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Als der Himmel wolkenlos war

Jin

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26.08.2007
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Als der Himmel wolkenlos war

Guten Tag, ich heiße Shouta Sasaki. Vier Tage vor meinem dreizehnten Geburtstag bin ich gestorben.

Ich weiß nicht, ob dies ein guter Anfang ist für eine Geschichte. Herr Okamoto hat immer gesagt, ich rede zu viel unsinniges Zeug und meine Aufsätze hat er nie besonders gut bewertet. „Fasse dich das nächste Mal kürzer!“, hat er immer unter meine Arbeit geschrieben oder „konzentriere dich auf das Wesentliche!“. Ich glaube, ich bin ein bisschen dumm, weil ich oft nicht weiß, was wichtig ist und was nicht. „Shouta! Denk doch erst einmal nach bevor du anfängst zu reden!“, höre ich meine Mutter schimpfen. Sie schimpfte viel, seit mein Vater in den Krieg gezogen ist. Ich glaube, er ist noch vor uns gestorben. Er liebte Brötchen mit süßem Bohnenmus.

Es war genau 8 Uhr und 30 Sekunden und ich hatte noch 15 Minuten zu leben. Natürlich wusste ich das in dem Moment nicht. Ich freute mich lediglich über den schönen Zufall, dass der Sekunden- und der Minutenzeiger der Taschenuhr für eine Sekunde genau eine Senkrechte bildeten, als ich sie aufklappte. Die Uhr gehörten meinem Vater und er hat sie mir am Tag seiner Abreise in die Hand gedrückt. Das war drei Jahre her.
Eigentlich müsste ich um die Uhrzeit in der Schule sein, aber stattdessen stand ich an der Bucht und blickte auf das Meer. Ich mochte die ruhige Bewegung des Wassers bei gutem Wetter und das Geräusch leise vor sich hin plätschernder Wellen. Bei Sturm oder starkem Wind mied ich das Wasser. Aber der Himmel war wolken- und flugzeuglos, so dass ich nichts zu befürchten hatte. Zwar wurde vor einer Stunde der Alarm ausgerufen, aber bevor wir uns auf dem Weg zum Luftschutzbunker machen konnten, wurde schon wieder Entwarnung gegeben. Also hatte ich an jenem Tag schulfrei und bunkerfrei.
Meine Blicke schweiften in die Ferne und meine Gedanken kreisten um das Meer. Wie gerne würde ich jetzt hinein springen und das kühle Wasser auf meiner Haut spüren. Aber seit die riesigen Kriegsschiffe hier aufgetaucht sind, war das Meer für uns gesperrt. Mit ihnen kamen auch die Soldaten und die Flugzeuge. Es wäre schön, wenn sie an meinem Geburtstag nicht mehr da wären.
„Was wünschst du dir zum Geburtstag, Shouta?“, hat mich meine Mutter beim Frühstück gefragt.
Ich habe ohne zu zögern geantwortet: „Dass der Krieg aufhört.“
„Sei nicht albern!“, war ihre Reaktion auf meinen durchaus ernst gemeinten Wunsch gewesen.
„Dass die Flugzeuge nicht mehr wieder kommen“, versuchte ich es erneut.
„So etwas kann man sich nicht wünschen.“
„Dass Papa wieder zurückkehrt“
Daraufhin hat sie geweint.
Plötzlich vernahm ich ein leises Dröhnen in der Ferne, als würde ein Gewitter heraufziehen. Aber über mir war immer noch keine einzige Wolke zu sehen, also konnte es nur ein Flugzeug sein. Oder mehrere.
„Egal wo ihr seid, wenn ihr mehrere Flugzeuge am Himmel seht, dann lauft sofort zum Bunker!“, hatte man uns eingeschärft, „das ist sehr sehr wichtig.“
Diesen Satz habe ich verinnerlicht und wiederholte ihn jetzt in Gedanken. Ich war stets froh, wenn mir jemand die schwierige Aufgabe abnahm zu entscheiden, ob etwas wichtig ist oder nicht.
Ich kniff die Augen zusammen und starrte einen Punkt in der Ferne an, von wo das Motorengeräusch zu kommen schien. Das leuchtende Blau des Himmels blendete meine Augen, aber ich blinzelte nicht. Der Himmel sah aus wie ein umgedrehtes Meer, dachte ich, oder vielleicht sah auch das Meer aus wie ein umgedrehter Himmel; ich wusste nicht welcher Vergleich passender ist. Ein schwarzer Punkt tauchte am Horizont auf. Er wurde größer bis er deutlich die Konturen eines Flugzeugs annahm. Weitere schwarze Punkte blieben aus. Mehrere Flugzeuge waren wichtig und bedeuteten Bunker, ein Flugzeug war in Ordnung, ein Flugzeug bedeutete Entwarnung. Ich entspannte mich und betrachtete noch eine Weile den Schweif am Himmel, die die Maschine hinter sich herzog. Ein heller Blitz erhellte den Himmel.
Im nächsten Moment war ich tot.

