Alles nur Klischee
Es war dieses miese Sommerwetter, das Familie Schmidt veranlasste, doch noch last minute eine Woche Sonne zu buchen. Das war gar nicht so einfach, denn schließlich waren sie nicht die einzigen, die diesen Gedanken hatten. Nach langer Suche hatte Herr Schmidt dann doch Glück und eine Woche Strand war der Familie sicher.
Mit vollgepacktem Auto ging es frühmorgens los zum Flughafen. Leider hatte Familie Schmidt einen weiter entfernten Abflughafen buchen müssen und eine dementsprechend lange Autofahrt vor sich. Na ja, egal, Hauptsache Urlaub, Hauptsache Sonne.
Es kam, wie es kommen musste: auf der Autobahn heftige Regengüsse, Aquaplaning, langsam fahren - Schritt fahren - stehen - Stau - ........... „Verdammter Mist, die fliegen noch ohne uns!“ jammerte der Familienvater. „Papi, wann sind wir endlich da“, jammerten die Kids, die auf dem Rücksitz unentwegt Gameboy spielten.
Auch diesmal war es wieder schwierig, Herrn Schmidt dazu zu bewegen, an einer Autobahnraststätte anzuhalten, damit Frau Schmidt und die Kinder endlich ihr „Geschäft“ erledigen konnten. Als sich Herr Schmidt dazu herabließ, an einer Raststätte zu halten, kam Frau Schmidt auf der Damentoilette ein revolutionärer Gedanke: sie hatte den Film "Brot und Tulpen" gesehen und stellte sich vor, dass ihr Mann sie schlichtweg vergessen und ohne sie weiterfahren würde. Während sie automatisch Seife auf ihre Handinnenflächen verteilte, schloss sie kurz die Augen und sah sich im Geiste in ein fremdes Auto einsteigen auf dem Weg nach Irgendwohin......., aber dann fiel ihr ein, dass sie ihre Edelstahl-Warmhaltekanne (mit Echtheits-Zertifikat) im Auto gelassen hatte, und ohne die würde sie nirgendwohin gehen.
Langsam näherte man sich dann doch der Stadt, von der aus man abfliegen wollte. Endlich am Flughafen angekommen, wurde das nächste Parkhaus angesteuert. Herr Schmidt fuhr vor die Schranke und drückte auf einen Knopf, um ein Ticket zu ziehen. Nichts geschah. Er drückte wieder. Nichts. Eine Weile standen sie so da und überlegten, wie doch die Zeit verging und dass der Flieger jetzt aber ganz sicher ohne sie fliegen würde. Es drückte Herr Schmidt auf den Knopf, es drückte Frau Schmidt, jedes der Kinder durfte auch mal drücken. Nichts. Langsam erwartete man, dass irgendein dämlicher Spaßmacher der Nation mit seiner dämlichen Kamera auftauchen und "Hahaha! Versteckte Kamera!" rufen würde. Stattdessen meldete sich die Parkhausüberwachung. "Fahren Sie einmal zurück und wieder vor!" lautete die Anweisung. Herr Schmidt bekam einen merkwürdigen Gesichtsausdruck - was, wenn die jetzt hinter der Mauer mit einer Kamera hervorspringen würden? Er selbst hatte sich bei dieser Fernsehsendung immer über die dämlichen Gesichter anderer "Opfer" lustig gemacht und bemühte sich, nicht dämlich, sondern grimmig und entschlossen auszusehen. Er biss die Zähne zusammen, stieg ins Auto und fuhr einmal zurück und wieder vor. Danach durften alle noch mal drücken. Unter großem Freudengeschrei sah man nun endlich den Automaten ein Ticket ausspucken. Na endlich. Aber eigentlich schade, dass man jetzt doch nicht ins Fernsehen kam - Frau Schmidt hatte sich schon überlegt, welche Schnittchen sie reichen wollte, wenn man sich zusammen mit den Nachbarn die Aufzeichnung ansehen würde.
Uff! Jetzt schnell die Koffer aus dem Wagen und ab ins Flughafengebäude zum Einchecken. Eine Stunde später saßen sie in der Maschine, die sie in die Sonne fliegen sollte. Gott sei Dank hatten die Kinder aufgehört, herumzuquengeln und bohrten statt dessen mit ihren Fingern in die Rückenlehne des Vordersitzes oder trommelten mit ihren Füßen dagegen. Wenn die Leute in der Vorderreihe sich dann erbost umdrehten, brachen die beiden lieben Kleinen in prustendes Gelächter aus. Herr Schmidt gab sich angesichts des schlechten Benehmens der Kids völlig unbeteiligt und tat so, als hätte er nie Kinder gehabt, diese beiden da schon mal gar nicht.
