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Alienum

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20.05.2015
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Alienum

Am Anfang war das Alienum. Am Ende war das Alienum immer noch. Und was dazwischen geschah, soll hier geschildert werden. Nicht plausibel, denn das Alienum hatte wenig mit Vernunft zu tun. Auch nicht aufregend, denn das Alienum tat nichts außer zu sein. Erst recht nicht komisch, denn das Thema ist todernst. Also lasst es euch als Warnung dienen.

Einer hüpfte durch die Steppe und stieß auf einen Pfuhl voller Alienum. Doch wäre es falsch, von einem Pfuhl zu sprechen, denn das Alienum war nicht flüssig. Auch war es weder festes Erz noch flüchtiges Gas, weder Dampf noch Rauch noch Plasma, weder rein materiell noch rein ideell. Einer stieß also mitten in der Steppe auf ein Vorkommen des Alienums und hätte es beinahe verfehlt, da es unsichtbar war und sich weder warm noch kalt anfühlte, obwohl Einer mit seinem Bein mitten hineinhüpfte.

Wie Einer überhaupt bemerkte, dass er plötzlich in einem Vorkommen des Alienums stand? Keiner wusste es. Vermutlich überkam ihn die Idee, am rechten Fleck innezuhalten, sich hinunterzubeugen und seine Hand nach dem Alienum auszustrecken. Er fuhr hinein und schloss sie zur Faust und spürte, dass er mehr als bloß seine Finger festhielt. Einer spürte es nicht, Einer wusste es einfach.

Ebenfalls unbekannt ist, wie oder warum Einer zum ersten Mal das Alienum einnahm. Denn was geruchlos und frei von Geschmack ist und überhaupt keine Textur hat, kann kaum zum Konsum auffordern. Trotzdem nahm Einer das Alienum zu sich und hatte alsbald den Einfall, das ganze Vorkommen zu konsumieren. Er schöpfte und schöpfte, atmete das Alienum ein und leckte es sich vom Handteller, doch was weder greifbar noch physikalisch, weder konkret noch abstrakt ist, das kann gar nicht verstoffwechselt werden.

So merkte Einer rasch, dass das Alienum trotz seiner Bemühungen nicht weniger wurde. Daher kam ihm der Gedanke, sich Hilfe zu holen, denn sein Dorf lag unweit entfernt und Einer hatte vor, seine Entdeckung mit den Anderen zu teilen.

Kaum daheim, trommelte er eine Handvoll Anderer zusammen und erzählte ihnen vom Alienum: »Weder konnte ich es sehen noch spüren, geschweige denn essen oder trinken, und dennoch hat es mich genügend fasziniert, euch davon zu berichten.«
»Wie nimmt man es dann zu sich?«, wollte ein Anderer wissen.
»Gar nicht«, entgegnete Einer.

Zu Recht waren die Anderen ungläubig: »Wenn es wirklich so interessant ist, wie Einer behauptet, warum hat er uns nichts davon mitgebracht?«
»Weil ich es nicht transportieren konnte«, beteuerte Einer. »Aber was mir nicht geglückt ist, mag vielleicht einem Anderen gelingen.«

Dem stimmten die Anderen zu, denn unter ihnen war Einer nicht als ein besonders Heller bekannt. Insgeheim hielten sie ihn sogar für einen Tollen. Um sich also nicht zum Gespött der Anderen zu machen, verkündeten sie: »Wir wollen Einem zur besagten Stelle folgen, um uns selbst ein Bild zu machen. Sollte Einer sich allerdings einen Spaß mit uns erlaubt haben, oder sollten wir gänzlich unbeeindruckt bleiben, werden wir Einen steinigen.«
»So soll es sein«, stimmte Einer zu.

Da waren die Anderen sprachlos, hatten sie doch fest damit gerechnet, dass sich Einer eher als Aufschneider zu erkennen gab, als so leichtfertig sein Leben aufs Spiel zu setzen. Somit war ihnen Unterhaltung gewiss. Doch in seinem Auge sahen sie weder Wahn noch Furcht, nur Entschlossenheit, unverzüglich aufzubrechen.

Eine Handvoll Anderer bekam kaum Gelegenheit, sich mit allerlei Werkzeug auszurüsten und noch ein paar Steine mit beizulegen, ehe Einer wieder hinaus in die Steppe hüpfte. Die Anderen folgten mit ein wenig Abstand, um sich auszutauschen: »So ein Humbug. Unsere Leichtgläubigkeit wird uns teuer zu stehen kommen.«
»Einem von uns gewiss«, höhnte ein Anderer.
»Sollten wir wirklich Einen von uns töten?«, wollte eine Andere wissen.
»Nur, wenn Einer die Stelle nicht mehr wiederfindet«, entschied ein Anderer.
»Doch selten hab ich Einen so klar erlebt«, stellte eine Andere fest.

Einer hatte keine Schwierigkeiten, das Vorkommen des Alienums in der weiten Steppe wiederzufinden, da es einen unbeschreiblichen Sog auf ihn ausübte, kaum dass sie das Dorf hinter sich gelassen hatten.

»Hier ist die Stelle!«, verkündete Einer schließlich, hätte es aber nicht zu tun brauchen, weil die Anderen es ganz von selbst bemerkten. Schon standen sie mit dem Bein im Alienum, ruderten mit der Hand darin herum, hüpften umher und versuchten, es auf die eine oder andere Weise zu konsumieren.

»Genau wie Einer beschrieben hat!«, riefen die Anderen.
»Unbeschreiblich!«, erwiderte Einer, ehe er erneut zu Einem der Anderen wurde. Denn obgleich ihm der Zauber des Alienums zuerst zuteil geworden war, sollte es nicht sein Privileg bleiben.

Kaum bestand kein Zweifel mehr, dass das Alienum existierte, versuchten die anderen, es mit dem Spaten auszugraben und in Eimer zu füllen. Leider blieb das Alienum substanzlos, so dass man ratlos war, ob es nicht ungesehens entwich. Keiner wollte mit leeren Eimern zurückkehren und sich zum Gespött des Dorfes machen.

Letztendlich kam einem Anderen die Idee, jeden Eimer mit einer geölten Tierhaut abzudecken und fest mit Seilen zu umschnüren. Denn sobald man nicht mehr hineingucken konnte und auch nicht wusste, ob und wann genau das Alienum austreten würde, befand es sich zugleich innerhalb wie außerhalb des Eimers, so dass statistisch betrachtet mindestens die Hälfte im Eimer bleiben musste. Die Anderen einigten sich darauf, lieber nur eine Hälfte ins Dorf zu transportieren als keine.

Mit halbvollen Eimern machten sie sich auf den Rückweg und sinnierten bereits über mögliche Verwendungszwecke des Alienums: »Vielleicht macht es furchtlos?«
»Dann ist es gut, dass wir das Vorkommen vor unseren Feinden entdeckt haben«, überlegte ein Anderer.
»Und wenn sie es längst gefunden haben?«, fürchtete eine Andere und widerlegte somit die Annahme, dass das Alienum furchtlos machte.
»In jedem Falle stimmt es euphorisch«, schlug ein Anderer vor. »Seht, wir waren sofort hin und weg und können kaum erwarten, es mit den Anderen im Dorf zu teilen!«

Noch vor Einbruch der Dunkelheit kehrten die Anderen zurück und ließen den Dorfrat tagen. Alt und Jung, Groß und Klein, Neugierig und Misstrauisch scharten sich um die Eimer, um zu sehen, was sich darin befand. Selbstverständlich sahen sie das Alienum nicht, und die hinteren Reihen empörten sich zunächst über das Gewese. Doch wer auch nur einen Körperteil hineinsteckte, wurde umgehend vom Wissen überwältigt, dass das Alienum existierte.

»Es macht übrigens weder Geräusche, noch dämpft es den Schall«, stellte ein Anderer fest.
»Zieh deinen Kopf heraus!«, drohten die Anderen. »Geschwind, bevor du es verdrängst!«
»Wir können jederzeit Nachschub holen.«
»Wer weiß, wann das Vorkommen erschöpft ist. Wir sollten sparsam damit umgehen. Wozu auch immer es gut ist, es wirkt sehr kostbar.«

Kurzerhand entschied ein Anderer, welcher der Dorfhäuptling war: »Gleich morgen früh wollen wir losziehen und uns alles unter den Nagel reißen. Jede Hand und jeder Eimer sind gefragt. Die Nacht werden wir damit verbringen, in der Dorfmitte eine Grube auszuheben und sie mit Tierhäuten abzudecken. Dort hinein werden wir alles schütten, und wer nur einen Tropfen vergießt, soll auf der Stelle zu Tode gesteinigt werden!«

Zwar zweifelten die Anderen daran, dass das unflüssige Alienum in Tropfen bemessen werden konnte. Außerdem stellten sie infrage, ob ein versehentliches Vergießen überhaupt jemandem auffallen würde. Dennoch machten sich die Anderen umgehend daran, dem Alienum ein Reservoir auszuheben.

Als der Morgen endlich graute, maß die Grube bereits mehr Grundfläche, als man Tierhäute im Dorf besaß, also ging man in die Tiefe. Während sich ein paar der Anderen mit dem Graben, Schlachten, Häuten, Gerben und Einölen befassten, zogen die meisten hinaus in die Steppe und hüpften zu dem Ort, wo die Anderen am Vortag auf das Alienum gestoßen waren. Nebst Eimern führten sie Schläuche, Beutel und allerlei feste Behälter mit sich, die meisten davon abgedichtet und undurchsichtig.

Kaum stand der Häuptling der Anderen mitten im Alienum, kam ihm ein Gedanke, den er mit den Anderen teilen musste: »Es ist phänomenal, aber es ist viel zu viel! Wir sollten ein Aquädukt bauen und alles ins Reservoir pumpen, anstatt es händisch ins Dorf zu tragen.«
»Es verhält sich doch ganz anders als Wasser!«, boten die Anderen ihm die Stirn. »Wir wissen nicht, ob es sich pumpen lässt. Außerdem würden wir durch den Bau gewiss die Aufmerksamkeit unserer Feinde auf uns ziehen.«
Ein Anderer, der ebenfalls mitten im Alienum stand, überschlug im Kopf: »Darüber hinaus würde ein solches Rohrsystem mehr Rohstoffe, Zeit und Arbeitskräfte erfordern, als wir in zwölf Jahren erübrigen könnten.«

Der Häuptling war kein Narr, doch hatte er bereits sehr lange im Alienum gestanden, als er schließlich verkündete: »Dann bleibt uns nur eine einzige Möglichkeit: Wir müssen ein neues Dorf bauen und das alte verlassen. Diese heilige Stätte hier soll fortan das Zentrum der Anderen werden. Um das Vorkommen herum werden wir konzentrische Mauern gegen unsere Feinde bauen, dazwischen Häuser und Gärten für uns. Und für mich einen Palast.«

Obwohl der Häuptling keineswegs so viel Einfluss besaß, ein solches Vorhaben alleine zu entscheiden, stimmten ihm alle Anderen zu, die mit ihrem Bein im Alienum standen. Sie fragten sich, warum sie nicht schon gestern auf die Idee gekommen waren, das Dorf ins Alienum zu tragen anstatt umgekehrt. Somit hätten sie sich das mühselige Ausheben der Grube erspart und längst mit dem Bau des neuen Dorfes beginnen können.

Anderen hingegen fiel auf, dass man einander selten so einstimmig begegnet war. Ihnen wurde klar, dass der Hauptzweck des Alienums die Vereinigung der Anderen sein mochte. Allerdings sei im Sinne der Weder-Noch-Natur des Alienums bereits an dieser Stelle erwähnt, dass die Anderen keine Ahnung hatten, was ihnen blühen sollte.

Sofort machten sich die Anderen daran, Bäume zu fällen, Steine herbeizurollen und nach Lehm zu graben. Einem Anderen kam erstmals die Idee, die Ziegel zu brennen, um sie robuster zu machen. So dauerte es keine Woche, bis die innerste Mauer errichtet war, dreihundertsechzig Meter im Durchmesser. Auch lieferte ihnen das alte Dorf genügend Material, das neue doppelt so prächtig zu erbauen. Doch anstelle eines Palastes für den Häuptling errichteten die Anderen einen Garten für das Alienum, denn als neue Herrschaftsform wählten sie die Alienokratie.

Sowie die Anderen herausfanden, dass das Alienum nicht weniger wurde, wenn man den lockeren Boden darunter wegtrug, mauerten sie ihm einen Brunnen. Es ziemte sich für jeden Anderen, ob arm oder reich, ob Mann oder Frau, regelmäßig am Brunnenrand zu verweilen, und so war der Garten Tag und Nacht eine Anstalt des öffentlichen Lebens. Wenn auch nicht alle einen Sinn im Alienum sahen, verehrten sie es jedoch für seinen enormen Sog, den sie mit Heiligkeit gleichsetzten. Man sprach mitunter vom Hochheiligen Geist. Manch einer erlag ihm sogar, sprang in den Brunnen und stürzte zu Tode. Den Leichnam eines solchen Erleuchteten zu bergen, zählte bald zu den angesehensten Berufen, weil dies ebenfalls zur Erleuchtung führen konnte.

Auch Anderen diente das Alienum als Berufung, da es nicht nur spirituellen Wert besaß; so wurde es der Alienologie zum alleinigen Gegenstand, der Königsdisziplin aller Wissenschaften. Doch selbst eine Vielzahl an praktischen und gedanklichen Experimenten vermochte nicht, den eigentlichen Zweck des Alienums zu offenbaren – insbesondere, es nutzbar zu machen, vor allem wirtschaftlich.

So fühlten sich die Besucher eines gewöhnlichen Alienologenkonvents meist an einen Basar erinnert, auf dem jeder durcheinanderhüpfte und seine Ware am lautstärksten feilbot: »Hochheiliger Schmuck, nur hier! Macht erhaben, glücklich und großzügig!«
»Diese Konstruktion garantiert den Nachweis des Hochheiligen Geistes! Kirchenstaatlich geprüft und frei von Quacksalbe!«
»Hochheiliger Badeschaum!«
»Raucht den Hochheiligen Geist durch die Nase! Sprecht mit euren Ahnen! Blickt in die Zukunft! Lernt euer Schicksal kennen!«
»Kauft den Hochheiligen Geist, denn er kann nicht in Gold aufgewogen werden!«

Unterdessen fanden die Leisen unter den Anderen heraus, dass das Alienum weder konzentriert noch verdünnt, weder verrührt noch umgewandelt, geschweige denn messbar gemacht werden konnte. Niemandem gelang es, Garn daraus zu spinnen, einen Reim darauf zu machen, eine Diskussion damit zu gewinnen. Weder vermochte es Sterbenskranke zu heilen, noch ihre Schmerzen zu lindern. Je mehr Theorien die Anderen aufstellten, desto stärker schien sich das Alienum ihrer kollektiven Vorstellungsgabe zu entziehen.

