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An Mutter

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24.08.2003
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An Mutter

Warum sagst du Kind zu mir? Bin ich nicht längst erwachsen geworden?
Die Kinder in dem Ort, den du für uns als Zuhause ausgesucht hast, haben mich erwachsen gemacht. Sie haben meine Kindheit aus mir herausgeprügelt und -geschüttelt. Sie haben sie mit Füßen getreten. Meine Unschuld zerbrach unter ihren Schlägen und wurde durch Hass ersetzt.

Warum nennst du mich Kind? Nur, weil du mich geboren hast? Wie kannst du es wagen! Wie kannst du nur wagen, für mich zu entscheiden! Wie kannst du mich wegreißen von dem, was ich lieb gewonnen habe! Wo ich endlich etwas, jemanden, gefunden habe, was ich lieben konnte!

Es ist deine Schuld, dass alles kaputt ist! Ach du lieber Augustin, Haus ist hin, Hof ist hin...
Ja, Kinderlieder! Ich bin kein Kind mehr! Ich bin längst erwachsen! Wenn die reine Kraft meiner Wut diesen gesamten langweiligen Ort in die Luft sprengen könnte, würde hier längst kein Gras mehr wachsen!

Meintest du das wirklich ernst, dass du umgezogen bist, damit es mir besser geht? Hast du dabei nicht vielmehr an diese unselbstständigen Anhängsel an deinem Rockzipfel gedacht, die du unbedingt in die Welt setzen musstest?

Wann hast du mich denn jemals gefragt? Hast du jemals darüber nachgedacht, dass ich meinen Wohnort lieben könnte? Glaubst du denn, ich bin zu jung, um selbst zu entscheiden? Über meine Wahlheimat zu entscheiden? Warum bist du so verdammt egoistisch?

Ich gehe, wohin ich will - ich schlafe, bei und mit wem ich will! Aus reinem Protest, würdest du vermutlich sagen, und dabei mir mit Tränen in den Augen und zitternder Unterlippe hinterherlaufen bis zu meiner - jetzt - verschlossenen Zimmertür.

Kann man durch das Internet leben? Du hast mich dazu gezwungen. Selbstmordgedanken beim Zusammenbrechen der Verbindung? Einzige Orgasmen beim Cybersex? Angst vor realen Menschen, vor Lärm und Krach? Alles deine Schuld!

Du hast mich hier eingesperrt, zusammen mit meinen zweitausend Liedern und meinen paar Hundert Büchern, die ich wieder und wieder lese. Du hast mich zu einem Einsiedlerdasein verdammt, mit einer Cappuccinotasse und zu langen Fingernägeln, die auf der Tastatur klicken!

Wie konntest du? Hast du gar kein schlechtes Gewissen? Ich habe dir gesagt, dass du mein Leben ruinierst. Sei es! Ich sitze hier, komplett verkabelt, Kopfhörer, Headset, mit ungewaschenem Haar und einer Tasse Cappuccino! Und es ist deine Schuld!

Fühlst du dich jetzt besser? Die Tür ist von innen verschlossen, aber du hättest sie genau so gut von aussen verschließen können! Was denkst du dir? Wie kommst du darauf, mich auf so perfide Art von meinen Freunden zu trennen? Fürchtest du sie, weil sie älter sind als ich? Hast du Angst, dass sie dir dein Kind wegnehmen? Da kann ich dich beruhigen.

Dein Kind ist schon lange tot. An seiner Stelle sitzt eine schwarze Katze, die panisch in ihrer Ecke sitzt und nach allen schnappt, die ihr nahe kommen! Nur ein auserwähltes Männchen lässt sie für kurze Zeit an sich heran, und würde sie werfen, würde sie den Nachwuchs totbeißen, kaum dass er auf der Welt ist!

