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Am Thema vorbei

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02.03.2002
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Am Thema vorbei

„Markus“, sagt der Lehrer, „Lies du heute vor.“
Ein leichtes Erröten gleitet über seine Wangen, als er sich erhebt, sein Heft verkrampft in den Händen haltend. Sechsundzwanzig Augenpaare richten sich auf das Opfer, teils Mitleid, teils Häme im Blick. Doch Markus reißt sich zusammen und beginnt mit fester, lauter Stimme:

„Das Morgengrauen zaubert eine stimmungsvolle Atmosphäre in das lang gestreckte Tal. Die leicht und dünn anmutende Wolkenschicht wird durchlässig. Das schwache Licht lässt die seitlichen Berge erahnen, die, sich langsam verengend, hoch aufragend, in einer Bergwiese treffen. Ein Meer von Gräsern und Blumen tritt langsam aus dem Dunkel. Die Natur ist bereit für einen neuen Abschnitt.
Zögernd, fast schüchtern steigt die Sonne auf. Erste, wärmende Strahlen durchdringen die Wolken, treffen auf eine vereinzelt stehende Blütenknospe und verdrängen die lange Finsternis, eröffnen den Blick auf unberührte Wildnis. Die Zeit des Schlafens ist vorüber, die Wiese beginnt zu leben. Grashalme und Blüten richten sich auf, heben die Köpfe in Erwartung des Kommenden. Die Knospe spürt die Wirkung des roten Lichtes, warm, anregend, elektrisierend. Unendlich langsam beginnt der sich ewig wiederholende Zyklus von Neuem. Verhalten prüfend bewegt sich die schützende Hülle, Bruchteile von Millimetern gibt sie frei, lässt kleinste Mengen äußerer Einflüsse in ihr Innerstes. Dann, wie durch die ersten Empfindungen angeregt und von Zweifeln befreit, öffnet sich die Knospe bereitwillig. Der Schutzwall, lang genug hat er seine Dienste erledigt, bricht auf, spreizt seine Pforten und gibt eine Schicht rosaroter, zart verlockender Blätter frei.“

Unruhiges Fußscharren, leises Kichern aus der hintersten Reihe. Der verweisende Blick des Lehrers bringt die Unruhe schnell wieder unter Kontrolle.

„In weiter Ferne rührt sich ein leiser Hauch, streicht belebend über die seitlichen Hänge und nähert sich der Wiese. Umschmeichelnd trifft er auf die ersten Gräser, die sich in harmonischem Gleichklang seiner Bewegung anpassen, wenige erst, dann immer mehr. Auch die Blüte kann sich dem Rhythmus nicht entgegenstellen und gibt, sich leicht wiegend, der Sonne weitere Facetten ihrer Schönheit zu erkennen. Noch weiter öffnet sich das zartrosa Gebilde, als wolle es, Segel setzend, sich dem Wind widersetzen, die Bewegungen selbst kontrollieren. Doch zu drängend wird das Wogen. In steter, unmerklicher Steigerung wächst der Windhauch an, gibt den Rhythmus der Wellen vor. Die Wolken verdichten sich, der Sonne, der Wiese fokussierend eine verbindende Lücke bietend und dabei statische Spannung aufbauend. Weder das spürbare Knistern der Ladung, das drohend erscheinende Kumulieren der Wolken, noch das stakkatoförmige Hin und Her der Gräser und der Knospe vermag die Eleganz und die Harmonie des Zusammenspieles zu stören. Abrupter, hektischer werden die Bewegungen, erscheinen von Moment zu Moment kaum noch steigerungsfähig. Die Spannung erreicht eine magische Marke und ein überspringender Funke erzeugt den Blitz. Die Entladung erfolgt in unkontrollierten konvulsischen Zuckungen, ein grelles Licht, das die Nacktheit der Natur offen legt, die kleinsten, verborgenen Winkel erleuchtet, der Donner ein Schrei der Erlösung. Sekunden später folgt das ersehnte, Leben spendende Nass, wie befreiend, ein Sturzbach der Freude, begierig aufgesogen als Gabe des Himmels. Dann Stille, erschöpfte Bewegungslosigkeit, befriedigte Ruhe.“