Bevor man eine Erklärung für das Alienum hatte, waren die Fremden unter den Anderen. Die Fremden fielen auf, da sie im Gegensatz zu den Anderen viele Körperteile paarweise besaßen: So standen sie auf zwei Beinen und benutzten diese, um sich laufend fortzubewegen. Außerdem hatten sie zwei Arme, mit denen sie zweihändige Waffen führten. Sogar ihre Augen trugen Sie doppelt, was ihnen ein größeres Sichtfeld und räumliche Orientierung ermöglichte. Den Neugierigen fiel überdies auf, dass die Frauen der Fremden zwei Säuglinge gleichzeitig aufziehen konnten. In anderen Worten waren die Fremden schneller, stärker, aufmerksamer und fruchtbarer als die Anderen, was nicht jeder mit Wohlwollen auffasste.

Zwar hatten die Anderen großen Respekt vor den Fremden, allerdings waren sie ihnen zahlenmäßig weit überlegen, so dass man sie im Dorf duldete. Selbst den Zugang zum zentralen Brunnen gewährte man ihnen, da das Alienum über alle Vorurteile erhaben war und nicht durch fremde Einflüsse verdorben werden konnte. Viel mehr erhoffen sich die Anderen, die Fremden durch das Alienum zu welchen von ihnen zu machen, vielleicht sogar von ihnen zu profitieren, denn man erzählte sich, dass sie sogar zwei Gehirnhälften besaßen. Schließlich interessierten sich die Fremden brennend für das Alienum.

Und die Anderen sollten nicht lange auf die Fremden warten, was deren Verständnis des Alienums anbelangte: »Seht ihr Einäugigen nicht, wie es euch versklavt? Man braucht keine zwei Nasenlöcher, um zu riechen, dass die Sache faul ist!«
»Einigkeit erfordert universelle Akzeptanz!«, schrien die Anderen empört. »Empfangt unseren Hochheiligen Geist oder seid auf ewig verbannt!«
»Einen schönen Abgott habt ihr erschaffen!«
»Einen wahren Gott habt ihr verleumdet!«

Die Fremden behaupteten im Nachhinein, dass es ihre zahlenmäßige Unterlegenheit gewesen war, die einen anschließenden Bürgerkrieg verhindert hatte. Die Anderen hingegen waren hinterher fest davon überzeugt, dass es der friedensstiftende Einfluss des Alienums gewesen sein musste. Jedenfalls unterbreiteten die Fremden den Anderen ein Angebot, auf das sich alle einigen konnten: »Überlasst uns die Erforschung des fremdartigen Vorkommens, und wir werden prüfen, wie göttlich es ist.«

Die Anderen glaubten so felsenfest an ihren Hochheiligen Geist, dass sie einwilligten und den Fremden gestatteten, dem Alienum einen neuen Brunnen zu bauen. Dieser sollte technologisch, finanziell und an Größe alles übertreffen, was die Anderen jemals hätten erbauen können, denn die Fremden brachten Wissen, Reichtum und Ambitionen. So gruben sie hunderte Meter in die Tiefe und setzten erstmals neuronale Messgeräte ein, das Alienum nachzuweisen.

Zunächst postulierten die Fremden, dass das Alienum im Aufbau einem multidimensionalen Quantenschaum ähnelte. Dann stellten sie fest, dass es unter der Erde ein weit verzweigtes Netz gebildet hatte, was entweder vor, während oder nach dem Bau des Brunnens geschehen sein konnte. Daraufhin begannen die Fremden, riesige Mengen des Alienums von Hand zu fördern, um es in oberirdischen Tanks einzulagern.

Es verstand sich von selbst, dass sie ein Schichtsystem einführten und die Anderen tüchtig mitarbeiten ließen. Bezahlt wurden diese in Alienum, wobei es sich auch als umstrittenes Zahlungsmittel herausstellte, da es weder zählbar noch knapp war. In anderen Worten beschränkte sich sein Wert auf den Glauben seines Besitzers, den bereits nicht definierbare Mengen zu beflügeln vermochten.

Schließlich mussten sich selbst die Fremden eingestehen, dass der Hauptaspekt des Alienums seine gewaltige Sogwirkung war, die sich physikalisch nicht erklären ließ. Weder gelang es ihnen, die göttliche Theorie zu widerlegen, noch konnten sie dem Alienum teuflische Tendenzen nachweisen. Während die Anderen nur eine einzige Begegnung mit dem Alienum benötigt hatten, brauchten die Fremden Tausend fehlgeschlagene Experimente, ihm komplett zu verfallen.

Die Förderung des Alienums nahm derart bodenlose Ausmaße an, dass die Fremden trotz ihrer bionischen Bergbauroboter und Unterstützung durch die Anderen den eigenen Bedarf an Alienum nicht decken konnten. Der Krieg, den sie dem Alienum erklärt hatten, verschlang Unmengen an Ressourcen und erforderte Kollateralschäden.

So kam es, dass die Fremden den Anderen unter den Minenarbeitern zunehmend die Alienumlöhne kürzten, um ihre Kriegsmaschinerie weiter zu optimieren. Selbstverständlich führte dies zu Unmut, zumal die Anderen immer wehmütiger der Zeit gedachten, als sie dem Alienum noch allein gehörten.

Also gründeten sie Gewerkschaften, um sich gegen das Unrecht zu wehren. Diese forderten von den Fremden: »Gebt uns, was uns früher zustand, das bedeutet alles! Gebt uns die Alienokratie zurück! Bevor die Ergründung des Hochheiligen Geistes unser beider Völker ruiniert!«
Die Fremden argumentierten: »Wir haben bereits Fortschritte gemacht, und die Aufklärung ist nur eine Frage der Zeit. Jetzt abzubrechen, wäre eine Verschwendung überirdischen Außmaßes.«
»Dann werden wir in Streik treten«, drohten die Anderen.
»Dann verzichtet gänzlich auf euren Hochheiligen Geist.«

An dieser Stelle bleibt ungeklärt, ob sich die Anderen weiter versklaven ließen, weil sie nicht mehr ohne das Alienum leben konnten, oder ob sie von den Fremden versklavt wurden, weil diese nicht mehr ohne es auskamen. Belegt ist jedoch, dass es zu einem schrecklichen Bürgerkrieg kam, bei dem beide Seiten viel Blut ließen und dennoch wussten, dass die Fremden seit jeher die Oberhand hatten.

Nach ihrem Sieg schlugen die Fremden gleich drei Fliegen mit einer Klappe, indem sie die Alienummine von den Anderen in ein Arbeitslager umbauen ließen. Während die Sieger das zerstörte Dorf als ihre Stadt wieder aufbauten, brach für die Besiegten ein bis dato dunkelstes Zeitalter an, da sie allesamt unter die Erde verbannt wurden. Nie waren sie dem Alienum so nah und gleichzeitig so fern gewesen.

Die Fremden wurden zu unbarmherzigen Aufsehern. Ihre bionischen Roboter machten sie zu Wachen, die den Gefangenen am Gesicht ablesen konnten, wenn diese Alienum für eigene Zwecke stahlen. Doch bereits geringere Vergehen wurden mit dem Laserstrahl bestraft, um die Anderen schmerzlich daran zu erinnern, dass sie keinen Körperteil doppelt hatten. Viele Andere gaben ihr Leben im Minenschacht. Die wenigsten starben eines natürlichen Todes.

Einer von ihnen war der Häuptling, der einst seiner Gemeinschaft aufgetragen hatte, ein neues Dorf aufzubauen, um dem Alienum einen prächtigen Brunnen zu widmen. Jahre der Unterdrückung und der körperlichen Tortur hatten ihn geschwächt, so dass er nun spürte, dass sein Ende gekommen war.

Die Anderen scharten sich um des Häuptlings Sterbebett und hörten seine letzten Worte an: »Wir fristen unser Dasein im Schatten eines Feindes, der uns nicht versteht. Am meisten bedaure ich, dass mir nicht vergönnt sein sollte, das Licht der Sonne noch einmal zu erblicken. Aber der Hochheilige Geist hat uns nicht vergessen. Er wird uns wieder vereinigen, uns Andere und die Fremden. Darum erhebt euch nicht gegen sie, sondern gedenkt meiner Worte in seinem Namen.«

Er starb noch in derselben Nacht. Man bereitete ihm einen Sarg aus Pech und Schiefer und füllte diesen mit Alienum, um dem Häuptling einen heiligen Schlaf zu ermöglichen. Kaum hatte man ihn zu Grabe getragen, vergaßen die ersten bereits seine letzte Bitte und rotteten sich zusammen, um hinter den Rücken der Fremden zu flüstern: »Ehe wir einer nach dem anderen zugrunde gehen, lasst uns als Märtyrer in die Geschichte eingehen . . .«
»Je länger wir warten, desto schwächer werden wir sein . . .«
»Leicht werden wir es ihnen nicht machen . . .«
»Es wird Zeit . . .«

Die Anderen organisierten sich heimlich, besprachen Strategien und horteten ihre Werkzeuge, um sie als Waffen einzusetzen. Auch der Bau eines geheimen Tunnels wurde in Angriff genommen, um im Ernstfall die Alten, die Kranken und die Schwachen in Sicherheit zu bringen und letzten Endes an die Oberfläche zu gelangen. Alldieweil ahnten die Fremden, dass eine Rebellion bevorstand, rochen die Bedrohung in der staubigen Minenluft, die auch Spuren von Alienum enthalten konnte.

Ehe es allerdings zu einem blutigen Aufstand kam, der gewiss zur Auslöschung der Anderen geführt hätte, geschah das langersehnte Wunder, die vom Häuptling prophezeite Rettung durch den Hochheiligen Geist. Dieses Wunder offenbarte sich in der Jungfrau Aliena.

Die meisten, die Aliena anblickten, sahen in ihr eine überaus schöne Frau, deren Sogwirkung der des Alienums gleichkam. Einigen fiel auf, dass sie über zwei Paar Arme und somit viermal so viele Hände wie die Anderen verfügte, mit je fünf Fingern und zwei Daumen daran. Die wenigsten wurden gewahr, dass Aliena Engelsflügel auf dem Rücken und ein drittes Auge auf der Stirn trug, mit dem sie sogar das unsichtbare Alienum sehen konnte. Nur eine wusste, wer sie wirklich war.

Nur eine wusste, wo sie herkam. Denn falls sie nicht aus dem Alienum entsprungen war, musste Aliena von einem anderen Stern stammen. Doch wenn sie sprach, hörten die Anderen zu, als wäre sie eine von ihnen. Selbst ein Blinder konnte die Feuerzungen über ihr erkennen, kaum dass sie den Mund öffnete: »Das Problem ist, dass euch die Fremden nicht für ebenbürtig erachten.«
»Wir sind nun mal anders«, klagten die Anderen. »Besser schlag uns die Lösung vor.«

Also sprach Aliena: »Ihr braucht nicht mehr zu tun, als euch in Paaren zusammenzufinden, je ein Mann und eine Frau.«
»Aber das tun wir längst, Aliena. Die Zweisamkeit zwischen Mann und Frau ist das einzige, das uns noch Trost spendet. Nur führt es leider meist zu untröstlichen Kindern.«
»Ich rede nicht vom Akt der Fortpflanzung, sondern von der Vereinigung durch das, was ihr den Hochheiligen Geist nennt. Ihr werdet merken, was ich meine, wenn ihr eure Kleider zusammennäht.«

Die Anderen befanden Alienas Gebot für verheißungsvoll, da ihr die Weisheit des Alienums anhaftete. Sie nähten ihre Sträflingsuniformen Seite an Seite zusammen, je ein Mann und eine Frau, um einander nahe zu sein.

Es dauerte nicht lange, da hörten die Zusammengenähten auf zu hüpfen und fingen stattdessen an, einen Fuß vor den Anderen zu setzen und wie die Fremden zu gehen, zu laufen und zu rennen. Ebenso lernten sie, ihre Hände zu koordinieren und komplexere Handgriffe durchzuführen, was ihnen neue Fertigkeiten ermöglichte, die bislang nur den Fremden vorbehalten waren.

Verwunderlich wurde es erst, als sie auch ihre Augen synchronisierten, um ihr Sichtfeld zu vergrößern und räumliche Tiefe besser einzuschätzen. Zwar gab es nicht viel zu sehen im dunklen Schacht, dennoch fühlten sich die Anderen aufmerksamer und klüger als sonst. Von Aliena wollten sie wissen: »Wie ist das möglich? Befinden sich unsere Hirnhälften denn nicht in zwei getrennten Schädeln?«
»Ihr wisst es längst«, erwiderte Aliena. »Schließlich habt ihr nie aufgehört, an seine vereinigende Macht zu glauben.«
»Unser Bewusstsein verschmilzt also paarweise?«
»Das ist erst der Anfang. Der nächste Schritt wird sein, euch mit den Fremden zu versöhnen.«
»Wir wollen es tun«, stimmten die Anderen zu, »unter der Bedingung, dass du unsere Fürsprecherin wirst.«

Die Jungfrau Aliena willigte ein, frei von Eigennützigkeit und Ehrgeiz, aber voller Güte und Weisheit. Sie ersann einen Plan, die Führungsriege der Fremden in die Mine zu locken, und begegnete ihnen allein und unbewaffnet.

Auch die Fremden hatten nie eine wie Aliena gesehen, doch sorgte ihre Andersartigkeit zunächst mehr für Argwohn als für Ehrfurcht. Allerdings wurden auch sie schwach, als die bildschöne Frau zu sprechen begann: »Seht ihr, wie sich die Anderen haben reformieren lassen, um euch ähnlicher zu sein?«
»Es grenzt an Magie«, gaben die Fremden zu. »Aber es muss eine Erklärung geben, so wie es für alle Dinge eine Erklärung gibt . . .«

Endlich sahen die Fremden ein, dass all die Bemühungen vergebens waren, das Alienum zu ergründen. Die Mine hatte Unmengen davon hervorgebracht, sie hatten alles verschifft oder vergeudet, und trotzdem waren sie keinen Deut weiter als die Anderen. Die jüngsten Entwicklungen zeugten sogar davon, dass ihnen die Anderen überlegen waren.

