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Alles oder auch nicht?
Sie sitzen an einem kleinen Tisch jeweils einen Kaffe vor sich. Sie, eine schöne, junge Frau mit kurzem, braunem Haar und ebenso braunen Augen schaut aus dem großen Panoramafenster und beobachtet den Verkehr, der sich quälend langsam durch die Straßen schlängelt. Er, ein gut aussehender Mann mit schwarzem Haar und dunklen Augen beobachtet sie. Ihre ebenen Gesichtszüge, der schöne Mund und vor allem die entschlossenen Augen bannen seinen Blick. Er nimmt einen Schluck von seinem Kaffe und wagt es dann ihre feine, kleine Hand zu berühren. Sie fährt zusammen, fängt seinen Blick auf und verliert sich fast in der Wärme seiner beinahe schwarzen Pupillen. Um seinen Mund bilden sich feine Grübchen, die ihn wie einen kleinen Jungen wirken lassen. Er lächelt. Sie angenehme Wärme hüllt sie ein, der sie sich ergeben will,l es aber nicht kann.
„Ich denke, ich sollte jetzt gehen.“, sagt sie und verschwindet, lässt ihn, ihren Kaffe und die Wärme an seiner Handfläche zurück. Er hält sie nicht auf.
Auf der Straße fragt sie sich, wo sie eigentlich hin will. Sie arbeitet mit ihm zusammen. Sie sind Partner. Freunde. An ihrem Auto angekommen, beschließt sie, einfach loszufahren und die Arbeit, für heute Arbeit sein zu lassen und später zu kommen.
Die Landschaft rauscht an ihr vorbei, Häuser, Wälder, Seen. Nichts hier kommt ihr bekannt vor, was daran liegt, dass für sie sowieso nur ihre Arbeit lebt, existiert, real ist. An einem kleinen Rastplatz macht sie halt und schaut das erste Mal, seit sie eingestiegen ist auf die Uhr. Zwei Stunden sind vergangen, in denen sie nur gefahren ist, um möglichst viel Raum, zwischen sich und ihm zu schaffen. In den Bäumen des Platzes singen kleine Vögel, in der Stadt hört man so etwas selten. Sie geniest beinahe die Ruhe, denkt aber unaufhörlich nur an eine Sache. Was ist da zwischen ihm und ihr? Was will sie, dass da ist? Was könnte da sein? Und warum kann sie sich nicht darauf einlassen?
Als sie in der Redaktion ankommt, ist es schon Mittag. Unzählige Menschen strömen durch die heiligen Hallen, die ihr die Welt bedeuten und die sie bewusst davon abhalten, etwas anderes zu tun, als für die Arbeit zu leben und nicht zu arbeiten um zu leben. Er sitzt an seinem Schreibtisch, nicht weit von ihrem und wühlt in Unterlagen, während er mit jemandem telefoniert. Ohne ihn zu berühren, obwohl sie das gern getan hätte, setzt sie sich an ihren Platz und schaut ihre entgangenen Anrufe durch. Unerwartet blickt sie, beim nächsten Aufblicken in seine Augen.
„Schön, dass du doch noch gekommen bist. Wo warst du?“
„Ich habe für eine Story recherchiert.“, antwortet sie und weiß nicht mal, wie sie diese Lüge auch nur eine Frage länger bekräftigen kann.
„Ich dachte, wir arbeiten momentan nur zusammen an einer Story. Ich wusste gar nicht, dass du noch etwas anderes an der Angel hast.“, mit diesen Worten geht er, legt es nicht darauf an, sie bloß zu stellen. In ihren Gedanken dank sie ihm leise.
Jeden Schritt, den er macht beäugt sie genau. Fragt sich, warum er gekommen ist und sieht dann den Kaffe vor sich stehen.
„Danke Ray.“
„Kein Problem.“, ruft er zurück, mit seiner sanften Stimme, würde man nie glauben, dass er so groß und sportlich ist. Unter dem Anzug kann sie seine Armmuskulatur sehen, er hat genau die richtige Größe um nicht zu eng zu sein und nicht zu weit.
