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Als Frau Kaminski nicht mehr schimpfte, weil ihr Mann aufhörte zu trinken
Familie Kaminski
Es war das alte Spiel. Sie war sauer und schimpfte wie ein Rohrspatz, wenn er getrunken hatte. Und er trank, wenn sie sauer war und wie ein Rohrspatz schimpfte. So ging es seit vielen Jahren, ein automatisierter Prozess, wie ihn sich manch Unternehmen, gewünscht hätte.
Da sich beide so daran gewöhnt hatten, sahen sie keine Veranlassung sich zu ändern.
Frau Kaminski schimpfte weiter, unaufhörlich schimpfte sie, bis sie davon so müde wurde dass sie einschlief. Folgegerecht trank Herr Kaminski weiter, unaufhörlich trank er, bis auch er davon so müde wurde, dass er einschlief.
Als Herr Kaminski eines Tages, natürlich betrunken, nach Hause kam, sich noch schnell aus dem Kühlschrank ein letztes Bier holte und das Wohnzimmer betrat, schimpfte seine Frau nicht. Sie schimpfte nicht, saß nur auf dem Sofa und starrte aus dem Fenster. Er stellte das Bier sofort zurück, überlegte kurz und setzte sich dann zu ihr. Nach einer Weile mühseligem Erzählen und erschreckendem Verstehen, die Erkenntnis: Frau Kaminski war schwanger.
Trotz der Sorgen der Ärzte, schließlich zählte Frau Kaminskis Alter mittlerweile fünfundfünfzig Jahre, entschloss sie sich das Kind auszutragen und auch der alte Kaminski stimmte der Entscheidung zu.
In den nächsten Monaten war die Beziehung der Kaminskis regelrecht im Wandel. Herr Kaminski trank nicht mehr, im Gegenzug stellte sie das schimpfen ein. Beide hatten nun mehr Zeit für sich und nutzten diese auch. Man sah sie immer öfter gemeinsam. Sie gingen spazieren, unternahmen Kinobesuche, kochten zusammen und abends, sie vergnügt, er nüchtern schliefen sie selig ein und freuten sich auf den nächsten Tag.
Während der Bauch von Frau Kaminski unermüdlich wuchs, stellten sie immer mehr Gemeinsamkeiten fest. Viel mehr als in den zwanzig Jahren Ehe davor und es war als lernten sie sich jeden Tag aufs Neue kennen. Er erzählte ihr, sie hörte aufmerksam zu und umgekehrt. Ihr Interesse aneinander, das sie um ein Haar verloren hätten oder schon hatten, gewannen sie Stück für Stück zurück.
Aber auch in anderen Bereichen gab es Veränderungen. Die Kaminski, eine sonst durch und durch sparsame Frau, traf man fortan beim Friseur, bei der Maniküre und einmal sogar bei einer Kosmetikerin. Zudem fand sich in ihrem Kleiderschrank, welcher seit Jahren keine anderen Kleidungsstücke gesehen hatte als die Vorhandenen, eine neue Bluse.
Ebenfalls bei Herrn Kaminski änderte sich einiges. Zum Beispiel verzichtete er auf seine üblichen Stammtischbesuche und die Kegelabende. Des Weiteren betrieb er nun eine intensivere Körperpflege, was mit einschloss, regelmäßig die Dusche aufzusuchen.
So gingen die Monate dahin, Frau Kaminskis Bauch ward dicker und dicker und ihre Wohnung füllte sich mit Babysachen. In der Wohnung lag eine harmonische Stimmung und Herr Kaminski brachte fast jeden Tag Blumen für seine Frau mit, die sie andächtig in eine Vase stellte.
Als der Tag kam, an dem die Wehen einsetzten, fuhr Herr Kaminski seine Frau höchstpersönlich ins Krankenhaus, war dann aber doch zu aufgeregt der Geburt beizuwohnen und entschloss, zur Sicherheit aller Beteiligten, lieber Zuhause zu warten.
Als Frau Kaminski nach ihrer Entlassung aus dem Krankenhaus die Wohnung betrat, waren all die kleinen Kindersachen bereits in einen Karton gepackt und auf dem Speicher verstaut. Es fand sich kein Beweis mehr für den einstigen Besitz solcher Sachen, nur in den faden, ausdruckslosen Gesichtern hätte man es ablesen können.
Herr Kaminski saß auf dem Sofa, seine Augen waren rot, aufgequollen. Er musste geweint haben. Schweigend setzte sie sich neben ihn und merkte, dass er betrunken war. Vielleicht wollte sie schimpfen, doch es fehlte ihr die Kraft.