Zum ersten Mal blickten die Fremden das unterdrückte Volk an und erkannten sie als die Anderen. Auch ihre eigene Unbarmherzigkeit erkannten sie und weinten bittere Tränen über all das Unrecht, das sie ihren Schwestern und Brüdern angetan hatten. Die Fremden warfen ihre Waffen nieder und forderten die Anderen dazu auf, Vergeltung zu üben, sofern sie dies wünschten.

»Wir werden uns nicht an euch vergehen«, versprachen die Anderen. »Was geschehen ist, kann wiedergutgemacht werden. Allerdings erfordert dies unser beider Mühen.«
»Wir akzeptieren euch als welche von uns«, beschlossen die Fremden, »und wir wollen den Hochheiligen Geist empfangen. Wer weiß, vielleicht wird er uns in welche wie sie verwandeln? Sie ist übermächtig. Sie soll unserem neuen Volk einen Namen geben und uns fortan als Kaiserin Aliena die Erste regieren!«

Alle Blicke waren Aliena zugewandt, während sie wohl überlegte, wie das neue Volk heißen würde: »Seid die Einigen. Es ist nur naheliegend.«
So war es beschlossen, und die Einigen bejubelten ihre junge Regentin, auf dass sie sie in ein goldenes Zeitalter führte.

Als erste Amtshandlung veranlasste Kaiserin Aliena die Erste, das Minengefängnis zu räumen und durch eine Reihe von Sprengungen für immer unzugänglich zu machen. Dann ordnete sie an, in der entstehenden Erdsenke ein Monument für das Alienum zu errichten, da dieses dort noch immer vorkam. Doch die Einigen einigten sich nicht etwa auf einen Brunnen, sondern auf einen Turm für ihre Kaiserin. In all ihrer Sanftmut gebot Aliena: »So baut ihn aus Schrott und nicht höher als das höchste Haus in der Stadt.«

Die Einigen ließen die besten Architekten und Monteure versammeln und schweißten einen Stahlturm von neunundvierzig Stockwerken Höhe, den sie hauchdünn mit Platin aus alten Katalysatoren beschichteten, um ihn vor Korrosion zu schützen. Die unteren Stockwerke standen allen zu, die sich nichts Schöneres vorstellen konnte. So wurde die Welt ihr Hofstaat, und nie sollte sich die Kaiserin sorgen, im sprichwörtlichen Elfenbeinturm zu leben.

Wenn sich die Einigen uneinig waren, was insbesondere zu Anfang häufig geschah, traten sie vor Aliena, um Schlichtung zu erbitten. Tag um Tag gab die Kaiserin ihre grenzenlose Güte zum Besten, indem sie Gesetze entschärfte, umstrittenes Erbe aus eigener Tasche aufstockte und Mördern zu Reue verhalf, um sie anschließend freizusprechen.

Auch Forschung und Wissenschaft sollten unter Aliena nicht zu leiden haben. Zwar war das Feld der Alienologie unter der Resignation der einstigen Fremden im Sande verlaufen, dafür verprach die wundersame Verschmelzung der ehemaligen Anderen eine blühende Zukunft. Die Alienumförderung wurde dekommerzialisiert und letzten Endes heruntergefahren, als die Vereinigung von Wissenschaft und Glaube langsam zu Tage brachte, dass Unmengen an Alienum die Gleichungen und Gleichnisse genauso wenig erfüllten wie überhaupt kein Alienum.

Umgekehrt maßen die Einigen dem Studium ihrer aller Kaiserin zunehmend mehr Bedeutung bei, denn Alienas Vergangenheit und Herkunft warfen so viele Rätsel auf wie das Alienum. Sprach man sie an, wie es allen gestattet war, entgegnete sie jedoch: »Ich bin zum rechten Zeitpunkt aus der Not heraus entstanden.«
»Verratet uns doch wenigstens eine besondere Erinnerung aus Eurer Kindheit.«
»Meine Jugend ist jäh im Angesicht der Aufgabe verblasst, die ich auf mich genommen habe. Kein Zeitzeugnis werdet ihr finden, das mich darauf hätte vorbereiten können.«

Nebst des bereits Genannten gediehen auch die schönen Künste unter Aliena, die selbst Konzerte gab, um ihr lautes Volk für einen Moment zum Schweigen zu bringen. Denn wie sich herausstellte, spielte sie die Sitarre mit ihren zwanzig Fingern und acht Daumen ganz vorzüglich, und sang sie auch dazu, erfüllte sie jeden Einigen mit der Inspiriation, eigene Werke zu erschaffen. Zu Anlässen wie diesen sah man das dritte Auge auf Alienas Stirn besonders leuchten, und es war, als ob sie zur Stimme des Alienums wurde.

So sang sie, dass sie sich nicht an dem stinkenden Müllberg erfreute, der sich mit der Zeit unter ihrem Turm ansammelte. Sie sang, dass das Alienum nie wieder vergraben werden durfte, weil es sonst in Vergessenheit geriet.
»Und wenn schon«, schrieben die Einigen in ihre Liederbücher, »denn der Ultrahochheiligen gedenken wir! Dem Geist wird gehuldigt, denn er steckt noch in ihr!«
Wenn Aliena ihre Antworten auch friedlich vortrug, kamen Einige nicht umhin, zunehmend melancholische Töne herauszuhören.

Die Kaiserin leistete unvergleichliche Arbeit, wenn es um ihr Volk ging, doch war sie trotz allem Anschein nicht perfekt. Genauer war sie Perfektionistin durch und durch und obendrein vom Makel der Selbstvernachlässigung behaftet, die sich zum Beispiel in Appetitverlust und chronischer Schlaflosigkeit äußerte. Um ihre unzähligen Aufgaben noch besser zu erfüllen, gab sie sich Stück für Stück selbst auf. In ihrer Weisheit war sich Aliena dessen bewusst, und dennoch zog sie es so vor.

Schließlich wurde auch den Einigen klar, dass es Aliena nicht gut ging. Mit jedem Tag sank sie auf ihrem Thron einen Millimeter tiefer in sich zusammen, zeigte immer häufiger Anflüge von Trübsal und Gleichgültigkeit und mitunter sogar Zorn.
»Wir genügen ihr nicht mehr!«, ängstigten sich die Einigen. »Unser degeneriertes Äußeres schreckt sie ab, und wir langweilen sie zu Tode!«

Also begann man, der Alienologie wieder mehr Achtung zu schenken, um die Einigen möglichst bald zu höheren Wesen zu fusionieren. Vier Arme sollten sie haben und mindestens drei Augen. Auch Kreuzungen mit Großvögeln wurden erprobt, um das Wachstum von Engelsflügeln zu begünstigen.

Einige stellten die Vermutung auf, dass Aliena einsam war, weil sie die einzige ihrer Gattung war. Man brauchte also bloß auf ein männliches Wesen derselben zu stoßen, das kaiserlichen Ansprüchen genügte. Die Einigen sandten Botschafter in die entlegensten Teile der Welt und hofften, dass sie nicht in der falschen Welt suchten.

Diese Expeditionen kehrten mit allerlei außergewöhnlichen Wesen zurück, doch unter den ganzen Paarflüglern, Dreibeinigen, Vierherzigen, Fünfmündern, Neunschwänzigen und Tausendzehern fand sich nicht ein einziger Ebenbürtiger. Mit brachten sie Geschenke aus kostbaren Materialien, große Augen und urkomische Geschichten. In endlosen Reihen wurden die Außergewöhnlichen der Kaiserin vorgeführt, die jeden von ihnen mit Respekt behandelte und derweil weiter in ihren eigenen Schatten trat.

»O Kaiserin!«, flehten die Einigen. »Gefällt Euch denn gar keiner von den Außergewöhnlichen?«
»Selbst wenn ich mir einen zum Gemahl wünschte«, seufzte sie, »könnte ich keine Zeit für ihn erübrigen. Liebe erfordert Hingabe, doch bin ich längst vergeben.«
»Ihr habt nur noch nicht den Richtigen gefunden, also haltet durch!«
In ihrem Eifer waren die Einigen blind, was sie noch bitter bereuen sollten.

Der letzte Außergewöhnliche, der Aliena den Hof machte, war Alius. Er war der einzige, dessen Gestalt nicht im Angesicht der Kaiserin verblasste, denn er war vierbeinig, besaß nicht vier, sondern sechs Arme und trug ein Geweih auf dem Kopf. Überdies war er von pechschwarzer Farbe und sah die Welt durch acht Augen. So wie Aliena das Licht verkörperte, war er die Inkarnation der Finsternis.

Dies erkannte auch Aliena, und als sie anstelle eines Gastgeschenks einen Dolch aus Obsidian überreicht bekam, sprach sie zu Alius: »Du bist mir willkommen, aber den Dolch behalte. Oder bist du ein Bote des Krieges?«
»Ich komme in Frieden«, versprach Alius, »und mein Geschenk war ein Test, denn ich musste mit eigenen Augen sehen, dass Ihr seid, wie man sich erzählt.«
Aliena, die nicht oft auf die Probe gestellt wurde, erwiderte zum ersten Mal in der Geschichte der Einigen: »Ich bin die Kaiserin.«

Zwischen den Silben umfasste dies, dass an ihrem Hof für gewöhnlich nur sie auf die Probe stellte. Dass ihr an ihrem guten Ruf gelegen war. Dass sie den Einigen nur einen Fingerzeig zu geben brauchte, um Alius gewaltsam zu entfernen, wobei ihm auch drei Paar Arme nicht nützen würden.

Gleichzeitig enthielt Alienas Ankündigung ein gesundes Maß an Neugier, wer dieser Außergewöhnliche war, der die Kaiserin herausforderte. Hierauf fokussierte sich Alius, als er log: »Ich hoffe, Ihr nehmt es mir nicht übel. Aber ich habe kein Interesse daran, Euch zu heiraten. Stattdessen bin ich hier, weil ich Eure Hilfe in Anspruch nehmen will.«
»Wie kann ich helfen?«, fragte Aliena und saß aufrechter auf ihrem Thron.
»Meine persönlichen Interessen außer Acht gelassen«, fuhr Alius fort, »muss ich trotzdem um Eure Hände anhalten.«

Anstatt ihre übliche Antwort zu geben, dass sie keine Zeit für Heirat habe, wiederholte Aliena: »Aber wie kann ich helfen?«
Alius erklärte: »Ich komme von einem fernen Stern, auf dem ich als Prinz geboren wurde. Leider herrscht dort seit vielen Jahren Krieg, und ein grausamer Ursupator besetzt meinen Thron, um meine Untertanen mit Feuer und Eisen zu quälen. Mit letzter Hoffnung klammern sie sich an eine Prophezeiung. Ich würd sie Euch gerne mitteilen, Aliena. Aber ich bin nicht sicher, ob Ihr sie ernstnehmen werdet.«

Den Einigen klang es allzu bekannt, denn obgleich sie nicht mehr die Anderen und die Fremden waren, konnten sie es auch nicht vergessen. Doch Alienas Gespür für Gerechtigkeit hatte auf sie abgefärbt, so dass sie riefen: »Sprecht, Außergewöhnlicher Alius! Wie lautet die Prophezeiung?«
»Sie besagt«, flüsterte Alius nur der Kaiserin zu, »dass das goldene Zeitalter erst anbrechen kann, wenn ein Vehikel aus dem Metall ferner Sterne eintrifft. An Bord befindet sich eine Jungfrau, die ein Geheimnis birgt.«
»Verrate es mir«, bat Aliena und nahm eine Hand von Alius.

»Die Jungfrau sieht die Welten durch ein unsichtbares Auge.«
»Was sieht sie?«, fragte Aliena und ergriff eine zweite Hand.
»Alles und nichts, das heißt eines, das Gleichgewicht sämtlicher Ordnungen. Sie sieht den rechten Weg vor sich, doch leidet sie darunter, weil ihre Kräfte begrenzt sind und ihre Untertanen oft vom Weg abkommen.«

Aliena nahm eine dritte Hand und ergänzte: »Gleichzeitig muss sie Ausschau halten nach all den falschen Wegen, sie in Gedanken allein gehen, so dass sie immer müde ist.«
Alius versicherte: »Bevor die Jungfrau eintrifft, schläft sie lange und tief.«

Schließlich gab die Kaiserin auch ihre vierte Hand und fragte: »Nur wer könnte die Prophezeiung erfüllen, wenn die Jungfrau längst keine mehr ist?«
»Ich traue meinen Augen«, erwiderte Alius. »immerhin habe ich acht davon. Eher bereitet mir Sorgen, dass die Jungfrau zu viele Arme haben könnte.«
Aliena errötete und ließ den Außergewöhnlichen los.

»Schön und gut«, fasste sie zusammen, »aber ein ferner Stern klingt weit, weit weg. Immerhin hat die Jungfrau bereits ein Volk zu führen. Auch rechtfertigt dein Anliegen nicht, um ihre Hände anzuhalten.«
»Dem Prinzen würde die Heirat helfen, seinen rechtmäßigen Thron zurückzufordern. Zwar wird er in der Prophezeiung nicht unmittelbar erwähnt, allerdings hat er etwas, das der Jungfrau fehlt, nämlich den Schlüssel zu ihrem Herzen.«

Die Kaiserin beschloss, dass der Außergewöhnliche sie amüsiert hatte. Dennoch erzählte er Märchen, bloß spannende Bettgeschichten, sie zu beeindrucken. Mit dem Ziel, ihr provokant den Hof zu machen. Alius war nur noch eine Andeutung davon entfernt, sich verabschieden zu müssen.
»Genug von der Jungrau«, beschloss Aliena, »und kein Wort mehr über mein Herz.«

Bevor er hinauseskortiert werden konnte, sprach Alius: »Ich kenne den Nutzen des wundersamen Vorkommens, das unter diesem Turm lagert, das Einfälle gibt, euch vereinigt und immer wieder den rechten Weg weist! Es ist der Treibstoff, der das Vehikel aus meiner Prophezeiung befeuert. Er ist so mächtig, dass er den kompletten Bauplan enthält und seine Umgebung transformiert, bis das Vehikel aus seiner Idee herausgewachsen ist.«

Da wurden den Einigen die Ohren und die Gesichter lang, denn Alius‘ Worte ergaben mehr Sinn, als sie sich eingestehen wollten. Das Alienum war übermächtig, es hatte sie lange in der Erde wühlen und sogar das Turmvehikel für die Kaiserin bauen lassen. Ganz zu schweigen von den übrigen Dingen, die Alius über das Alienum gesagt hatte, die noch kein Alienologe so offen formuliert hatte. Sie klebten an seinen Lippen und wollten alle Einzelheiten des wundervollen Treibstoffs erfahren.

