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An Mutter
Warum sagst du Kind zu mir? Bin ich nicht längst erwachsen geworden?
Die Kinder in dem Ort, den du für uns als Zuhause ausgesucht hast, haben mich erwachsen gemacht. Sie haben meine Kindheit aus mir herausgeprügelt und -geschüttelt. Sie haben sie mit Füßen getreten. Meine Unschuld zerbrach unter ihren Schlägen und wurde durch Hass ersetzt.
Warum nennst du mich Kind? Nur, weil du mich geboren hast? Wie kannst du es wagen! Wie kannst du nur wagen, für mich zu entscheiden! Wie kannst du mich wegreißen von dem, was ich lieb gewonnen habe! Wo ich endlich etwas, jemanden, gefunden habe, was ich lieben konnte!
Es ist deine Schuld, dass alles kaputt ist! Ach du lieber Augustin, Haus ist hin, Hof ist hin...
Ja, Kinderlieder! Ich bin kein Kind mehr! Ich bin längst erwachsen! Wenn die reine Kraft meiner Wut diesen gesamten langweiligen Ort in die Luft sprengen könnte, würde hier längst kein Gras mehr wachsen!
Meintest du das wirklich ernst, dass du umgezogen bist, damit es mir besser geht? Hast du dabei nicht vielmehr an diese unselbstständigen Anhängsel an deinem Rockzipfel gedacht, die du unbedingt in die Welt setzen musstest?
Wann hast du mich denn jemals gefragt? Hast du jemals darüber nachgedacht, dass ich meinen Wohnort lieben könnte? Glaubst du denn, ich bin zu jung, um selbst zu entscheiden? Über meine Wahlheimat zu entscheiden? Warum bist du so verdammt egoistisch?
Ich gehe, wohin ich will - ich schlafe, bei und mit wem ich will! Aus reinem Protest, würdest du vermutlich sagen, und dabei mir mit Tränen in den Augen und zitternder Unterlippe hinterherlaufen bis zu meiner - jetzt - verschlossenen Zimmertür.
Kann man durch das Internet leben? Du hast mich dazu gezwungen. Selbstmordgedanken beim Zusammenbrechen der Verbindung? Einzige Orgasmen beim Cybersex? Angst vor realen Menschen, vor Lärm und Krach? Alles deine Schuld!
Du hast mich hier eingesperrt, zusammen mit meinen zweitausend Liedern und meinen paar Hundert Büchern, die ich wieder und wieder lese. Du hast mich zu einem Einsiedlerdasein verdammt, mit einer Cappuccinotasse und zu langen Fingernägeln, die auf der Tastatur klicken!
Wie konntest du? Hast du gar kein schlechtes Gewissen? Ich habe dir gesagt, dass du mein Leben ruinierst. Sei es! Ich sitze hier, komplett verkabelt, Kopfhörer, Headset, mit ungewaschenem Haar und einer Tasse Cappuccino! Und es ist deine Schuld!
Fühlst du dich jetzt besser? Die Tür ist von innen verschlossen, aber du hättest sie genau so gut von aussen verschließen können! Was denkst du dir? Wie kommst du darauf, mich auf so perfide Art von meinen Freunden zu trennen? Fürchtest du sie, weil sie älter sind als ich? Hast du Angst, dass sie dir dein Kind wegnehmen? Da kann ich dich beruhigen.
Dein Kind ist schon lange tot. An seiner Stelle sitzt eine schwarze Katze, die panisch in ihrer Ecke sitzt und nach allen schnappt, die ihr nahe kommen! Nur ein auserwähltes Männchen lässt sie für kurze Zeit an sich heran, und würde sie werfen, würde sie den Nachwuchs totbeißen, kaum dass er auf der Welt ist!
Das hast du, du allein, aus mir gemacht! Mit diesem Umzug, diesem Zimmer, diesem Haus, diesem Garten, diesem ganzen gepflegten Wohnort, von wo aus ich bis in die nächste nennenswerte Örtlichkeit eine halbe Stunde unterwegs bin! Du nennst es Stadt? Die Anbindung zum Mond ist nicht wesentlich schlechter!
Ich sitze hier, allein mit mir selbst, meinem Hass, und deinen Schluchzern vor der Tür! Es ist mir egal, wenn du leidest, es geht mir am Arsch vorbei, wenn du nur das Klackern meiner Nägel auf der Tastatur hörst. Wenn die Connection kaputt ist, höre ich deinen Atem vor der Tür, horchend auf jedes kleinste Geräusch, voller Angst, ich könnte tot sein!
Verdient hättest du es! Ich will meine Flügel ausprobieren - du vergitterst die Fenster! Ich will rennen - du versperrst die Tür! Du sperrst mich ein mit deiner Liebe, deiner ekelhaft selbstlosen Mutterliebe, mit der du mich eines Tages ganz weit fort von dir und in die Arme des Lebens treiben wirst!
Aber vielleicht wartet das Leben ja gar nicht auf mich? Vielleicht geht es ja weiter, draußen, vor dieser Tür? Ein benuruhigender Gedanke. Jetzt könntest du die Kleidung rascheln hören, als ich mich ausziehe, dann das Klicken der Tasten, dann vielleicht einen leisen Seufzer, wenn du ganz genau hinhörst.
Herzlichen Glückwunsch. Du hast einen Junkie aus mir gemacht - und die Droge ist das Internet! Du hast sämtliche Pforten in die Welt verschlossen und dafür eine geöffnet, die besser für immer verschlossen geblieben wäre! Herzlichen Glückwunsch - irgendwann ist die Connection unten, die Droge alle und meine Geduld am Ende.
Dir bleibt nur noch übrig zu hoffen, dass das nach meinem achtzehnten Geburtstag sein wird! Denn freigeben wirst du mich nicht!
Die Nagelfeile an meinem Unterarm ist beruhigend. Schmerz bindet mich an die Realität. Wenn ich ein- oder zweimal im Monat wegfahre, um mir meine Dosis an Schmerz zu holen, dann denkst du, es geht mir gut! Wie wenig du mich doch kennst! Wie lächerlich doch deine kleinen Tränen sind, dort vor der Tür!
Aber an Dimmu Borgir kommt deine lächerliche kleine Stimme sowieso nicht vorbei.
Du kannst auch gehen!
Ich höre dir nicht zu!
Nein, ich schließe bestimmt nicht auf!
Geh, oder die Wut zerschneidet wieder meinen Arm!