Das hast du, du allein, aus mir gemacht! Mit diesem Umzug, diesem Zimmer, diesem Haus, diesem Garten, diesem ganzen gepflegten Wohnort, von wo aus ich bis in die nächste nennenswerte Örtlichkeit eine halbe Stunde unterwegs bin! Du nennst es Stadt? Die Anbindung zum Mond ist nicht wesentlich schlechter!

Ich sitze hier, allein mit mir selbst, meinem Hass, und deinen Schluchzern vor der Tür! Es ist mir egal, wenn du leidest, es geht mir am Arsch vorbei, wenn du nur das Klackern meiner Nägel auf der Tastatur hörst. Wenn die Connection kaputt ist, höre ich deinen Atem vor der Tür, horchend auf jedes kleinste Geräusch, voller Angst, ich könnte tot sein!

Verdient hättest du es! Ich will meine Flügel ausprobieren - du vergitterst die Fenster! Ich will rennen - du versperrst die Tür! Du sperrst mich ein mit deiner Liebe, deiner ekelhaft selbstlosen Mutterliebe, mit der du mich eines Tages ganz weit fort von dir und in die Arme des Lebens treiben wirst!

Aber vielleicht wartet das Leben ja gar nicht auf mich? Vielleicht geht es ja weiter, draußen, vor dieser Tür? Ein benuruhigender Gedanke. Jetzt könntest du die Kleidung rascheln hören, als ich mich ausziehe, dann das Klicken der Tasten, dann vielleicht einen leisen Seufzer, wenn du ganz genau hinhörst.

Herzlichen Glückwunsch. Du hast einen Junkie aus mir gemacht - und die Droge ist das Internet! Du hast sämtliche Pforten in die Welt verschlossen und dafür eine geöffnet, die besser für immer verschlossen geblieben wäre! Herzlichen Glückwunsch - irgendwann ist die Connection unten, die Droge alle und meine Geduld am Ende.

Dir bleibt nur noch übrig zu hoffen, dass das nach meinem achtzehnten Geburtstag sein wird! Denn freigeben wirst du mich nicht!

Die Nagelfeile an meinem Unterarm ist beruhigend. Schmerz bindet mich an die Realität. Wenn ich ein- oder zweimal im Monat wegfahre, um mir meine Dosis an Schmerz zu holen, dann denkst du, es geht mir gut! Wie wenig du mich doch kennst! Wie lächerlich doch deine kleinen Tränen sind, dort vor der Tür!

Aber an Dimmu Borgir kommt deine lächerliche kleine Stimme sowieso nicht vorbei.

Du kannst auch gehen!

Ich höre dir nicht zu!

Nein, ich schließe bestimmt nicht auf!

Geh, oder die Wut zerschneidet wieder meinen Arm!

 

Hallo Vita,

ich muss gestehen, dass sich beim Lesen Deiner Geschichte Beklommenheit in mir breitmachte. Den Hass kann man förmlich spüren. Der Text hat mich wirklich gepackt.

Ich habe auch nur ein paar kleine Kritikpunkte:

Hast du dabei nicht vielmehr an diese unselbstständigen Anhängsel an deinem Rockzipfel gedacht, die du in die Welt zu setzen bestanden hast?
Der Bezug mit dem bestanden ist nicht richtig, bestehen auf muss es heissen

und dabei mir mit Tränen in den Augen und zitternder Unterlippe hinterherlaufen bis zu meiner verschlossenen Zimmertür.
Wenn Du auch draussen bist, ist die Tür wohl eher nicht verschlossen, oder?

Ich sitze hier, mit Kabeln, die aus meinen Ohren wachsen,
Aus den Ohren *wachsen* gefällt mir nicht.


Letztendlich habe ich noch ein kleines Problem mit dem Vergleich der schwarzen Katze. Aber ansonsten, wie schon eingangs gesagt, halte ich die Geschichte wirklich für gelungen.

Gruss, Malu

 

Hallo Malu,

danke für deine Kritik. Mit den ersten beiden Punkten hast du Recht, das habe ich geändert.
Mit den Kabeln, die aus den Ohren wachsen, sind Kopfhörer gemeint. An dieser Stelle wollte ich die Verbundenheit des Prots mit dem Internet verdeutlichen. Weiß nicht, ob mir das gelungen ist. Wenn da noch mehr Leute dran herumkritteln, ändere ich es.

