Was ist neu

Alte Zeiten

Mitglied
Beitritt
15.07.2005
Beiträge
104

Alte Zeiten

„Man sieht immer nur einen ganz kleinen Ausschnitt!“ hat mir mein Großvater einmal gesagt.
Ich denke gerne an diesen Sommer zurück, damals, ich kann nicht älter gewesen sein als acht, schätze aber mehr auf sechs. Seltsam, wie die Jahre verblassen, wenn man älter wird. Man ist 15 und versteht nicht, wie die alten Leute, die vielleicht schon dreißig sind, nicht mehr wissen in welchem Jahr ihre großen Ereignisse stattgefunden haben. Naja, die dreißig sind nun auch nur noch ein dunkler Fleck am Horizont irgendwo hinter mir.

Aber auch wenn ich nicht mehr weiß, wie alt ich war, ich war jung. Ein kleiner Junge, der von der Welt nicht mehr gesehen hatte als eine Ameisenkönigin von dem Garten in dem sie lebt. Natürlich lebte ich in einer Großstadt, wo der Horizont zu einer Rarität verkam, die man mit einem seltenen Edelstein vergleichen kann. Meine Welt bestand aus grauen Zementblöcken in denen Milliarden von Menschen herumwuselten, jeder von ihnen ein einziges kleines Ziel vor Augen, so winzig, daß es Außenstehenden verborgen blieb. Manchmal sahen die Menschen es selbst nicht mehr.

In dieser Welt wuchs mein Großvater zu einem Mythos heran, eine Gestalt wie aus einer Legende, einem Märchen, dessen Name zweitrangig wurde. Er wurde in Gesprächen zwischen meinen Eltern erwähnt, in einem Zusammenhang den ich niemals verstanden habe. Als würde ich kleines Kind an einem Wolkenkratzer hinaufstarren und seinen Namen hoch oben auf einem Neonschild lesen, ohne erkennen zu können warum dieses Schild dort hängt und für wen es gedacht ist. Ein seltsames Gefühl, so vertraut es mir damals auch war.

Sein Name fiel sehr oft, und später immer öfter, oder vielleicht habe ich ihn mit wachsendem Alter auch einfach nur immer öfter wahrgenommen. Jedenfalls bekam er im Laufe der Zeit seine eigene Substanz. Er wurde in unserem kleinen, miefigen drei Personen Haushalt in der Stadt zu dem Geist zwischen den Wänden, der dort herumspukte. Ich hörte meine Eltern über ihn sprechen wenn ich im Bett lag und nicht schlafen konnte, das Telefon klingelte und meine Mutter sprach mit ihrer Schwester über ihn. Es war seltsam, daß es dort jemanden so wichtigen gab, den ich nicht kannte, den ich einfach nicht fassen konnte.

Und schließlich kam jener Sommer. Bei uns in der Stadt war es kein außergewöhnlicher Sommer gewesen - es war nicht kalt, aber die Sonne schien nur selten zwischen den Wolken hervor. Vielleicht ein wenig Regen. Ich erinnere mich an vieles, was ich in den Dutzenden von Sommern meines Lebens getan habe, doch je weiter sie zurück reichen, desto schwerer lassen sich diese Erlebnisse einordnen. Ich weiß nicht mehr, welche davon in jenem Sommer stattfanden.

Aber ich weiß, ich sah meinen Großvater zum allerersten Mal.

Wie sich herausstellte, wohnte er auf dem Lande, ein kleines Dorf, daß ich seit damals erst einmal wieder aus sentimentalen Gründen besucht habe, damals als meine Frau gestorben ist und ich so etwas wie einen Anker gesucht hatte der mich an der Oberfläche halten würde.
Es ist erschreckend, wenn wir nach Jahren einen Ort unserer Kindheit wieder aufsuchen. Es ist ein Gefühl, daß mit Worten kaum zu beschreiben ist. Die Jahre der Ferne haben jene Orte mit einem Netz aus Magie in unsere Erinnerung gewoben, die unvergleichbar ist, die für mich das größte Geschenk der Kindheit ist. Jene kleinen Orte, an die wir uns so liebevoll erinnern. Und wenn wir jemals den Fehler machen, aus Sehnsucht diese Orte wieder aufzusuchen, dann wird jenes Netz mit einer geradezu unmenschlichen Gewalt zerfetzt und kann niemals wieder repariert werden. Der Baum am Fluß, von dessen oberstem Ast man das Ende der Welt sehen konnte, wird zur verkümmerten Birke, kaum größer als man selbst. Der Platz, auf dem man einst mit seinen Freunden Fußball spielte und seine kleinen Schätze in den Mauerritzen versteckte, wird zum Hinterhof eines verfallenen Fabrikgebäudes, von alterslosen Glasscherben übersät. Der gigantische Tante Emma Laden an der Ecke in dem man die Welt kaufen konnte, wird zum mickrigen Kiosk in dem ein Lutscher mehr kostet als man in seiner ganzen Kindheit ausgegeben hat. Für mich ist dieses Gefühl die personifizierte Depression. Der Blick eines Kindes ist reine Magie, der Blick eines Erwachsenen ist nur ein Blick.