Alius hingegen hatte nur Interesse an Aliena, die fürs Erste sprachlos war. Also verabschiedete er sich unerwartet und mit den Worten: »Es ist der Treibstoff, und Ihr seid der Katalysator. Unser Ehebund könnte der Zündfunke sein. Überlegt es Euch, Aliena.«

Der Außergewöhnliche bezog Quartier im Turm der Kaiserin, um ihr Zeit zu geben, gründlich über seine Worte nachzudenken. Die Einigen begegneten ihm mit Ehrfurcht und sorgten dafür, dass ihm an nichts mangelte. Ständig sah er ihnen an, dass sie Fragen hatten, die sie nicht auszusprechen wagten. Sie warteten erst ab, ob ihm die Kaiserin Vertrauen schenken wollte. Dabei wusste Alius längst, wie sie sich entscheiden würde, denn auch er sah durch die Kraft des Alienums den rechten Weg vor sich.

Nach drei schlaflosen Nächten ließ Aliena den Prinzen endlich zu sich rufen. Sie trafen sich, begleitet von einer kaiserlichen Eskorte, am Fuße des Turms, um das Alienum zu besuchen. Umschlossen von den fünf Säulen, auf denen der Turm ruhte, war die einst heilige Stätte einem gepflasterten Platz gewichen, der kaum noch Besucher und allenfalls Müllberge anzog. Doch störte sich Aliena diesmal nicht am Unrat, denn sie wollte mit Alius über größere Dinge sprechen.

»Wieso hier und warum wir?«, wollte Aliena wissen.
»Weil es einen Plan für uns ersonnen hat«, erwiderte Alius und streckte seine sechs Arme nach dem unberührbaren Alienum aus.
Da Aliena dies längst wusste, kam sie zur Sache: »In zehn Tagen werden die Sterne günstig stehen, dann soll unsere Hochzeit stattfinden. Bis dahin werden wir unsere Arbeiten am Vehikel vollenden, denn ich will bald in deine Heimat aufbrechen.«
Alius ging vor seiner Verlobten auf die vier Knie und küsste jede ihrer Hände.

»Was ist mit uns?«, forderte die Eskorte. »Was wird aus den Einigen?«
»Mein Volk soll uns begleiten«, entschied Aliena. »Vorausgesetzt, es ist willig.«
»Wir reisen mit Euch«, versprachen die Einigen, »denn wir leben für Euch. Wir würden sogar unser Leben für das Eure geben, sollte man Euch mit Feindseligkeit empfangen.«
»Es wird unvermeidbar sein«, versprach Alius.
»So es denn sein muss«, sprach Aliena.

Die Einigen begannen umgehend, den Turm zu einem Vehikel umzubauen, das die Welt noch nicht gesehen hatte. Neben Rost musste es nun zusätzlich gegen den Weltraum abgedichtet werden, dem man nachsagte, er gleiche in vielen Eigenschaften dem Alienum. Mit dem gewaltigen Unterschied, dass er tödlich war. So verglaste man das Vehikel mit einer Haut aus hemikristallinem Beryll, was die Einigen in Anbetracht der Zeit vor eine technologische Herausforderung stellte. Trotzdem sah man sie schon am achten Tage damit beschäftigt, die letzten Risse zu versiegeln.

Derweil trug man tonnenweise Proviant und Besitztümer in den Turm, denn niemand konnte abschätzen, wie lange sie unterwegs sein würden. Der Kaiserin war bewusst, dass das Vehikel nicht genügend Platz für alle bot. Daher wies sie die zurückbleibenden Einigen an, während ihrer Abwesenheit nach der Stimme des Alienums zu horchen. Sobald Aliena andernorts die Ordnung wiederhergestellt hatte, wollte sie zurückkehren, denn sie kannte ihr Volk und seine Verfehlungen.

Die Gestaltung des Antriebs überließen die Einigen weitestgehend dem Prinzen, der ihnen versicherte, dass sie sich um nichts zu kümmern brauchten. Das Blutsbündnis zwischen Aliena, dem Alienum und seiner selbst sollte am Tag der Hochzeit eine magische Kettenreaktion in Gang setzen, die genügend Energie freisetzen würde, das Vehikel und all seine Passagiere zu fernen Sternen zu bringen.

Fragten die Einigen ihn nach seiner Heimat, erzählte Alius bereitwillig davon: »Meine Hautfarbe kommt nicht von ungefähr, denn dort ist es dunkel, nass und kalt. Das Chaos, das dort waltet, möchte keine Sonne in Augenschein nehmen.«
»Aber sagt, woran wärmt Ihr Euch?«
»Eine Handvoll Vulkankrater und Erdspalten schüren die Glut unseres erbarmungslosen Daseins. Dort besitze ich Einfluss, doch bergen sie natürliche Gefahren. Hinzu kommen die umherziehenden Barbaren, deren einziges Gesetz das des Stärkeren ist. Ihr tätet gut daran, euch nicht allein in die Wildnis hinauszubegeben.«
»Wir fürchten uns vor nichts«, erwiderten die Einigen, »denn die Kaiserin weiß, was sie tut. Sie wird Eure Sonne sein.«

Wie im Flug vergingen die neun Tage der kaiserlichen Verlobung, bis schließlich der zehnte anbrach. Dieser sollte als größter Feiertag in die Geschichte der Einigen eingehen, weshalb man ihn gebührend zelebrierte. Das gesamte Volk war am Vehikel erschienen, um der Vermählung von Kaiserin Aliena und Prinz Alius beizuwohnen und Zeitzeuge dieses Spektakels zu werden; manchereins allein des Brautkleids aus Baumseide wegen, das mit frischen Rosengewächsen bestickt war.

Die Zeremonie dauerte vom Morgengrauen bis kurz vor Sonnenuntergang, zu welchem Zeitpunkt der Eheschwur gesprochen werden sollte. Hierfür hatten die Einigen im Alienum einen Altar errichtet, aus rotem Korund gehauen und mit Weißgold graviert. Die Inschriften hielten die Tüchtigkeit ihrer Kaiserin sowie die Prophezeiung fest, die der Prinz mit in die Ehe brachte. Einzig der Schwur fehlte und sollte nachgetragen werden, sobald Braut und Bräutigam ihr beidseitiges Einvernehmen geäußert hatten.

So forderte der Hohepriester sie auf: »Prinz Alius vom fernen Stern, möchtet Ihr Kaiserin Aliena die Erste zu Eurer Frau nehmen und in hiesigen wie jenseitigen Welten Fürsorge für sie tragen?«
»Ja, ich will!«, sprach Alius voller Stolz und Zuversicht.
»Kaiserin Aliena die Erste«, fuhr der Hohepriester fort, »möchtet Ihr den Prinzen zu Eurem Manne nehmen und ihm in goldenen wie in dunklen Zeiten stets zur Seite stehen?«

Aliena hielt inne und achtete auf den Weg, den das Alienum vor ihr zu beleuchten hatte, wie sie es gewohnt war. Doch schwieg es. Die Kaiserin wusste dies als Zeichen zu deuten, und so rekapitulierte sie ihre Überlegungen, die für oder gegen die Heirat mit dem Prinzen sprachen. Alle Gedanken wurden von der Erkenntnis überschattet, dass er sie belogen hatte.

»Nein, ich will nicht!«, gellte Aliena und ließ Alius und die Einigen gewaltig zusammenfahren. »Du bist kein Prinz von einem fernen Stern, sondern ein Schwindler! Ein hochbegabter Scharlatan, der mir eine Mär in den Kopf gesetzt hat, ebenso ins Herz! Ein Vehikel zur Hölle hast du uns bauen lassen!«
»Was fällt Euch ein?«, empörte sich Alius. »Was verleitet Euch zu einem derart weiblichen Stimmungsumschwung? Wollt Ihr Euch vorm Volk blamieren?«
»Ich bin die Kaiserin, die Entscheidung obliegt mir. Ich erkläre die Verlobung für nichtig.«
Erbost sprach Alius: »Ihr habt mich durchschaut, die Prophezeiung ist unwahr. Aber mein Motiv ist ehrlich, denn ich bin ein Prinz, und mein Volk braucht den wundersamen Treibstoff, sonst ist es verloren. Darum habe ich es im Guten mit Euch versucht, Aliena. Wenn Ihr mir den Treibstoff nicht überlasst, werde ich Euch alle töten.«

Schwer wog die Entscheidung auf Alienas Schultern, denn das Alienum schwieg weiterhin. Kurzerhand entschied die Kaiserin: »Der Treibstoff gehört den Einigen, zu denen du nicht mehr gehören sollst. Ich verbanne dich hiermit auf Lebenszeit.«

Da packte Alius die Kaiserin fest an den Flügeln und zog mit allen Händen daran. Ein Orkanbrausen ging durch das Volk, und es strömte zum Altar, um Aliena Beistand zu leisten. Es musste den beschämenden Anblick seiner Kaiserin über sich ergehen lassen, wie Alius ihr die Flügel ausriss.

Doch Aliena erhob sich unter Schmerzen und gebot dem aufgebrachten Volk: »Haltet ein, lasst ihn selbst zur Vernunft kommen.«
Ihre herrliche Geste von Güte erzürnte den Prinzen noch mehr, und er packte Aliena fest an den Armen, so dass er ihr zwei ausgerissen hatte, bevor ihr die Einigen zur Hilfe eilen konnten.

Schockiert mussten diese mit ansehen, wie ihre verstümmelte Kaiserin auf dem Altar zusammenbrach und ihnen noch immer befahl: »Lasst ihn in Frieden.«
Noch erboster als zuvor, schrie Alius: »Ich werde euch alle töten, und Euch zuerst!«
Er schlug Alienas Kopf gegen den roten Korund, zückte den Dolch, den sie verschmäht hatte, und stach ihr durch das dritte Auge tief in die Stirn, um sie an den Altar zu nageln.

Nun ließ auch das Volk den Wütenden nicht mehr von selbst zur Vernunft kommen, und es griff ihn von allen Seiten an. Alius war den Einigen körperlich weit überlegen und ein erbarmungsloser Gegner, der viele erschlug, mit dem Geweih aufschlitzte oder in der Luft zerriss. Kugeln prallten an ihm ab, was weitere Einige das Leben kostete, und die Menge konnte ihn nicht erdrücken, weil er so unsagbar stark war.

Während der Außergewöhnliche die Einigen einen nach dem anderen abschlachtete, verstarb Aliena an ihren gravierenden Verletzungen. Kaum lief ihr Blut am Altar herab und versickerte zwischen den Fugen, ging eine Erschütterung durch den Boden und warf die Kämpfenden nieder. Es war das Alienum, das Anteil nahm an Alienas Tod.

Dies hatte Alius erhofft, und er schlug sich den Weg zum Altar frei, den er bestieg, um aus allen Lungen zu brüllen: »Ich bin Alius!! Euer Kaiser! Fallt mir zu Füßen, oder ich lasse Feuer regnen und die Erde beben!«

Daraufhin riss er den Leichnam der Kaiserin der Länge nach mit dem Dolch entzwei, so dass ihr Blut auf einen Schlag entwich. Sowie es versickert war, ging ein Beben durch die Erde, so gewaltig, dass es Beine brach und Gemäuer zum Einsturz brachte. Auch der Turm der Kaiserin konnte den gewaltigen Kräften nicht länger standhalten und stürzte ein, womit er Tausende Einige unter sich begrub. Wer den Tod nicht in seinen Trümmern fand, wurde vom anschließenden Erdrutsch erfasst, der die Stadt dem Erdboden gleichmachte.

Zehn Tage brauchte der Staub, um sich zu legen. Nur noch hier und dort ragten vereinzelte Spitzen aus dem Sand, doch der Rest der Stadt ward nie wieder gesehen. Auch von den Einigen fehlte jegliche Spur. Übrig blieb bloß das Alienum.

Eine Zeitlang hatte das Alienum noch Gesellschaft, denn der Außergewöhnliche Alius war am Leben. Tief unter der Erde lag er gefangen, umgeben von festem Gestein und unfähig, sich zu rühren. Während die Einigen einen raschen Tod gefunden hatten, musste Alius langsam ersticken.

Er wusste, dass nur das Alienum ihm helfen konnte, also bat er: »So nimm ein wenig von meinem Blut, um noch einmal solch einen Erdrutsch zu verursachen, damit ich mich an die Oberfläche graben kann. Ich werde dein Werk vollenden und dich heimbringen. Wenn ich umkäme, müsstest du von vorne beginnen.«
Das Alienum schwieg.

»Was ist es, das du willst?«, fuhr Alius fort. »Regentschaft? Ich gebe mich geschlagen! Oder ist es Reue, die du von mir forderst? Ich verstehe dich gut genug, du willst mich belehren. Aber ich war so zornig! Nun werde ich mein Volk nicht retten, für das ich ein zweites geopfert habe. Schlimmer noch, Aliena habe ich geopfert. Die Tugendhaftigkeit habe ich ermordet. Es ist zu schwer für mich. Ich bin es leid, lass mich nun gehen.«
Das Alienum schwieg weiterhin, und so verstummte auch Alius. Er starb mit dem erlösenden Gedanken, dass er seinen letzten Atemzug nicht vergeudet hatte, indem er dem Alienum seine Schuld gestanden hatte.

Alle, die da gelebt hatten, waren nun tot. Das Alienum hingegen war noch immer. Es wies denjenigen den rechten Weg, die von ihm abgekommen waren.

Darum entschied Aliena sich für einen anderen Weg und antwortete stattdessen: »Ja, ich will.«

Sie nahm den Prinzen in die Arme und küsste ihn lange, und das Volk brach in Jubel aus.
»Kaiser Alius der Erste und Kaiserin Aliena die Erste«, bekundete der Hohepriester, »ich erkläre Euch hiermit zu Mann und Frau. Möget Ihr einander ewig Frieden bringen.«
»Lasst uns keine Zeit verlieren«, beschloss Aliena und ließ sich von ihrem Bräutigam den Dolch reichen.