Er sitzt an seinem Platz und hat das Gefühl nicht genug getan zu haben, um ihr zu helfen. Wobei weiß er nicht, aber er weiß, dass da etwas ist, was sie belastet, was sie dazu bringt ihn zu belügen. Feuer und Wasser sind nicht so unterschiedlich wie die Beiden. Sie die Karrierefrau und er der Typ vom Land. Gedankenverloren blättert er einige Akten durch, ohne zu sehen, was er tut und steht dann auf, um sich einen frischen Kaffe zu holen. Von der Kaffeemaschine aus, hat er einen guten Blick auf sie. Sie trägt einen Blazer und einen Rock, beides in schwarz, unter dem Blazer ein weißes T-Shirt und hohe Schuhe. Nur sehr selten hat er sie in Jogginghose und Schlabbershirt erlebt, aber selbst das tat seiner Faszination, für sie keinen Abbruch. Die Eleganz mit der sie sich bewegt, die Art, wie sie spricht. Ihr ungezähmter Redefluss, der entsteht, wenn sie nervös ist und die Naivität, mit der sie sich immer wieder in Schwierigkeiten bringt. Aber vor allem, diese Augen, die hinter Stärke die reine Trauer verstecken. Sie erhebt sich und kommt auf ihn zu.
„Zucker fehlt.“, meint sie und greift an ihm vorbei, um sich zwei Würfel Zucker zu nehmen. Sie lächelt ihn an und wendet ihm dann wieder den Rücken zu.
Nach einem langen Arbeitstag will sie eigentlich nur nach Hause. Bei dem Gedanken, dass dort aber gar nichts ist, niemand auf sie wartet, sondern im besten Falle nur eine Nachricht auf ihrem AB blinkt, in der es heißt, sie solle sich mal wieder bei ihrer Mutter melden, bleibt sie an ihrem Schreibtisch sitzen und beschließt eine Nachtschicht einzulegen. Er ist vor wenigen Minuten, unbemerkt von ihr verschwunden. Seine Leselampe brennt noch und erhellt, mit ihrer die große Redaktionshalle. Der Rest ist in Dunkelheit gehüllt, die die Stille zu einer warmen Decke werden lässt, die sich um sie legt und sie müde macht. Müde von ihrem Leben und dem Versteckspiel, dass sie nun nicht mehr spielt, wie sie es als Kind getan hat, sondern lebt. Neben dem Bildschirm ihres Computers steht ein eingerahmtes Foto, von ihm mit ihr. Aufgenommen nach einer Journalistenpreisverleiung. Sie trägt ein langes, schwarzes Kleid und die Haar hochgesteckt. Er hat einen schwarzen Smoking an und hat den Arm um sie gelegt. Beinahe spürt sie diese Berührung noch jetzt. Warm und vorsichtig. Fast als sei sie zerbrechlich. Mit einer langsamen Bewegung nimmt sie das Foto in ihre Hand und streicht mit dem Finger über das kühle Glas. Der Abend war schön gewesen, auch wenn nur er einen Preis bekommen und sie nur als Begleitung fungiert hatte. Sie hatten getanzt und geredet, wie sie es schon Stundenlang hier, während Recherchen getan hatten. Sie hatte sich unglaublich wohl gefühlt. Mit einem Kopfschütteln, stellt sie das Abbild eines schönen Moments wieder an Ort und Stelle und arbeitet weiter. Hackt in die Tastatur, um den Artikel bis Morgen fertig zu haben. Wenn sie Glück hatte, dauerte es bis zum Sonnenaufgang, dann hatte sie noch genügend Zeit um nach Hause zu fahren, zu duschen und sich umzuziehen.
Das Gebäude liegt tot da, er verhält sich ruhig, aus Erfurcht vor der schweren Stille. An seinem Tisch lässt er sich fallen und kramt in einer der Schubladen. Erst da fällt ihm auf, dass noch ein anderes Licht berennt, außer dem, das er angelassen hatte. Es kommt von ihrem Tisch. Darauf bedacht keinen Laut zu machen, schleicht er hinüber und sieht sie schlafend auf ihrer Tastatur. Auf dem Bildschirm bildet sich eine Reihe bs. Er grinst und schaut ihr für einige Momente nur stumm beim Schlafen zu. Sie sieht schrecklich verletzlich aus, wie sie da liegt und gleichzeitig so friedlich.
