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Angels´ Holocaust

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08.07.2002
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Angels´ Holocaust

„Reisender. Wenn du die Dunkelheit fürchtest, dann musstest du noch nicht erleben was Licht alles anrichten kann“

- Andariel, Statthalter von Necrit –


Es ist schon so lange dunkel um mich herum. Die schwachen Phosphorleuchten werfen ihr künstliches, grünes Licht auf meinen Körper. Ich schaue nach vorne über die endlosen, schwarzen Kraterlandschaften, an deren Ende sich ein gewaltiger Lichtkegel auftut. Dem nach zu urteilen müssen wir noch meilenweit vom Ziel entfernt sein, denn hier ist alles in Dunkelheit gehüllt. Die gebündelte Kraft des Lichtes reicht angeblich Meilenweit ins Outback hinein, doch bis hierher schafft sie es dennoch nicht.
Ich schaue mich um zu meinen Kameraden, die teilweise schlafen. Nur Marcia liegt gegen einen Stein gelehnt und funkelt mich aus weissen, leeren Augen an. Sie ist körperlich mehr erledigt als wir anderen, aber sie ist stark und lässt sich nichts anmerken. Jeder hier hat seinen eigenen Traum, den er verfolgt. Dieser Zusammenschluss hat statt gefunden, weil wir um diesen Traum zu erreichen den gleichen Weg beschreiten müssen. Ich blicke wieder nach vorne und sehe sogleich zwei Ghouls, die am Fuße des Berges herumschleichen und uns beobachten. Diese verdammten Aasfresser, würden uns nur allzu gerne das Fleisch von den Knochen lutschen. Ich musste auf der Hut sein, denn auch mich übermannte so langsam die Müdigkeit. Dieser Marsch dauerte nun schon eine Ewigkeit an, eine präzisere Angabe war nicht zu machen, denn in diesem Teil der Welt verging die Zeit nicht. Die Hauptstadt war von hier oben aus kaum noch zu sehen. Lediglich der große, grüne Monolith schwebte wie ein gespenstisches Irrlicht im Dunkeln. Necrit, die unheilige Stadt. Sie war für uns die einzige Zufluchtsstätte vor dem Outback und seinen abscheulichen Kreaturen. Doch war sie ebenfalls ein Nährboden für stetig anwachsende Grausamkeiten. Das kurze, aber einzig Wahre Gefühl der Liebe war schon lange aus dieser Welt verschwunden. Zeitlose Liebe, wie wir sie empfanden war hässlicher als Leichenfleisch. Der einzige Lichtblick für uns Verdammten, war die Reise über den Himmelskorridor, der sich nun so erbarmungslos lang vor mir erstreckte. Wer dessen Gefahren hinter sich ließ, und das wahren bei Gott die wenigsten, der konnte an der Himmelspforte sein Glück mit Fameth herausfordern. Fameth, der sechsflüglige. Der Lichtbringer. Ein Geschöpf, dass in der selbstherrlichen Hierarchie Gottes ganz weit oben stand. Er war zugleich Richter und Vollstrecker seines eigenen Urteils. Kein Verdammter durfte das Tor je passieren. Niemand wusste, nach welchen Kriterien Fameth vorging. War es die schwere der Sünden oder einfach nur das schwache Fleisch, dass ihn ständig dazu veranlasste die Hilfsbedürftigen abzuweisen.
Ich ballte meine Faust. So stark, dass ich mir mit den Nägeln ins Fleisch schnitt. Ich würde es bis zur Pforte schaffen. Wir würden es alle bis dahin schaffen. Und dann sollte es dieser Engel bloß nicht wagen, uns abzuweisen. Wir vier, die bis hierher gekommen sind haben einen unaufhaltsamen Willen und genug Kampferfahrung, um es mit einem Engel seines Ranges aufzunehmen.
„Über was denkst du nach, Lucky?“
Ich musste mich nicht umdrehen, denn im nächsten Moment schob sich ein gewaltiger Schatten an mir vorbei und setzte sich mir gegenüber auf einen Felsen.
„Pass du lieber auf, dass du nicht von den Klippen stürzt. Wir brauchen so einen Muskelberg wie dich noch, Griffith.“
„Hast du die zwei Ghouls gesehen, die hier herumschleichen?“, fragte er besorgt.
„Wenn ich sie nicht gesehen hätte, dann wäre ich bald zweifellos durch ihr ekliges Schmatzen auf sie aufmerksam geworden“, sagte ich bemüht voller Abscheu diesen Wesen gegenüber.
Griffith stand auf und stellte sich auf die Klippen, so dicht heran das ich fast einen Herzkasper bekam, wäre dass denn noch möglich.
„Hey, pass auf was du machst, Großer.“
Er machte einen Schritt zurück, reckte aber seinen Kopf ganz weit nach vorne um nach unten sehen zu können.
