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Alles, was Recht ist

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01.07.2004
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Alles, was Recht ist

Alles was Recht ist

Alles was recht ist. Der Hammer fährt nieder. Im Namen des Volkes fährt er nieder. Zum letzten Mal wurde in dieser Woche verwarnt, verurteilt, eingekerkert, Recht gesprochen. Das Böse weggeschlossen und bestraft. Mit der Robe wird der Beruf abgestreift und in den Spind gehängt. Ebenso die Vernunft und die Verantwortung. Jetzt kommt der Ehemann zum Vorscheinen, der sich die freie Zeit schwer verdient hat, der Vater, der sich nun auf den Weg macht in die private Welt, wo andere Gesetze herrschen. Das Gerechtigkeitsgebäude und die Akten hinter sich lassend schiebt sich das Wochenendgesicht auf sein Antlitz.
Da, wo er jetzt hingeht, sind die Fenster weit geöffnet. Noch fällt Licht in die Zimmer. Der Wind lässt die Vorhänge tänzeln, er trägt den Frühlingsduft herein, das Zwitschern der Vögel und das Trällern der Tochter, die sich im Garten mit dem Springseil vergnügt. Die Mutter blickt auf die Uhr, probiert ein letztes Lächeln, deckt den Tisch. Akkurat. Ein perfektes Arrangement, auf dem Reißbrett entworfene Stadtteile. Millimeterarbeit.
Da ist die Tür. Sie schaut nicht hin. Noch bleibt sie geschlossen. Diese Tür. Dieses ledergepolsterte Portal. Eingang in das dunkle Heiligtum mit dem alten Schreibtisch, dem Cognac und den verklebten Geheimnissen, aus dem kein Geräusch hinein oder herauszudringen vermag, das niemand ohne ausdrückliche Genehmigung betreten darf. Alles was recht ist.
Hoffentlich ist er nicht in Wochenendlaune, betet sie in sich hinein. Denn dann wird er die verhassten, harmlos klingenden Worte nicht sagen. Doch wenn er in Wochenendlaune ist, wird er sie sagen und dann...
Das Knirschen in der Auffahrt reißt die Gedanken ab. Plötzliche Windstille. Die Vorhänge erschlaffen und nehmen an Gewicht zu. Das Trällern der Tochter verstummt. Das Springseil erstarrt. Gekrümmt. Zusammengerollt. Eine bewegungslose, geduldig auf Beute lauernde Schlange. Unsichtbar fallen irgendwo die Vögel vom Himmel.
Wer betritt heute das Haus? Richter, Vater oder Ehemann? Es ist der Vater, er hält die Tochter an der Hand. Wochenendlaune. Sein Atem verrät den hastig hinuntergestürzten Cocktail. Die Fenster werden geschlossen. Die Vorhänge zugezogen. Die Welt ausgesperrt. Die Mutter zupft fahrig Frisur und Kleidung zurecht.
Ein Teller fällt, als der Vater sich erkundigt, wie es „Papas Liebling“ im Kindergarten ergangen sei. Etwas explodiert lautlos und die Mutter muss sich neu sortieren, das Mosaik in ihrem Kopf wieder zusammensetzen, Stein für Stein am rechten Ort platzieren, während sie ausgegossen wird mit Beton. Das Signal wurde mit dem Horn von den Hügeln ins Tal geschmettert, und der richterliche Hammer ist niedergefahren, die beiden Worte: „Papas Liebling“ sind gefallen. Unwiderruflich in Marmor gemeißelt. Das Urteil ist rechtskräftig. Im Namen des Vaters.
Das Essen ist gelungen. Papa lobt und scherzt lächelnd. Die Tochter kichert künstlich und viel zu laut, während die Lautsprecher Mozart in den Raum spucken. Die Mutter bringt kaum etwas hinunter, denn der Beton in ihr ist nun ausgehärtet und will nichts mehr hinein oder hinauslassen. Nach dem Espresso legt sich eine Schraubzwinge aus Fleisch und Blut um die Hand der Tochter. Die ledergepolsterte Tür wird geöffnet. Lautlos. Der dunkle, dampfende Raum, in dem die Tapeten Blasen schlagen, verschluckt Papa und Papas Liebling.
Versteinert bleibt die Mutter am Tisch zurück. Festgezurrt im Geschirr der Ehe, starrt sie auf die geschlossene Tür. Obwohl kein Ton in den Raum hinein oder hinausdringen kann, ist es laut in ihrem Kopf. So laut, dass der Beton in ihr zu Staub zerfällt und die Beweglichkeit zurückkehrt.
Alles was recht ist. Wer sich Tag für Tag, Monat für Monat, Jahr für Jahr aufopfert und Recht sprechen muss, immer wieder und wieder Recht sprechen muss, hat doch auch ein Recht auf Unrecht, denkt sie, steht auf und räumt leise summend den Tisch ab.