Während sie den Blutschwur vollzogen, fiel ein Tropfen auf den hochheiligen Boden, woraufhin die Erde zu summen begann. Die Einigen gerieten in Aufregung und begannen, von allen Seiten in das Vehikel zu strömen, um unter keinen Umständen zurückgelassen zu werden. Was sie für die Reise benötigten, befand sich an Bord, sobald Aliena hinzugestiegen war.

Kaum hatte das Brautpaar die neunundvierzigste Etage erreicht, begann das Vehikel zu vibrieren, bis man das eigene Wort nicht mehr zu verstehen vermochte. Die Einigen eilten an ihre Beryllfenster und erschraken, als sie ihre Heimat unter sich verschwinden sahen. Ob sie das Alienum ebenfalls zurückließen, wusste niemand zu beantworten.

Das Himmelblau wurde zu tiefem Schwarz, gespickt mit Sternen, von denen einer ihr Ziel war. Niemand konnte sagen, wie lange sie unterwegs sein würden, nicht einmal Kaiser Alius. Dieser hatte alle sechs Hände voll zu tun, den Einigen ein guter Herrscher zu sein. Denn er verbrachte seine Tage zwischen Audienzen, zu denen das Volk sein täglich Leid klagen konnte. In der Regel waren dies Kleinigkeiten, die aus dem allgegenwärtigen Platzproblem und schierer Langeweile resultierten. Hin und wieder kam es jedoch zu schweren Übergriffen, so dass Alius die Beherrschung verlor und Gewalt androhte. Stets besann er sich jedoch rechtzeitig, beendete die Audienz und suchte Trost bei Kaiserin Aliena.

Diese hingegen ward beim Volk deutlich seltener gesehen, weil ihr guter Schlaf prophezeit worden war. Wenn sie sich doch einmal unter die Einigen wagte, erschraken diese oft, wie ähnlich die Kaiserin ihnen inzwischen schien. Zwar wirkte sie noch Gutes, wo sie ging und stand, allerdings sah man ihr das Eheleben deutlich an.

So verwundete es die Einigen nicht, als Aliena nach drei Jahren Winterschlaf ihre Gemächer verließ und fortan nie mehr ohne einen Korb gesehen war, in dem ein kleines Wesen lag, das drei Beine, fünf Arme und stahlgraue Haut hatte. Niemand wusste, wie viele Augen es besaß, da es meistens schlief. Auch seine Finger waren noch zu klein, sie alle zu zählen.

Das Wesen wuchs als Prinz Alienus unter seinesgleichen auf und sollte Allen ein Herrscher werden, der seine Mutter mit Stolz erfüllte. Die Geschichte des Volks Aller aber soll ein anderer erzählen, denn lang war die Reise der Einigen, und länger die Geschichte des Alienums, das den Einigen den rechten Weg weisen sollte. Und wenn sie nicht gelandet sind, so reisen sie noch heute.

 
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Hallo @imperfektionist ,

willkommen zurück, schön, dass du wieder ins Forum gefunden hast! :gelb:
Kleiner Tipp: Gerade, wenn du eine längere Geschichte einstellst, wäre es sinnvoll (bezogen auf: dadurch selbst mehr Kommentare bekommen, aber auch Geben & Nehmen = Fairness), wenn du anderen konstruktives, ausführliches Feedback dalassen würdest.

Als ich den etwas sehr stark gebrochenen Einstieg hinter mir hatte *), erwartete ich eigentlich, dass mir der Text gefällt. Dieses Alienum erinnerte mich an den verwunschen Sumpf in Montag beginnt am Samstag (Strugatzkis), bzw. die Artefakte aus der Zone in Picknick am Wegesrand, und dann auch sowas wie 'Schrödingers Alienum', das eben - wenn man es nicht observieren kann - existiert oder nicht. (Okay, du hast nicht SF getaggt, aber auch Märchen können darüber erzählt werden - siehe Star Wars, und dann gerade die Strugatzkis, u.a. Picknick mit der goldenen Kugel und dem unlösbaren moralischen Dilemma am Ende; oder Die hässlichen Schwäne.) Ich nehme an, Schrödingers Katze hat auch deine Plotstruktur gestellt? Die Idee fände ich an sich sehr charmant.

Je weiter du erzählst, je mehr hab ich meinen Irrtum erkannt - die kleinen SF-Einsprengsel verschwinden im konservativem Märchen, das wie Dickens eine - sorry! - extreme Holzhammermoral an den Leser bringt. Und zwar auch mit dem Holzhammer.

Das Schöne am Symbolismus ist ja eigentlich, dass man - wenn man nicht grad zu den Grimms oder den Autoren der Bibel zählt - etwas subtil, unauffällig, unter der Oberfläche vermitteln kann. Auch ggfs. mit Ambivalenzen. Damit der Leser selbst denken, selbst etwas herausfinden kann und Parallelen zur Realität (tag 'Gesellschaft') ziehen. Dieses Selbst-etwas-Herausfinden ist einer der größten 'pay offs', den Literatur beim Leser erreichen kann. Wenn man merkt, dass man auf etwas gekommen ist, das die ganze Zeit subtil angelegt war und man erst im Nachhinein merkt, wie die Geschichte eigentlich aufgezogen war, was dort 'wirklich' erzählt wurde. Aber dabei eben auch noch eine Menge eigene Ideen / Konzepte damit verknüpfen kann, die mit dem Erkennen nicht wertlos werden, sondern mit dem Ganzen quasi ein individuelles Gewebe bilden.

Diese Freiheit lässt du mir Leser nicht. Du verwendest eine extrem überdeutliche Symbolik, unterstreichst sie durch die Namen der Figuren, biegst den Plot darauf hin, erklärst sie laufend durch den Erzähler und buchstabierst auch noch aus, worum es geht - schlimmer noch: was hier moralisch korrekt und was falsch sei, wie ich Leser das zu sehen habe. Die Figuren und ihre Dialoge sind rein parabelhaft, stellen schwarz-weiß-Haltungen dar, und schlimmer: Der Erzähler führt die Figuren vor, erhebt sich intellektuell über sie, was ihn sehr unsympathisch, bigott erscheinen lässt. Ich kann so dasitzen - untätig, passiv - und mir das anhören. Ich kann nicht selbst darüber nachdenken, dafür bleibt kein Spielraum. Vielleicht gehöre ich zu den eher opportunistischen Lesern, aber ganz harsch gesagt: Auf sowas habe ich keine Lust. Das ist frustrierend, nicht spannend.

*) Zum Intro: Fast bissl metafiktional gedacht, teasert der Erzähler etwas, nimmt es wieder zurück, korrigiert sich und behauptet dann was anderes, das er gleich wieder infrage stellt. Nicht nur ein Mal, mehrmals. Das macht den Einstieg unhandlich. Ich erwarte nicht, dass mich ein Erzähler 'mitnimmt', aber einer, der sagt: Haha, bin ich nicht schlau, wie ich dich an der Nase herumführe und du Depp Leser hörst mir hier auch noch zu. Naja. Denn es stellt sich ja heraus, dass der Erzähler nicht selbst in der Geschichte verloren ist, sondern das alles sehr gut im Griff hat, fast schon wie der gottgleiche, allwissende Lenker aus der Zeit vor ... wasweißich, der französischen Revolution.
Da würde ich raten, im Intro nur einen Schwenk / Korrektur zu nehmen. (Wozu das Rumgeiere überhaupt? Der Erzähler weiß ja sehr gut, was Sache ist; er hat sogar eine dezidierte Haltung zu allem, die er dem Leser andient.)

Am Anfang war das Alienum. Am Ende war das Alienum immer noch. Und was dazwischen geschah, soll in diesem Bericht geschildert werden. Nicht plausibel, denn das Alienum hatte wenig mit Vernunft zu tun. Auch nicht aufregend, denn das Alienum tat nichts außer zu sein. Erst recht nicht komisch, denn das Thema ist todernst. Also lasst es euch als Warnung dienen!
Beim Zitieren hat das Programm die Sätze nun zum Fließtext (= damit auch im korrekten Sinnzusammenhang) hintereinander gefügt, und genau das wollte ich auch raten. Einzeln rausgestellte Sätze wirken kindlich, schreien: Ich bin wichtig, schau mich an! Und dann wirkt es paradoxerweise nicht mehr wichtig, sondern irgendwie albern. Hast du auch später ab & zu.

Wie Einer überhaupt bemerkte
Langsam hab ich den Eindruck, dass Wörter als Eigennamen zumindest hier im Forum zur Marotte werden. Da der Text ohnehin schon extrem symbolisch ist, hätte ich mir zumindest für die Volksstämme und Figuren anständige = organisch wirkende Namen gewünscht. So engagiere ich mich nicht. Denn auch deine Sprache ist sehr steif (absichtlich antiquierter Märchenstil, teils vllt. biblische Einsprengsel), das schafft bereits starke Distanz.

Alle, die da lebten, waren nun tot.
Tempusfehler: Alle, die gelebt hatten, waren nun tot.
Bin nicht sicher, ob da mit Vergangenheitsform funzt, weil es ein Verweis aufs Hier & Jetzt ist.
Du verwendest das auch sehr oft, vielleicht mal mit einem Suchprogramm in deinem Dokument zählen lassen und ggfs. aussieben.
Das Alienum schwieg weiterhin, und so verstummte auch Alius. Er starb mit dem erlösenden Gedanken, dass er seinen letzten Atemzug nicht vergeudet hatte, indem er dem Alienum seine Schuld gestanden hatte. Alle, die da lebten, waren nun tot.
Das Alienum hingegen war noch immer.
Es wies denjenigen den rechten Weg, die von ihm abgekommen waren. Darum antwortete Aliena stattdessen: »Ja, ich will.« Sie nahm den Prinzen in die Arme und küsste ihn lange, und das Volk brach in Jubel aus. »Kaiser Alius der Erste und Kaiserin Aliena die Erste«, bekundete der Hohepriester, »ich erkläre Euch hiermit zu Mann und Frau. Möget Ihr einander ewig Frieden bringen.«
»Lasst uns keine Zeit verlieren«, beschloss Aliena und ließ sich von ihrem Bräutigam den Dolch reichen.
Dieses stattdessen bezieht sich auf eine Entscheidung von ca. 100+ Zeilen zuvor, das hab ich hier doch nicht mehr auf dem Schirm, also beim ersten Durchgang nicht so gelesen und bin massiv ins Schleudern gekommen, warum plötzlich alles wieder auf Null steht (was diesen Plotstrang angeht).
Hier dringend klarmachen, dass - anders, als der allwissende Erzähler es grad behauptet hat ('alle sind tot') - alle gerade nicht mehr tot sind, sondern leben bzw. in einer Zeitschleife zurückversetzt wurden oder einen anderen Zeitstrang / eine andere Dimension ausleben. (Ich nehme an, das bezieht sich auf die Multidimensionalität wie in der Quantenphysik vorgeschlagen? Die Idee, in jeder Dimension befänden sich quasi Miniaturdimensionen und es gäbe unendlich viele Varianten von uns und allem anderen, das alles unterschiedliche Verläufe nimmt? Bzw. dieses Schrödinger-Motiv vom Beginn?)

Extrem ungünstig, weil ich mich da auf das Ende der Geschichte eingestellt hatte und plötzlich wieder mit der Heirat zu tun habe, wo ich meinte, schon gewesen zu sein. Ich hatte es aber grad ganz cool gefunden, dass alle sterben, das gibt dem Moralisieren einen dezent dystopischen Touch.
Es gibt sowas zwar in Märchen, aber da sind die 'Fehlwege' ganz wesentlich kürzer und auch als solche von Anfang an ersichtlich, nachvollziehbar.

Unterm Strich finde ich, dass dir ein sehr ausführlich-detailreicher, gut ausformulierter Weltenbau gelingt, dass du dir viel Zeit mit deiner Geschichte lässt, dass diese Idee einer zweiten Realität / eines Parallelstranges, der sich durch eine andere Entscheidung eröffnet (glaube, da gibt es einen Film, Turn Left, Turn Right, spannende Sache!), diese ganze angedeutete Multidimensionalität und das absurd Verzweifelte der Figuren, eine nichtgreifbare und letztlich nichtexistente Entität dingbar, nutzbar, zu machen und ihr gesamtes Selbstverständnis, ihre Existenz daran zu knüpfen (= das Urprinzip von Religionen) ist imA sehr gut gemacht.
Ich sehe, wie du innerhalb deiner Welt denkst, dass du dieser internen Logik folgst, dass du dich nicht mit einer simplen Plotline von A nach B begnügst. Viele eingewobene, spannende Ideen und Konzepte. Die Sprache ist - offensichtlich gewollt - vielleicht etwas steif, aber sie setzt sich andererseits damit ab von vielen anderen Texten.

Auf der Minusseite (andere Leser mögen das ganz anders sehen!) steht bei mir:
- Zu deutliche Symboliken / Aussagen / Moral (bei den Szenen mit den Bergwerken schon fast ein pro-kommunistisches Märchen, hart gesagt: gut gemeinte Propaganda).
- Der Erzähler - in diesem Fall in Personalunion mit dem Autor - reibt dem Leser zu stark rein, worum es geht und wie er darüber zu denken / urteilen hat.
- Die Geschichte verliert recht früh (beim Einfangenwollen des Alienums dann durchs ganze Dorf) enorm an Spannung, weil offensichtlich wird, dass ich Leser an dem Ganzen keinen aktiven Anteil haben darf.
- Obwohl Beweggründe beim Märchen eine untergeordnete Rolle spielen können, sind mir diese gut/böse-Entscheidungen zu wenig in den Figuren verankert. Jemand muss 'gut' sein, jemand muss 'böse' sein und so wird eben aufgeteilt. Als sich da nix weiterentwickeln kann, kommen Fremde und alles incl. dieser Aufteilung beginnt von neuem, nur um eine Ebene höher verschoben.
- Der Erzähler erhebt sich über seine Figuren, schaut teils explizit auf sie herab / führt sie vor. Ein Erzähler, der selbst nicht zweifelt, keinem Dilemma unterworfen zu sein scheint, kann unflexibel, uninteressant und fehlgeleitet autoritär wirken (Meine: Autorität, die sich ausschließlich auf das Selbstbild einer Person stützt, nicht auf allgemein nachvollziehbare Entscheidungen / Aktionen).
- Zu redundant codierte Motive / Themen = 1. Symbolik (Bilder an sich), 2. Figuren, 3. Plotstruktur = Konsequenzen, 4. explizite Ansagen des Erzählers, 5. Gleichnis-Charakter des Textes, 6. Eigennamen, 7. Dialoge, 8. Sprachstil / Tonfall.
- Letztlich auch: zu altmodische Moral und zu altmodische Moralvermittlung für einen Text, der mit einem frech lügenden Erzähler und Themen aus der Physik beginnt.