Später lernte ich, dass diese Maschine ein amerikanischer Bomber des Typs B-29 war mit dem Namen Enola Gay, ich lernte, dass sie bei ihrem Start eine Bombe an Bord trug, die die Sprengkraft von 12.500 Tonnen TNT besaß und ich lernte, dass ich nicht der Einzige bin, der die Wichtigkeit gewisser Dinge verkannte.

Guten Tag, ich heiße Shouta Sasaki. Vier Tage vor meinem dreizehnten Geburtstag, am 6. August 1945, bin ich zusammen mit 150.000 Menschen gestorben. Ich mag das Geräusch des Meeres bei gutem Wetter und wünsche mir zum Geburtstag, dass ich wieder in der Bucht von Hiroshima schwimmen kann.

Ich kicherte innerlich, weil ich Herr Okamoto sagen hörte: „Fass dich das nächste Mal kürzer und konzentriere dich auf das Wesentliche!“ Dann die Stimme meiner Mutter: „Sei nicht albern, so etwas kann man sich nicht wünschen.“

 

Hallo,

das ist mein erster Versuch etwas hier online zu stellen, ich weiß nicht, ob ich alles richtig gemacht habe...ich hoffe es einfach mal. :)

Und weiß auch nicht, ob die Geschichte hier wirklich hin gehört, weil wirklich realistisch ist sie ja nicht...und sowieso könnte man ja auch bei Historik reinstellen, aber ich fand Gesellschaft so schön allgemein passend...

naja, freue mich über jede Kritik, Verbesserungsvorschläge und Lob :)

(und ich hoffe ich hab nicht zu viele Fehler gemacht, hab da so manchmal grammatikalische Aussetzer...)

 

Guten Tag Jin,

ich heiße bernadette. Am Tag meines Geburtstags ist Shouta Sasaki gestorben, nur einige Jahre früher. Deswegen ist mir die Thematik auch nahe. Immer zu halbrunden oder runden Jahrestagen liest man an dem Tag in der Presse von dem Atombombenangriff.

Deine Herangehensweise finde ich erst einmal so interessant, dass ich die Geschichte durchgelesen habe. Etwas seltsam waren dann die weiterführenden Gedanken von Shouta, die ja eigentlich tot ist. Ich dachte deswegen auch daran, ob der Text in jener Rubrik Seltsam nicht besser aufgehoben ist.

Inhaltlich stieß ich auf ein paar Dinge, die mich stutzen ließen.

Also hatte ich an jenem Tag schulfrei und bunkerfrei.
Bunkerfrei weiß die Prot ja noch nicht, es ist doch erst morgens. Es könnte ja auch später noch ein Alarm kommen.

Meine Blicke schweiften in die Ferne und meine Gedanken kreisten um das Meer.
das zweite meine ist unnötig, das ergibt sich aus dem Kontext.


„Was wünschst du dir zum Geburtstag, Shouta?“, hat mich meine Mutter beim Frühstück gefragt.
Ich habe ohne zu zögern geantwortet: „Dass der Krieg aufhört.“
„Sei nicht albern!“, war ihre Reaktion auf meinen durchaus ernst gemeinten Wunsch gewesen.
„Dass die Flugzeuge nicht mehr wieder kommen“, versuchte ich es erneut.
„So etwas kann man sich nicht wünschen.“

Die Reaktion der Mutter verstehe ich nicht. Wieso läßt sie nicht zu, dass sich ein Kind so wichtige Dinge wünscht? Was soll falsch daran sein?


Mehrere Flugzeuge waren wichtig und bedeuteten Bunker, ein Flugzeug war in Ordnung, ein Flugzeug bedeutete Entwarnung.
In dieser Satzkonstellation erwartet man nicht, dass im letzten Teil nochmal auf das eine Flugzeug eingegangen wird. Besser fände ich: ...Ordnung, das bedeutete Entwarnung.


Ich entspannte mich und betrachtete noch eine Weile den Schweif am Himmel, die die Maschine hinter sich herzog. Ein heller Blitz erhellte den Himmel.
Zweimal Himmel.

Im nächsten Moment war ich tot.

Später lernte ich, dass diese Maschine ein amerikanischer Bomber des Typs B-29 war mit dem Namen Enola Gay, ich lernte, dass sie bei ihrem Start eine Bombe an Bord trug, die die Sprengkraft von 12.500 Tonnen TNT besaß und ich lernte, dass ich nicht der Einzige bin, der die Wichtigkeit gewisser Dinge verkannte.


Das erschien mir am ehesten als seltsam . Tot und dann später lernt die Prot - wo, von wem und weshalb so etwas?


Guten Tag, ich heiße Shouta Sasaki. Vier Tage vor meinem dreizehnten Geburtstag, am 6. August 1945, bin ich zusammen mit 150.000 Menschen gestorben. Ich mag das Geräusch des Meeres bei gutem Wetter und wünsche mir zum Geburtstag, dass ich wieder in der Bucht von Hiroshima schwimmen kann.

