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An diesem Morgen
An diesem Morgen regnet es schon, als ich aufwache. Ich höre ihn, der wie kleine Trommelschläge gegen das Fenster pocht, bis unter die Bettdecke. Von draußen kriecht der rote Kater hinein und schlüpft in mein Bett. Mit seinem nassen Fell streift er an meinen Beinen entlang.
Irgendwann gehe ich hinunter, der Kater tapst hinter mir her. Ich mache mir einen Ingwer-Zitronen-Tee und er wärmt mich auf. Ich schalte das Radio ein und hole die Zeitung aus dem Briefkasten. Die Arme um meine Knie geschlungen um sie zu wärmen, lese ich den Lokalteil der Westdeutschen Zeitung. Im Tal ist heute nichts los.
Sie duscht oben, ich höre das Rauschen bis hier in die Küche. Oder ist das der Platzregen da draußen?
Gestern abend war sie wieder in ihrer Stimmung. Diese bestimmte Stimmung, die manchmal tagelang anhält und sie schweigen lässt.
Auch jetzt schweigt sie, als sie herunter kommt. Sie öffnet den Kühlschrank und holt Milch heraus. Sie trinkt nie Tee, immer nur Milch.
Manchmal trank er auch Milch, zumindest am Wochenende, wenn ich bei ihm war. Dabei hörte er Radio, immer WDR 2.
Er war auf eine andere Art still. Das Radio lief, er saß vor seinem PC, schreib eine E-Mail oder schaute sich auf sport1.de die Ergebnisse der letzten Spiele an. Neben der Tastatur lag sein Matheheft. Dass er seine Rechnungen selbst noch lesen konnte, war erstaunlich bei seiner Sauklaue.
Abends ging er zum Training. Manchmal schaute ich ihm zu. Ich stand oben vor den Kabinen und sah hinuter in die Halle. Er war Kreisläufer und der Beste auf dem Feld. Seine Bewegungen habe ich immer noch vor Augen, wenn ich ihn mir dort in der Sporthalle vorstelle.
Noch vor kuzem habe ich beim Training seiner Mannschaft zugesehen. Ich ging mit meiner großen Sporttasche den Gang entlang zu Halle B. Ich sah ihn direkt. Mit seinem blauen Trikot und seinen hellen Haaren fiel er sofort auf. Oder wirkte das nur auf mich so?
Letztes Jahr stand es dann fest. Er würde gehen.
Er stellte die Fotos unserer Abschlussfahrt auf seine Homepage und schrieb darunter:
„Insgesamt eine gelungene Klasse(n)fahrt. Aber von nun an gehen wir getrennte Wege. Wahrscheinlich für immer.“
Dass er ging, war unwirklich. Obwohl wir alle wussten, dass es so war. Gewissermaßen war er die Mitte von uns gewesen. Nun war er weg.
Ich streifte meine Flip-Flops ab und ging durch das Wohnzimmer hinaus in den Garten. Die Sonne ging gerade unter. Ich setzte mich auf die Holzbank und dachte nach. Sie kam heraus und legte mir den Arm um die Schulter. „Er kommt uns doch besuchen.“
Dieser Satz half nicht. Er ersetzte nichts. Er war deshalb nicht weniger weg.
Eigentlich half nie etwas, was sie tat oder sagte, um mich zu trösten. Vielleicht wollte ich auch gar nicht von ihr getröstet werden? Vielleicht brauchte ich auch gar keinen Trost, sondern einfach nur ihn wieder?
Darüber dachte ich nach, als ich an diesem Regenmorgen, nämlich heute, in der Küche saß.
Ich hörte die Tür oben aufgehen, kurz darauf kam sie herunter.
„Finn ist wohl eben durch die Badtür gehuscht, als ich aus der Dusche kam. Ein Glück, dass ich nochmal oben war.“
Sie sprach wieder. Ihre Stimmung war vorbei. Ich ging in den Flur und öffnete Finn eine Dose.
Am Wochenende würde er kommen. Dann würden wir ihn ganze achtundvierzig Stunden sehen.