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Am Ziel

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16.08.2003
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Am Ziel

Heute trage ich die Welt auf meinen Schultern, und sie ist mir viel zu leicht. Ich lasse sie sachte über meinen Arm in die rechte Hand rollen, werfe sie vorsichtig in den Himmel und jongliere mit ihr. Ich würde sie gerne jemandem zuwerfen. Ich würde sie dir gerne zuwerfen. Wo steckst du nur?

Ich öffne das Küchenfenster, strecke meinen Kopf nach draußen und atme tief ein. Soviel Freude in mir, dass für Luft kaum noch Platz ist. Es ist niemand auf der Straße, an den ich das Strahlen in meinem Gesicht weitergeben könnte, mein Winken bleibt ungesehen.

Ich habe endlich mal wieder ausgeschlafen und kann mich an keinen Traum erinnern. Vorgestern läuft immer noch wie ein Film in meinem Kopf ab, es muss jemand auf die Repeat-Taste gedrückt haben. Ich habe es geschafft. Endlich angekommen am Boxenstopp und reichlich Zeit, mich auszuruhen. Die anderen werden mich in Wochen noch nicht eingeholt haben. Meine Augen suchen die Häuserfassade gegenüber ab, ob dort in einem der Fenster ein menschliches Antlitz zu erkennen ist. Mein Lächeln bringt die Wäsche an der Leine nebenan zum tanzen und die durstigen Geranien zum blühen.

Ich wende meinen Kopf zurück in die Küche, die von der Sonne eingenommen wird. Es sind keine Schatten mehr an der maisgelben Wand. Wo steckst du nur? Auf der Straße stehst du immer noch nicht. Das Bild vor mir, dauernd die selbe Sequenz seit heute Mittag, im Wechsel mit dem Film namens Vorgestern: Du fährst auf deinem roten Fahrrad an mir vorbei, drei Sekunden nur, deine Locken wehen im Wind, das Glück wohnt neben dem Sonnenschein in deinem Gesicht, in deinen Grübchen, deinen funkelnden Augen, deinem Mund.
Ungläubig schüttle ich den Kopf und schließe das Fenster. Wir können noch glücklich sein ohne einander, nach all der Zeit. Der Tunnel war zu Ende und wir haben unsere Hände ohne Angst voneinander gelöst. Und du hattest Recht: Es wartete kein Loch am Ende der Dunkelheit, sondern tatsächlich Licht.

Ich hopse unruhig in der Wohnung auf und ab und starre auf mein Telefon. Leo schaut mich mit großen Augen an, während ich ihn durch die Luft wirble und nur widerwillig wieder auf den Boden setze, als sein Gemaunze ein Duett mit meinem heiteren Glucksen singt.

„Hört doch, wie gut es mir geht“, trällere ich auf die Anrufbeantworter meiner Eltern, einiger Freunde. Ich finde keine Heimat für meine Begeisterung und übertöne die sonore Stimme aus dem Radio beim nächsten Lied bei Weitem.

Ich lächle mein Spiegelbild, das mich kaum wieder erkennt, herausfordernd an, blicke auf die Fotos des Jubeltages tausende Male. Ich bin verrückt von hier, schwebe schwerelos über den Dingen. Nur du könntest mich mit deinen starken Armen zurück auf den Boden holen. Wo steckst du nur?

Ich schmunzle, seit dem ich dein Grinsen vor zwei Tagen entfacht und es mich angesteckt hat. Wir haben es vollbracht, haben uns gegenseitig ins Ziel getragen. Unser Strahlen hat sich hochgeschaukelt und ist gegipfelt in euphorischem Gelächter. Wir haben es ihnen gezeigt, sie ein für allemal besiegt. Und jetzt frohlocken wir, jeder für sich, ungeduldig wartend, bis unsere Freude sich vereinigt. Wir müssen zur Ruhe kommen, jeder wieder er selbst werden, damit wir uns erneut finden können. Ich wüsste nicht, dass ich dich jemals verloren habe. Und müde bin ich schon lange nicht mehr. Ich möchte dir das Glück aus dem Gesicht nehmen, dass es sich mit meinem paaren möge und wir es weiterschenken können an die Welt.

Ich werfe mich auf mein Bett, schaue an die Decke, und schäme mich fast für die Purzelbäume in meinem Bauch, sind sie auch hart erkämpft. Ich rolle mich über die Matratze, von einer Seite auf die andere, immer wieder, ohne herunter zu fallen, bis mir schwindelig wird. Die Hälfte, auf der du in letzter Zeit oft rauchend gelegen hast, ist leer. Wo steckst du nur? Du heute Mittag auf dem Fahrrad, die Heiterkeit auf dem Gepäckträger, endlich einmal Rückenwind.

Ich bereite mir ein fürstliches Mittagessen zu, die Soße viermal abgeschmeckt, einen gekühlten Riesling zum Rotbarschfilet, die Stoffserviette gebügelt, ich proste mir zu und lache erleichtert. Magst du nicht mit mir essen?

Wer wagt es, den ganzen Tag schon meine Füße zu kitzeln, meinen Bauch, mein Herz? Zu viel Rausch auf kleinstem Raum, ich berste wenn ich ihn nicht bald an dich weiterreichen kann. Er breitet sich stündlich weiter aus. Doch ich weiß, auch in Dir wird kein Platz mehr sein für meine Trunkenheit, wir haben Muskelkater vom Lachen. Wir jubeln an unterschiedlichen Enden der Stadt, aber gemeinsam.