Der Pilot startete die Maschine und Familie Schmidt wähnte sich schon am Strand. Doch plötzlich wurde der Motor wieder herunter gefahren. "Meine sehr geehrten Damen und Herren, hier spricht ihr Kapitän. Leider ist unser Bordcomputer ausgefallen. Der Start wird sich deshalb um eine Stunde verzögern...", kam die Durchsage. Frau Schmidt sah Herrn Schmidt nur kopfschüttelnd an, als wollte sie sagen: Wenn Du einen Urlaub buchst, kann das ja nur schief gehen....
Die Wartezeit wurde mit einem kleinen Imbiss überbrückt, den die Stewardessen durchreichten. Es gab kleine Gummibrötchen mit eingeschweißtem Lachs und angelaufenem Käse. Die Kinder berieten gerade, ob die Farbe des Lachses wohl gut zu den roten Haaren der Frau passen würde, die vor ihnen saß. Anscheinend kamen sie zu keinem Ergebnis, denn sie tauchten die Minibrötchen in ihre Cola und spielten damit Pingpong. Herr und Frau Schmidt bekamen das gar nicht mit, sie hatten die Kopfhörer aufgesetzt und lauschten verzückt der Radiosendung ,Ausgeruht in den Urlaub - so gehts'.
Zwei Stunden später war man endlich auf der Ferieninsel angekommen. Weitere drei Stunden später hatten sie endlich einen Kleinwagen gemietet, der sie zu ihrer Pension bringen sollte. Einen Stoßseufzer zum Himmel schickend, sagte Frau Schmidt: "Und jetzt fehlt nur noch, dass unsere Reservierung in der Pension nicht angekommen ist..." "Edelgard!“„ empörte sich Herr Schmidt. „Was denkst Du nur? Wenn ich etwas in die Hand nehme, dann mache ich das richtig. Klar?" Wie hatte sie das bloß vergessen können?
Nach weiteren zwei Stunden Autofahrt in der Gluthitze hatten sogar die Kids ihre Hyperaktivitäten eingestellt dösten vor sich hin, dem Hitzschlag immer näher kommend. Während Herr Schmidt davon träumte, am Pool zu liegen und die knackigen Hinterteile der weibliche Badegäste zu beobachten, wurde Frau Schmidt das ungute Gefühl nicht los, dass das noch nicht alles gewesen sein konnte.
Und richtig: Eine zahnlose Herbergsmutter mit Schmuddelkittel versuchte, ihnen mit Händen und Füßen zu erklären, dass Familie Schmidt keine Zimmer gebucht hatte. Obwohl Herr Schmidt ihr immer wieder die Reisebestätigung unter die Nase hielt, ließ sich da rein gar nichts machen. Schweißüberströmt, mit hängenden Schultern und ebensolchen Mundwinkeln stand er fassungslos da. Frau Schmidt befand sich nun gänzlich am Rande eines Nervenzusammenbruchs. Hätte sie sich doch nur an die Filmvorlage gehalten! Sie hätte jetzt irgendwo in Venedig Blumen verkaufen und nette Männer kennen lernen können..........
Herr Schmidt schluckte hart und konnte den Impuls, die Hände um den Hals der Pensionswirtin zu legen, gerade noch so unterdrücken.
Da nahte Rettung: Die Schwester des Schwagers der Freundin des Pensionsbesitzers hatte noch zwei winzige Zimmer frei, die lagen total günstig! Nur zwanzig Kilometer vom Strand entfernt und mit Waschgelegenheit auf dem Hof! Na, wenn man da nicht von Happy-End sprechen konnte! Schließlich war auf der Insel alles ausgebucht! Überbucht! Doppelt- und dreifach gebucht! Da sollten sie doch froh sein, überhaupt ein Dach über dem Kopf....bla.....bla.....
Als Herr Schmidt ruckartig erwachte, gab es nur noch eins: er stornierte sofort die last-minute-Reise in den Süden, trank ein großes Glas warme Milch und schlief seelenruhig seinem Urlaub entgegen.