Ich kicherte innerlich, weil ich Herr Okamoto sagen hörte: „Fass dich das nächste Mal kürzer und konzentriere dich auf das Wesentliche!“ Dann die Stimme meiner Mutter: „Sei nicht albern, so etwas kann man sich nicht wünschen.“

Da ist mir zuviel Wiederholung von schon Bekanntem drin. Der Leser ist nicht ganz schwer von Begriff.

Die letzten drei Absätze nehmen viel Kraft aus der Geschichte.

So bin ich doch etwas unzufrieden mit der Auseinandersetzung des Themas, besonders, wenn es unter Gesellschaft gepostet wird. Es wird, übertrieben gesagt, auf die Tränendrüse gedrückt.

Trotzdem finde ich die Geschichte im Ansatz gut. Wenn du diese Vor- und Nachwelt etwas plausibler oder eben noch entrückter darstellst, würde sie mir sicher besser zusagen.

Lieben Gruß
bernadette

 

Hallo Jin und ein herzliches Willkommen!

Ich fand deine Geschichte recht gut. Du hast eine interessante Erzählperspektive gewählt, die freilich nicht neu ist, aber hier eine gute Wirkung entfaltet.

Wie bernadette kann ich die Reaktion der Mutter nicht ganz nachvollziehen, sie scheint mir auch untypisch für eine Japanerin (der damaligen oder heutigen Zeit). Überhaupt gibt es vielleicht zwei Dinge, die ein bisschen stören: Das spezielle Japans kommt ein bisschen zu kurz, ein "allgemeiner Fingerzeig", um der Rubrik Gesellschaft gerecht zu werden ebenfalls. Damit mein ich allerdings nicht sowas wie "Guck mal, Atombomben sind ganz böse", sondern schon über die Geschichte deiner Prot erzählt.
Im Gegensatz zu bernadette finde ich die letzten Absätze gar nicht mal so unpassend. Nur zur Recherche: einige interessante Details stecken drin, z.B. die Uhrzeit des Abwurfes (8:15) oder der Name des Flugzeugs (Enola Gay), aber ein paar Dinge sind - meines Wissens - nicht ganz korrekt. Bspw. die Opferzahlen: die waren geringer als deine 150 000. Na gut, an den Folgen sterben heute noch Leute (Option für den "Fingerzeig"), aber selbst damit sind es nicht so viele.

dass ich nicht der Einzige bin, der die Wichtigkeit gewisser Dinge verkannte.
und diesen Teilsatz finde ich nicht besonders sinnvoll oder aussagekräftig.

Viel Spaß noch hier.

Beste Grüße

Nothlia

 

erst einmal natürlich Danke an alle fürs Lesen und Kommentieren :)


Hallo Bernadette,

danke für das ausführliche Aufzeigen der kritischen Stellen.
Ich habe eigentlich darauf spekuliert, dass man sich beim Lesen nicht zu sehr an der Seltsamkeit der Geschichte stört, aber hab mich wohl verspekuliert ^^. Nein, im Ernst, ich denke nicht, dass es die Geschichte weniger seltsam macht, wenn ich versuche dem ganzen einen realistischen Anstrich zu verpassen…
Vielleicht ist er ja einfach ein Geist, eine Seele, eine Wiedergeburt oder ein Gedanke, aber letztendlich würde es meiner Meinung nach nur wenig zum eigentlichen Inhalt beitragen.

Zu den letzten drei Absätzen: ich bin mir nicht sicher, ob alle verstanden hätten worum es ging, wenn ich sie weggelassen hätte. Und als Autor ist man ja schon ein bisschen eitel und möchte, dass seine Geschichte auch verstanden wird ^^.
Und die Wiederholungen sollen einfach nur aufzeigen, dass sich der Protagonist im Grunde nicht mehr kümmert, was wichtig ist und was nicht. Das ist praktisch seine neue (seltsame) Einleitung.


Hallo Nothlia,

schön, dass dir die Geschichte ein bisschen gefallen hat.
Und zu deinen Kritikpunkten:
ich muss ganz ehrlich sagen, dass ich nicht weiß, wie Japan in dieser Zeit ausgesehen hat und da ich etwas recherchefaul war…gomen nasai ^^. Eine wirkliche Moral hat in der Tat gefehlt, aber letztendlich würde es ja fast immer auf das „Atombomben sind böse“ hinauslaufen…
(Achso, die Zahl 150.000 kam deswegen zustande, weil es oft hieß: zwischen 90.000 und 200.000 Menschen waren mit einem Schlag tot. Hab also böse gerundet ^^)


Hallo Herr Bernhard,

Guten Tag, ich bin eine Blume. Vier Tage bevor ich meine Blüten öffnen konnte, wurde ich gepflückt…

Hm…neee…eine Blume wäre irgendwie nicht dasselbe gewesen :(

 

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