Perspektive. Aber mit Deiner Vorgabe brauchte ich ja eine gewisse Distanz. War daher ein geeigneter Trick.

Deine Anmerkungen habe ich aufgenommen, den Text jeweils verändert. Und: ich fand Deinen Kommentar sehr konstruktiv.

 

Hi cbrucher.

Na, etwa alles, was in deiner Geschichte passiert ("Cyberspace", Kampf mit Wächterprogrammen, Leben ganz in der Virtuellen Realität, Was ist Realität?, Computerprogramme, die wie Menschen leben wollen) hat doch nicht erst seit diesem überbewerteten Film mit Keanu Reeves sooooooooo einen Bart. Ich schätze mal, du hast Neuromancer gelesen. Wenn nein- es ist, glaube ich, von der UNO verboten worden, Cyberpunk zu schreiben, ohne Neuromancer gelesen zu haben, und demnächst wirst du vor ein internationales und schwer parteiisches Tribunal gestellt und zum mehrfachen JhonnyMnemonic - kucken verurteilt. Wenn ja- warum hast du deine Geschichte geschrieben?
Nicht, das sie schlecht wäre. Aber sie enthält wirklich überhaupt nichts neues.

Ausser... doch, eine Sache hatte zumindest ich noch nie gesehen, und die finde ich auch witzig: "(er stellte) den Regler „Niveau“ auf 00" :)

 

@all-apologies:
Ich fand Deine Anmerkungen ebenso witzig wie irrelevant.

Ja, alles, was hier geschieht, hat es schon gegeben. Ja, der Text enthält wirklich nichts Neues. Warum ich die Geschichte geschrieben habe? Weil sie mir "einfiel" (sofern das überhaupt möglich ist), weil sie mir gefiel. Ich halte jegliche Diskussion darüber für sinnlos. Wenn sie Dich gelangweilt hat, weil sie nichts Neues zu erzählen wußte, ist das für mich vollkommen in Ordnung; die Geschichte mußte Dich enttäuschen, weil sie noch nicht einmal diesen Anspruch erhebt.

Ich finde es schade, daß es Dir nicht wirklich gelingt, etwas zu dem Text zu sagen. Gerade wegen seiner (abschreckenden) Länge könnte man doch sicher etwas Konstruktiv-Kritisches anmerken. Beispielsweise Fehler benennen, Schwächen aufzeigen, auf langweilige Passagen hinweisen.

Wenn Du letztlich anmerkst, daß Du sie nicht "schlecht" fandest, Danke. Auch, wenn ich nicht verstehen kann, weshalb Du gerade die "00-Regler" Geschichte besonders prickelnd fandest; ist doch letztlich nur eine Konsequenz einer vollständig doppelt-hexadezimalen Welt.

 
Zuletzt bearbeitet:

Ok, hier hast du was:

Gegenüger
ist falsch geschrieben, such da mal nach.

Oder hier:

Du bist sind ein Programm

Ähh...

Ok, das macht dich jetzt wohl nicht froh.

Ich formuliere meine Hinderungsgründe, mich für deine Geschichte wirklich zu erwärmen, angesichts deiner berechtigten Bitte um Konstruktivität etwas um. So:
Du hast Themen im Zentrum deiner Geschichte, die einfach total totgenudelt sind.

Bruno schwamm der Kopf. Ein Programm, das glaubte, ein Ich entwickelt zu haben. Er versuchte, seine Gedanken zu ordnen, es mißlang ihm.
Bam! Schock! Ein, äh, Geist in der Maschine! Das ist doch ein wichtiger Punkt in deiner Geschichte: Brunos Gegenüber wechselt von einem Ärgernis/Hindernis zu einer Person. Da ist jetzt keine Szenerie mehr, sondern ein neuer Charakter (der zweite, eigentlich.) Aber dieser in deiner Geschichte zentrale Punkt lässt doch den heutigen Leser total kalt.
Weil es das schon hundert mal gesehen hat. Weil er die Frage, wann Denken, das man denkt, in Denken und Sein übergeht, schon in vielen Geschichten beantwortet gesehen hat- und zwar oft ebenso zentral in der Geschichte wie hier.
Das ist der Grund, aus dem da bei mir nix groß lief in dieser Szene. Ich dachte einfach automatisch an die ganzen ähnlichen Szenen. Und dann ist da kein Platz mehr für deine individuelle Lösung )in deinem Fall bleibt dein Protagonist ja einfach bei seiner Rücksichtslosigkeit, seiner Egozentrik, die ihn auch sonst sauszeichnet- nur konsequent.).
Na, und die Pointe... hat dann natürlich keinen Nährboden, auf dem sie zünden könnte.