„Ich empfinde ein tiefes Mitgefühl diesen Wesen gegenüber. Schau sie dir nur an. Schau dir doch ihre traurigen, irren Augen an“, sagte der Spinner mit weinerlicher Stimme.
„Oh man Griffith, du bist echt ein Heiliger.“ Daraufhin drehte er sich um und schaute ziemlich ernst drein.
„Dann wäre ich sicherlich nicht hier“, war seine knappe Antwort, bevor er sich wieder umdrehte um ins weit entfernte Licht zu schauen. Auf seinem Rücken präsentierten sich mir zwei knorrige, skelettierte Gelenke. Keiner von uns hatte es jemals ausgesprochen, weil jeder wusste wie empfindlich er darauf reagierte. Aber ich war mir ziemlich sicher, dass der arme Kerl an dieser Stelle damals zwei prächtige Schwingen gehabt haben musste. Man hörte die Schauermärchen über die speziellen Folterungsmethoden der Engel von umherwandernden Seelen. Körperlosen Wesen, die ihre astralen Kräfte manchmal in unsere Dienste stellten und die Engel ausspionierten. Die härteste aller Bestrafungen war der sogenannte Flügelschlag. Dem sündigen Engel wurden die Flügel abgehackt. Aber nicht vollkommen, denn nach seiner Verbannung sollte jeder um seine Schuld bescheid wissen. Ich wusste nicht, was er angestellt hatte, aber das war auch seine ganz eigene Geschichte. Uns trat er bei, nachdem wir ihn in Necrit vor einer Steinigung bewahrt hatten. Als wir seine blutigen Flügelstümpfe sahen, beschlossen wir ihn von nun an Griffith zu nennen. Griffith, der gefallene Engel, der seinerzeit mit den anderen Engeln in Eden ein und aus ging. Eden, der paradiesische Garten des Schöpfers. Dort stand Yaggdrasil, bekannt geworden durch seine verführerischen Früchte. Der Schöpfungsbaum, an dem Adam und Eva ihre Vollkommenheit aufgaben und Gottes perfekte Welt aus den Fugen brachten. Wir hier aus Necrit sind eingeklemmt zwischen den Mächten. Hinter uns liegt Hel, das Reich Luzifers. Ein Ort untragbarer Sünden. Schon etliche Male ist die weiße Garde des Himmels dort einmarschiert um den Abtrünnigen zu bestrafen. Doch selbst für die Engel ist dieser Ort das leibhaftige Grauen. Seit ihrer letzten Niederlage in Hel lassen sie die Finger von Luzifer. Nun ist dieser Ort eine Tabula Rasa für ungezügelte Fleischeslust und Mordgier.
Und vor uns liegt Eden. Der Garten Gottes, in dessen Mitte die Hauptstadt der Engel erbaut wurde. Ihr Wahrzeichen ist der Amtssitz des Schöpfers, der Turm Aeternitas. Eine uneinnehmbare Festung, in den nur die hohen Engel Zutritt haben.
Dort ist es, wo wir hingehen wollen. Nachdem man die Pforte passiert hat, die von Fameth bewacht wird, gelangt man auf direktem Weg nach Eden.
„Was ist los mit dir, Lucky? Kriegst du auf den letzten Metern etwa noch kalte Füße?“
Ich lächelte entkräftet, denn ganz so falsch lag Griffith mit dieser Vermutung gar nicht. Ich kam meinem Ziel nun immer näher. Es war die letzte und einzige Chance, dieser Finsternis zu entgehen und zu ihr zu gelangen. Dieses einzige Gefühl, dass mich noch vorantrieb. Definitiv keine Liebe, aber stark genug um dafür zu kämpfen.
„Ich passe hier für dich auf, Kleiner. Sie du jetzt lieber zu, dass du deine Augen wenigstens für ein paar Stunden schließen kannst.“
„Wenn das in Ordnung für dich ist?“, sagte ich kraftlos und stampfte zu meiner Decke, ohne seine Antwort abzuwarten. Und schon wieder wurde ich von Marcia angeschaut. Ihre Augen waren trübe und traurig. In ihren Händen hielt sie eine kleine, schmutzige Puppe, an der ein Bein fehlte. Ich versuchte zu lächeln und nickte ihr zu. Sie erwiderte es kurz und verzog danach wieder den Mund, scheinbar nicht in der Lage, diese gespielte Fröhlichkeit lange aufrecht zu erhalten. Marcia sprach nie ein Wort. Keiner wusste, ob sie wirklich stumm war oder einfach nur nicht sprechen wollte. So manches Mal auf dieser Reise kam ich zu ihr unter die Decke gekrochen. Der Sex mit ihr war stets grauenhaft schlecht und zudem klammerte sie sich danach noch ein Weilchen an mir fest um zu weinen. Ich gönnte ihr diese unpersönliche Art körperlicher Nähe, schließlich kam ich auch immer wieder aufs Neue angekrochen, um meine Lust zu befriedigen.
