- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 3
Alle zwei Tage bin ich Hank.
Alle zwei Tage, alle zwei Stunden rufen lispelnde Damen mittleren Alters an.
„Darf ich ihnen die Vorteile unseres Produkts vorstellen?“
„Darf ich ihnen die neuesten Angebote für Bausparer aufzählen?“
„Darf ich ihnen erzählen, worum es in unserem neuesten Förderprogramm geht?
Darf ich sie in den Arsch ficken?
Es ist fast so, als täten sie mir einen Gefallen mit ihrem Anruf. Ja erzählen sie mir diesen ganzen sinnlosen Mist. Erzählt mir wie man mein Leben verbessern, versichern, kastrieren, verpacken und verkaufen könnte?
Es geht an mir vorbei.
Leben, Beruf, Gesellschaft, Gespräche.
Ich treffe mich alle zwei Tage, zwei Stunden lang mit meinen intellektuellen Freunden. Wir reden über intellektuelle Themen. Besprechen die politische Lage eines utopischen Landes, benennen die geschichtlichen Ereignisse zur Zeit der ersten Existentialisten. Wir diskutieren über den Schaden von Drogenkonsum, philosophieren über die Unendlichkeit von Raum und Zeit, erzählen einander über unsere persönlichen zwischenmenschlichen Beziehungen. Laben uns in unserem SINNVOLLEN GESPRÄCHSSTOFF. Nehmen fremde Theorien auf und entfalten sie mit dem Gefühl alles erfassen zu können. Werfen unsere eigenen Metaphern in den Raum und sehen uns die weiteren Entwicklungen dieses Begriffs an.
Diese zwei Stunden.
Sie sind wie Rehabilitation für mich.
Ich brauche sie, um mich mir selbst zu beweisen. Um meinen Wert klarzustellen.
Ich muss dort hin, alle zwei Tage, zwei Stunden lang. Ich muss dahin, weil mich diese Menschen ernähren. Ich bestätige mich. Definiere mich.
Ich zeige mir selbst wie intellektuell ich mit meinen Freunden quatschen kann, ohne mit der Wimper zu zucken. Unser Wissen haben wir in unserem weniger Erlebnisreichem Leben gesammelt. Aus Büchern und Filmen, aus Schulen und Studien, aus Erzählungen und Überlieferungen.
Aufgesogen.
Es gibt nichts wichtigeres als Wissen.
Ohne Wissen bin ich ein Nichts.
Und jetzt gerade... ist es als ob ich mich auflöse. Als ob ich auseinander falle. Ich verliere meinen Halt an meinen intellektuellen Freunden und meinen intellektuellen zwei Stunden, alle zwei Tage.
Mein Wissen löst sich auf und ich fange an Wahnsinnig zu werden.
Es ist da, jede einzelne Information gespeichert. Jede Idee mit Theorie, Ausführung, Beispiel und Praxis verkoppelt.
Aber es fühlt sich an wie NICHTS.
Es scheint mir plötzlich wertlos. Absolute Leere.
Die Geschichte der gesamten Menschheit in meinem Kopf ist wie Geschwafel, dass mich nur wegen der Inquisition und der Schlachten einst interessiert hat. Ein wertloses Unterhaltungsmedium. Geschichten und Berichte von Menschen, die Angst hatten das man sie vergisst, sobald sie tot sind, weil sie in Wirklichkeit unbedeutend sind. Hitler, Stalin, Luther, Jesus, Caeser. Es wurden fremde Berge bewegt, nicht meine Leben gelebt, nicht meine Ziele erreicht.
Man behauptete in meinem intellektuellen zwei Stunden-Freundeskreis, dass man aus den Fehlern aus der Geschichte der „gesamten Menschheit“ lernen kann um diese Fehler nicht zu wiederholen. Doch fremde Fehler können nicht verstanden werden. Aus fremden Leben kann man keine Konsequenz ziehen. Aus falschen Entscheidungen wird man höchstens Schlüsse ziehen, wenn es die eignen sind. Wir werden nur die Fehler der Alten wiederholen, Genussvoll, weil sie sie alle schon gemacht haben.
Ich verliere zunehmen vertrauen in mein Wissen. In den Sinn meiner Kraft mit ihnen, meinen zweistündigen Freunden zu diskutieren und mit ihnen intelligent zu sein. Mit ihnen uns wieder mal zu beweisen, dass wir Menschen von Wert sind. Von echtem Wert.
Ich kenne jedes einzelne Problem unserer modernen Welt, das Ozonloch, die Armut, die Arbeitslosigkeit, die dritte Welt, die Drogen, die Kriminalität, die Ungerechtigkeit, die Kriege. Ich kann sie dir benennen, sie dir bis zum Kern, bis zur Ursache analysieren. Ich kann dir die Fakten ins Gesicht rotzen, dass du ihre enorme Bedeutsamkeit Tagelang nicht mehr abwaschen kannst.
Aber ich kann diese Probleme nicht lösen. Ich werde sie niemals lösen, denn das ist nicht das Wissen, das meine Intelligenz einstuft. Es ist unmöglich. Sagt mein Verstand.
Ich denke mich weiter und weiter, mit meinen krankhaften Existenziellen Ängsten in meine Beziehung mit diesem hübschen Mädchen, dass gut putzt, ihren Doktortitel zur Zeit macht, kochen kann wie meine Mutter. Sie redet keinen Scheiß, ließt gerne Krimiromane, fickt gut, kommt immer und sorgt dafür, dass ich immer komme. Sie küsst und streichelt mich. Sie kann man sogar zu meinen intellektuellen ZWEI STUNDEN mitnehmen. Sie sagt sogar „Ich liebe dich“, wenn ich sie bitt’.
Doch ich bin wie eine Leiche.
Ich bin bereits tot. Ich bin wertlos, unglücklich, krank.
Ich bin ein Nichts.
Meine Freundin ist wie eine Schaufensterpuppe, sie kann nicht lieben.
Mein Wissen ist wie eine sinnlose Last. Ich habe weder Vertrauen in dieses Wissen, noch sehe ich Genuss darin.
Wie eine Qual sind diese zwei Stunden. Mir tropft der Schweiß die Nackenhaare runter, wenn ich die kleine intellektuell eingerichtete Wohnung betrete, in der diese Gesprächsrunden stattfinden, alle zwei Tage, zwei Stunden lang. „Heute werde ich mich beweisen! Wieder und wieder! Denn ich bin jemand.“
Ich falle Auseinander. Ich falle in Hunderte von Stücken. Alles Stückchen meines Wissens. Stücken einer fremden, nicht meiner, Welt. Einer Welt über die ich gelesen habe, über die ich gelernt habe. Einer Welt, die ich nie erlebt habe. Die ich nie erleben wollte. Einer Welt, die ich gebraucht habe um mich Lebensfähig zu fühlen.
Ich zerfalle in Tausende von fremden Ideen, schlechten Idealen, anderer Geschichten.
Und in diesen Stückchen, in diesen Resten, ist kein einziges Stückchen von mir.
Dort ist nichts mehr von mir geblieben. War jemals etwas von mir dort?
Ich bin gar nicht mehr da.
Ich bin NICHTS.
Denn meine einzige Eigenschaft wurde die Wissbegier.
Aber in dieser meiner Welt gibt es kein Wissen mehr.
Wissen ist nichts.
Und ich bin niemand.
Ich bin NICHTS.