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- 24.04.2003
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Als der reiche Mann auf Reisen ging.
"Herr Doktor, was habe ich denn nun?"
Dramatisches hochziehen einer Augenbraue, kompetentes Kratzen am Vollbart.
"Es tut mir sehr Leid, es Ihnen sagen zu müssen, aber Sie haben Gold, Herr Müller."
"Ich habe ... was?"
"Gold, Herr Müller. Sie haben eine Goldader. Wir könnten diese zwar operativ entfernen, aber das ist ziemlich riskant. Daher schlage ich vor, Sie einschmelzen zu lassen, Herr Müller."
"Ist das denn gefährlich?"
Die Augenbraue rutscht noch ein Stück höher und erreicht den Haaransatz.
"Nun, wie soll ich es ausdrücken ... es ist relativ gefährlich."
Peter Müller kratzt sich am Hinterkopf. Der Tag fängt ja gut an. Susi, seine Freundin und Haushälterin hatte gestern Abend festgestellt, dass sich glitzernde Klumpen in der Toilettenschüssel befanden, und Peter war ihrem Rat gefolgt, sich dringendst in ärztliche Behandlung zu begeben.
"Und wenn ich gar nichts mache?"
Doktor Krawinski schüttelt den Kopf.
"Dann werden Sie zu einer Statue werden, womöglich gestohlen und auf dem Schwarzmarkt verkauft."
"Hmmm", macht Peter. - "Das wäre wohl nicht so gut."
"Nein", stimmt Krawinski mit seinem Patienten überein.
"Aber wenn ich mich jetzt einschmelzen lasse ... ich weiß, ich bin ein Laie auf dem Gebiet, aber ... würde sich das nicht irgendwie negativ auf mein Wohlbefinden auswirken?"
Die Braue fällt zurück aufs Auge.
"Eine gute Frage, und ich bin froh, dass Sie sie stellen. Haben Sie schon einmal etwas von Seelenwanderung gehört?"
"Ja, aber wohin soll die Seele denn wandern? Wissen Sie, ich bin selbst eher der gemütliche Typ, leihe mir Videos aus, spiele PC und ..."
"Herr Müller ... darf ich Peter sagen?"
"Nein."
"Nun, Herr Müller, ich meine, wenn ein Mensch stirbt, dann wandert seine Seele, verstehen Sie?"
"Sie meinen wie spazieren gehen?"
"Ehm, gewissermaßen, aber viel schneller. In Lichtgeschwindigkeit. Ein spazieren laufen sozusagen."
"Aha, aber wenn man beim spazieren gehen läuft, kriegt man doch gar nichts von der Landschaft mit. Das ist doch sinnlos."
"Herr Müller ... darf ich wirklich nicht Peter sagen?"
"Ich habe das nicht so gerne. Ich bin Geschäftsmann."
"In Ordnung, Herr Müller, die Seele wandert ja nicht durch die Berge, sondern ..."
Krawinski macht eine ausschweifende Armbewegung und plustert die Lippen zu einem Schmollmund auf.
Das kann er gut, denkt sich Peter.
" ... sondern sie reist durch Raum und Zeit, durch das Universum."
"Auch am Mond vorbei?"
"Was? Ja, auch am Mond. An vielen Monden."
"Faszinierend. Ist das nicht gefährlich?"
"Es ist völlig harmlos."
"Und wohin geht die Reise?"
Krawinski formt einen Kreis mit seinen Händen und macht "Pfffschbfff" mit seinen dicken Lippen. - "In die Ewigkeit, und nirgendswo anders hin."
Peter schnalzt mit der Zunge.
"Aber das ist ja grandios. Wieso macht das denn nicht jeder?"
"Nun, Herr Krawinski, die Menschen lassen sich für gewöhnlich nicht einschmelzen."
Peter schnippst mit den Fingern: "Weil sie keine Goldader haben?"
"Weil sie keine Goldader haben!", schnippst Krawinski zurück.