 

Hallo Goldene Dame!

Nenne mir doch einige Titel deiner Bücher. Ich bin sehr gespannt darauf.

Wenn es dich wirklich interessiert, maile ich dir die Titel gerne.

Vielleicht ist unter den Schülern sogar ein missbrauchtes Kind ...
Deshalb lesen die Lehrkräfte die Texte in der Regel vorher.

Du hast selbst gesagt, dass viel geschwiegen wird. Auch die Opfer schweigen, aus Gründen, die in deiner Geschichte nicht vorkommen.

Stimmt. Dann wäre es eine andere Geschichte geworden.

ich habe keine Lust einen Autoren als gesellschaftsreinigend zu huldigen, nur weil er Bücher schreibt,

Das würde ich auch nicht tun - niemals!!!

denn wer weiß welche literarischen Ergüsse vom Autoren noch authentisch und nicht lektoriert sind?

Grundsätzlich kann man davon ausgehen, dass lektorierte Texte aus Autorensicht hundertprozentig authentisch sind. Ein Lektorat ist schließlich keine Zensur, es macht Vorschläge, die der Autor annehmen oder ablehnen kann.

Warum wurde denn diese Geschichte noch nicht veröffentlicht?

1. weil ich an der Geschichte noch feile. Deshalb steht sie hier.
2. weil es sehr schwierig ist einen Verlag zu finden, der bereit ist, ein Buch mit Kurzgeschichten zu veröffentlichen. Die KGs kommen bei den Verlagen nämlich gleich nach der Lyrik.
3. bliebe noch die Anthologie. Das habe ich ein paar Mal gemacht, aber da kommen häufig wirklich grottenschlechte Bücher bei raus. Aber ich bin sicher, dass man die Geschichte unterbringen kann, wenn man das unbedingt will.

Nach deinem Profil tauchst du hier lieber Falky dann und wann auf ...

Das stimmt. Es liegt daran, dass ich sehr wenig Zeit habe. Außerdem lese ich Geschichten nicht gern am Computer. Das heißt, ich lese an und wenn mich eine Geschichte interessiert, drucke ich sie aus und lese dann. Ich weiß, ein Tick, aber es ist so. Hinzu kommt noch, dass ich eher ein langsamer Leser bin und jetzt schon weiß, dass ich all die Bücher, die ich gerne noch lesen würde, in diesem Leben nicht mehr schaffen kann.
Aber KG.de ist ein ganz tolles Forum und ich wünschte, ich hätte mehr Zeit dafür.

Aber ob du ein begnadeter Schrifststeller bist, kann ich anhand deiner Geschichte nicht festmachen.

Da kann ich dir helfen. Ich bin mit Sicherheit kein begnadeter Schriftsteller, sondern ein Autor von ganz ganz vielen, der sich so durchwuselt und ab und zu auch blöde Fehler macht. Zum Beispiel den, mich hier zum Bücherschreiben bekannt zu haben. Ist nun aber nicht mehr zu ändern.

Nur Mut oute dich ...

Nö! Hier bleibe ich gerne "falky"

Mit besten Grüßen
falky

 

Hallo allerseits,

@Dion
Nein, ich denke nicht über eine ‚Rückempfehlung’ nach.;)

Das große Manko jedoch ist, daß das Schweigen der Frau nicht begründet wird, denn ein Wort von ihr würde alles zusammen brechen lassen. Warum also spricht sie dieses eine Wort nicht aus? Warum summt sie mit Mozart, statt zu schreien?

