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Alkohol und Ehre
Sterne schwimmen am Nachthimmel, der Vollmond ruht dazwischen gleichgültig, ein Schlaf mit offenem Auge.
Unten liegt die Stadt unter der Dunkelheit, hebt sich nur in den Zacken und Quadraten der Betonfassaden ab. Da rasen Autos auf einer Straße. Umsäumt von blinkenden Leuchtreklamen, von beschmierten Werbeplakaten, Fenstern, die mal leuchten, bald in Dunkelheit versinken, Imbissbuden, die den Geruch von gebratenem Fleisch ausströmen, vibrierende Discos, aus denen dumpf Musik tönt. Joshua taumelt auf dem Trottoir, da rutsch ein Fuß auf die Straße, da richtet er sich schnell auf und läuft einige Meter, muss aber schnaubend Luft holen. Elise läuft ihm hinterher, mit Locken, die in Böen wild über ihr besorgtes Gesicht flattern. Er ruft ihren Namen, ruft: "Na, los, na los..." Er solle aufhören zu laufen, schimpft sie. "Die Kleine hat Angst um ihren Betrunkenen...", lacht Joshua, tanzt, wobei er mit seinen schwermütigen Bewegungen einem Bären ähnelt. "...Der Betrunkene hat Spaß, der Betrunkene ist gerne betrunken und tanzt. Der Betrunkene ist erwachsen und passt auf.", erklärt er schließlich. Elise schüttelt den Kopf und lächelt spöttisch, während sie sich nähert: "Hör endlich auf in der dritten Person von dir zu reden!"
Indem sie sich mit ihrer schlanken Hüfte an ihn drückt, sich an ihn schmiegt, mit der kalten, trockenen Hand seine warme, Feuchte umfasst, gleicht sie sein Schwanken aus - sie führt ihn, zwischendurch schiebt er sie etwas von sich, taumelt aber sogleich wieder und ergibt sich hiernach; in einem kleinen Park halten sie. "Mir ist schlecht...", sagt Joshua und hockt sich, die Knie angewinkelt, den Kopf in den Armen vergraben, auf eine grüne Bank. Daneben plätschert der schmale Fluß, im Mondlicht von silbernen und weißen Streifen überzogen, der den Park in der Mitte durchtrennt. Die Kronen ineinander verzweigt, ragen einzelne Fichten empor. Geäst knackt, Blätter rascheln, wenn Hasen oder Ratten im Gebüsch zucken. Elise streicht sanft durch Joshuas Haare. "Lass mich los! Geht gleich wieder.", entgegnet er.
"Sicher?", aber mit dem niedergesunkenen Kopf schweigt Joshua, als würde er schlafen.
Und Elise fängt an kleine Steine in den Fluß zu werfen. Minutenlang schweigt sie und hebt monoton Kieselsteine auf und wirft sie; ganz leicht, mit ihren kleinen, schmalen Katzenaugen, die glänzen, die fast phosphoreszieren in der Dunkelheit. In ihr pocht und bebt es.
Dieser dumme Joshua, denkt sie, dem sie sich liebend vor die Füße wirft. Dieser Joshua, der sie den ganzen Abend schon wie eine Hündin abweist, ihr befiehlt. Und sie liebt diesen dummen Joshua, denkt sie. Ein Flugzeug gleitet durch den Himmel, blinkt, bis die Dunkelheit es wieder verschluckt. Eine Glocke schlägt zwei mal. Schwachsinn, denkt sie wieder, ich bin ein so schwachsinniger Mensch und suche mir Schwachsinnige aus. Weiter Steine werfen, Plätschern.
Plötzlich sieht Elise Umrisse im Dunkeln, dann Arme und Beine, drei Gestalten zeichnen sich ab, schließlich im Laternenlicht klarer erkennbar. Der Linke ist der Kleinste; schwarze, glatte Haare, glänzen und hängen bis zu den Schultern; der Zweite, Lange und Schlaksige fällt durch einen federnden Schritt auf, während sein schrilles Lachen durch den Park hallt; der Dritte, Glatzköpfige breitet stolz breite, einen massiven Thorax flankierende Schultern aus und hob dauernd überheblich buschige Brauen, zusätzlich durch die markigen Kieferknochen, die sein Gesicht umfassen, glich er ein wenig einem Affen. Als sie Elise bemerken, stehen die Drei still.