"Okay, das machen wir. Wo muss ich unterschreiben?"
"Ach lassen wird doch die Formalitäten. Sie können übrigens Oslov zu mir sagen. Oslov Krawinski."
"Ich würde lieber beim Sie bleiben."
"In Ordnung, Herr Müller. Gehen wir dann zum Ofen?"
"Jou, machen wir das. Sie haben ja auch nicht soviel Zeit."
Die beiden Männer laufen durch einen langen Korridor. Als Peter den Sodaspender sieht, fällt ihm etwas ein.
"Ich müsste nochmal zur Toilette."
"Bitte?"
"Damit mir die Blase nicht drückt, wenn ich durch das Universum reise."
Krawinski beschwichtigt.
"Keine Angst, dann werden Sie keine Blase mehr haben."
"Wie, keine Blase mehr?"
"Ehm, wissen Sie, die Seele benötigt keinen Körper, sie ist reine Energie."
"Ach ... und wieso habe ich dann einen?"
"Einen was?"
"Einen Körper!"
...
...
...
"Herr Müller, ich lasse mich jetzt hier nicht auf Grundsatzdiskussionen ein. Ich habe studiert, und Sie erwarten ja wohl nicht, dass Sie verstehen können, was ich in meiner langjährigen Praxis als Arzt und Metzgereifachverkäufer erlernt habe. Allmählich wird es mir wirklich zu bunt. Ich überlege sogar bereits, ob ich sie überhaupt noch in den Ofen schieben soll."
"Nein nein, schon gut. Es tut mir Leid. Gehen wir weiter."
Krawinski schüttelt den Kopf und murmelt etwas von nächstem Termin, schlechtem Wetter und überhaupt.
"In Ordnung, hier legen Sie sich hin und dann geht es los."
Peter hält den Daumen hoch.
"Alles klar, und sorry, wenn ich unverschämt gewesen bin. Darf ich noch kurz meine Freundin und Haushälterin Susi anrufen?"
Krawinski schaut auf die Uhr.
"Machen Sie aber schnell."
"Geht ganz flott. Versprochen!"
Die Nummer hat Peter natürlich eingespeichert, und so wählt es sich ganz von alleine.
"Ja, Susi? Hast du auch den Haushalt gut im Griff? Ja ... ja ... ja ... ja warte mal kurz ... natürlich mag ich Pfeffersteaks, aber der Punkt ist, dass ich heute wohl nicht zum Essen kommen werde ... ja ... ja, du hast richtig gehört ... nein blendend! Ich lasse mich einschmelzen ... ja in einem Ofen ... wieso verrückt? ... was? ... Sei doch nicht gleich so egoistisch, du wirst es wohl überleben ... jetzt heul doch nicht ... kannst du dann heute mit dem Hund raus? ... und schau auch mal wegen dem Hemd, da ist ein Fleck drauf ..."
"Herr Müller!"
"... ja, Susi, ich muss jetzt Schluss machen. Ich schick dir eine Postkarte vom Universum. Bussi!"
Krawinski hüpft ungeduldig von einem Bein aufs andere.
"Wären wir dann endlich so weit?"
"Kann losgehen."
"Gut, dann lege ich jetzt diesen Hebel hier um, und ..."
"Moment noch!"
Entnervt atmet Krawinski aus.
"Was ist denn nun noch?"
Peter lächelt.
"Ich habe es mir anders überlegt. Du darfst doch Peter zu mir sagen, Oslov."
"Oh ... das freut mich aber, vor allem, weil es dir so wichtig ist, gesiezt zu werden. Tja, also das finde ich wirklich nett. Darf ich dich jetzt verbrennen?"
"Natürlich, aber lass es uns mit einem Handschlag besiegeln."
Beide Männer geben sich die Hand, dann zieht Krawinski den Hebel nach unten, Feuerstürme toben über die glatte Metallplatte und zurück bleibt ein Haufen Gold.
Krawinski wird jetzt erstmal schön Urlaub machen.