Aber damals war das kleine Dorf meines Großvaters ein Königreich, und ich versuche mir dieses Bild von damals so gut zu erhalten wie es mir möglich ist. Das Haus meines Großvaters war ein Palast, sein Garten war ein Wald.

Das einzige worüber ich mir sicher bin, ist mein Großvater selbst. Ich weiß einfach, ich habe ihn damals so gesehen wie er wirklich war. Ein alter Mann, mit grauem, leicht ungepflegtem Bart, einem wärmenden Feuer in den Augen das die Kälte aus der Seele eines jeden verbannen konnte. Er war groß - schmächtig, aber stark, sein Körper von einem Leben auf dem Feld gestählt. Er war für mich ein Engel, der herabgestiegen war um die Menschheit zu erlösen.
Ich und meine Mutter waren allein zu ihm gefahren, die ganze Zeit über. Bei ihm war der Sommer heiß, wolkenlos, jeder Lichtstrahl schien die Umgebung um uns herum mit Leben zu erfüllen, jeder Grashalm strömte eine Energie aus, eine pure, reine Freude. Es war ein Sommer, in dem jedes Eis das man sich kaufte ein Geschenk des Himmels war, in dem man aus dem Haus kam und davor stehenblieb, den Blick über die Wiesen schweifend, ungläubig, daß das alles wirklich war. In dem die Platten des Gehweges einen anzulächeln schienen und die Straßenlaternen Wogen reines Glücks verströmten.

Ich weiß nicht, worüber meine Mutter mit ihrem Vater sprach, es war mir egal und ich hätte es nicht verstanden. Für mich war es ein Sommer, in dem ich mittags den Palast verließ und mich im Wald auf meinen Lieblingsbaum setzte, wo mein Blick das Ende der Welt studierte. Wo ich meine Schätze in der gigantischen Höhle unten am Fluß versteckte, aus der einige Zeit zuvor noch Kaninchen gekrabbelt waren.

Und wo ich meinen Großvater kennenlernte.

Als ich ihn das erste Mal sah, als er uns die Flügeltüren des goldenen Palastes öffnete, erlebte ich zum ersten Mal in meinem Leben eine Enttäuschung. Er war kein Geist, keine Sagengestalt, kein stählerner Muskelheld der die Prinzessin aus dem Turm befreite. Er war nur ein alter Mann mit einem leicht ungepflegten Bart, der eine Wärme verströmte in der ich mich geborgen fühlte. Er sah von dort oben auf mich herab, mit seinem gütigen Lächeln, dann kniete er sich hin, sah mir sanft in die Augen und nahm mich in den Arm. Diese Umarmung war etwas so - wunderbares, als würde man in der Hitze am Strand liegen, gerade weit genug am Wasser daß einen die lauwarmen Wellen sanft umspülen, es war wie der allererste sanfte Kuß der Frau, die man wirklich liebt
.
Wir waren nur ein paar Wochen dort zu Besuch, der Grund war mir nicht bekannt, aber mir kam diese Zeit vor wie ein ganzes Leben. Ich habe mich viel mit meinem Großvater unterhalten, er erzählte mir Geschichten aus seinem Leben, während er draußen im Garten auf seinem alten Holzstuhl saß, die Beine weit ausgestreckt, den Blick auf die purpurnen Wolken am Horizont gerichtet, die Falten in seinem wettergegerbten Gesicht vom schweren Licht der untergehenden Sonne getränkt. So saß er da, während ich gebannt vor ihm hockte und den Geschichten lauschte.

Ich erinnere mich nicht mehr an viele dieser Geschichten, und ich habe später, in meiner Jugend, oftmals überlegt, wieviel davon stimmte und wieviel er einfach nur einem kleinen Kind erzählt hat. Für einen jungen Menschen ist es unvorstellbar, daß ein Mensch das alles wirklich erlebt haben soll. Man hat vielleicht seine zwei, drei kleinen, wirklich außergewöhnlichen Geschichten, aber kein Mensch kann seinem Enkel über Wochen solche Geschichten erzählen und alle davon sollen auch noch wirklich passiert sein.