Daraus besteht nun mal der Konflikt der Geschichte, die Tragik, die Dramatik, die Ungeheuerlichkeit (wie du es nennen würdest)! Würde sie das besagte Wort sprechen, wäre es eine andere Geschichte, ob eine bessere, sei mal dahingestellt.
Komisch finde ich, dass du solche „kritischen“ Fragen nach deinem Beitrag hier stellst.

@Goldene Dame
Nach wie vor kann ich dir nicht recht geben.;) Das Wesentliche deiner Kritik besteht in der Verwendung von Klischees, Schablonen - alles Andere wie Personifizierung, Steigerung usw. kann ich beim besten Willen nicht als ernsthaftes Manko sehen, schließlich sind meines Wissens rhetorische Mittel in literarischen Texten nicht verboten. Diese hier sprechen dich in ihrer Häufigkeit (?) und Wahl nicht an. Kann man nichts machen.
Ich fand gerade die Personifizierung und die Passivkonstruktionen als passende Mittel, die Rechtschaffenheit der Hauptfigur als Schein zu entlarven. Das hat sehr wohl mit Persona zu tun. Eine Rolle ist eine Rolle und nicht das Wesen eines Menschen. Durch die Depersonalisierung wird zudem erreicht, dass die Rolle allgemein wird und sich Gesellschaftskritik entfaltet. Dem rechtschaffenen lesenden Bürger wird vor Augen geführt, er spielt mit…

Natürlich ist der Stil provokativ durch - von mir aus – das Plakative. Das ist mir allerdings viel lieber als eine Geschichte, die einfühlsam daherkommt, nur weil sie das Leid leiert. Aber eine solche Geschichte wäre natürlich viel bequemer, weil man Mitleid haben und sich dadurch für einen besseren Menschen halten könnte…

Auch die Opfer schweigen, aus Gründen, die in deiner Geschichte nicht vorkommen. Neben der stilistischen Kritik kommen inhaltliche Fragen dazu
Inhaltliche Fragen, wenn ich das schon höre! Ist doch egal, warum sie schweigen, sie schweigen halt, weil sie Opfer sind! Soll dem Leser denn alles mit ’nem Babylöffel direkt ins Hirn eingeflößt werden? Entschuldige, aber keine gute Kurzgeschichte gibt selbst alle Antworten.

Gruß Euch
Kasimir

 
Zuletzt bearbeitet:

@kasimir

Ich fand gerade die Personifizierung und die Passivkonstruktionen als passende Mittel, die Rechtschaffenheit der Hauptfigur als Schein zu entlarven.
Das habe ich auch so gesehen, aber ich finde die Schablone dafür zu benutzen ist keine literarische Kunst, sondern verfälscht die Aussage. s w u
Diese hier sprechen dich in ihrer Häufigkeit (?) und Wahl nicht an.
Ich bin ein mündiger Leser und brauche keinen Holzhammer ;) der mir eintrichtert, dass hier die Richtermaske den Teufel verdeckt.
Durch die Depersonalisierung wird zudem erreicht, dass die Rolle allgemein wird und sich Gesellschaftskritik entfaltet. Dem rechtschaffenen lesenden Bürger wird vor Augen geführt, er spielt mit…

Also diese Aussage sehe ganz bestimmt nicht in dieser Geschichte. Im Gegenteil, dem Leser wird aufgetischt, dass ein Richter (und dieser ist nicht stellvertretend für eine Persona) sein Kind missbraucht und die Ehefrau (und nicht der rechtschafende lesende Bürger das Unrecht nicht (ein?weg?)sieht.
Wenn der Autor gesellschaftskritisch den Missbrauch aufzeigen will, muss er schon berücksichtigen, dass der Missbrauch durchweg in allen gesellschaftlichen Schichten vorkommt. Die Person des Richters ist stellvertretend für eine gesellschaftliche Schicht zu sehen. Wenn er anders gemeint hat, ist die Schablone falsch verwendet worden. Daher hätter er liebe auf diese verzichtet und die Maske des rechtschaffenden Bürgers einer anderen Persona aufgedrückt, die gesellschaftlich in allen Schichten vertreten ist.

GD

 

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