Als das Glück nach Rumänien kam
Sie hielt ihn ganz fest an der Hand. Beim tagtäglichen Spaziergang durch die Stadt fühlte sie sich auf diese Weise sicher. Beschützt. Was konnte schon einem kleinen Mädchen passieren, dachte sie, wenn der Vater Karate-Trainer war?
Das neu eröffnete McDonald’s-Restaurant im Zentrum der osteuropäischen Stadt sorgte bei allen für Furore. Auch das Mädchen zerrte mit aller Kraft am Ärmel seines Vaters und strapazierte dessen Nerven mit einem fortwährenden „Bittebittebitte“. Man kann aber dem Kinde wenig vorwerfen. Denn sogar ausgewachsene Würdenträger rissen sich darum, Gast im „etwas anderen Restaurant“ zu sein. Man sah in der Eröffnung des Restaurants den ultimativen Beweis für den Sieg über den Kommunismus. Zeitungen berichteten unaufhörlich darüber und schlussfolgerten: Endlich ist die Sonne auch über unsere Straße aufgegangen, endlich ist das Glück auch nach Rumänien gekommen.
Und für uns Kinder war es einfach nur eine Traumfabrik. Ein buntes Etwas in einer sonst eher grauen und tristen Stadt. Darum ging es unendlich mehr als ums Essen an sich. Heute hört mein Vater nicht mehr auf, mir zu erzählen, wie wichtig Träume sind, wie wichtig kleine und einfache Vergnügen insbesondere für Kinder sind. Aber damals schien er das vollkommen vergessen zu haben. Denn er gab nicht nach. Und ich war fassungslos. Die Schwächen für die Launen seiner einzigen Tochter werden ihm meist zum Verhängnis. Doch diesmal konnte ich den 2-Meter-Mann nicht zum Kapitulieren bringen. Er hatte in diesem Moment nicht mal den Schatten eines Lächelns für mich übrig. Und um auf die Idee zu kommen, dass ihn vielleicht die Scham überkommen ist, weil er das Geld für eine Juniortüte nicht hatte, um daran zu denken, dafür war ich einfach zu jung.
Mehr als 8 Jahre später hat das McDonald’s im Zentrum der Stadt nur sehr wenig von seinem damaligen Ruhm eingebüßt. Nun ist es nicht mehr mein Vater, der mich in die Stadt begleitet, sondern mein Schatz. Will man als Kerl beeindrucken, so lädt man das Mädel zuerst in die Oper ein. So hatte es auch M. getan. Und für die Krönung des Abends muss es gleich nach der Oper ein besonderes Restaurant sein. Das nicht mal eine Minute entfernte McDonald’s gehört eindeutig dazu. Und so flanierten wir damals nach der Tosca-Aufführung dahin. Er will seine Manieren unter Beweis stellen und drückt, obwohl an der Eingangstür „Ziehen“ steht und haut seine Denkerstirn dagegen. Die Eleganz ist im Eimer, meine Augenbraue fragend hochgezogen. Dann lache ich laut auf. „Was gibt es denn da bitte zu lachen?“ fragt er sichtlich derangiert. „In diesem Frack erinnerst Du mich an einen Saaldiener – aber an einen äußerst ungeschickten“ antworte ich. Nun gut, schließlich betreten wir den Innenraum. Mein farbiges und glitzerndes Abendkleid fällt nicht mehr so sehr auf wie in der Oper, denn hier ist alles farbig und alles glitzert. Aber das stört mich nicht im Geringsten. Denn wollte ich ein paar Minuten zuvor im Foyer der Oper unbedingt auffallen, so will ich mich hier unbedingt anpassen. Ich möchte fühlen, dass wir schon immer hierher gehört haben, in diese farbige, glitzernde Welt. Die Geschichte zeugt zwar nicht davon, aber das ist passé. Wir sind verliebt und haben jetzt McDonald’s! Wir können jetzt die Geschichte schreiben!
Mein Vater wandte damals einen Trick an. Meine Oma hätte doch schon was gekocht. Ich solle mir vorstellen, wie enttäuscht sie wäre, wenn ich zu Hause nichts mehr essen könnte. Ich stellte mir ihre Enttäuschung bildlich vor…