Ich gehe unter die Dusche, eine halbe Stunde lang, und bin erzückt darüber, dass ich so herrlich nach Pfirsich dufte. Wer mag mich riechen? Wo steckst du nur? Es laufen tausende Ameisen über meine Lippen, bereits den ganzen Tag, und warten darauf, von deinem Mund eingesammelt zu werden.

Ich ziehe mein buntes Blumenkleid an, das in die Höhe fliegt wenn ich durch die Wohnung wirble, meine hochhackigen Schuhe, verwende meinen neuen Lippenstift, trage deinen Lieblingsduft auf, der nahezu so gut riecht wie meine Haut. Ich stecke mir meine Haare aufwendig hoch, mit Klammern die mit kleinen pinken Plastikrosen verziert sind, nur um sie Sekunden später wieder beschwingt auf meine Schultern fallen zu lassen und sie nach einem Walzer durch die Küche zu einem Zopf zusammenzuraffen. Ich umarme mich selber, stellvertretend für die Welt, die nicht da ist.

Vor mir die Auszeichnung, in meinem Kopf der Moment, in dem er uns die Hand gereicht und unser Grinsen über seine Abscheu gesiegt hat. Es ist endlich vorbei. Ein weiteres Kapitel derart beendet, dass die Geschichte nicht die geringste Chance hat, sich ins Negative zu wenden. Wo sind die Cheerleadertänzer, die uns applaudieren? Wo steckst du nur?

Beim Verlassen des Hauses klingle ich beim alten Herrn Krüger im Erdgeschoss, um ihm einen schönen Tag zu wünschen und seinen Müll nach draußen zu bringen. Ich habe Lust, Klingelmännchen zu spielen und die Menschen zu nötigen, meine Hochstimmung entgegenzunehmen, geschenkt. Warum ist heute nicht Fasching, dann könnte ich mich als Clown verkleiden?

Ich springe durch die Stadt, auf einem Bein, versuche die Fugen zwischen den Platten nicht zu betreten, drehe mich im Kreis, auf der Suche nach dir. Ich will mich von dir finden lassen. Ich spiele Hüpfkästchen auf einem Schulhof und hopse durch das Gummitwist der begeisterten Kinder. Wenigstens sie jauchzen mit mir, sie brauchen keinen Grund. Wo steckst Du nur?

Wir kreisen umeinander, ohne uns zu berühren, seit vorgestern schon. Wir machen einen Sport daraus, die Grenzen des Erträglichen zu erweitern, unsere Sehnsucht zu steigern bis zum Zenit. Mein Limit ist fast erreicht und ich sende Signale an dich. Bitte finde mich.

Ich gehe unsere Orte ab, aufgewühlt, mag nicht länger warten. Wir trieben stets wie zwei Magnete aufeinander zu, wenn es nötig war. Ich hatte gelernt, darauf zu vertrauen. Du hast mich jederzeit gefunden, bist mir immer wieder zugefallen. Ich steige auf das Klettergerüst, dann übermütig auf die Platane, sitze neben den Vögeln auf dem Ast und zapple aufgeregt mit den Beinen wie ein kleines Kind. Ich dreh mich um die Laternenstange, immer im Kreis, immer weiter, immer wieder. Ich kaufe mir ein Eis, Schokolade und Erdbeere. Ich setze mich auf die Schaukel und erreiche mit meinen Füßen beinahe die Wolken. Ich wundere mich, warum die vorbeilaufenden Menschen mich anlächeln, bis ich merke, dass ihr Gesicht nur ein Abglanz meines Funkelns ist.
Das Bild im Kopf, du heute mit dem Fahrrad unterwegs auf der Straße des Glücks, um es den Menschen zu bringen, in gleicher Mission wie ich. Ich mache Bocksprünge über die Poller auf dem Marktplatz. Ich stütze mich auf einen der Fahrradständer, hebe vom Boden ab und mache eine Rolle um die Stange, mein Kleid verdeckt nicht länger meine braunen Beine.

Als meine Zehenspitzen wieder den Boden berühren und sich mein von der Drehung benommener Blick aufrichtet, stehst Du vor mir und hebst vorsichtig die Hand zum Gruß. Du hast mich gefunden. Ich höre zum ersten Mal seit zwei Tagen auf zu lächeln, stattdessen wird mein Blick von Tränen getrübt. Ich lasse die Stange langsam los, werde eingesogen von deinen Augen und renne besinnungslos in deine Arme. „Wir haben es geschafft“, flüsterst Du mit belegter Stimme und wirfst mich in den Himmel.

 

Hallo Juschi,

klar - wenn Du das so empfindest (deshalb schreibe ich bewußt `Änderungsvorschläge´).

Zitat:
vielleicht eher an der gleichmäßig vor sich hinplätschernden Handlung

Genau da sehe ich das Problem: der Text ist inhaltlich zu gleichmäßig, hat eben keinen Wechsel der Erzählebene.

Trotzdem - hab´s gern gelesen.

LG,

tschüß... Woltochinon

 

Hallo Woltochinon,

Ich finde die Geschichte gut, so wie sie jetzt ist. Wenn man es jeden Recht machen will, versucht alle Geschmäcker zu bedienen, scheitert man sehr häufig. Nur meine Meinung.

LG moonaY

 

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