"Hey Süße...", beginnt der Kleine. "Warum bist du so allein?" Elise schweigt. Der Schlaksige packt die Beiden an der Schulter und zeigt auf Joshua, der unterdessen anfängt, zu würgen und kotzen. Das schrille, grässliche Lachen, das Lachen eines Gnoms hallt wieder durch den Park.
"Ist das dein Freund?", fragt der Kleine. Elise nickt; sie zittert, ein Schauer läuft durch ihre Schultern. "Süße, so einen Kotzbrocken... so was hast du nicht verdient." Er tritt näher an sie heran, verbreitet einen stechenden Mundgeruch; er ist kleiner und starrt aus verschmitzten, schmalen Augen zu ihr, die von feinen, verkniffenen Brauen überdacht werden. Er grinst. Inzwischen durchsucht der Affe Joshuas Hosentaschen, wobei ein milchiger Glanz im Mondlicht seine Glatze und die tätowierten Arme überdeckt. Im Hintergrund tönt noch immer das Lachen des Schlaksigen: "Pass auf, dass er dir nicht auf die Schuhe kotzt, die guten Schuhe!"
Das Bleiche auf Joshuas Gesicht wird kurrzeitig von einer Schamesröte verdrängt. Er hebt den Kopf, der Affe hat die Fäuste sofort geballt und seine Kieferknochen treten in einem süffisanten Lächeln deutlicher hervor. "Gib mir dein Portemonnaie!", befiehlt er, wobei die kratzige Bassstimme vibriert, der Lange echot im Hintergrund: "Ja, gib ihm das Portemonnaie!" und gibt sich erneut seinem Lachen hin. Joshua antwortet abrupt: "Meine Freundin hat es genommen. Ich bin stockbesoffen. Zur Sicherheit hat sie es genommen, als wir bezahlen mussten. In der Disco. In ihrer Jacke." Der Kleine lächelt hämisch Elise zu. "Dein Freund... tapferer Kerl... hat viel Ehre im Blut...", spottet er. Unterdessen überschwemmt Elise ein Zorn, der sie erdrückt, der aus allen Poren zu quellen scheint, ein Zorn gegen Joshuas Kleinheit - die Katzenaugen leuchten, sie knabbert auf der Unterlippe. "Sollen wir dem mal die Fresse polieren?" In ihr pocht und bebt es.
Sie schreit: "Haut ab! Verpisst euch..." Die Drei starren sie erstaunt an. "Verpisst euch jetzt. Ich schrei, so laut ich kann." Joshua zuckt auf der Bank zusammen. Elise fängt an, lauter zu schreien: "Haut ab jetzt." Der Schlaksige hat aufgehört zu lachen und zeigte seine gelben, schiefen Zähne im oval geöffneten Mund. Der Kleine war etwas zurückgescheucht worden. Und der Affe, der sich über seine Glatze streicht und den Kopf lächelnd schüttelt, zeigt den Beiden durch ein Kopfnicken, dass sie verschwinden sollten.
Nach Sekunden bleiben Elise und Joshua zurück; Joshua auf der Parkbank, die Hosenbeine voller Kotze, vor der Bank eine kleine Pfütze, in der dicke Brocken schwimmen, getaucht in das gleichmäßig, bleiche Mondlicht. Vor Zorn noch bebend, mit Zorn in den Augen, die Fäuste verkrampft geballt, holt Elise tief Luft.
Schließlich ist sie es, die Joshua aufhilft, ihn stützt und durch den Park führt. Er bettelt um Verzeihung: "Elise, ich weiß, was ich für ein Idiot bin. Elise, mir war einfach noch schwindelig, ich konnte nich reagieren. Elise, du weißt nicht, wie ich dich liebe...", aber sie schweigt; in ihr ist Schweigen. Sie führt ihn. Vor der Haustür erklärt sie, dass sie zuhause schlafen will. "Soll ich dir noch dein Portemonnaie geben?", fragt sie kalt. Er fühlt es zwischen seiner Hand, die er in die Hosentasche geschoben hat. Eine letzte Entschuldigung, die Augen tränengefüllt, danach verschwindet Elise, mit den flatternden Locken und der schlanken, runden Hüfte, die hin und her schwingt.