Markus setzt sich, den Blick starr auf sein Heft gerichtet. Sechsundzwanzig Augenpaare pendeln schweigend zwischen Schüler und Lehrer hin und her.
„Markus,“, donnert der Lehrer nach einem Moment der Besinnung, „´Der Liebesakt´ hieß die Aufgabe. Meinst du nicht auch, das war ja wohl total am Thema vorbei?“
„Nein,“, erwidert Markus, „das meine ich nicht.“

 

Die Geschichte fand ich toll. Ich konnte mir wunderbar vorstellen, wie dieser Junge in seiner Verliebtheit keinen Sinn hat für die biologishen Abläufe, sondern, ganz verklärt, unter "Liebesakt" nur die romantische Seite des Zusammenseins mit der Geliebten versteht. Die Worte, die Du für seinen Aufsatz gewählt hast, waren sehr poetisch und einfühlsam gewählt.

Am besten gefällt mir der Schluss. Keine großen Erklärungen, er steht einfach da (oder sitzt) und steht zu seinem Werk.

Für mich sagt das aus: Lass die anderen denken was sie wollen, ich liebe, und ich sehe in der Liebe eine wunderbare Sache die es zu leben gilt.

Klingt vielleicht übertrieben, aber ich selber verliebt und mir könne daher etwas ähnliches passieren wie Markus. :D

 

Hallo!
ich fand die Geschichte klasse! Auch die Geschichte in der Geschichte hat was. ( die isoliert wäre mir alledings "zuviel" gewesen )...
Schön finde ich auch, daß Du darstellst, wie man mißverstanden werden kann,...
Den Liebesakt an sich hat Markus schön dargestellt... poetisch, verklärt,.. oder auch nur: methaphorisch... Ich stehe ja nicht ganz so drauf, wenn alles in platter Nacktheit ins Licht gerückt wird. Ein "bißchen" Bilder... schön!
Auch der Unterschied zwischen der äußeren Story ( ganz "normal" erzählt ) und der erzählten ( so "hochgeschraubt" ;) ) gefällt mir gut. Da zeigt sich, daß Du durchaus mehr kannst, als nur "einseitiges"...

Lieben Gruß,
arc

 

Danke Euch beiden für die positive Resonanz und, damit verbunden, die Beseitigung etlicher Selbstzweifel. Meinem Hauskritiker lag die Geschichte nicht so und ich war darauf vorbereitet den häuslichen Verriß nochmal hier zu lesen.

Gruß vom ´Romantiker´

P.S. Ginnyrose, wünsche dir viele solcher kleinen „Gewitter“ in deinem Verliebsein.
:)

 

Was für eine Romantik! Bin ganz aus dem Häuschen. Schmeiß deinen Hauskritiker raus und nimm mich. :) ;)
Diese Parallele in der Natur ist von dir bewundernswert faszinierend beschrieben worden.

Auch die Verpackung gefällt mir sehr gut, weil damit ein wenig Kühle in deinen Text gebracht wird und Handlung hineinkommt. Der Text würde sonst in Romantik zu ersticken drohen und damit seine Klarheit verlieren.
Im Laufe des Textes wird vollkommen klar, was das Thema des Aufsatzes sein sollte. Irgendwie hat mich der letzte Absatz gestört, weil er etwas enthielt, was nichts Neues war und das Vorangegangene auch nicht verdichtete.
Ich sinne die ganze Zeit darüber nach, wie der letzte Absatz, der auf jeden Fall wieder in der Schule spielen sollte, aussehen könnte, jedoch mir fällt nichts Gescheites und vor allen Dingen nichts Passendes ein.
Ist aber auch kein Wunder, denn ich bin ja nicht dein ghostwriter, du machst das selbst schon ganz gut ohne jegliche Hilfe. ;) ;) ;) Bitte mehr davon.

 

@querkopp

Glaub keinem Batch Bota, der kennt mich nämlich gar nicht.

Der stochert mit seiner Ansicht nur wüst in seinen selbstgemachten Vermutungen rum.
Vielleicht taug ich nämlich nur zu der Erkenntnis (falls du erwägst mich zu nehmen... :D ), dass dein jetziger Hauskritiker gegen mich der Himmel auf Erden ist. :cool: :p :lol:

 

@lakita :queen:
*verschämtuntermichguck* tolle Kritik, tolles Angebot :kuss:

Vielen Dank für beides. Papi hat mir immer gesagt, dass man gerade die schönsten Blumen nicht nehmen soll, so sie noch viele andere erfreuen können (oder wars der :pope: ?). Fürs erste will ich gehorsam sein. Aber wer weiß, hab´s ja schriftlich :deal: und kann darauf :D zurückkommen.