Wie gesagt, ich erinnere mich kaum noch an eine seiner Geschichten, nur noch Fragmente. Ein Krieg hier, ein Bistro in Paris dort. Gelegentlich eine berühmte Persönlichkeit. Manchmal auch wirklich außergewöhnliche Geschichten, so sonderbar, daß selbst der kleine Junge der damals zu Füßen jenes alten Mannes saß, sie kaum glauben konnte. Und natürlich viele Menschen die er liebte, die er verloren hatte, an die ihm nur Erinnerungen geblieben waren.

Erst am letzten Tag vor unserer Abreise, obwohl ich das damals noch nicht wußte, sah mein Großvater auf einmal etwas anders zum Horizont hin. Plötzlich sah er auf mich hinab, und nahm meine Hand.

Ich folgte ihm, während wir über Wiesen und Felder gingen. Wir überquerten den Fluß auf einer alten, wackeligen Holzbrücke und gingen in einen wirklichen Wald hinein. Wir mußten Tage unterwegs gewesen sein, als er auf einmal auf einer Lichtung stoppte.

In der Mitte stand ein alter Baumstumpf, der zur Seite gekippt war.

Ich sah meinen Großvater an, und fragte ihn, was für ein Ort das hier wäre. Er sah, wie immer, mit seinem gütigen Lächeln auf mich herab, und sagte: „ Dieses ist der Ort, an dem ich manchmal alles sehe.“

Mein Großvater setzte sich auf den Baumstumpf, die Beine ausgestreckt, den Blick durch die Bäume hindurch zu den purpurnen Wolken am Horizont gerichtet. Dann bückte er sich ein wenig und zog etwas aus einer Spalte in dem Baumstumpf. Es war ein altes, dreckiges Tuch, in das etwas eingewickelt war. Er lächelte mich an und reichte mir das kleine Päckchen. Ich wickelte sanft das weiche, schmutzige Tuch ab. In seinem Inneren verbarg sich das schönste, was ich jemals gesehen hatte. Es war ein Stück Holz, glatt poliert, mit der Form eines Herzens. Ich weiß nicht, was daran so schön war, es war nicht der goldene Glanz der untergehenden Sonne der sich auf der glatten Oberfläche spiegelte, und es war nicht die makellose Form des Herzens. Es war etwas anderes, etwas was ich nicht begreifen konnte.

Ich wollte von meinem Großvater wissen, was das wäre. Er sah mich an.

„Man sieht immer nur einen ganz kleinen Ausschnitt!“

Diese Worte waren das einzige, was mir über die Jahre wirklich von ihm blieb, das einzige, was wirklich und wahrhaftig von den Jahren niemals verfälscht worden war.

Wir verließen die Lichtung wieder, und am nächsten Tag auch jenes Dorf und meinen Großvater. Ich sah ihn niemals wieder, er starb vier Jahre später.

Erst mit dem Älterwerden, als meine Magie zerfiel, erfuhr ich, daß meine Mutter sich ein oder zwei Jahre nach meiner Geburt sehr heftig mit meinem Großvater zerstritten hatte. Das sie ihn strafte, indem sie mich ihm entzog, und daß wir in jenem Sommer nur dorthin gefahren waren, weil meine Großmutter gestorben war.

Mein Leben zog vorüber, das Alter setzte sich in meinen Knochen ab, und erst vor einigen Jahren, als meine Frau starb, fuhr ich wieder zurück in jenes kleine Dorf. Ich war nun ganz alleine auf der Welt, aber so viele Menschen ich in all den Jahren auch getroffen, kennen und lieben gelernt, und verloren hatte, mein Großvater war noch immer der Geist zwischen den Wänden, dessen Name in meinen Träumen fiel, dessen gütiger Blick mich aus den purpurnen Wolken am Horizont traf, wenn ich denn einmal dorthin sah.

Natürlich war das Dorf eine Enttäuschung, das magische Netz in dem meine Erinnerungen gefangen waren wurde zerstört. Dennoch ging ich in den alten Palast, der seit damals unbewohnt war. Ich durchstöberte die alten Säle, die nunmehr winzige Kämmerchen waren, und irgendwann konnte ich nicht mehr. Ich fiel in einem der Zimmer einfach zu Boden und begann zu weinen. Die düstere Luft in der Wohnung war zuviel an diesem Ort wo ich stets nur strahlende Sonne und sein gütiges Lächeln gesehen hatte.