„Faith. Wach auf.“, sagt er, in einem weichen Flüsterton.
Sie wacht langsam und umhüllt von den Nebeln des Schlafes auf, sieht als erstes den Bildschirm, dann ihn.
„Ray…“
Sie wird rot, weiß nicht, was sie sagen soll und hält, anstatt wie gewöhnlich Schwachsinn zu reden den Mund.
„Soll ich dich nach Hause bringen?“
Was soll sie darauf antworten? Nein, da ist es so einsam? Ja, aber bitte bleib bei mir? Oder einfach, lass mich nicht allein?
„Ich will das erst noch fertig machen.“
„Ich warte.“, antwortet er und lächelt, das Lächeln umstreift sie, wie ein warmer Sommerwind am Meer.
Sie streicht sich eine Strähne aus dem Gesicht und will schreiben, weiß aber nicht was. Denkt an ihn und fragt sich, was so falsch an all dem ist. Ihre Augen tränen und machen es schwer zu sehen. Sie ruft sich ins Gedächtnis, wer sie ist. Die Journalistin, knall hart und sachlich. Nicht so ein Gefühlkrüppel, wie die meisten Menschen. Nein sie nicht.
Er kniet an seinem Tisch und geht die Sachen, in einer der Schubladen durch. Weiß nicht wonach er eigentlich sucht. Nach ihr. Nach einer Gelegenheit, es ihr zu sagen. Ihr zu gestehen, was er fühlt. Ihr zu sagen, was sie eigentlich längst wissen müsste. Aber wer ist er schon, dass er sich Chancen bei ihr ausmalt? Bei der taffen Reporterin? Sie sind Freunde. Mehr will sie nicht. Das hat sie, mehr als einmal klar gemacht. Aber was ist, wenn er mehr will und sich nicht mit weniger zufrieden gibt? Was ist, wenn er sie vor die Wahl stellt? Das könnte er nicht. Er würde es ihr nicht sagen.
Sie drückt auf die Eingabetaste und beendet ihre Arbeit, freut sich nicht gerade auf ihre Wohnung. Er blickt auf und lächelt wieder. Und sie fragt sich, worauf sie eigentlich wartet. Auf jemanden, der ihr zeigt wer sie ist? Auf jemand, der sie immer wieder aufs Neue verblüfft? Auf jemand, der alle ihre Wunden heilen kann? Sie erwidert seinen Blick und sucht in seinen Augen, nach etwas falschem, nach etwas, was sie davon abbringen könnte, sich für ihn zu entscheiden. Vergebens.
„Lass uns gehen, sonst schläfst du nachher wieder ein. Ich kenne dich doch.“ Er reicht ihr einen heißen Becher und sie nimmt einen großzügigen Schluck. Fängt an zu husten und schaut ihn verwirrt an.
„Kakao?“
„Sonst kannst du nachher nicht schlafen und hüpfst umher wie ein Flummi.“
Er erstaunt sie immer wieder, schießt es ihr durch den Kopf. Hat er ihr nicht oft gezeigt, wie stark sie ist? War er nicht immer für sie da, wenn sie Hilfe brauchte?
Verwirrt blickt sie ihn an. Hatte sie sich etwa immer nur eingebildet, dass es nicht reichte? Hatte sie sich immer nur eingeredet, dass es ein Wort zu wenig war, was er sagte? Sollte sie ihn etwa schon immer auf Abstand gehalten haben, ohne es zu merken?
„Kommst du?“
Wieder ist sie verwirrt, hat das Gefühl als fehlten ihr einige Sekunden.
„Ja, lass uns gehen.“, wie um ihrem Entschluss den nötigen Nachdruck zu geben, knipst sie die Lampe an ihrem Platz aus. Er tut es ihr gleich und so stehen sie plötzlich im Dunkeln. Einige Augenblicke sind sie blind, bis sie sich an das fahle Mondlicht gewöhnt haben, dass durch das große Fenster der Redaktion fällt. Wie Silber glitzert es auf dem Glas, des Fotos auf ihrem Tisch und dem auf seinem. Sie setzt sich in Bewegung und stolpert, er fängt sie.