Dieses Mal wollte ich nur so schnell wie möglich einschlafen. Der Himmelskorridor war ein gefährlicher Ort, voller Ghouls. Und die würden bei weitem nicht das schlimmste Übel darstellen, so viel war Mal sicher. Man hörte von wütenden Geistern ebenso wie von Kreaturen, die in der Lage waren deinen Verstand zu vergiften. Möglicherweise würde ich, wie unzählige arme Seelen zuvor auf dieser öden Kraterlandschaft verrecken. Doch das war es wert. Ich zog die grobfasrige, raue Decke bis zum Hals hoch und schloss die Augen ...

Der Himmelskorridor

Von den anderen wurde ich Lucky getauft, weil ich damals einen Hinterhalt der Engel überlebt hatte. Außer mir fanden alle anderen Kameraden, mit Ausnahme eines Kindes den Tod. Ich habe mit angesehen, wie die Engel ihnen mit langen Schwertern die Leiber in zwei Hälften teilten und sie mit ihrem heiligen Licht verbrannten. Frauen und Kinder wurden bedenkenlos abgeschlachtet, schließlich trugen die Kleinen lediglich die Saat von Mördern und Sündern in sich. Ich habe damals nur überlebt, weil ich mich zusammen mit dem Kleinen unter dem riesigen Leichenberg verkrochen habe und später von den Necrit-Truppen gefunden, und von dieser erdrückenden Last befreit wurde. Bis heute habe ich den Gestank von verbranntem Fleisch und Blut in der Nase. Und das Bildnis der gemeinen Engel, die sich einzig und alleine durch ihre weißen Flügel von uns unterschieden.
Wir stehen hier auf dunklem Stein und blicken in die Finsternis. Von hier unten kann man nur noch am Horizont das Licht der Pforte ausmachen. Allesamt tragen wir Phosphorfackeln um herannahende Gefahren zu bemerken, aber vielmehr um die Orientierung zu behalten und nicht in irgendwelche Felsspalten zu stürzen, die hier zu genüge vorhanden waren. Ich sehe den kleinen Dismas an. In meiner Zeitrechnung war er körperlich keinesfalls älter als dreizehn Jahre. Aber seine Schmerzen ließen ihn schneller altern. Er war es, der zusammen mit mir das Massaker überlebte. Ich brachte ihn damals zur Großmutter. Sie war das einzige Geschöpf in Necrit, dass noch so etwas wie Liebe empfinden konnte. Von ihr bekam er auch seinen Namen, der gleichsam dem Sünder war, der unschuldig neben Jesus Christus ans Kreuz geschlagen wurde. Er sollte stellvertretend für all die Sünden stehen, die diese arme Kleine Seele im Verlauf ihres Lebens ertragen und begehen würde.
Ich besuchte ihn so oft es ging. Und seine Beweggründe sich an dieser gefährlichen Reise zu beteiligen, waren ebenso einfach wie erstrebenswert für einen Jungen seines Alters. Er wollte einfach nur herausfinden, ob seine Eltern nun endlich im Himmel waren. Wie konnte ein heiliges Wesen, wie Fameth es war denn rechtfertigen, ihm diesen Wunsch abzuschlagen. Es sei denn ...
Nein, so weit wollte ich erst gar nicht denken. Dieser Kleine Junge war kein Verdammter wie wir. Er träumte vom blauen Himmel und seinen Eltern. Ihm hätten eigentlich weiße Flügel zugestanden. Wenn Gott wirklich so gerecht war, dann würde er solch eine Bestrafung nicht dulden. Ich schaute auf das grüne Kreuz, dass er um den Hals trug. In seiner Familie hatte es jeder getragen. Ein Kristall, gefüllt mit einer ewig leuchtenden Phosphormischung. Er hatte mir erzählt, dass seine Eltern die Engel verehrt hätten. Seine Mutter hatte ständig zu Gott gebetet, auf dass ihr und ihrer Familie Flügel wachsen sollten, damit sie diesen unheiligen Ort verlassen konnten. Schließlich waren es dann wirklich die Engel, die ihren Gebeten gelauscht hatten. So kam das Massaker zustande. Die Engel erfüllten ihr diesen Wunsch und erlösten sie von ihren Leiden. So jedenfalls denkt der Kleine Dismas. Ich lasse ihn in diesem Glauben, auch wenn ich es besser weiß. Diese Schmutzfinken haben ihre eigene Moral und da war kein Platz für unreine Wesen wie uns. Sie hassten uns, weil wir in Sünde lebten. Weil wir ficken und morden konnten, wenn uns danach war. Ich glaube, dass die Engel mit diesem aufgesetzten Hass ihren Neid auf uns überspielen wollen.