Die titelgebende 'Substanz' interpretiere ich übrigens als ein Sinnbild für alles, das zur Selbstentfremdung führt. -> Alien = das Fremde / Außerirdische, Alienists waren aber auch die ersten Psychiater, Therapeuten. Damit - wie mit allem anderen hier Interpretierten - kann ich selbstverständlich auch völlig dem Holzweg sein.

Ich hoffe sehr, du kannst mit meiner Rückmeldung etwas anfangen, ich meine nichts davon irgendwie unfreundlich.
Und wie gesagt: Geben und Nehmen, sonst kann dieses Forum nicht funktionieren. ;) (Das muss nicht direkt bei denen passieren, die dich kommentieren, jeder hier wartet ja auf Komms.)

Herzlichst,
Katla

 
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Hallo @Katla ,

lieben Dank erstmal, dass du meine (zugegebenermaßen provokant lange) Geschichte gelesen hast. Umso größeren Dank für die fundierte Analyse und Kritik, zumal sie beinahe so lang ist wie meine Geschichte.

Vorab: Selbstverständlich werde ich zuerst die Beiträge anderer kommentieren, bevor ich das nächste Mal wieder einen eigenen hochlade. Ich war noch der Meinung, mir damals einen gewissen Vorrat angespart zu haben, aber das ist so lange her, dass man ihn als verjährt bezeichnen könnte.

Ungefähr von leicht nach schwer sortiert:

Tempusfehler: Alle, die gelebt hatten, waren nun tot.
Bin nicht sicher, ob da mit Vergangenheitsform funzt, weil es ein Verweis aufs Hier & Jetzt ist.
Du verwendest das auch sehr oft, vielleicht mal mit einem Suchprogramm in deinem Dokument zählen lassen und ggfs. aussieben.
Ups, du hast natürlich vollkommen recht, hier besser Plusquamperfekt. Wird korrigiert. Wegen der vielen „da“ habe ich gerade noch mal auf Wiktionary nachgeschaut. Keine Ahnung, wie anerkannt die Seite hier ist, aber ich benutze sie gerne. Da steht unter Bedeutungen: „temporal: [3] zu diesem Zeitpunkt, in diesem Moment.“ Da (du merkst, ich amüsiere mich) ich aber auch kein Freund von Wortdopplungen bin, werde ich den Text auf jeden Fall noch mal durchgehen und mitzählen, ob und wo ich es mit dem Wort übertrieben habe.

EDIT: Der Großteil der vielen „da“ war kausal, aber ich habe einige durch „weil“ ersetzt, auch wenn ersteres für mich altmodischer und damit stilgerechter klingt. Ein paar temporale „da“ konnte ich durch „schließlich“ oder „danach“ ersetzen. Insbesondere bei „Alle, die da gelebt hatten, waren nun tot“ werde ich es aber behalten, da es sowohl temporal als auch lokal aufgefasst werden könnte. Beides ergibt Sinn, auch in Hinblick auf Multidimensionalität (dazu unten mehr).

Langsam hab ich den Eindruck, dass Wörter als Eigennamen zumindest hier im Forum zur Marotte werden. Da der Text ohnehin schon extrem symbolisch ist, hätte ich mir zumindest für die Volksstämme und Figuren anständige = organisch wirkende Namen gewünscht. So engagiere ich mich nicht.
Dass Personalpronomen im Forum schon häufiger als Eigennamen verwendet wurden, ist mir ehrlicherweise entgangen. Für mich gehörte es hier von Anfang an dazu, denn als Wortgrundlage von „Alienum“ möchte ich nicht nur lat. „alienus“ = „fremd/fremdartig“ aufführen, sondern auch „alius“ = „ein anderer/andersartig“. Mit der Netflix-Serie hat das übrigens nichts zu tun, die habe ich noch nicht geschaut.

Beim Zitieren hat das Programm die Sätze nun zum Fließtext (= damit auch im korrekten Sinnzusammenhang) hintereinander gefügt, und genau das wollte ich auch raten. Einzeln rausgestellte Sätze wirken kindlich, schreien: Ich bin wichtig, schau mich an! Und dann wirkt es paradoxerweise nicht mehr wichtig, sondern irgendwie albern. Hast du auch später ab & zu.
Ich verstehe, was du meinst, hatte ich so noch nicht wahrgenommen. Das Herausstellen von Sätzen hatte ich mir gedanklich als kleine Pause vorgestellt, was natürlich am Anfang eines Textes unsinnig ist. Interessanterweise ist mir beim Formatieren fürs Forum auch schon durch den Kopf gegangen, ob sich daran jemand stören könnte. An sich tut es mir nicht weh, die rausgestellten Sätze zu normalen Absätzen zusammenzufügen, was ich demnach auch tun werde.

Denn auch deine Sprache ist sehr steif (absichtlich antiquierter Märchenstil, teils vllt. biblische Einsprengsel), das schafft bereits starke Distanz. [...] Die Sprache ist - offensichtlich gewollt - vielleicht etwas steif, aber sie setzt sich andererseits damit ab von vielen anderen Texten.
Ich weiß auch nicht, was mich geritten oder inspiriert hat. Die altmodische Sprache hat sich beim Anlauf, ein Märchen zu schreiben, einfach natürlich angefühlt. Auch finde ich nicht verwerflich, die eine oder andere vom Aussterben bedrohte Phrase einzubauen und somit zumindest in meinem eigenen Sprachgebrauch länger am Leben zu halten. Wie du aber richtig erkannt hast, war das Ganze beabsichtigt, und ich schreibe normalerweise nicht so gestelzt – vermutlich auch nie wieder.

Der Erzähler führt die Figuren vor, erhebt sich intellektuell über sie, was ihn sehr unsympathisch, bigott erscheinen lässt. Ich kann so dasitzen - untätig, passiv - und mir das anhören. Ich kann nicht selbst darüber nachdenken, dafür bleibt kein Spielraum. Vielleicht gehöre ich zu den eher opportunistischen Lesern, aber ganz harsch gesagt: Auf sowas habe ich keine Lust. Das ist frustrierend, nicht spannend.
Tut mir leid, dass dir insbesondere der Erzähler nicht gefallen hat. Auch dieser hängt vermutlich mit meiner Vorstellung eines Märchens zusammen, wo einem die Erzähler häufig die Intentionen des Bösewichts direkt auf die Nase bindet. Ich schau mal, wie ich die allwissende Stimme etwas weniger arrogant bekomme. Allerdings wäre es vermutlich nicht mit ein paar veränderten Sätzen getan. So gesehen habe ich auch keine Ahnung, wie man in diesem Falle (Märchen?) dem Leser mehr aktiven Anteil zukommen lassen kann. Ich weiß durchaus, spannende Geschichten mit Thrill zu schreiben, wo ich gezielt Informationen weglasse oder die Gedanken der Charaktere verschleiere. Aber dass bei einem Märchen die Spannung nicht aus den Geschehnissen, sondern ebenfalls aus dem Erzählstil resultiert – darüber habe ich mir nicht ausreichend Gedanken gemacht bzw. werde noch länger darüber nachdenken.

Dieses stattdessen bezieht sich auf eine Entscheidung von ca. 100+ Zeilen zuvor, das hab ich hier doch nicht mehr auf dem Schirm, also beim ersten Durchgang nicht so gelesen und bin massiv ins Schleudern gekommen, warum plötzlich alles wieder auf Null steht (was diesen Plotstrang angeht).
Hier dringend klarmachen, dass - anders, als der allwissende Erzähler es grad behauptet hat ('alle sind tot') - alle gerade nicht mehr tot sind, sondern leben bzw. in einer Zeitschleife zurückversetzt wurden oder einen anderen Zeitstrang / eine andere Dimension ausleben. (Ich nehme an, das bezieht sich auf die Multidimensionalität wie in der Quantenphysik vorgeschlagen? Die Idee, in jeder Dimension befänden sich quasi Miniaturdimensionen und es gäbe unendlich viele Varianten von uns und allem anderen, das alles unterschiedliche Verläufe nimmt? Bzw. dieses Schrödinger-Motiv vom Beginn?)
Der schnelle Übergang und der daraus resultierende kurze Moment der Verwirrung waren durchaus beabsichtigt, daher kommt der Satz mit dem stattdessen sogar erst als zweiter in seinem Absatz. Einen stumpfen Übergang, zum Beispiel durch einen Asterisk vor dem alternativen Ende, fänd ich nicht schön. Dann würde ich mir ebenfalls die Frage stellen: „Wozu das alternative Ende?“, und hätte den Rest vielleicht gestrichen. Auch wenn es dir besser gefallen hätte, würde mir dann total etwas fehlen. Das alternative Ende ist wichtig, weil es unterstreicht, dass Aliena für ihr Volk jeden Weg, auch die ungünstigen, einmal gehen muss, um sich für den richtigen zu entscheiden. Das Massaker ist eben einer von den ungünstigen. Da ich auch nicht weiß, wie Multidimensionalität oder Paralleluniversen funktionieren, habe ich versucht, den Übergang so flüssig wie möglich zu gestalten. Vielleicht auf Kosten der Verständlichkeit, aber du hast ja sicher auch schnell gemerkt, dass es sich um ein paralleles Ende handelt. Ich bin absolut offen für Vorschläge, wie man den Übergang anders oder besser gestalten könnte. Oder wie man mit dem „alle, die in einer Dimension gelebt hatten, sind in einer anderen nicht tot“ umgeht.

Dazu möchte ich anmerken, dass ich dieses Stilmittel unbewusst aus dem vierten Twilight-Band Breaking Dawn (Biss zum Ende der Nacht) geklaut habe. Dort gibt es zum Ende eine ähnliche Sequenz, wo Vampirin Alice, die in die Zukunft schauen kann, ein grässliches Ende fast aller Beteiligten vorhersieht, sollte es zum Kampf kommen. Niemand weiß, wie Alices Gabe funktioniert oder warum vorhergesehene Dinge unter gewissen Umständen doch nicht passieren. Genauso überraschend ist der Schnitt, zu dem es ins alternative Happy-End geht (wobei ich mich hier fairerweise am Film orientiere und aktuell nicht im Kopf habe, wie das im Buch gelöst ist).

Sowohl Picknick am Wegesrand als auch Schrödingers Katze kann ich als weitere Einflussquellen nicht ausschließen. Schön, dass du Schrödinger auf die Plotstruktur bezogen hast, gefällt mir persönlich als Interpretation besser als „Twilight“. 😉 Persönlich bin ich übrigens mehr Fan von Schrödingers Handy: Wenn es dir runterfällt und auf der Vorderseite landet, ist das Display gleichzeitig zerbrochen und heil, solange du das Handy nicht umdrehst.

Obwohl Beweggründe beim Märchen eine untergeordnete Rolle spielen können, sind mir diese gut/böse-Entscheidungen zu wenig in den Figuren verankert. Jemand muss 'gut' sein, jemand muss 'böse' sein und so wird eben aufgeteilt. Als sich da nix weiterentwickeln kann, kommen Fremde und alles incl. dieser Aufteilung beginnt von neuem, nur um eine Ebene höher verschoben.
Mit der Gut-Böse-Prädisposition habe ich es hier wirklich etwas übertrieben. Die tugendhafte, engelsgleiche Aliena und der pechschwarze, höllische Alius. Auch hier dachte ich, das wäre typisch märchenhaft, da auch für junge Menschen einfach zu begreifen. Nicht dass ich versucht hätte, bewusst für Kinder zu schreiben, denn die Zielgruppenproblematik ist sowieso eine meiner größten. Ich dachte eher im Sinne von positiven/negativen Eigenschaften. So ist die tugendhafte Aliena auch nicht perfekt, da sie sich zum Beispiel selbst aufgibt und unter ihrer Einzigartigkeit und Einsamkeit leidet, was ja auch als Arroganz aufgefasst werden könnte. Genauso wenig ist Alius nur schlecht, da er im ersten Ende konfrontiert wird, obwohl er vielleicht nur das Überleben seines eigenen Volks auf dem fernen Stern beabsichtigt, und im zweiten Ende bemüht ist, dem Volk der Einigen ein guter Herrscher zu sein. Aber ja, grundsätzlich schreibe ich auch lieber ernstzunehmende graue Charaktere, nur eben in anderen Genres.

Zu redundant codierte Motive / Themen = 1. Symbolik (Bilder an sich), 2. Figuren, 3. Plotstruktur = Konsequenzen, 4. explizite Ansagen des Erzählers, 5. Gleichnis-Charakter des Textes, 6. Eigennamen, 7. Dialoge, 8. Sprachstil / Tonfall.
Hier möchte ich mich gar nicht groß rausreden, sondern stattdessen lieber eine Symbolik aufführen, die du nicht erwähnt hast, die mir persönlich aber wichtig ist: Das substanzlose Alienum und die Vermehrung von Einem zu den Anderen zu den Fremden, den zusammengefügten Anderen und den Einigen, darüber Aliena mit ihren vier Armen und drei Augen, dann Alius mit umso mehr Gliedmaßen etc., eine Vervielfachung der Organe also, könnten auch als Zellteilung und Evolution eines einzelnen Super-Organismus aufgefasst werden. Der technologische Fortschritt einem einzelnen durch die Wüste hüpfenden Jäger/Sammler bis hin zu einem gemeinsamen Mehrgenerationen-Raumschiff unterstreicht das.

Ich hoffe, ich habe keine deiner Anmerkungen vergessen, ansonsten lass es mich gerne wissen. Mein persönliches Fazit: Vielleicht hätte ich mehr Märchen lesen sollen, bevor ich selber eins geschrieben habe. (Das lässt sich natürlich auf sämtliche Genres anwenden.) Dann wäre mir sicher das eine oder andere aufgefallen, das Subtilität und Graustufen statt Holzhammer und schwarz-weiß verwendet, und hätte es mir zunutze machen können.

Vielen Dank noch einmal

imperfektionist

PS: Bist du eigentlich nach dem Monster aus Die Brüder Löwenherz von Astrid Lindgren benannt? Das Buch hatte mir mein Vater vorgelesen, als ich noch klein war, und der Name „Katla“ ist so ziemlich das Einzige, was hängengeblieben ist. Sogar den Buchtitel musste ich gerade googeln.