Ganz lieber Gruß

 

wollte Dir noch ein Kompliment machen: Ostern war ich draußen, habe mich umgesehen und an Deine KG gedacht. - mehr an die Geschichte in der Geschichte... und meine Gedanken waren nicht österlich. :D

ich wollte also bloß sagen: die KG hat samt Inhalt und Aufbau Eindruck bei mir gemacht.

Arc

 

Danke arc,

freut mich besonders, dass das Wetter und meine Geschichte dich inspiriert haben. Bist du dir wirklich sicher, dass das nicht österlich war und nichts mit Eiersuche zu tun hatte? :D

Gruß vom querkopp

 

Hi querkopp,

Also ich muss mich den anderen anschließen. Deine Geschichte ist wirklich wahnsinnig gut! Du hast eine so wunderschöne und eindrucksvolle Atmosphäre geschaffen- und das nur mit deinen Worten...*klatsch*

:kuss: shimmeringLight

 

hi querkopp,

hab' deine geschichte auch gerade gelesen. wie du das beschrieben hast fand ich wirklich ganz toll! schade , dass der lehrer nich' verstanden hat, dass markus nich' vom thema abgekommen war.

wirklich sehr, sehr gut! :thumbsup:

gruss,

ferni :read:

 

nein... von österlich kann keine Rede sein ... von allem anderen sollte keine Rede sein...

ich steck die Nase mal wieder in die Bücher...

LG,Arc :read:

 

Hi Querkopp!

Absolut eindrucksvoll - gefällt mir von der originellen Idee bis zur einwandfreien, gefühlvollen Umsetzung!

:thumbsup: :thumbsup: :thumbsup: :thumbsup: :thumbsup:

Bitte weiter so!

Liebe Grüße
Susi

 

Hi shimmeringLight, ferni und Susi,

danke euch allen. Jaja der Glaube an die Menschheit ist wieder hergestellt, die Romantik lebt noch. :)

shimmeringLight, du hast es bei solchen Geschichten einfacher, hast einen Vorsprung, dein Name ist schon Atmosphäre.

liebe Grüße an alle
Maris

 

Hallo querkopp,

erfrischend natürlich wird einem dieser Liebesakt präsentiert. Auch von mir ein Lob, mich anschließend an die anderen Kritiker.

Ein paar Kleinigkeiten noch:

„Markus.“, sagt der Lehrer, „Lies du heute vor.“
Punkt nach Markus weg, / lies


In steter, unmerklicher Steigerung wächst der Windhauch an, gibt den Rhythmus der Wellen vor. Die Wolken verdichten sich, der Sonne, der Wiese fokusierend eine verbindende Lücke bietend und dabei statische Spannung aufbauend.
fokussierend
„Markus,“, donnert der Lehrer nach einem Moment der Besinnung, „´Der Liebesakt´ hieß die Aufgabe. Meinst du nicht auch, das war ja wohl total am Thema vorbei.?“
Punkt vor Fragezeichen weg

„Nein,“, erwidert Markus, „das meine ich nicht.“

Für den Schluss-Satz hört es sich meiner Meinung nach nicht so gut an, dass er das "das meine ich nicht" wortwörtlich übernimmt. Eleganter wäre ein Schluss, auch entsprechend seiner vorherigen Schreiberei, in der Art wie:
Das sehe ich anders ... oder: Nein, das hat es genau getroffen ...

Lieber Gruß
bernadette

 

Hi bernadette,

fast vier Jahre alt, die Geschichte, die du ausgegraben hast. Danke dafür und fürs Lesen und Kommentieren.

Na, jedenfalls scheint sich seit damals das Gefühl für Romantik nicht verändert zu haben, was mich freut, denn auch bei mir ist es geblieben (eher stärker geworden – im Alter wird man bekanntlich sentimentaler und romantischer :D).

Was den Schlusssatz betrifft, teile ich deine Meinung nicht. Der Protagonist antwortet –für meine Begriffe- auf die suggestive Frage des Lehrers gezielt / absichtlich unter Verwendung der gleichen Formulierung und betont dadurch eher seine gegenteilige Meinung.
Danke nochmals.
Lieber Gruß retour
Maris

 

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