„Hey, Lucky. Warte doch mal.“
Griffith´ kehlige Stimme durchbohrte mein Gedankengebäude und ließ mich ruckartig stehen bleiben. Wir mussten schon eine ganze Weile lang gelaufen sein, aber ehrlich gesagt wusste ich es nicht genau.
„Irgendetwas stimmt nicht mit Marcia“, sagte er und deutete mit dem Finger auf unsere Begleiterin, die apathisch nach rechts blickte und am ganzen Körper zitterte. Ihre Augen waren geweitet. Ihr Blick war auf irgendetwas gerichtet, aber ich konnte nichts sehen. Da war alles schwarz. Dann hörte ich eine Stimme. Sie klang verzerrt und weit entfernt. Aber augenblicklich umfing mich eine klirrende Kälte, denn ich erinnerte mich wieder an diesen wohltuenden, warmen Ton. Ich drehte mich panisch um und im selben Moment verkrampfte mein Körper und ich war wie versteinert. Ich sah sie in der Dunkelheit schweben. Ihr langes, weißes Haar wehte rhythmisch im Wind. Ihr zerfurchtes, freundliches Gesicht strahlte mich an. Sie hatte ihr Lieblingskleid an. Das mit dem Blümchenmuster. Die Erinnerung daran ließ mir die Tränen in die Augen schießen. An so einem Ort sollte ich sie also wiedersehen. War meine Reise damit etwa schon vorüber? Sie streckte die Arme nach mir aus und setzte ein Lächeln auf, wie ich es schon tausendmal bei ihr gesehen hatte. War sie denn gar nicht mehr Böse auf mich. Hatte sie den tiefen Schmerz, den ich ihrem alten Herzen zugefügt hatte, wirklich vergessen können? Ich wollte es einfach glauben und so löste ich mich aus meiner Paralyse und lief auf sie zu. Im selben Augeblick löste sich direkt neben ihr ein Schatten aus der Dunkelheit und ich konnte Griffith sehen, der seine Hellebarde schwang und ihren Körper damit in zwei Hälften teilte.
Das konnte doch nicht wahr sein. Dieser üble Verräter. Dieser Scheiß Engel! Ich zog mein Schwert über die Schultern und stürmte auf ihn zu. Meine Augen waren mit Tränen geflutet und ich konnte eigentlich nichts mehr sehen. Im nächsten Augenblick spürte ich, wie seine Bärenpranken gleichzeitig meine Handgelenke und meinen Hals umschlossen. Ich konnte nichts mehr machen. Der Kerl hatte wirklich eine wahnsinnige Kraft. Er schleuderte zuerst mein Schwert und dann mich auf den Boden.
„Sag mal, bist du denn bescheuert oder was geht in deinem kranken Hirn vor“, sagte er mit bebender Stimme und drückte dabei meinen Kopf zur Seite. Vor mir konnte ich die obere Hälfte eines Ghouls sehen. Sein Torso war vom Rest des Körpers, der irgendwo dahinter lag getrennt worden.
„Du wärst eben fast einem beschissenen Seelenfresser in die Arme gelaufen.“
Konnte das denn wirklich stimmen. Alles nur eine Halluzination? Verursacht wohlmöglich von den bösen Kräften, die an diesem Ort herrschen. Na klar!
„Verdammt, Marcia. Kommst du wohl weg von der Felsspalte“, sagte Griffith ärgerlich.
„Was ist nur los mit euch beiden Spinnern? Kann ich dich jetzt wieder loslassen oder muss ich dich erst noch K.O schlagen?“
Ich versuchte so gut es eben ging mit dem Kopf zu bestätigen, dass ich mich beruhigt hatte. Dann löste sich der Druck von meinem Rücken und Griffith stand auf um nach Marcia zu sehen. Ich mühte mich ebenfalls ziemlich unbeholfen und verwirrt auf die Beine. Marcia stand wirklich gefährlich Nahe am Abgrund. Sie streckte eine Hand nach vorne in die Dunkelheit und machte einen weiteren, riskanten Schritt vorwärts.
„Hey altes Mädchen. Jetzt schnappen wir aber alle mal wieder ordentlich Luft und beruhigen uns, in Ordnung?“ Griffith war sehr angespannt, dass konnte man ihm förmlich ansehen. Der Kleine Dismas kam zu mir und legte seinen Arm um meine Taille. Den Kopf vergrub er in meinem Bauch. Er schien zu spüren, dass sich hier gleich möglicherweise eine Katastrophe abspielen würde. Ich tätschelte über seine Haare und konnte gerade noch Marcias Gesicht sehen, als sie sich kurz zu uns umschaute. Sie weinte, aber ihr Gesicht sah so entspannt und glücklich aus. Das erste Mal seit ich sie kannte lächelte sie aus dem Inneren heraus. Im nächsten Moment verschwand dieses Gesicht mitsamt ihrem Körper in der Finsternis. Abgestürzt. Einfach so. Griffith schrie kurz auf und rannte zur Krateröffnung. Ich hielt den Kopf des Kleinen fest umschlossen und presste ihn an mich. Ich konnte leise sein Schluchzen hören.
Griffith kam mit der Einbeinigen Puppe, die er am Felsenschlund aufgehoben hatte zurück und ließ sich verausgabt auf den Boden sinken. Er senkte seinen Kopf und ich konnte auch ihn zum ersten Mal weinen sehen. Es war mehr ein verhaltendes, leises Wimmern. Die Tränen kullerten gemächlich seine Wangen herunter und tropften auf den toten Stein.
„Warum hat sie das gemacht. Warum hat sie das so kurz vor dem Ziel gemacht?“, jammerte er. Ich kannte die Antwort. Ich wusste, was Marcia in der Dunkelheit gesehen hatte, weil ich es ebenfalls sah. Als sie so dicht neben mir geschlafen hatte, hörte ich sie einmal einen Namen murmeln. Das war also das einzige und letzte Mal, dass ich ihre Stimme hören sollte.
Sophia. Die Kleine Sophia, ihre Tochter. Deswegen diese alte, verdreckte Puppe, die bereits aus allen Nähten platzte. Das sie tot war stand außer Frage. Wahrscheinlich hatten die beiden eine ähnlich tragische Geschichte zu erzählen wie ich. Ich wollte wirklich glauben, dass es ihr jetzt endlich so gut ging, wie kurz vor ihrem Ableben. Aber ob die Himmelspforte jetzt für sie offen stand war mehr als fraglich. Aus der Richtung aus der wir gekommen waren, konnte ich die unmenschlichen Schreie der Ghouls hören. Es mussten unzählige von ihnen sein, die unsere Fährte aufgenommen hatten.
„Lasst uns jetzt weitergehen. Es ist nicht mehr weit bis zur Pforte. Lasst uns um sie trauern, wenn wir das hier überleben sollten.“
Griffith nickte entschlossen und stopfte sich die Puppe in die Tasche. Dann stand er auf und lief voraus ...

Wenn sich Wünsche erfüllen

Die Rufe der Ghoultruppe verebbten schnell, denn jeder wusste um ihre Trägheit. Trotzdem war ich besorgt, denn es waren seit einiger Zeit neuartige Geräusche hinzugekommen. Ein Stimmengewirr, noch leise und unaufdringlich, aber mit jedem Schritt den wir taten anschwellend. Diesmal hörte es sich nach menschlichem Gemurmel an, was mir eine zusätzliche Gänsehaut bescherte. Griffith hatte den kleinen Dismas auf die Schultern genommen, der fleißig damit beschäftigt war die Umgebung auszuleuchten. Mir selber schmerzten die Beine fürchterlich und ich hätte nicht ungern den Platz auf Griffith´ Schultern mit dem Kleinen eingetauscht. Wir liefen nun schon sehr lange ohne Rast zu machen. Ich dachte zurück an die Zeit auf dem Schattenberg. Wie weit wir den wohl hinter uns gelassen hatten? Das Licht am Horizont wurde jedenfalls zunehmend stärker. Ein Tagesmarsch vielleicht noch, dann wären wir am Knackpunkt unserer Reise angelangt. Die Begegnung mit Fameth verursachte bei mir weiche Knie. Ich war so in Gedanken versunken, dass ich die plötzliche Veränderung in der Umgebung zuerst als Halluzination einstufen wollte.
Vor uns lag ein grell schimmernder See. Sein Neon-Violett war dermaßen dominant und kräftig, dass sich meine Pupillen zusammenzogen. Augenblicklich schwollen die Stimmen unserer dezenten, imaginären Begleiter an und mir war so, als würde sich eine Kreissäge in meinem Hirn austoben. Ich presste mir beide Hände auf die Ohren und sah rüber zu Griffith, der etwas gefasster wirkte, aber dennoch die Augen schmerzverzerrt zusammenkniff. Dann plötzlich war der Druck in meinem Kopf wieder verschwunden, die Stimmen aber waren immer noch erheblich lauter als bisher.
„Was ist das hier wieder für ein Scheiß?“, fluchte ich lauthals, um meinen betäubten Gehörgang zu stimulieren.
„Keine Ahnung. Aber es sieht so aus, als ob wir da irgendwie drüber kommen müssen“, sagte Griffith, während er den Kleinen absetzte und auf das unheimliche Wasser zuging.
Er griff sich einen größeren Felsbrocken und warf ihn gute zehn Meter weit in die leuchtende Brühe hinein. Der Stein versank zu unser aller Erleichterung nur halb. Die Druckwelle auf dem Wasser aber war unnatürlich stark ausgeprägt. Der äußere Ring erreichte ohne Mühe das Ufer.
Er drehte sich zu uns um und nickte hastig. „Da müssen wir jetzt durch. Am besten nicht nachdenken und einfach zügig durchlaufen.“
Während er das sagte griff Dismas meine Hand und sah mich ängstlich an. Ich zwinkerte ihm zu und lächelte dabei. Den Tod fürchtete ich weniger als das Sterben. Und bei solchen Schweinereien konnte man sich nie sicher sein, ob dieses Sterben schnell oder qualvoll verlaufen würde.
Ich zog also den Kleinen entschlossen hinter mir her und war der Erste, der einen Fuß in das nach Tod stinkende Wasser setzte. Griffith schnappte sich noch ein paar größere Felsen und folgte uns dann.

Ab und zu musste ich auf meine Füße gucken. Auf die Druckwellen, die überall um uns herum durchs Wasser schwebten. Mir war so, als würde ich unter der Oberfläche gelegentlich Schatten sehen. Vielleicht waren es friedliche Geisterwesen, die diesem See ihre unnatürliche Farbe verliehen. So hoffte ich jedenfalls, denn bisher war hier nichts ungewöhnliches passiert und wir liefen schon eine ganze Weile. Griffith´ Steinvorrat war längst aufgebraucht, aber die Tiefe veränderte sich nie. Meine Stiefel versanken im schlimmsten Fall bis zum Knöchel.
„Was meint ihr, wann wir die Pforte erreichen?“, fragte ich sporadisch, weil mir das kollektive, angespannte Schweigen auf den Senkel ging.
Die Antwort, die ich darauf bekam war wenig beruhigend.
„Schaut mal da vorne“, sagte Griffith und deutete in die Schwarze Suppe über dem Wasser. Die Finsternis hielt auch hier Einzug und erschwerte die Weitsicht.
Ich konnte ganz deutlich sehen was er meinte und es bedurfte nur eines kurzen Augenblicks gedanklicher Chronik, dass meine Glieder versteiften und ich wieder in diese Art von Paralyse zurückfiel.
In der Dunkelheit schwebten zwei grünleuchtende Kreuze. Eindeutig und unverwechselbar die Sorte Kreuz, die Dismas um den Hals trug. Der Kleine riss die Augen auf und machte ein paar Schritte nach vorne.
„Bleib bloß da stehen wo du bist“, zischte ich autoritär. Im nächsten Moment schälten sich zwei Gestalten aus der Finsternis.
„Was in Gottes Namen?“, stammelte Griffith und griff nach seiner Hellebarde.
Ich tat das gleiche und ließ meinen Zweihänder provokativ durchs Wasser schnellen.
Die Gestalten waren zwar noch als Mann und Frau identifizierbar, aber ihre menschlichen Seelen hatten diesen Körper schon lange verlassen. Pupillenlose, milchige Augen gafften uns an, während die Unterkiefer skurril weit herunterklappten. Die spröden, strohgleichen Haare der Frau hingen bis ins Wasser hinein, aus dem sie sicherlich geboren wurde.
Aber an einer Tatsache hatte ich jetzt keinen Zweifel mehr. Und die war grausamer als jeder Zombie dieser Welt.
„Mama! Papa!“, kreischte der Kleine und rannte voraus. Griffith und ich reagierten sofort und liefen kampfbereit hinterher.
Im nächsten Augenblick öffnete sich das Wasser vor uns und spie zwei nackte und glitschige Körper aus. Diese zwei gottverdammten Zombies trennten uns nun von dem Kleinen, der sich ziellos zu uns umblickte und sicherlich um seine eigene Leichtsinnigkeit wusste.
Immerhin versagten seine Nerven jetzt nicht vollkommen, denn er griff zu seinen Wurfmessern. Er war zwar nicht stark und ausdauernd, aber mit den Wurfmessern konnte er umgehen wie ein Meister. Ich glaube, er würde eine Krähe aus der Luft schießen können, wenn sie denn nur tief genug fliegen würde.
Griffith schwang mit einem wütenden Schrei die Hellebarde und schlug den beiden Milchgesichtern, die brav in einer Reihe standen damit die Köpfe vom Rumpf.
Ich wehrte zwei Neue Angreifer ab, die mir aus dem Hinterhalt ihre knochigen Finger um den Fuß gelegt hatten. Es war wirklich ein Vergnügen, ihnen die maroden Köpfe einzuschlagen.
Trotzdem machte ich mir bald Sorgen um meine Kondition, denn es wurden immer mehr.
„Komm schon Griffith. Lass und den kleinen Wüstling da rausholen und verschwinden.“
Er nickte kurz und stellte sich neben mich. In dieser kurzen Zeit wimmelte es hier nur so von Zombies. Sie waren überall. Immer mehr unbeholfene, bucklige Körper schälten sich aus der Dunkelheit und trotteten auf uns zu.
„Komm schon Kleiner, lass uns abhauen“, rief ihm Griffith zu. Dismas blickte sich erst zu uns und dann zu den beiden Körpern, in denen einst seine Eltern wohnten um. Ich konnte es bereits in seinen Augen sehen. Die große Dummheit und trotzdem sein ganz eigener Wunsch.
Er sah mich entschuldigend an, während ich nur mit offenem Mund zurückblickte und nichts erwidern konnte.
Dann stürmte er los. Er glitt unter den Armen der wütenden Zombies hindurch und zückte im nächsten Augenblick zwei Wurfdolche, mit denen er den beiden einzigen Schmuckträgern die Schädel einwarf.
Griffith wollte losstürmen und helfen, aber vor uns hatte sich schon eine Kleinarmee aus boshaft zischenden Zombies versammelt.
Ich packte ihn am Arm und sah ihn durchdringend an. Ich sah in seinen Augen, dass er wusste was ich meinte. Der Kleine hatte hier und jetzt seinen Wunsch erfüllt. Seine Eltern waren nicht im Himmel. Es gab keinen Grund, dort nach ihnen zu suchen. Aber ihre Seelen existierten irgendwo in dieser Welt. Für ihn war diese Reise hier zuende.
Ich rannte einfach voraus und Griffith folgte mir zögerlich. Währenddessen zeriss es mir das Herz zu wissen, dass der Kleine vermutlich gerade von diesen Bestien zerfetzt wurde. Sein geschundener Körper würde an diesem Ort wieder auferstehen um mit den anderen auf Jagd zu gehen. Aber ich hämmerte mir immer wieder ein, dass seine Seele diese Qualen nicht mehr ertragen müsse. Und wenn es der dunkelste und unwirtlichste Ort in dieser Welt war. Hauptsache er konnte bei seinen Eltern sein ...

Jenseits von Eden

Meine Lunge schmerzte schrecklich und ich konnte das wilde Trommeln meines Herzens hören, als ich erschöpft und ausgebrannt auf den Boden sank.
„Warte Griffith. Bitte, ich kann nicht mehr“, quengelte ich.
Wir waren so lange gerannt. Hatten diese furchtbare Gebärmutter mitsamt ihren seelenlosen Puppen hinter uns gelassen und standen nun keine dreihundert Meter von der Pforte entfernt. Die gigantische Lichtsäule machte die Umgebung Taghell. Trotzdem kam mir auch dieses Licht künstlich vor. Es musste wohl an diesem Ort liegen, dass man sich an nichts mehr erfreuen konnte. Griffith packte mich an der Weste und zerrte mich hinter einen Felsvorsprung. Das Plateau hier oben verschaffte uns einen wunderbaren Ausblick auf den großen Steinplatz, an dessen Ende die Pforte in Gestalt eben dieser gigantischen Lichtsäule in den schwarzen Himmel emporragte.
„Sind wir also wirklich lebend hier angelangt“, seufzte Griffith fast anklägerisch.
Der Moment der Entscheidung war gekommen und diese Gewissheit setzte auch meine Vernunft teilweise außer Kraft. Marcia und Dismas hatten, um dieses Ziel zu erreichen mit ihrem Leben bezahlt. Und nun war es also wirklich meine Wenigkeit, die Fameth gegenübertreten sollte. Was, wenn er mich wirklich abweisen sollte? Meine Kampfmoral war auf einem Tiefpunkt angelangt. Zwei jämmerliche Seelen im Kampf mit einem Halbgott wie Fameth? Ich lachte in mich hinein. Was war ich nur für ein Dummkopf. Selbst wenn wir hier alle lebend angekommen wären, hätte uns dieser Engel wahrscheinlich mit einem Schlag weggefegt.
„Komm jetzt Lucky, lassen wir nicht noch mehr wertlose Zeit verstreichen“, sagte Griffith aufbauend und tätschelte meine Schulter. Er stand auf, um den Berg herunterzuschreiten und ich packte ihn noch einmal am Arm. „Bist du dir wirklich sicher, dass wir das richtige tun?“, sagte ich gewollt ernst, um nicht zur Tat schreiten zu müssen. Griffith grinste mich an und meinte: “Genau so sicher wie du, mein Freund.“
Verdammt, er hatte doch Recht. Wir waren so weit gekommen. Und selbst wenn wir wollten gab es für uns keinen Weg mehr zurück. Dieser Einöde entkommt man mit viel Glück einmal. Das Zweite Mal wären wir, wenn nicht von Zombies und Geistern in den Wahnsinn getrieben, elendig verhungert.
Also richtete ich mich mühsam auf und schlenderte zusammen mit meinem Leidensgenossen den Berg herunter.