 
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Hallo @imperfektionist ,

vielen herzlichen Dank für deine ausführliche Antwort, das war enorm spannend.

"Dazu hab ich keine Lust" ist vielleicht auch arg harsch gewesen - ist so, dass ich bei Geschichten / Romanen (auch Filmen) immer stark yay / nay reagiere, aber das hat nicht mit Unfreundlichkeit zu tun, sondern Leidenschaft. Dann kocht mir das Blut über oder ich bin schnell enttäuscht. Oder eben auch total aufgehypt, wenn mir wirklich was gefällt.

Insbesondere bei „Alle, die da gelebt hatten, waren nun tot“ werde ich es aber behalten, da es sowohl temporal als auch lokal aufgefasst werden könnte. Beides ergibt Sinn, auch in Hinblick auf Multidimensionalität (dazu unten mehr).
Ja, das sehe ich auf jeden Fall auch so.
Aber cool, dass du für einige andere guten Ersatz gefunden hast. Manchmal drängt sich ja so ein Stilmittel auf und dann passt es plötzlich überall so super gut, aber kann dann schnell auffallen und die Wirkung verlieren.

„alius“ = „ein anderer/andersartig“.
Ah ja, stimmt, schon länger her, aber Latein hatte ich auch mal.
Ich weiß auch nicht, was mich geritten oder inspiriert hat. Die altmodische Sprache hat sich beim Anlauf, ein Märchen zu schreiben, einfach natürlich angefühlt.
Das fand ich auch gerade sehr gut.
Aber dass bei einem Märchen die Spannung nicht aus den Geschehnissen, sondern ebenfalls aus dem Erzählstil resultiert – darüber habe ich mir nicht ausreichend Gedanken gemacht bzw. werde noch länger darüber nachdenken.
Es kommt vielleicht drauf an, an welche Märchen man denkt. Hans Falladas Geschichten aus der Murkelei (sind das überhaupt Märchen?) sind extrem grausam und ohne die typische Struktur, v.a auch ohne eine deutlich leitende Moral.
H. C. Andersens Märchen sind oft unvorhersehbar und haben ja einen dunklen Twist, wo man ansonsten vielleicht einen Schwenk zum Positiven erwartet hätte: "Das Mädchen mit den Zündhölzern", "Die kleine Meerjungfrau" ... Und bei letzterem sind die Impulse, die in die Katastrophe führen ja nicht verwerflich, sondern erst mal vollkommen nachvollziehbar. Ich denke schon, dass viele Märchen gar nicht über dieses starke schwarz/weiß gehen.

Der schnelle Übergang und der daraus resultierende kurze Moment der Verwirrung waren durchaus beabsichtigt, daher kommt der Satz mit dem stattdessen sogar erst als zweiter in seinem Absatz. Einen stumpfen Übergang, zum Beispiel durch einen Asterisk vor dem alternativen Ende, fänd ich nicht schön. Dann würde ich mir ebenfalls die Frage stellen: „Wozu das alternative Ende?“, und hätte den Rest vielleicht gestrichen. Auch wenn es dir besser gefallen hätte, würde mir dann total etwas fehlen. Das alternative Ende ist wichtig, weil es unterstreicht, dass Aliena für ihr Volk jeden Weg, auch die ungünstigen, einmal gehen muss, um sich für den richtigen zu entscheiden.
Nee nee, das würde ich auch nicht kicken, also nicht abkürzen auf eine der beiden Stränge, sondern vielleicht ...
Ich bin absolut offen für Vorschläge, wie man den Übergang anders oder besser gestalten könnte. Oder wie man mit dem „alle, die in einer Dimension gelebt hatten, sind in einer anderen nicht tot“ umgeht.
... einen etwas anderen Aufbau nehmen. (Ich denke, das wäre gut zu machen, weil du keine ganzen Plotdetails ändern müsstest.) Obwohl ich das hier wirklich unglücklich gelöst fand, liebe ich diese gespiegelten / spiraligen Strukturen an sich nämlich total.
Bin mal meine Regale durchgegangen und da steht einiges in dieser Art, spontan meine ich, dass es in den - ansonsten ganz verschiedenen Romanen - immer anders aufgezogen wird.

Bei dir ist es (korrigiere mich bitte, wenn ich falsch liege) so, dass du quasi erst eine in sich geschlossene Geschichte mit einem erkennbaren Spannungsbogen schreibst: Intro, szenische Einführung ins Thema, Plot, Verzweigung / weitere Figuren, Verweben von Fäden, Höhepunkt, Katastrophe incl. character death, und Ausklang. Da erwarte ich nur noch, dass der Text zu Ende ist.
Du beginnst jetzt ab einem Punkt, der irgendwo in der MItte schon mal erzählt wurde, einfach noch mal, wie eine Astgabelung, aber ich sitze schon an der aller-äußersten Spitze vorne.

Aus der Lameng würde ich mal sagen, dass es in den Büchern, an die ich dachte, nicht wie eine Gabelung ist, wie eine Weiche bei Gleisen, sondern entweder als Spiegelung oder / und als Spirale. Räumlich kann ich das besser erklären, also: Eine kleine Wendeltreppe (wie vielleicht diese Schmiedeeisernen in alten Bibliotheken). Du steigst von der ersten / untersten Stufe an hoch und bist dann nach einem vollen Kreis im Sinne einer Aufsicht am selbem Punkt, aber nicht wieder runtergefallen und am Treppenanfang liegend, sondern stehst nun eine Etage höher.

Bei dir bricht die Bewegung ab und startet ab demselben Punkt neu mit der gegengteiligen Entscheidung der Prota. Bei dir bin ich quasi die Treppe runtergefallen und hab keinen Nerv mehr, noch mal die - augenscheinlich - selben Stufen zu erklimmen. Die auch plötzlich ganz woanders hinführen.
Wie wäre es, nicht da so harsch anzusetzen, sondern diese Spiralbewegung etwas vorher zu beginnen? Erst mal bei Strang A nach der Katastrophe keinen Ausklang nehmen - die Spannung eben nicht lösen, sondern halten und Strang A dann in gespiegeltem Handlungsverlauf (der erst ein, zwei Zeilen identisch ist und dann mit unmerklichen Abweichungen beginnend auf Strang B zuführen)?

Also nicht: Bruch wie angezogene Handbremse, Neuansatz beim Ja-Wort, sondern ... hm, da musst du schauen, was passt, aber vielleicht am Punkt der Entscheidung, überhaupt zu heiraten. Darauf müsstest du im Bogen zurückführen, was nicht ganz einfach ist, weil dein Personal stirbt. Dann vielleicht den Erzähler nicht so dezidiert von 'tot' reden lassen, sondern sie in aller Deutlichkeit sterben lassen und dann szenisch weitererzählen, als wäre nix.

Antoine Volodine, der ständig Spiegel- und Spiralstrukturen mit unmerklichem Versatz und dann starken Abweichungen schreibt, nennt das auf seine un/toten Protagonisten bezogen: "eine neue postmortale Realität". Besonders extensiv macht er das - unter dem Heteronym Lutz Bassmann - in Black Village.
Stefán Máni löst es in Das Schiff anders: Nach einem Intro startet die Handlung in einer Hafenkneipe, wo eine Reihe äußerst seltsamer, zwielichtiger Gestalten sitzen, von denen sich einer 'Satan' nennt. Bei diesem heuert der Prota an, dann passiert, was im Roman passiert - Dramen, Gewalt, Morde, Tote - und dann kämpfen sich der Prota und 'Satan' nur noch zu zweit durch einen Gletscher. Da das nicht so ganz passt, gehe ich von einem Nahtoderlebnis aus, das in der Logik des Romans gleichzeitig wahr / real ist. Durchs Eis kommt der Prota wieder in die Hafenkneipe, wo dieselben Gestalten sitzen und es erneut eine Anheuer-Sitaution gibt. Diese ist aber ungreifbar anders als die erste, sodass man den Boden unter den Füßen verliert und dann ist das Buch zuende.

Durch diese Verbindungsszene mit dem Gletscher ruckelt die Spiralstruktur nicht so wie bei dir (noch), weil man nicht merkt, dass man wieder auf dieselbe / eine ähnliche Szene / Schauplatz zugeführt wird. Letztlich ist es wie bei dir, dass ich annehme: Der Prota ist tot. Aber die Geschichte geht trotzdem weiter, und zwar mit ihm. Am Ende weiß man zwar nicht, wie es weitergehen könnte, aber es bleibt ein extrem ungutes Gefühl, dass alles so ähnlich wird, nur noch viel schlimmer.

Eine - zu radikale? - Möglichkeit wäre, bei dir die beiden Stränge in der Reihenfolge zu tauschen: Erst heiraten die beiden und es ist Friede, Freude, Eierkuchen und dann führst du den Rundweg als Spirale wieder langsam zurück, im zweiten Strang geht dann alles den Bach runter und die Protas sterben. imA würde das stärker über das Ende der Geschichte hinaus engagieren, aber dafür mögen dich andere steinigen, die nicht so gern dystopische Enden lesen ...

Noch eine Empfehlung für etwas, das Märchenaspekte verwendet, aber harscher (und poetischer) Surrealismus ist: Peter Verhelst Tonguecat. Auch da sind Übergänge zwischen Szenen gleichzeitig welche, die Epochen, Orte und Leben/Tod betreffen, aber nicht so spiralig, sondern quasi slipstreamig selbstverständlich, alles existiert gleichzeitig und benötigt nur winzige Ortswechsel - aber ohne Hinleitung und ohne Entschuldigung. Im Buch geht es auch um Moral, aber sehr gebrochen.

Mein persönliches Fazit: Vielleicht hätte ich mehr Märchen lesen sollen, bevor ich selber eins geschrieben habe.
Ach, das kann einem ja auch im Weg stehen, würde ich so nicht sagen.

Hehe, Katla ... nicht Lindgren, sondern Finntroll. Der Texter / Ex-Sänger Jan Jämsen sieht ziemlich 'typig' aus, hat aber eben einen weiblichen Nick, die Band ist auch klasse selbstironisch. Ich werd in Foren manchmal für einen Mann gehalten, daher fand ich das lustig.

So, Bettzeit. Ich wäre gespannt, was aus diesem Text noch werden könnte. Bzw. bin ich gespannt auf Weiteres - und probieren ist nie verkehrt.
Herzlichst,
Katla

 
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Hallo @Katla ,

Danke für die erneut sehr ausführliche Antwort. Du schreibst fast schneller, als ich lesen kann. 😉

ist so, dass ich bei Geschichten / Romanen (auch Filmen) immer stark yay / nay reagiere, aber das hat nicht mit Unfreundlichkeit zu tun, sondern Leidenschaft.
Ich verstehe, das Rotten-Tomatoes-Prinzip also, es gibt nur Daumen hoch oder runter. Persönlich finde ich so etwas immer schwierig und stimme im Zweifelsfall lieber gar nicht ab. Bezogen auf Geschichten kenne ich auch welche, bei denen mir einige Aspekte gefallen und andere nicht, das geht bei den eigenen Texten los. Aber scheint dir bei Alienum ja auch so ergangen zu sein, daher freue ich mich über deine freundlichen Kommentare. Leidenschaft ist auch immer gut und wichtig, beim Schreiben wie beim Lesen.

Ah ja, stimmt, schon länger her, aber Latein hatte ich auch mal.
Es gibt die einen, die behaupten, Latein zu lernen sei unnütz. Schließlich ist es eine tote Sprache, die Grammatik vergisst man sowieso wieder, und die Vokabeln werden allenfalls von Medizinern gebraucht. Dann gibt es die anderen, die Latein eine alte Sprache nennen, die Grammatik als Grundlage für die deutsche Sprache begreifen und sich das Vokabular beim Lernen von Englisch und romanischen Sprachen zunutze machen. Als Lateinlehrerkind bin ich klar voreingenommen, und auch ich hab in meinen gerade einmal 13 Jahren seit der letzten Lateinstunde schon fast alles vergessen. Trotzdem behaupte ich, dass es sich gelohnt hat, weil es einfach das Denken formt.

Es kommt vielleicht drauf an, an welche Märchen man denkt. Hans Falladas Geschichten aus der Murkelei (sind das überhaupt Märchen?) sind extrem grausam und ohne die typische Struktur, v.a auch ohne eine deutlich leitende Moral.
H. C. Andersens Märchen sind oft unvorhersehbar und haben ja einen dunklen Twist, wo man ansonsten vielleicht einen Schwenk zum Positiven erwartet hätte: "Das Mädchen mit den Zündhölzern", "Die kleine Meerjungfrau" ... Und bei letzterem sind die Impulse, die in die Katastrophe führen ja nicht verwerflich, sondern erst mal vollkommen nachvollziehbar. Ich denke schon, dass viele Märchen gar nicht über dieses starke schwarz/weiß gehen.
Ich muss gestehen, dass ich nur mit Grimms Märchen und der einen oder anderen Geschichte aus 1001 Nacht vertraut bin, obwohl es so viel mehr gibt. Fallada und Verhelst hab ich mir mal auf die Liste gesetzt, Andersen interessiert mich ebenso. Von der kleinen Meerjungfrau kenn ich nämlich nur die Statue aus Kopenhagen.

Bin mal meine Regale durchgegangen und da steht einiges in dieser Art, spontan meine ich, dass es in den - ansonsten ganz verschiedenen Romanen - immer anders aufgezogen wird.
Beeindruckend, wie belesen du bist. Vor allem, dass dir gleich mehrere Werke mit alternativen Handlungssträngen/Enden einfallen. Vielen Dank für die Beispiele von Bassmann und Máni. Mir war nicht bewusst, dass es in der Literatur so verbreitet ist. Mir kommen auf Anhieb nur die Filme 99 francs und, wie gesagt, Breaking Dawn – Part II in den Sinn.

Du beginnst jetzt ab einem Punkt, der irgendwo in der MItte schon mal erzählt wurde, einfach noch mal, wie eine Astgabelung, aber ich sitze schon an der aller-äußersten Spitze vorne.
Das Problem verstehe ich. Wenn der Kreis (bzw. die Wendeltreppe) erst einmal geschlossen ist, kann man nicht einfach irgendwo wieder einsteigen, sondern muss erneut einen vollständigen Kreis durchlaufen, und wenn es ein kleinerer ist. Das Problem rührte vermutlich daher, dass ich das erste (katastrophale) Ende ursprünglich als sehr kurz geplant hatte. So kurz, dass es dem Leser nicht wie eine Katharsis vorkommen kann. Beim Schreiben hat es sich dann verselbstständigt, du kennst das sicher selber.