Plötzlich bemerkte ich die Bodendiele. Sie war nicht richtig festgenagelt, und die Jahre von Wind und Wetter hatten sie gebogen, so daß sie nun ein wenig abstand. Sie ließ sich leicht entfernen, und darunter fand ich einen uralten, vergilbten Umschlag. Fast zögernd, noch immer mit feuchten Augen, öffnete ich ihn. Darin befanden sich viele Fotos, und ein paar Zeichnungen. Sie alle zeigten Personen, von denen ich zwar ein paar kannte, viele jedoch nicht. Dort war meine Mutter, als Kind, wie sie im Garten dieses Hauses saß, auf einem anderen meine Großmutter, von der ich nur einmal als junger Mann ein Foto gesehen hatte, als junge Frau, und noch viele andere, Männer und Frauen, junge und alte.

Und doch hatten sie alle eines gemeinsam. Sie trugen an einem Lederband um den Hals ein kleines, hölzernes, glatt poliertes Herz.

Da erinnerte ich mich wieder an die Lichtung, als wäre mein Großvater erst vor kurzer Zeit mit mir dorthin gegangen. Ich fand den Weg, als wäre ich ihn schon mein ganzes langes Leben lang gewandelt. Auch die Lichtung, die ich schließlich erreichte, verlor schlagartig ihre Magie.
Ich setzte mich auf den Baumstumpf, so wie es einst mein Großvater getan hatte, streckte die Beine aus und warf einen Blick auf die purpurnen Wolken am Horizont.

Dann bückte ich mich, mehr aus Sentimentalität denn aus Neugier, und griff in die kleine Spalte des Baumstumpfes.

Zu meiner Überraschung fühlte ich dort etwas weiches. Ich zog es heraus, es war jenes kleine weiche, schmutzige Tuch, doch dabei wurde noch etwas anderes aus dem kleinen Spalt gezogen. Ein Stück Papier flatterte zu Boden.

Ich hob es auf, und sah, daß es ein Foto war. Es zeigte meine Mutter, schon etwas älter, wie sie auf jenem Baumstumpf saß, genau so wie ich es jetzt tat, und in ihrem Arm hielt sie ein kleines Baby, um dessen Hals an einem Lederband ein kleines, hölzernes, glatt poliertes Herz hing.

Ich legte das Foto neben mich und wickelte das Tuch auf. Darin lag noch immer das Herz, fast so, als hätte mein Großvater das Tuch eben gerade erst zugewickelt und wieder in den kleinen Spalt gesteckt.

Ich konnte seine Stimme fast hören, als er sagte: „ Man sieht immer nur einen ganz kleinen Ausschnitt!“

Und in dieser einen Sekunde, als das goldene Licht der untergehenden Sonne sich auf der glatten Oberfläche des Herzens spiegelte, verstand ich, was er damit gemeint hatte.

 

Hallo Allerseits!

Auch wieder eine etwas ältere Geschichte von mir, in der ich mit zarten Fünfzehn versucht habe, mich mit dem Älterwerden zu beschäftigen und dem, was man im Leben manchmal verpasst.

Dennoch würde mich interessieren, was Ihr dazu zu sagen habt! ;)

Gruß,
Marco!

 

S.H. schrieb:
Tempusfehler ebenfalls - einmal wechselst du mitten im Satz die Zeit.
Oh, nein, die Welt geht unter.

Tempusfehler ebenfalls - einmal wechselst du mitten im Satz die Zeit.

Teilweise nervten mich die zahllosen Adjektive. Das taumelte für mein Empfinden teils am Kitsch entlang.

Hallo? Er war 15!

der Stil wirkt mitunter holprig auf mich
dito

Zur Geschichte: Unter der Voraussetzung, dass sie von nem 15jährigen ist, relativ gut. Abgesehn von tausenden (ich möchte fast sagen: hunderten) von Kommafehlöern und einigen Rechtschreibfehlern
Was mich allerdings stört ist 1. die Länge und 2. Warum hast du fast in jeder Zeile nen neuen Absatz?
Tserk

 

Hallo Huutini!

Ja, inhaltlich eine nette Geschichte, und für 15 auch recht gut geschrieben. Man kann die Athmosphäre recht gut nachfühlen. Allerdings: Rechtschreibung, Tempus etc hättest Du vor dem Einstellen wirklich verbessern können, damit erleichterst Du dem Leser einiges, und dennoch bleibt das wesentliche autentisch!
@Tserk: auch bei älteren Geschichten gehört es einfach dazu, Korrektur zu lesen. Es ist ein Gebot der Höflichkeit und schadet, wie schon erwähnt nicht dem autentischen Gerfühl, die Geschichte eines 15-jährigen zu lesen. Ich muss Dich bitten, Dich nicht über sachliche Kritik lustig zu machen.

schöne Grüße
Anne

 

Letzte Empfehlungen

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom