Was ist neu

Angekommen

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04.07.2001
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Angekommen

ANGEKOMMEN

»Wohlan, ich wähnte mich alleine hier.«
»Ich staun, sie fühlten sich alleine hier?«
Der junge Mann verwundert vor sich sah
und sinnte kurz der Rückerwiderung
auf das, was er zuvor gesaget hat.
»Wenn sie nicht zugetreten wärn, so wär
ich gänzlich doch alleine hier am Stein.«
Dies kam aus seinem Munde raus mehr als
hörbar Gedank’ denn als gewollte Red.
»Alleine nur mit wem?« drang leise zu
des stillen jungen Mannes Ohren hin.
Er schaute immer noch beständig in
die Ferne hin und mied den Neuankömmeling,
der still und schweigend ihm im Rücken stand.
Was er beim ersten flüchtgen Blick gesehn
das reichte aus um sich ein Bild zu maln;
ein grauer Mann in schwarzem Zwirn, zudem
auf einen eleganten Stab gestützt.
Sein lichtes Haar als Spielzeug in dem Wind.
»Nun eben völlig alleine mit mir.«
Er hörte kehlig Laut und sanftes Lächeln
den grauen Manne hinter ihm da tun.
Die Berglandschaft im Morgenschleier da
vor ihnen fast wie aufgestellt Kuliss.
Da wollt der junge Mann Sekunden nur sich wenden
verwarf das Tun jedoch nach kurz Bedacht.
Da in der Ferne läuten die Kuhglocken
der täglich Auftrieb wurde dort getan,
und schemenhaft sah man im Nebel Kleckse
den feuchten Hang ersteigend ohne Hast.
Die frische Luft scheint rein zum atmen da,
so dicht und kühl erfrischt sie Lung und Nas.
»Wie lange schon, vergönnt seis fragen mir
sie hier da auf dem Steine saßen still
eh ich nun kam um mich dazu zu tun?«
Der junge Mann nur zuckte seine Achsel
und kniff die Lider seiner Augen leicht.
»Ich mags nicht sagen auf die Stund, ob eins
ob zwei ob mehre noch, doch wars noch dunkel,
recht tiefe Nacht als ich mich niedersaß.«
»Sie suchen wohl die wahre Einsamkeit ?«
»Fürwahr« sprach da des jungen Mannes Mund.
Gehaucht die Antwort schwang empor sich gleich
der Feder in dem Wind und ward schon bald
verschwunden dort im Morgennebelkleid,
bald sichtbar wieder und zum fassen nah.
Der Wind sein Spiele mit ihr trieb,
und stets eh sie zum kahlen Boden fiel
er sie erneut ergriff und tanzen ließ.
»Wenn sie gewillt ich zeig sie ihnen gern.«
»Die Einsamkeit mir zeigen wenn nicht hier ?«
»Ob Abgeschiedenheit ob Einsamkeit.
Man nenne wie man möchte es, doch hier
ist’s nicht daheim und wird’s auch nimmer sein.«
»Ist nicht? Wars nicht? Wirds niemals sein?«
Der junge Mann nicht sicher wusst ob Fragen
allein sein Wollen war, ob nicht vielmehr
er nun damit sein Einverständnis gab.
»Dann folgen sie nur meines Stockes Weg.«
Der alte Mann mit monotonem Klicken
des Stockes auf dem nackten Felsengrund
ging los und ohn sich nochmal umzublicken.
Bis dann der Jüngre aufstand ihm zu folgen
-warum er’s tat blieb später ungewußt-
war beinah schon der Alte dort verschwunden,
im Morgendnebel schaukelt` die Gestalt.
Er folgte stumm dem konturlosen Schatten
in eingen Schritten Abstand hintendrein.
So gingen sie nun ungezählte Schritte,
die Glocken waren dort schon längst verstummt,
bis vorne aus dem Nebel sich erhob
ein stiller wundergleicher Nadelwald.


Der alte Mann ging ohne Hast weiter in den Wald hinein.
Tiefgrüne Stille umfieg die beiden Wanderer, ihre Schritte wurden gedämpft und das plötzliche Aufhören des Stockklackens bewog den jungen Mann zu reden.
»Gestatten sie mein Herr. Mein Name ist Franke, Franz Franke.«
»So-, Franke.«
Der alte Mann hielt nicht inne und seine Antwort verschmolz mit den lauschenden Tannen. Franke roch den morgenfrischen Waldboden und und über ihm sah er das liebreizende Singen der erwachenden Vögel. Und er wurde sich bewußt, dass er nichteinmal das Gesicht des Mannes vor sich kannte.
Dann traten sie auf eine Waldeslichtung, einen von Bergen und Bäumen umkreisten Talkessel, der gleich einer Suppenschüssel mit dichtem Nebel gefüllt war. In unregelmäßiger Anordnung standen Kreuze und Grabtafeln aufgestellt, deren Schemen mit dem flüsternd schleichendem Nebel mitzuwandern schienen. Mal zeichnete sich da ein Kreuz ab, um im nächsten Moment dort wieder zu verschwinden, und an einer anderen Stelle als Grabtafel erneut aufzutauchen. Der alte Mann ging bis in die Mitte des Totenackers und blieb dort zum ersten Mal stehen, seit sie aufgebrochen waren. Er wechselte seinen Stock in die Linke und stütze sich darauf ab, dass er grotesk schief stand. Franke hielt ebenso an.
»Sind wir da?«
»Was denken sie, Herr Franke?«
Franke antwortete nicht. Das Flüstern des Nebel war der Geruch von Weihrauch und welken Blumen. Auf einer Grabtafel, die neben Franke auftauchte konnte er eine Inschrift lesen, ehe er wieder im Nebel verschwand.
Ach, Scheiden, ach, ach !
Wer hat doch das Scheiden erdacht.
Das hat mein jung frisch Herzelein
So frühzeitig traurig gemacht.
Der geheimnisvolle Alte setzte sich wieder in Bewegung und verließ diesen Ort, ohne sich umzusehen, ob Franke ihm folgte. Er tat es,-beinahe schicksalhaft verknüpft.
Nach nur wenigen weiteren Minuten schritt ihnen aus dem Nebel wieder das Gebirge entgegen. Eine unbezwingbar steile Felswand, an deren Fuße der nachtschwarze Eingang zu einer Höhle klaffte. Der alte Mann betrat mit klackendem Gehstock, Franke folgte ihm.

Die Luft war feucht und faulig, und düstre Dunkelheit durchdrang den Raum.
Franke folgte alleine den Geräuschen vor sich und bemerkte, dass er seine Schritte dem Klacken des Stockes angepasst hatte. Der Weg fiel stetig ab, und der Boden wurde immer nasser und rutschiger. Ab und an fiel Franke ein schwerer schwarzer Wassertropfen auf die Schulter; um ihn herum klopften sie kalt auf den kahlen Höhlenboden und verrieten die weiten Ausmaße. Sie gingen eine unbestimmte Weile durch die Dunkelheit, nur begleitet vom Tropfen, Schlürfen und Klicken - bis das Klicken aufhörte, und wie schon zuvor auch diesesmal Franke unmittelbar stehen blieb. Hohl hallerten die Stimmen durch die Höhle.
»Sind wir nun da?«
»Sind wir es?«
Franke antwortete nicht. Sie gingen weiter, und noch immer konnte man die eigene Nasenspitze nicht sehen. Franke folgte weiter dem Klacken, bis das dumpfe Licht des Ausganges ihm seine Augen erfrischte.
Salzige Seeluft und tosendes Schreien der schroffen Brandung stiegen an ihre Ohren, als sie die Höhle fast verlassen hatten.

Direkt hinter dem Ausgang sah man es, nachdem man die sonnenschützende Hand vor den Augen weggenommen hatte. Das grenzenlose Blau des Meeres lag vor ihnen und unterscheid sich vom wolkenlosen Himmel nur durch den Trennstrich des Horizontes, den die emporsteigende Sonne mit rötlichen Farben wärmte. Dort in der Ferne, wo alles anders war als hier und alles sein konnte, was man sich nur ausmalte. Wo sie standen war es karg und leer, und die salzige Gischt des Wassers durchnässte ihre Kleider.
Sie stiegen einige abweisende Felsen hinab, bis sie zu einem Ruderboot kamen, dass wie ein Papierschiff in der Gewalt der Brandung lag.
Der alte Mann setzte sich an die hölzernen Ruder und Franke ließ sich ihm gegenüber nieder. Jetzt erst besah er sich den Mann genauer und verfolgte die Linien seines faltigen Gesichtes, es schien ihm bekannt, und dennoch schwor er bei sich, es nie zuvor gesehen zu haben. Aus seinen Falten sprach eine erfüllte Vergangenheit, und als er da begann loszurudern, fühlte sich Franke einen Moment auf einen See im blühenden Schloßgarten versetzt. Wo der Rudermann wortlos seine Arbeit tat und er sich selbst zurücklegte, die Hand über Bord durch das warme Wasser streifen ließ und in den wolkenlosen Himmel blickte, um seinen Gedanken freien Lauf zu lassen.
Der alte Mann ruderte wohl etliche Stunden ununterbrochen, doch zeigte er kein Anzeichen von Ermüdung, und Franke dachte schon er würde sie bis an das Ende der Welt rudern, als er unvermittelt die Ruder einholte. Die See lag nahezu wellenlos, wie abertausende kleine Spiegel, die sich zu einem Ganzen zusammenschlossen und die im Zenit stehende Sonne reflektierten. Nur sanft wiegend und nahezu geräuschlos schwappte das Wasser gegen die Schaluppe. So weit draußen flog kein Vogel mehr. Ihr kleines Boot war ein einsames, idyllisches Dorf inmitten blauer Wiesen, in dass niemals ein Fremder seine Füße setzte.
»Sind wir da?«
»Sind wir?«
Franke antwortete nicht. Man schwieg, und bald erfüllte wieder das stetige Geräusch der knarrenden und eintauchenden Ruder die Welt, als der alte Mann weiterruderte.
Er ruderte Stunden, bis die Sonne hinter ihnen im Meer versank.
Da sah Franke vor Ihnen in der Dunkelheit das Feuer eines Leuchtturmes in der Ferne, welches mit jeder Stunde größer und heller wurde. Ein Lied kam ihn in den Sinn, dessen Melodie er vergessen hatte, wenn es überhaupt jemals eine gegeben hatte.
Auf einmal scheint ein Licht von fern
Als wie ein heller Morgenstern;
die Mannschaft jauchzet überlaut:
»Heida! jetzt gilt es trockne Haut!«
Aus aller Kräften steuert man
Jetzt nach dem teuren Licht hinan,
Das wächst und wächst und leuchtet fast
Wie eine Zaubersonne Glast.