Eine - zu radikale? - Möglichkeit wäre, bei dir die beiden Stränge in der Reihenfolge zu tauschen: Erst heiraten die beiden und es ist Friede, Freude, Eierkuchen und dann führst du den Rundweg als Spirale wieder langsam zurück, im zweiten Strang geht dann alles den Bach runter und die Protas sterben. imA würde das stärker über das Ende der Geschichte hinaus engagieren, aber dafür mögen dich andere steinigen, die nicht so gern dystopische Enden lesen ...
Ich muss dir zustimmen, dass diese Reihenfolge spannender wäre. Zuerst das Happy End als Finte, dann die Katastrophe. Du bringst mich da auf komplett neue Gedanken, welche die Geschichte jedoch verlängern würden. Einerseits habe ich das Problem, dass Aliena als metaphysisches Wesen so viele schlechte Optionen ausprobieren soll, bis sie einen zufriedenstellenden Weg findet. Wie wäre es, wenn ich zuerst das „Happy“ End mit der Heirat schreibe, vielleicht sogar ausdehne, bis sie auf Alius‘ Planeten landen, es dort allerdings zu einer Katastrophe kommt (Überfall durch Räuber o. ä.). Dann folgt das Ende mit dem Massaker, indem Aliena Alius vor der Verlobung konfrontiert (siehe unten), was aber deutlich kürzer ist als das vorherige Ende. Zuletzt bräuchte ich noch ein drittes und finales Ende, das für alle Beteiligten oder zumindest für Aliena und die Einigen günstig ist. Dieses müsste ich mir erst noch ausdenken.

Eine Moral ginge dadurch allerdings verloren, nämlich die, welche ich mir ursprünglich überlegt hatte. Um auf die von dir erwähnte Schrödingers Katze zurückzukommen: Solange Aliena nicht mit Alius zu seinem fernen Stern fliegt, um sich selbst ein Bild zu machen, ist er gleichzeitig ein Lügner und kein Lügner. Gleichzeitig hat er das Potenzial, entweder alle umzubringen oder eben ein guter Herrscher und Ehemann zu sein. Es sind die Taten von Aliena und den Einigen, die ihn in eine der beiden Rollen zwängen. Aliena erkennt dies erst nach dem katastrophalen Ende. Wenn sie dagegen zuerst ja sagen würde, stünde sie am Ende eher naiv als weise dar.

Also nicht: Bruch wie angezogene Handbremse, Neuansatz beim Ja-Wort, sondern ... hm, da musst du schauen, was passt, aber vielleicht am Punkt der Entscheidung, überhaupt zu heiraten.
Ich müsste also – unabhängig vom Tausch der Enden – die Verlobung und die Hochzeitsvorbereitungen ein zweites Mal beschreiben, allerdings auf neue Weise, damit es spannend bleibt. Dadurch könnte ich einen günstigeren Einstiegszeitpunkt für das alternative Ende erwischen. Darüber kann ich mir mal Gedanken machen. Vom Standpunkt Alienas aus wäre das auch kein Problem, denn sie fällt schon lange vor der Hochzeit eine Entscheidung, zu der sie zurückspulen könnte („In zehn Tagen werden die Sterne günstig stehen, dann soll unsere Hochzeit stattfinden“).

Ach, das kann einem ja auch im Weg stehen, würde ich so nicht sagen.
Auch wieder wahr. Jeder Text, den man liest, nimmt einem Chancen, originell zu sein. Ich übertreibe natürlich, lesen ist schon wichtig. Vor allem aber genreübergreifend lesen und dann anwenden, denn insbesondere der Transfer führt wieder zu Originalität.

Hehe, Katla ... nicht Lindgren, sondern Finntroll. Der Texter / Ex-Sänger Jan Jämsen sieht ziemlich 'typig' aus, hat aber eben einen weiblichen Nick, die Band ist auch klasse selbstironisch. Ich werd in Foren manchmal für einen Mann gehalten, daher fand ich das lustig.
Ach so! Finntroll höre ich jetzt schon seit zwei Stunden, ist um einiges fröhlicher als gedacht und sorgt auch harmonisch für die eine oder andere positive Überraschung. Lindgrens Buch scheint zwei Jahre vor Jan Jämsen geboren zu sein, aber vermutlich beziehen sich beide nur auf gemeinsame Quellen. So wie ich das verstehe, stammt „Katla“ aus der isländischen Mythologie. Scheint ein beliebter Name für Monster und Schreiber von Texten zu sein. 😉

Liebe Grüße nach Helsinki

imperfektionist

 
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Hallo @imperfektionist ,

herzlichen Dank für deine ausführlichen, sehr spannenden Antworten! Mensch, so macht das Kommentieren Spaß, das wünsche ich mir eigentlich: Gespräche über das, wie ein Text ist und was alles aus ihm werden könnte.

Ich bleibe mal etwas knapper, nicht unhöflich gemeint, aber ich bin in Urlaubsvorbereitung (3 Wochen segeln / Tall Ships Races) und hab noch massig zu tun.

Ich verstehe, das Rotten-Tomatoes-Prinzip also, es gibt nur Daumen hoch oder runter.
Ah, nee, so meinte ich das nicht. Mir geht es schon um Inhalte, Transgression vs Status quo, Erwartungen, Plotstrukturen, Figurenkonzepte ...
Kulturkritik hat imA nix mit Demokratie zu tun - also: eine Mehrheit entschiede über top / flop.
Würde jetzt aber ausufern, mich zu erklären und das hätte dann hier unter deinem Text auch nix mehr zu suchen. :)
Wenn der Kreis (bzw. die Wendeltreppe) erst einmal geschlossen ist, kann man nicht einfach irgendwo wieder einsteigen, sondern muss erneut einen vollständigen Kreis durchlaufen, und wenn es ein kleinerer ist.
Genau! Sehr gut weitergeführt, auch in der Logik deines Textes.
Ich muss dir zustimmen, dass diese Reihenfolge spannender wäre. Zuerst das Happy End als Finte, dann die Katastrophe. Du bringst mich da auf komplett neue Gedanken, welche die Geschichte jedoch verlängern würden. Einerseits habe ich das Problem, dass Aliena als metaphysisches Wesen so viele schlechte Optionen ausprobieren soll, bis sie einen zufriedenstellenden Weg findet. Wie wäre es, wenn ich zuerst das „Happy“ End mit der Heirat schreibe, vielleicht sogar ausdehne, bis sie auf Alius‘ Planeten landen, es dort allerdings zu einer Katastrophe kommt (Überfall durch Räuber o. ä.). Dann folgt das Ende mit dem Massaker, indem Aliena Alius vor der Verlobung konfrontiert (siehe unten), was aber deutlich kürzer ist als das vorherige Ende. Zuletzt bräuchte ich noch ein drittes und finales Ende, das für alle Beteiligten oder zumindest für Aliena und die Einigen günstig ist. Dieses müsste ich mir erst noch ausdenken.
Mein Rat: Fokussiere dich nur aufs Erste, fett Markierte.

Der Rest klingt nach noch mehr Subplots / mehr des Gleichen / Spiegelungen, und ich denke, da ist der Text jetzt bereits (für das, was er erzählt und was er vermitteln will) an der aller-äußersten Grenze. Denn vermitteln willst du im Grunde eine Hauptsache. Es macht den Text nicht besser, wenn du das statt über - sagen wir - vier, dann über sieben Passagen / Stränge hinweg verdeutlichst.

Eine Moral ginge dadurch allerdings verloren, nämlich die, welche ich mir ursprünglich überlegt hatte. Um auf die von dir erwähnte Schrödingers Katze zurückzukommen: Solange Aliena nicht mit Alius zu seinem fernen Stern fliegt, um sich selbst ein Bild zu machen, ist er gleichzeitig ein Lügner und kein Lügner. Gleichzeitig hat er das Potenzial, entweder alle umzubringen oder eben ein guter Herrscher und Ehemann zu sein. Es sind die Taten von Aliena und den Einigen, die ihn in eine der beiden Rollen zwängen. Aliena erkennt dies erst nach dem katastrophalen Ende. Wenn sie dagegen zuerst ja sagen würde, stünde sie am Ende eher naiv als weise dar.
Nein, die Moral läge stärker im Kopf des Lesers - wo sie imA eh hingehört (und nicht direkt in den Text selbst).

Aliena wirkt naiver, wenn sie ein Happy End erfährt. Du kannst diese Naivität ja - als Autor, nicht Erzähler - durch den Plot brechen, nämlich das dystopische Ende. Wenn das tragisch aufgezogen ist (wie es ja nur anders positioniert bereits passiert), und du es nicht als Strafe für ihre Haltung formulierst, negierst du ja nicht ihre an sich affirmative Haltung.

Also: Hamlet stirbt am Ende, aber damit wird nicht gesagt, dass er mit seiner Haltung und seinem Trauma/ Anklagen falsch lag. Im Gegenteil, er wird bestätigt, aber es nutzt ihm nichts mehr und das macht das Drama aus (das damit viel stärker im Gedächtnis bleibt, woran man sinnvoller rumdenken kann).

Ich müsste also – unabhängig vom Tausch der Enden – die Verlobung und die Hochzeitsvorbereitungen ein zweites Mal beschreiben, allerdings auf neue Weise, damit es spannend bleibt. Dadurch könnte ich einen günstigeren Einstiegszeitpunkt für das alternative Ende erwischen. Darüber kann ich mir mal Gedanken machen. Vom Standpunkt Alienas aus wäre das auch kein Problem, denn sie fällt schon lange vor der Hochzeit eine Entscheidung, zu der sie zurückspulen könnte („In zehn Tagen werden die Sterne günstig stehen, dann soll unsere Hochzeit stattfinden“).
Genau, das klingt sehr gut.

Finntroll höre ich jetzt schon seit zwei Stunden, ist um einiges fröhlicher als gedacht und sorgt auch harmonisch für die eine oder andere positive Überraschung.
Haha, that's the spirit! Freut mich echt sehr, die sind die Jahre über ganz unabhängig geblieben (ich sage nur leise: Napalm Records, die alles zu einem gleichförmigen Brei verwursten und die Bands nie wieder aus den Knebelverträgen lassen), also unterstützenswert.

Viel Spaß beim Frickeln, und vielleicht sagen andere Kommentierende ja auch ganz was anderes. Ich hoffe, du bekommst noch mehr - und ggfs. ganz andere - Rückmeldungen / Tipps.
:-) Katla

 

Hallo @Katla ,

gar kein Problem, du hast ja schon mehr Zeit mit meinem Text verbracht, als er hergibt. :D

Kulturkritik hat imA nix mit Demokratie zu tun - also: eine Mehrheit entschiede über top / flop.
Würde jetzt aber ausufern, mich zu erklären und das hätte dann hier unter deinem Text auch nix mehr zu suchen.
Demnächst dann im Kaffeekränzchen. ;)

Mein Rat: Fokussiere dich nur aufs Erste, fett Markierte.

Der Rest klingt nach noch mehr Subplots / mehr des Gleichen / Spiegelungen, und ich denke, da ist der Text jetzt bereits (für das, was er erzählt und was er vermitteln will) an der aller-äußersten Grenze. Denn vermitteln willst du im Grunde eine Hauptsache. Es macht den Text nicht besser, wenn du das statt über - sagen wir - vier, dann über sieben Passagen / Stränge hinweg verdeutlichst.

Einverstanden. Kam mir gestern wie eine spannende Idee vor, heute fürchte ich allerdings auch, dass ich die Sache durch ein drittes Ende nur verschlimmbessern würde. Zumal es mir nicht gelingen würde, die Leser ein zweites Mal aufs Eis zu legen.

Nein, die Moral läge stärker im Kopf des Lesers - wo sie imA eh hingehört (und nicht direkt in den Text selbst).

Aliena wirkt naiver, wenn sie ein Happy End erfährt. Du kannst diese Naivität ja - als Autor, nicht Erzähler - durch den Plot brechen, nämlich das dystopische Ende. Wenn das tragisch aufgezogen ist (wie es ja nur anders positioniert bereits passiert), und du es nicht als Strafe für ihre Haltung formulierst, negierst du ja nicht ihre an sich affirmative Haltung.

Also: Hamlet stirbt am Ende, aber damit wird nicht gesagt, dass er mit seiner Haltung und seinem Trauma/ Anklagen falsch lag. Im Gegenteil, er wird bestätigt, aber es nutzt ihm nichts mehr und das macht das Drama aus (das damit viel stärker im Gedächtnis bleibt, woran man sinnvoller rumdenken kann).

Kann man sicher so oder so sehen ... und noch viel länger darüber diskutieren. Ich merke schon, du möchtest die Geschichte als Drama klassifizieren. (Muss gleich mal schauen, ob "Drama" ein eigenes KG-Tag ist, das ich bewusst ausgelassen habe.) Andererseits habe ich mit dem Anfang vielleicht auch ein Drama angedeutet ("Also lasst es euch als Warnung dienen") und dann durch das Happy-End nicht geliefert.

Haha, that's the spirit! Freut mich echt sehr, die sind die Jahre über ganz unabhängig geblieben (ich sage nur leise: Napalm Records, die alles zu einem gleichförmigen Brei verwursten und die Bands nie wieder aus den Knebelverträgen lassen), also unterstützenswert.
Uff, Napalm Records, bei denen ist doch gefühlt jede zweite Metalband unter Vertrag. Sehr unsympathisch. Aber das ist nun wirklich eine Diskussion, die eher ins Kaffeekränzchen gehört.

Viel Spaß beim Frickeln, und vielleicht sagen andere Kommentierende ja auch ganz was anderes. Ich hoffe, du bekommst noch mehr - und ggfs. ganz andere - Rückmeldungen / Tipps.
Wenn nicht, auch nicht schlimm, lange Geschichten sind nun mal ein Mehraufwand für alle Beteiligten. Ich habe große Schwierigkeiten, meine Ideen in kurzen Texten zu entfalten. Kein Zufall also, dass ich in meinem Leben mehr Buchmanuskripte als Kurzgeschichten verfasst hab. Daher wäre es eine gute Übung für mich, bewusst mal was Kurzes zu schreiben.

Viel Spaß bei deinem Segeltörn und immer eine Handbreit Wasser unterm Kiel wünscht

imperfektionist

 

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