Amy - depressiv?
Sie blickt verwirrt auf. „Was?“
„Du hörst mir nicht zu.“ Sie starrt wie gebannt auf die Vorhänge. „Was beschäftigt dich so?“, will ich wissen, während ich mit den Augen den sanften Linien ihres Gesichts folge, wartend auf eine Antwort, obgleich ich doch weiß, dass sie mir keine geben wird. Ein Hauch von einem gequälten Lächeln huscht über ihren Mund. Doch sie bleibt stumm, starrt nur. Missmutig zwinge ich mich den Blick von ihr zu wenden, ins Zimmer hinein. Selbst in ihrem jetzigen Seelenzustand gelingt mir das kaum. Ich erinnere mich, dass meine Schwester in ihren depressiven Phasen immer ein Bild des Jammers war, sie schien an Masse zu verlieren während sie tiefer in jene Depressionen rutschte. Doch bei Amy ist das anders. Obwohl man ihr deutlich ansieht, welchen Kummer sie haben muss, tut das ihrer Schönheit keinen Abbruch. Ich frage mich des öfteren, ob ich der einzige Mensch bin, der so von ihr denkt. Müssten die Anderen nicht ein anderes Gesicht sehen als ich, um zu sagen, sie wäre nichts Besonderes?
Seufzend schaffe ich es, mich von ihr loszureißen, lehne mich zurück, lasse den Blick durch den Raum schweifen... Obwohl das Licht dieses Frühlings warm und lieb durch das Fenster hinter uns scheint, obwohl draußen alles blüht, die Vögel zwitschern – Idylle eigentlich – kommt mir die Stube trist vor. Meine Bilder an den Wänden wirken trotz ihrer kräftigen Farben (zu denen ich mich stets Bemühen muss, weil Pessimist) blass und grau. Der Wein in ihrem Glas – er müsste rot sein, doch mir erscheint er schwarz, wie getrocknetes altes Blut. Der Parkettboden, der Tisch, die Couchmöbel – alles farb- und lustlos.
Ich sehe sie wieder an, rücke ran, will sie küssen. Sie gewährt mir, doch der Kuss gefriert auf ihren Lippen angesichts ihrer Kälte. Ich hätte auch die raue Fasertapete im Flur küssen können, die hätte eher darauf reagiert als Amy. Entsetzt stehe ich auf, will gehen und streiche im vorbeiziehen nochmals über ihr Haar, fahre zurück, umarme sie – nichts. Sie scheint nicht einmal mehr zu atmen, so ruhig ist sie.
„Amy!“, sage ich.
Ich zähle die Sekunden, stehe still und warte.
Es sind dreizehn. „Hm?“, macht sie. Eigentlich kann sie so was. Ich gerate jedes mal in Verzückung, wenn sie mich anblickt und es macht. Doch der niedlich-neckische Unterton fehlt diesmal, sie klingt nur müde, abwesend.
„Was ist nur los mit dir?“ Dann gehe ich.
Auf dem Weg in die Küche begegne ich der Katze.
„Hallo, du.“
Augenblicklich geht sie mir schnurrend ums Bein und ich nehme sie, halte sie vor mich – unsere Blicke treffen sich. Ich drücke sie wieder an mich. „Du bist noch normal.“, wispere ich ihr zu, sie schnurrt zurück.
Den Weg in die Küche wird sie getragen, einer Königin gleich. Doch viel unköniglicher setzt sie sich hin und wartet, während ich die Dose öffne. Jules, unsere erste Katze (ein Kater), hätte jetzt schon vor Ungeduld in das sich öffnende Metall gebissen. Manchmal denke ich, dass diese Art der Ruhe daher kommt, dass wir ihr nie einen Namen gegeben haben, ich weiß auch nicht, wie ich darauf komme. „Here you go, sweetheart!“ Sie schlingt auch nicht, so wie die meisten Katzen. Sie ist ebenso etwas ganz Besonderes wie meine Amy, wobei sie nie Depressionen oder so was hat.
Ich überlege, was ich eigentlich machen wollte – Mittag, ja richtig! Tomatencremesuppe klingt wahrscheinlich ziemlich abgedroschen, so ein Standartgericht: Tüte raus, ab in den Topf, fertig. Aber Amy mag sie und sie schmeckt ja auch nicht schlecht. Ich bin heilfroh, dass Amy zumindest noch isst. – Nicht viel, aber das tut sie auch sonst nie.
Unter den kritischen Blicken der Katze füge ich noch etwas Creme Fraiche und Basilikum hinzu.
Ich spähe um die Ecke zum Wohnzimmer. „Hast du Hunger?“ Zum ersten mal seit Stunden schaut sie mich richtig an, lächelt schwach und nickt. „Ja“ Es ist nur ein Flüstern, aber sie scheint jetzt etwas gefasster. „Ja, klar.“ Ein Licht am Ende des Tunnels. Sie steht auf und schleicht auf mich zu. „C’mon, little girl.” Jetzt lächelt sie wirklich und ich atme innerlich auf. Sie ist vorerst drüber weg. „Halt mich fest...“, flüstert sie. Ich komme dem Wunsch nach und spüre, wie sich auch ihre Atmung normalisiert. Die Wärme kehrt zurück und eng umschlungen bewegen wir uns in Richtung Tisch, wo das Essen steht. „Hm, lecker...“ Da ist er wieder, dieser Ton...
Nur die Katze beobachtet uns argwöhnisch, als wir unsere Suppe schlürfen und aus dem
Uns-Gegenseitig-Angrinsen gar nicht mehr herauskommen.