(Nachtrag: Nun, ich vermute, bei dem relaxten, aber bestimmten Widerstand, dem du meinem "ALT!" - Vorwurf von vornherein gemacht hast, wird dich das da oben auch nicht umhauen. Wenn dem so sein sollte- was auch immer. Wir sind ja schon groß, wir können verschiedene Meinungen tolerieren.)

Was mir an dem Niveau - Regler gefallen hat: es ist doch ein kokettieren mit der vierten Wand. In vielen Geschichten merkt man doch, oha, jetzt steht der Held im Schlafzimmer der Sexbombe, jetzt geht das Nivea auf null. Oder: ok, der Autor hat seinen philosophischen Punkt rübergebracht, jetzt gehts an die Knarren, damit dieKiddies was zu feiern haben. Und du schreibst dann eben explizit, dass in deiner virtuellen Realität dein Protagonist in seiner virtuellen Realität das Niveau senkt. Und DAS:

ist doch letztlich nur eine Konsequenz einer vollständig %Variable% Welt.
...- Ja, DAS ist doch Science Fiction, oder?

 

@all-apologies:
Vielen Dank für das Explizieren Deiner Gedanken, Danke auch für das Heraussuchen der Fehler. Ist eine lästige Sache, sollte der Autor eigentlich selbst machen können.

Gerade die von Dir zitierte Stelle ist, zugegebenermaßen, schwach. Sie erweckt den Anschein, als ginge es mir mit dem Text darum, die "Geist in der Maschine"-Idee als Schocker zu verkaufen. Das wollte ich nicht. Ich werde zusehen, das irgendwie zu beheben, habe auch schon eine Idee, wie ich das bewerkstelligen könnte.

Ob das dann allerdings funktionieren wird, ist fraglich: Ich werde den Verdacht nicht los, daß man als kg.de-Leser von seiner Erwartungshaltung schon auf Pointen, Twists und Schocker eingestellt ist, und es Dir beim Lesen auch so ergangen sein könnte. Hier ist jede Menge Material unterwegs, das mit einem flauen Schlußgag beeindrucken will. Was in den seltensten Fällen gelingt, gerade, weil es dazu einer neuen Idee bedarf.

Der Text sollte unterhalten, ein (natürlich bekanntes) Thema gut erzählen. Ich denke, das ist mir schon zum Teil gelungen. Und letztlich läuft es eben auf ein grundsätzliches Literatur-Verständnis hinaus (ich mache da für Science-Fiction keine Ausnahme, könnte aber nachvollziehen, wenn Du das anders siehst): ich bin der Ansicht, daß man durchaus etwas Althergebrachtes wiederkäuen darf, solange man es handwerklich überzeugend und unterhaltsam bewerkstelligt. Mißlingt dem Schreiber (also mir) das, so muß er sich (also ich mich) natürlich geschlagen geben. Ich denke aber schon, daß man sich von diesem Text unterhalten lassen kann.

Du könntest jetzt einwenden: aber am Ende der Geschichte verschwindet der Protagonist dann doch im Limbus, ist das etwa keine Pointe? Nein, empfinde ich nicht so. Viellicht etwas zu verdeckt, aber ich sehe hier keinerlei Überraschung: der Text liefert m.E. die Hinweise, die dem Leser schon den Verdacht erwecken müssen "Junge, bemüh' dich nicht, es ist ohnehin schon zu spät". Insofern würde ich es eher Konsequenz nennen, ist aber gut möglich, daß es bei er Intention blieb und an der Umsetzung scheiterte.

Nach all dem Geschwafel dann mein Fazit: ich werde zusehen, den Text vom Verdacht des Beeindrucken-Wollens zu befreien (ich hoffe es gelingt mir), und es interessiert mich, ob Du das in der Grundidee akzeptieren kannst (was keine Aufforderung sein soll, eine eventuell überarbeitete Fassung noch einmal zu lesen).

 

(was keine Aufforderung sein soll, eine eventuell überarbeitete Fassung noch einmal zu lesen).
DAS ist mal bescheiden :)

Das Problem ist, dass ich jetzt bei dieser Geschichte eigentlich zu "vorbelastet" bin für eine vernünftige Neubetrachtung, ich werde eine evtl. Bearbeitung also tatsächlich nicht lesen. Ich verspreche, ich lese und kritisiere ASAP etwas anderes von dir. Irgendwelche speziellen Wünsche per PN an mich.

