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Serie Amok 3

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18.06.2001
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Amok 3

Schweiß brannte in seinen Augen, rann über sein Gesicht und tränkte seine von Hühnerblut gefärbte Kleidung. Langsam begann er den Sinn zu verstehen. Speichel tropfte, lange Fäden ziehend, an der toten Ratte vorbei von seinen Mundwinkeln herab und vermischte sich mit dem Blut des Huhnes, dem Blut der Ratte und seinem eigenen Schweiß. Der Sinn des Amoklaufes wurde ihm mit jedem Schritt klarer. Das Fell der Ratte klebte auf seiner Zunge und der schlaffe Schwanz schlug bei jedem seiner Schritte gegen seine Wange. Einmal die Insel umrunden, mit einer Ratte im Mund und einem Messer in der Hand. Jetzt erst, als das Brennen seiner Beine in sein Bewusstsein drang, er das Keuchen seines Atems hörte und seine Augen wieder auf vertraute Landmarken fielen und sie dabei erkannten, jetzt erst kehrte er aus der anderen Welt zurück. Und bei der Umrundung der Insel jeden zu töten, der dem Läufer begegnete. Er erlaubte sich einen flüchtigen Blick auf die Messerklinge. Sie war unbefleckt. Kein Bewohner der Insel würde es heute wagen sein Haus zu verlassen. Dennoch war da immer die Möglichkeit. Wie eine Sintflut brach plötzlich der Rest seines Bewusstseins aus der anderen Welt zu ihm zurück. Gereinigt. Frei von ihrer Last. Er spürte die Trauer nicht mehr. Er spürte den Hass nicht mehr. Er wollte den Mörder seiner Frau nicht mehr töten, konnte sich mit dem Gedanken anfreunden, dass ein Gremium älterer Herren mit gepuderten Perücken über das Schicksal dieses bedauernswerten Menschen entscheiden würde. Er stolperte und währe beinahe gestürzt. Seine Zähne bohrten sich tiefer in das lauwarme, widerliche Fleisch der Ratte. Sein Körper wurde müde, während sein Geist wieder Kraft schöpfte. Da stand der krumme Baum. Das bedeutete, dass es nicht mehr weit war bis ins Dorf. Er würgte, aber hielt die Ratte verbissen mit seinen Zähnen fest. Gleich, gleich würde er es geschafft haben. Nur noch an der Bucht vorbei und die letzte Anhöhe hinauf. Früher war der Brauch des Amok-Laufes eine tödliche Sache gewesen. Männer wie Frauen waren von diesem Rausch befallen worden, von den rachsüchtigen Geistern der Gestorbenen getrieben. Sie hatten ihre Zähne wie ein wildes Tier in eines ihrer Haustiere gegraben und wild um sich geschlagen. Dann, als es nichts mehr gab, was zerbrechen konnte, rannten sie los, zerstörten alles was sich ihnen in den Weg stellte. Kaum einer von ihnen hatte überlebt. Und dann, langsam, fast unmerklich, gab es Regeln, immer mehr bis der Amok-Lauf seine heutige Form erreicht hatte und noch immer wurde er jedes Mal harmloser. In ein oder zwei Generationen würde der Amok-Lauf ohne Blut, Ratte und Messer auskommen…
Wieder stolperte er. Da war die Bucht… die Bucht… Farben. Bewegung! Oh nein! Er blinzelte um den salzigen Schleier von seinen Augen zu vertreiben. Das durfte nicht sein. Jeder Bewohner der Insel wusste doch… Jeder Bewohner! Das kleine Boot hatte die Segel eingeholt, lag vor Anker. Das Beiboot lag am Strand, von einem kleinen Grill stieg Rauch auf. Und die Fremden saßen in gestreiften Klappstühlen mitten auf der Straße. Irgendwo tief aus seiner Kehle drückte sich ein gequältes Stöhnen an der Ratte vorbei. Wie sollte er auf der Strasse bleiben, den Lauf beenden ohne Gebrauch von dem Messer machen zu müssen? Er wusste noch nicht einmal ob die Klinge scharf war. Mehr Zeit! Aber seine Beine wollten nicht langsamer werden. Nun konnte er die Fremden genauer erkennen. Zwei Männer, zwei Frauen, sie hatten ihn noch nicht bemerkt. Fieberhaft suchte er nach einem Ausweg. Links fielen die Klippen zum Meer hin ab, rechts zogen sie sich steil hinauf und nur zu der kleinen Bucht erweiterte sich der Weg. Doch genau dort saßen diese vier Menschen. Es gab keinen Ausweg. Sein Atem wurde jetzt ruhiger, seine feuchten Finger schlossen sich fester um das Messer. Er ließ die Wut auf diese dummen Menschen gar nicht zu, aber spürte die Möglichkeit dazu. Was hatten diese reichen Menschen auf seiner Insel zu suchen? Sie kamen hierher um zu sehen, was nur ihre Vorurteile bestätigte. Jetzt hatten sie ihn bemerkt. Auf ihren Augen lag ein Ausdruck überraschter Amüsiertheit, dann der bloßen Überraschtheit, dann kurz der des Ärgers, dann war nur noch die nackte Angst zu sehen. Schreie. Noch mehr Blut. Die Klinge des Messers war tatsächlich stumpf, aber es machte keinen Unterschied. Plötzlich war sein Bewusstsein wieder in der anderen Welt und sein Körper kannte keine Erschöpfung.
Schweiß brannte in seinen Augen, rann über sein Gesicht und tränkte seine von Menschenblut gefärbte Kleidung. Da war das Dorf. Er spuckte die Ratte aus, schleuderte das Messer von sich, zog das feuchte Hemd vom Körper. Nun stolperte er endgültig, wurde von besorgten Händen aufgefangen. Während sein Körper versagte, kehrten seine Gedanken zurück. War etwas geschehen? Er konnte sich nicht daran erinnern. Da war nur sanfter Friede.

 

Ich würde sagen, Amok Teil 1-3 sind langsam ein Fall fürs Serienforum. Moderatooooooooooor.

 

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