Zur Zeit experimentiere ich ein wenig herum. Der Vergleich mit der Katze kam mir bei einem Zoobesuch, ich habe einen Panther gesehen, der eingesperrt war und gerade gefüttert wurde. Er hatte Angst vor dem Pfleger, und ich denke, dass das hier ganz gut passt.
Wenn das Gefühl gut rausgekommen ist, sehe ich die Geschichte mal als Erfolg :)

Au revoir
Vita

 

Hi Vita,

der Sinn des Satzes bzgl. der Kabel war mir schon klar.Ich fände die Kabel,-wie angewachsen-, allerdings besser.
Gruss, Malu

 

Hallo vita

ich habe deine wahrscheinlich autobiographische Geschichte gerne gelesen. Wenn sie zwar nicht gerade lustig oder spannend war, empfand ich sie doch zum darübernachdenken. Was mich auch etwas gestört hat, war der Satz

Ich sitze hier, mit Kabeln, die aus meinen Ohren wachsen, mit ungewaschenem Haar und einer Tasse Cappuccino! Und es ist deine Schuld!

Da schließe ich mich Malu`s Meinung an, "wie angewachsen" würde sich besser lesen.

Den Vergleich mit der schwarzen Katze finde ich passend.
Was oder wer Dimmu Borgir ist würde mich auch interesieren.


Ein schönes Weihnachtsfest wünscht dir

Morpheus

 

So, das hab ich geändert
Dimmu Borgir ist eine Death-Metal-Band, ich glaube, aus Schweden. Sie ist sehr berühmt dafür, die absolute Unterkante des DM-Niveaus zu verkörpern. Naja, es soll Leute geben, die auch das mögen, aber...

 

hallo vita,
ich weiss nicht, ob du es magst, wenn alte geschichten von dir ausgegraben werden..... ich habe es getan.

deine sammlung wilder fragen an die mutter ist eindrücklich rübergebracht. voll kraft und blinder wut. blind deshalb, weil die position natürlich sehr einseitig ist. deine prot sieht nur SICH und IHRE SICHT der dinge. was empfindet wohl die mutter? und gibt es keinen vater?

noch ein paar dinge sind mit aufgefallen:

Die Kinder in dem Ort, an dem du mir zu leben befahlst
- befehlen gefällt mir hier nicht. vielleicht besser: "...Ort, dan dem du für mich entschieden hast zu leben"

Meine Unschuld zerbrach unter ihren Schlägen und wich dem Hass.
deine unschuld wich vor dem hass zurück?

Meine Wahlheimat zu wählen
- schwerfällig

Warum bist du so verdammt selbstzufrieden?
- ist selbstzufrieden der richtige ausdruck? besser vielleicht: "egoistisch"?

herzliche grüße
ernst

 

Hi Ernst, danke fürs Ausgraben - nein, ich habe da nichts gegen, ich freue mich immer über mehr Kritik, ich bin ja Kritikjunkie :)

Die von dir bekrittelten Textstellen sind berichtigt, vielleicht verbessert, dazu kann ich nichts sagen ;)
Ich gebe dir Recht, sie ist einseitig geschrieben, aber das war bewusst gewählt. Ich hatte versucht, sie auch aus anderer Perspektive zu schreiben, der der Mutter nämlich, bin aber daran gescheitert... vielleicht versuche ich es die Tage noch mal.

Hi Red Right Hand,
dank dir fürs Lob, ich habe mich bewusst bemüht, die Geschichte klischeefrei zu halten. Wirklich autobiographisch ist sie nicht *auf Unterarme schiel und keine Narben find* aber nah genug dran - jede Geschichte ist irgendwie autobiographisch, nicht? ;)

Gruß
vita
:bounce:

 

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