„Alles in Ordnung?“
„Ja.“, sie befreit sich aus seiner Umarmung und setzt ihren Weg fort, um kurz darauf wieder zu stolpern. Dieses Mal, hält sie sich selbst auf den Beinen. Er holt zu ihr auf und greift nach ihrer Hand.
„Sonst brichst du dir noch die Knochen.“
Sie nickt verlegen und genießt die Berührung.
Vor dem Pressegebäude, sehen sie in den Sternenhimmel. Er hält immer noch ihre Hand, als ihm das bewusste wird zieht er sie weg, räuspert sich und will sich entschuldigen, weiß aber nicht wofür. Kälte steigt an ihrer Hand empor und macht es ihr unmöglich, sich nicht nach ihm zu sehen.
„Schön hier, wenn keiner da ist.“
„Ja. Schön hier.“, sagt sie und lehnt ihren Kopf an seine Schulter. Unsicher aber entschlossen, die Chance zu nutzen, legt er einen Arm um sie. Im ersten Moment will sie sich wehren. Ihm sagen, dass sie gehen müsse. Aber wohin? Nach Hause? Dort war ohnehin keiner. Ihre Fische brauchten Futter. Einen Moment dachte sie daran, dass zu sagen, tat es aber nicht. Vielleicht geht es ja doch gut.
Er schaut in den Himmel, spürt ihre Wärme und weiß, dass dieser Moment unaufhörlich dem Ende entgegen geht und sie Morgen wieder nur Partner und Freunde sind, heute aber so viel mehr.
„Ich…“, fangen sie Beide aus einem Mund an und lachen dann nervös. Jeder von ihnen hat Angst, dass der Andere diese Gelegenheit verstreichen lassen will, sie nicht sieht. Deshalb schweigen sie lieber.
„Es ist kalt.“, meint sie schließlich neutral, ohne einen weiteren Gedanken, nur um die Hülle des Schweigens, um sie zu zerstechen.
Er zieht seinen Arm weg und sie sieht sich schon, in seinem Wagen, auf dem Weg nach Hause, in ihre kalte Wohnung. Aber anstatt sie in Richtung Auto zu geleiten, zieht er seinen Mantel aus und legt ihn ihr um. Sie glaubt nicht daran, dass sie seinen Arm zurückbekommt, der sie mehr gewärmt hat, als ein Stück Stoff es jemals tun könnte, aber nachdem sie sich den Mantel zu Recht gezogen hat, gleitet sein Arm wieder um sie. Seit er sie in den Räumen ihrer Arbeit an die Hand genommen hat, blickt sie nun, das erste Mal wieder in seine Augen. Er lächelt.
„Immer noch kalt?“
Sie schüttelt den Kopf und dreht sich zu ihm um. Wenige Zentimeter trennen sie. Flucht ist unmöglich. Für sie, sowie für ihn. Keine Ausrede gut genug. Und sowieso Sinnlos. Schließlich schmeißt sie alle Zweifel und jede Vernunft über Bohrt, ignoriert die Stimme in ihrem Kopf, die ihr sagt, dass sie etwas Falsches tut und küsst ihn. Nicht lange, aber lange genug, um es nicht als Dankeschön für den Mantel zu verstehen. Er schaut sie an, ist verwirrt und muss grinsen.
Vielleicht haben wir ja doch eine Chance, wenn auch nur eine ganz kleine, denkt sie, aber diese kleine Chance, ist mehr wert als alles andere.
Er streicht ihr durchs Haar und hofft, dass sie auch Morgen und Übermorgen mehr als Freunde sein werden, mehr als Partner.
Dann laufen sie langsam los. Nicht zu seinem Auto, nicht zu ihrem Auto. In Wahrheit stehen sie noch genau an derselben Stelle, aber kommen doch so viel weiter, als an jedem Tag zuvor.