Das Boot lief hart auf Sand, zum Fuße des Leuchtturmes.
Der alte Mann stieg aus, nahm seinen Stock und durchschritt den Sand mit schleifender Spur. Franke folgte ihm zu dem rot-weiß gekleideten Leuchtturm, der sich wie wie ein kultischer Menhir vor der zerklüfteten Landschaft erhob. Die Tür öffnete nur knarrend in den vom Meerwasser benagten Angeln.
Sie stiegen die steinernen Stufen im stetigem Kreise hinauf und sandig knirschten die Tritte.
Franke hörte sich schwerer Atmen, doch der alte Mann vor ihm schien noch immer keine Ermüdung zu zeigen. Die Treppen endeten vor einer niedrigen Tür, die der alte Mann nach einem kaum mehr als angedeuteten Klopfen öffnete.
Ein vollbärtiger Mann trat ihnen aus einem dunklem Winkel des Wachraumes entgegen und entzündete sogleich eine Öllaterne, die er in der rechten Hand behielt und über seinen Kopf hob, um die Eintretenden zu erkennen. Sein warm beleuchtetes Gesicht verzog sich zu einem sanftem Lächeln. Er stellte die Lampe auf einen kleinen Tisch und reichte dem alten Mann wortlos die tylotische Hand. Man setzte sich auf massiven Stühlen um die gütige Lampe und der bärtige Mann zündete sich eine Pfeife an. Franke schaute fröstelnd aus den Fenstern des Turmes hinaus auf das finstere Meer und das leitende Leuchtturmfeuer. Dann lehnte er sich in seinem Stuhl zurück und wurde gefangen vom dem Rauch der Zigarette und der tanzend wärmenden Flamme die in der Öllampe vor ihm zuckte, als er sprach.
»Sind wir nun da?«
»Hier ?« blies der bärtige Mann hinter seiner Pfeife aus und lächelte beinahe amüsiert, auch der alte Mann verzog die Mundwinkel hinter der dichten Tabakswolke.
Franke antwortete nicht.
Bald griff der alte Mann wieder neben sich und nahm seinen Stock zur Hand, mit dem er aus dem Stuhl aufstand.

Sie verließen den Turm mit der Dämmerung des Morgens. In mohnroter Farbe ging sie erhaben vor ihnen auf. Sie überstiegen einige schroffe Klüfte und blickten bald hinab auf eine endlose Wüste, die wie ein erstarrtes gelbbraunes Meer vor ihnen lag. Franke blieb einen Moment stehen um seine Blicke schweifen zu lassen, doch der alte Mann ging rastlos fort und zog eine tiefe Furche in die jungfräuliche Fläche in der Franke ihm folgte. Sie gingen Stunden bis die nächtiche Kälte der Wüste der senkenden Sonne gewichen war und ihre Schatten als kleine schwarze Pfützen unter ihren Füßen lagen. Dann blieb der alte Mann stehen und stemmte erneut den Stock zu seiner Linken in den Sand und stützte sich ab auf der lautlosen Stille der Einöde.
»Sind wir..?«
Der alte Mann antwortete nicht.
Sie gingen weiter und zogen schon Stunden ihre langen Schatten hinter sich her, als weit vor ihnen eine Stadt auftauchte.


Himmelshohe Häuser, wie Franke sie noch nie gesehen hatte, mehrere Dutzend Stockwerke hoch, teilten den Horizont. Rastlos ging der alte Mann weiter und ratlos schwitzend folgte Franke seinen Spuren. Bald drangen monotone Geräusche zu ihren Ohren, wie Franke sie noch nie vernommen hatte, - stetige Flut.
Als sie die Stadt betraten sah Franke
die Quelle des Lärmes,
hunderte Fahrzeuge
auf betonierten Straßen,
in steinerne Schatten getaucht,
in den Schluchten widerhallend.
Enger als zuvor
folgte er dem Mann,
doch blieb der plötzlich stehn,
drehte sich um:
»`Sind da!«
Franke konnte nicht antworten,
der Mann war verschwunden.

[Beitrag editiert von: MarcusSeptimus am 24.02.2002 um 15:59]

 

meine hochachtung. das ist eine geschichte über die man sich stundenlang streiten kann. der seltsame Alte nimmt nicht nur Franke mit, sondern auch jeden Leser und keiner hat eine Ahnung ob man nun endlich da ist, ...oder?

 

DANKE ! :-)

Was ich noch dazu schreiben sollte:
Die einzelnen Stationen der Geschichte, sind gleichzeitig eine Reise durch die Formen Literaturgeschichte. Ich habe versucht mich jeweils an die Normen der Literarischen Strömung der jeweiligen Zeiten zu halten.

Berge: Klassik (1785-1830)
Wald: Romantik (1795-1830)
Höhle: Verbindungsglied mit Alliterationshäufung
Meer: Biedermeier (1815-1850)
Leuchtturm: Realismus (1850-1895)
Wüste: Naturalismus (1880-1915)
Stadt: Moderne (1910-1930)

 

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