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Am Abend

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12.10.2009
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Am Abend

Es war anders als sonst. Und doch so normal wie immer. Sie stand auf dem Balkon und betrachtete die Stadt. Hinab auf die gelben Lichtpunkte die ihr freundlich aber anonym entgegenblinkten. Ein dunkelblaues Tuch hatte sich um diese späte Stunde auf das graue Häusermeer gelegt. Die Sterne, die sie dahinter vermutete, waren durch die ewig rollende Masse der dichten Wolkendecke verborgen.
Den ganzen Tag über hatte es geregnet. Nach einem warmen Herbst wollte nun doch endlich das nasskalte Wetter einsetzen welches einen bis ins Mark frieren ließ und die Gedanken in Richtung Zimt und heißen Apfeltee lenkte. Sie rieb sich die Hände und zog sich die Jacke enger um sich. So kroch die Kälte nicht mehr unter den Bund der Jacke durch ihren Pullover auf den Rücken. Sie trat einen Schritt näher an den Betonpfeiler. Eine windstille Ecke. Hier ließ es sich aushalten.
Gelassen inspizierte sie die dunklen Vierecke, die ihr von den angrenzenden Mehrfamilienhäusern lidlos entgegenblickten. Treppenhäuser, Küchen, Kinderzimmer. Wenige Räume waren erleuchtet, und aus den meisten von ihnen schien ein mattblaues Licht. Die völlige Diskontinuität der Lichtfarbe oder ihrer Intensität verrieten, dass der Großteil dieser Lichtquellen Ferneher sein mussten. Sie pickte sich das Haus rechts von ihr heraus.
Etwa zwanzig Wohnungen, schätzte sie, waren ihr von der Hausseite zugewand. Fünf Fernseher. Sie schaffte es, all diese Wohnungsfenster in ihr Gesichtsfeld unterzubringen. Wie viele schauten den gleichen Sender? Konnte sie es herausfinden? Eine Zeitlang fokussierte sie sich auf ihre optischen Sinneswahrnehmungen. Alles außerhalb dieser Lichter wurde zu undeutlich abgegrenzten Grautönen. Jedes Flackern oder Flimmern wurde registriert. Sie konzentrierte sich auf den Raum der am weitesten in der Mitte lag. Dort wurde es länger dunkel. Dann grünlich. Aus den Augenwinkeln glich sie es eine Weile mit den anderen Fenstern ab. Doch dann langweilte sie die Prozedur. Sie beschloss, dass es drei Wohnungen waren die das selbe Programm laufen hatten.
Saßen dort vor den Fernsehern Ehepaare, deren Kinder nebenan schliefen? Oder ein Single? Eine alte Frau mit ihrer Katze? Sie wohnte über drei Jahre hier. Ging wöchentlich in das selbe Lebensmittelgeschäft. Die Kassiererinnen grüßten sie beim vorbeigehen. Die eigenen Hausbewohner wünschten ihr zudem immer einen schönen Tag. Im Aufzug unterhielt man sich über das Wetter. Es soll am Wochenende das erste mal schneien, na hoffentlich müsse man dann nirgendwo hin.
Die Gesichter konnte sie mittlerweile zuordnen. Aber die Namen? Sie stellte sich auf die Zehenspitzen und spähte über das Balkongeländer. Die Geranien in dem darunter befindlichen Abteil wurden von einem sanftgelben Lichtschimmer, der von Innen hinaus drang, angestrahlt. Die ältere Dame war also auch noch wach.
Das Licht schien, unbeirrt und völlig unbekümmert von der verstreichenden Zeit, hinaus. Es malte weiche Schatten auf die Blätter und Blüten. Das erkannte sie, nachdem sie ihren Blick dort ruhen lies. Kein Fernseher. Las sie ein Buch? Ihr Blick verweilte immer noch auf den Blumen. Rot waren sie. Und wie immer prächtig gediehen. Den ganzen Sommer hindurch hatte sie jedesmal, wenn sie von der Straße aus beim Heimkommen zu ihrer Wohnung aufsah, darunter diese wunderschönen Blumen bemerkt.
Sie stellte sich wieder zurück auf ihre Versen und betrachtete das Durcheinander in ihrem eigenen Balkonkasten. Darin hauste der verzweifelte Versuch, diesem ebenfalls etwas Leben einzupressen. Winzige, verwelkte Blütenkelche auf graubraunen Stielen nickten traurig im Abendwind. Das Unkraut welches daneben wuchs sah wesentlich gesünder aus.
Nein, sie hatte keine Begabung für Pflanzen. In ihrer gesamten Wohnung wuchs nicht eine einzige. In einem Anflug von Eifer, gepaart mit überschüssiger Energie, hatte sie das Jahr zuvor einen ihrer zwei Kästen entmistet, frische Erde hinein gefüllt und Blumen gesetzt. Nicht ohne eine kompetente Beratung seitens der Angestellten im Baumarkt. Doch die Folgen der Mühen war, dass der verwaiste und nicht gepflegte Balkonkasten vom Vormieter seit Jahren die selben unscheinbaren Pflanzen beherbergte die auch dieses Jahr dicht und stark dem Himmel entgegen streckten. Sie hatte den Kasten nicht einmal angerührt. Fand die Pflanzen hässlich. Aber konnte sich nicht durchringen, sie auszureißen. Diese unscheinbaren und nicht beachteten Blumen, die sich seit Jahren ihr Recht auf Leben erkämpften und wie immer im Spätherbst kurz zu blühen anfingen um dann im Winter erst die Blumenkrone und dann die fleischigen Blätter zu verlieren und wie Skelettfinger unter einer Schneehaube im unbarmherzigen Wind zu zittern. Ungedüngt. In der selben, alten Erde. Seit wer weiß wie lange.
Sie blickte wieder auf „ihren“ Blumenkasten samt dem darin befindlichen Elend und verschränkte die Arme vor der Brust. Auf einmal fühlte sie sich in ihrer eigenen Wohnung unwillkommen. Warum musste auch ausgerechnet heute Abend der Fernseher kaputt gehen.

 

Salve RobinMoor,

herzlich willkommen auf KG.de.

Erst einmal zum Positiven in Deiner Geschichte: die Quintessenz - in der eigenen Umwelt (Wohnung, Nachbarschaft) nicht heimisch werden zu können, birgt Potential für viele gute Geschichten, die von akribischen Beschreibungen bis zu großen Seelendramen reichen können.

Leider verharrst Du relativ lange bei der Beschreibung der einzelnen Wohnungen - die Blumenkästen geben mE symbolisch mehr her, dann, wenn die Außenwelt, die die Protagonistin beobachtet, ihr Innenleben wiederspiegelt.

Hie und da passen die Formulierungen nicht zum transportierten Inhalt. An etlichen Stellen fehlen mindestens gefühlte Kommata, die die Satzgliederung verdeutlichen würden. Und ein paar Absätze würden das Lesen wesentlich erleichtern.

LG und viel Spaß noch hier,
Pardus

 
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Sehr geehrter Pardus,

Vielen Dank für Ihre Worte.

Auch wenn ich seit etlichen Jahren des Sprechens bemächtigt bin muss ich gestehen, dass ich auf dem Wege des geschriebenen Wortes auf Kinderbeinen tappe. Das Ziel klar vor Augen doch das Corpus infantil.

Ich werde mich näher mit der Sprachlehre befassen müssen und hoffe, Sie einmal positiv überraschen zu können.

Herzliche Grüße,

RobinMoor

 

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