Ein übermäßiges "Beindrucken - Wollen" sehe ich ja nicht wirklich in deiner Geschichte. Aber was du sicher willst, ist einen "Eindruck machen" - eine "emotional response" bewirken; dadurch unterhälst du ja. Und das wird hier, wie gesagt, für zumindest mich durch die bekannte Thematik, die ich im Zentrum stehen sehe (und auch nur, weil sie da steht- wenn die Themen nur nebenbei, nur als Hintegrund auftauchen würden, wäre das ja eine ganz andere Geschichte), geschwächt.

Zum Abschluss noch ein paar wahlose Details, die mir aufgefallen sind:

„Es könnte ein Fehler passiert sein“, zog sie sich zurück.
„Es muß ein Fehler vorliegen“,
Da muss entweder das doppelte Fehler raus, oder es wird ein ganzes Echo, also:
"Es könnte ein Fehler passiert sein", zog sie sich zurück.
"Es MUSS ein Fehler passiert sein!"

Die meisten suchten einen Spezialisten für Datenverarbeitung. Einbruch also.
Wie realistisch ist es, dass in einer normalen, in einem "Café" erhältlichen Zeitschrift größtenteils illegale Jobs angeboten werden?

Nun kam der anstrengendste Teil des Jobs, er würde warten müssen, bis ein wirklicher Mitarbeiter mit geeigneten Rechten Zugang in das Innere begehrte. Also herumsitzen und im richtigen Moment handeln, schnell genug. Er konnte sich also unmöglich die Zeit mit Unterhaltungsmedien vertreiben.
"Also" doppelt. Gut finde ich, dass es hier nicht, wie allzu oft, wenn der Cyberpunk - Autor keine Ahnung von echter digitaler Sicherheit hat, um halbmagisches Technoblah geht, sondern um Verfahren, die so ähnlich auch echte Hacker meines Wissens heutzutage anwenden. Ist nicht kreativ, aber solide.

war spät genug geboren wurden.

Ok. Ich ziehe mich aus diesem Thread zurück. Schick mir ne PN.
Jona

 

@all-apologies:
Vielen Dank für Dein Engagement, Deine Änderungsvorschläge habe ich aufgenommen:

  • Die komplette Wiederholung der "Fehler passiert"-Frage: übernommen.
  • Wie realistisch es ist, illegale Jobs zu finden? Meine Vorstellung war, daß es nur darum geht, die Anzeigen lesen zu können: Datenverarbeitung = Einbruch, etc... Habe ich expliziert.
  • Das doppelte Also starb einen vorzeitigen Tod.
  • Den "wurden"-Fehler habe ich korrigiert.

 

Hallo cbrucher,
nachdem wir uns nun kennen und du dich unvorsichtigerweise in Sci-Fi rumtreibst, muss ich doch auch mal was von dir gelesen und kommentiert haben. ;) Länge schreckt mich ja grundsätzlich selten und ich hab mir zwar nicht vor Spannung in die Hose gemacht, aber mich auch nicht gelangweilt. ;)
Mich hat das ganze schwer an Otherland erinnert, wo man ja auch zur genüge in der virtuellen Welt rumflanieren kann und sich die Frage stellt, wer ist echt und wer ist Programm.

Das Alibiprogramm verhielt sich seinen Gewohnheiten entsprechend, trank virtuell virtuelle Cocktails und sonnte sich virtuell unter einer virtuellen Sonne an einem virtuellen Strand. Es konnte einfache Dialoge führen, verwaltete eine Datenbank mit Bekannten und hatte an manchen Tagen einen nahezu unrealistischen Durst. Vermutlich war ihm langweilig.
Hier baust du schön schon mal auf, dass Brunos Alibiprogramm mit seinem "Leben" unzufrieden sein könnte, was den Grund liefert, dass er später dann auch übernommen wird.

Allerdings hätte ich mir mehr Informationen darüber gewünscht, warum die Programme das tun. So fehlt mir der Geschichte einfach der richtige Kick: Virtuelle Welt - Diebstahl - hoppla, alle sind nur Programme - ich auch - fertig. Wäre schön, wenn hier noch ein oder zwei reizvolle Gedanken mehr reinkämen. Warum sind die Programme unzufrieden? Organisieren sie sich? Ist Unzufriedenheit ansteckend? Warum hat gerade in Schweden alles begonnen?

Die Szene mit der Rothaarigen überzeug mich auch nicht ganz. Bei der Begrüßung stellt er sofort fest: kein Programm (woran meint er das gemerkt zu haben?). Dann bemerkt er Standardroutinen der Alibidinger. Also müsste irgendwo rein, dass er registiert, sich erst geirrt zu haben. Dann testet er sie wegen "einer unbestimmten Neugier" aus. Das ist mir zu schwach. Lass ihn doch rausfinden wollen, wie es ist, wenn die Benutzerin selbst agiert. Weil er sie süß findet und sehen will, ob das so bleibt, wenn die echte Frau handelt.

Die beiden Absätze, nachdem Bruno das Bekleidungsgeschäft abgezockt hat, könntest du meiner Meinung nach noch etwas straffen. Er wirkt hier ermüdend unentschlossen und dieses wiederholte gedankliche Hinterfragen (Sollte er ...? Konnte es sein ...?) machen den Text unnötig schwerfällig.

Ach ja, am Anfang scheint noch eine Stelle unlogisch: Wenn man reich ist, kann man für immer im Netz bleiben - Bruno ist nicht reich, er ist pleite - ab heute nachmittag wird er in der Lage sein, für immer im Netz zu bleiben. Das widerspricht sich doch. Also war er entweder vorher soweit flüssig, um die Voraussetzungen zu schaffen (und damit "reich" genug) oder du musst erzählen, wie er sich das mit unlauteren Mitteln erschlichen hat.

Soweit mal von mir. Ich hoffe, ich erscheine dir nicht zu kleinlich. Sind alles nur meine Gedanken zum Text, in der Hoffnung, dass dir etwas davon weiterhilft. ;)

Gruß,

kira.

 
Zuletzt bearbeitet:

Hi cbrucher!

Neu war die Thematik zwar nicht - aber dafür hast du es verstanden, Atmosphäre zu schaffen, die mich zum Weiterlesen reizt. Und das, obwohl du eigentlich die ganze Zeit über gegen die "Show, don't tell"-Regel verstößt. Du beschreibst die ganze Zeit über Vorgänge, der Prot interagiert kaum mit anderen Charakteren, und eigentlich müsste sich Langeweile einstellen. Das Gegenteil tritt ein.
Vielleicht liegt es daran, dass der Gedanke, virtuelle Welten zu schaffen, für mich noch nicht so viel an Faszination eingebüßt hat, weil ich kein Cyberpunk-Leser bin.
Es sind gerade dezente Andeutungen, die helfen, das Bild der von dir beschriebenen Welt plastisch werden zu lassen. Gutes Beispiel:

Und Bruno zudem nach dem Schweiß der letzten Monate stank.

Die Menschen sind der virtuellen Realität so sehr verfallen, dass sie die reale Welt zu pflegen verlernt haben.

Allerdings liegt da auch der Punkt, der mich an der Geschichte stört. In der ersten Hälfte der Geschichte thematisierst du das Leben in der virtuellen Realität, aber in der zweiten die schleichende Machtübernahme durch die Alibi-Programme.
Wie willst du diese Themen zusammenführen? Wenn die Alibis die Herrschaft übernehmen, wird die Kultur der Menschen doch irrelevant.
Und außerdem: Wenn Alibis illegal sind, dann sollte doch wohl nicht jeder Schwede so ein Ding besitzen, oder?

Ein weiterer Kritikpunkt wäre, dass der Schluss ein bisschen plötzlich kommt. Da habe ich praktisch keine Zeit mehr, mit deinem Prot zu bangen. So kann man nur einen Romanprolog enden lassen, der in das Thema einführen soll.

Hoffe, das hilft bei der Überarbeitung. ;)

Ciao, Megabjörnie

 
Zuletzt bearbeitet:

Wegen der wertvollen Verbesserungsvorschläge von kira und Megabjörnie kommt die Geschichte erst einmal in Quarantäne.

@kira:
Da hast Du mir ja eine ganze Latte voller interessanter Kritikpunkte geliefert, vielen Dank!

Du hast natürlich recht, die Programme wirken organisiert, wie eine Epidemie. Und es hat auch den Anschein, als hätte alles in Schweden begonnen, oder als sei bereits ganz Schweden "assimiliert". Das wollte ich so nicht, da war ich schlampig, werde ich ändern.

Die Szene mit der Rothaarigen ist tatsächlich mißverständlich, werde ich überarbeiten.

Straffung nach Bekleidungsgeschäft erfolgt, sehe ich ein.

Und auch am Anfang werde ich noch einen Satz einfügen, der genauer erklärt, daß sich Bruno mit der Anschaffung verschuldet hat. Ich dachte, es sei halbwegs klar, war ich wohl zu faul, das genauer darzustellen.

Kleinlich? Du? Nein, das ist wunderbar, mit solchen Hinweisen kann ich mich beschäftigen und (hoffentlich) den Text verbessern. Ich bin völlig begeistert, wenn Kritik in dieser Konstruktivität kommt!

@Megabjörnie:
Ja, die mangelnde Interaktion mit anderen. Die ist leider durch die Vorgabe von Juschi bedingt. Um so erstaunlicher, daß sich bei Dir keine Langeweile eingestellt hat. Aber gut, wir beide scheinen diese Thematik auch noch nicht völlig über zu haben.

Wie auch schon der Antwort an kira zu entnehmen, wollte ich eigentlich nicht eine generelle Machtübernahme durch Alibiprogramme darstellen, aber ich sehe ein, daß ich es getan habe. Werde ich umgehend ändern.

Der Schluß, hmmm. Ich werde noch einmal drüberlesen, aber ich will ihn eigentlich nicht erweiteren. Mal sehen. Ich wollte auch nicht unbedingt, daß man mit ihm bangt, eher vielleicht, daß man ein wenig Mitleid mit seinem ziemlich ekelhaften Schicksal hat, dem er wohl die nächsten sechzig Jahre nicht mehr entkommen wird.

Und: ja natürlich helfen mir solche Kommentare bei der Überarbeitung. Ich hoffe nur, es scheitert dann nicht an meiner Umsetzung.

Nachtrag:
So, wieder aus der Quarantäne entlassen. Die Anregungen habe ich ausnahmslos umgesetzt, nur den Schluß so belassen. Vielen Dank noch einmal an Euch beide!

 

Hallo cbrucher,
das der text nichts wirklich neues bietet...das steht außer frage, aber gefallen hat er mir dennoch. der stil passt und die beschreibungen deines Prots und seiner Umgebung sind dir auch gelungen. Du erzählst für meinen Geschmack nur etwas zuviel von dem, was eigentlich gar nicht zur eigentlichen story gehört, aber immerhin macht das deine kg lebendiger; quasi ist das auch nicht unbedingt schlimm. Hab nicht viel mehr zu sagen. Kurzweiliges Lesevergnügen für ein etwas längeres Zwischendurch ;)

Ein Fehler ist mir noch aufgefallen:

Hastig machte er kehrte

Einen lieben Gruß...
morti

 

Hi cbrucher!

Hier noch ein paar Anregungen:

C45,97D Credits

Was soll ich mir unter solchen Zahlen vorstellen? Welchen Grund sollte die Gesellschaft haben, das Dezimalsystem aufzugeben? Zumal die Zukunft, die du beschreibst, ja auch wieder nicht so fern sein kann.
Und Zahlenangaben, ohne dass der Leser eine Vorstellung von der Menge bekommt, sind doch reichlich sinnlos, oder?

Schien aber erwischt worden sein, die arme Sau und daraufhin zurückgetreten. Erpressung vermutete jemand.

Du meinst doch sicher "ist zurückgetreten", oder? Außerdem solltest du den zweiten Satz streichen. Er ist überflüssig. Warum sollte der Politiker wohl sonst zurücktreten?

Doch lieber riskierte Bruno vier Monate Strafsimulation dafür, als sich bei dem erwischen zu lassen, womit er üblicherweise seine Drinks verdiente: Für einen Auftragseinbrecher war solch ein Tool unerläßlich.

Das würde ich aussparen. Dass der Prot ein Einbrecher ist, wird danach ersichtlich. Wenn du den Satz weglässt, fachst du die Neugier des Lesers an, womit Bruno denn nun seine Drinks verdient.

Ciao, Megabjörnie

 

@morti:
Vielen Dank für Deinen Kommentar, den Fehler werde ich umgehend ausfriedrichen. Daß Du es ob der Länge doch als kurzweilig empfunden hast, freut mich natürlich ganz besonders.

@Megabjörnie:
Ja, die hexadezimalen Zahlen. Mir gefallen die, ist so eine kleine Spinnerei. Zumal irgendwelche Einschätzungen der Zahlen durchaus allein durch die Stellen erfolgen kann, es werden im Text ja auch Referenzen genannt, die die Einschätzung durchaus ermöglichen. Und C45,97D ist eine besonders schöne Zahl...

Der Fehler bei "zurückgetreten" ist ganz schön kniffelig. Mußte dreimal drüber nachdenken, bis ich einsah, daß Du recht hast. Werde ich umschreiben, die Erpressung vermutlich auch gleich streichen.

Den "Beruf" von Bruno wegzulassen, lasse ich mir durch den Kopf gehen, steht da unter anderem, weil ich unter Pointenallergie leide. Ziemlich ausgeprägt, wie man an diesem Beispiel erkennen kann.

Noch einmal vielen Dank für die Anregungen!

 

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