Hier unten auf dem riesigen Steinplatz wurde mir augenblicklich schwindelig. Dieses weite Steinfeld lag zwischen uns und der Pforte, die sich wie ein tosender Wirbelsturm über unseren Köpfen auftat. Unsere Schatten streckten sich unnatürlich weit nach vorne. Ich merkte, wie mir die Knie schlotterten und wie sich mein Verstand immer nur im Kreis drehte. Fameth, der Seraphin. Fameth, der Lichtbringer und Träger der sechs Schwingen. Aber noch war weit und breit nichts von ihm zu sehen. Ich war kurz davor, einfach loszustürmen. Einfach ins Licht zu springen und mich in den Himmel bringen zu lassen.
Aber viel Zeit um diese Aktion durchzuführen blieb mir nicht, denn augenblicklich zeichnete sich über uns und um uns herum ein gigantischer Schatten ab. Er war also doch noch gekommen um uns zu begrüßen ...

Eine Welt in Weiß

Er landete keine fünf Meter entfernt vor unseren Füßen. Der große weiße Engel. Und das war er wirklich. Er überragte selbst Griffith um mindestens drei Köpfe und seine Flügelspannweite war enorm. Die sechs Schwingen, Symbol für seine schier unerschöpfliche Macht. Sein Körper war athletisch, aber keinesfalls so Muskelbepackt wie der von Griffith. Seine majestätische Haltung war typisch für die Engel, wenn auch bei diesem Exemplar besonders stark ausgeprägt. Ein Androgynes Wesen, durch und durch. In meinen Augen waren diese Heiligen Geschöpfe nicht mehr als schwanzlose Flattermänner. Aber dieser hier war gewiss einschüchternd. Seine langen weißen Haare, mit dem dezenten Blauschimmer brachten sein verführerisches, zartes Gesicht voll zur Geltung. Seine blauen Augen aber verbreiteten in diesem Moment eine fast greifbare Kälte. Ich musste den Blick abwenden, während Griffith mir in den Nacken kniff und dann wortlos nach vorne schritt.
„Viel Glück“, sagte ich kaum hörbar und setzte einen Schritt zurück.
Fameth streckte die Hände nach Griffith aus und berührte damit seine Wangen.
Im nächsten Moment umfing die beiden ein gleißend helles Licht, dass ich mit beiden Händen abwehrte, um mir nicht die Augen zu verbrennen. Das ganze dauerte keine Minute, wenn man in menschlicher Zeitrechnung denken würde. Im nächsten Augenblick lächelte der Engel und schob Griffith beiseite, der zuerst etwas skeptisch schaute und dann dankbar weinend vor Fameth auf die Knie viel und irgendetwas brabbelte, das ich nicht verstehen konnte. Hatte es dieser alte Spinner also tatsächlich geschafft. Seine Zurückbeförderung in den Himmel. Ich wollte mich wirklich für ihn freuen, aber im nächsten Moment erstarb das Lächeln des Engels und er sah mich wie gewohnt aus kühlen, verurteilenden Augen an. Jetzt war also ich an der Reihe. Lucky, der Zweifler. Lucky, der Kerl mit dem beißenden Sarkasmus. Ich, der so ein schweres Kreuz zu tragen hat, soll einen Engel seines Ranges von meiner schwankenden Seele überzeugen können? Während ich seinen ausgestreckten Armen entgegenlief, gewitterten unzählige Gedanken wüst in meinem Kopf umher. Ich schaute rüber zu Griffith, der mich erwartungsvoll ansah. Seine Tränengefluteten Augen wirkten gefasster als ich es vielleicht erwartet hätte. Dann stand ich vor ihm. Und ich dachte einen Augenblick lang, meine Beine würden das nicht mitmachen und ich würde in mich zusammenfallen. Meine Nerven waren bis zum zerreißen überspannt. Das hier war so endgültig. Alles was ich sein wollte, ja mein einziger Traum würde entweder hier sterben oder sich erfüllen. Als seine zarten, keramikweißen Hände meine Wangen berührten, durchfuhr mich schlagartig ein brennender Schmerz. Ich griff nach seinen Armen und wollte mich losreißen, denn dieses unsagbar höllische Feuer war im Begriff, mein Inneres zu vernichten. Meine Augen weiteten sich und meine Glieder erschlafften. Es war, als würde tief in meiner Seele ein gefräßiges Tier wüten. Als er seine Hände von mir nahm, stürzte ich wie ein toter Vogel zu Boden und landete unsanft mit dem Gesicht auf den Felsen. Das innere Feuer hatte aufgehört zu wüten, aber die Schmerzen hatten meinem Körper derartig schwer zugesetzt, dass meine Glieder unkontrolliert zuckten.
Das ist es also gewesen. Ich werde den Himmel niemals sehen. Keinen blauen Himmel und keinen wohltuenden Vogelgesang. Und ich werde Sie wohl nie mehr um Verzeihung bitten können. Langsam richtete ich mich auf. Genau soweit nämlich, dass ich wie ein Tier auf allen Vieren vor diesem hohen Engel auf dem Boden kroch. Wenn ich nur die Kraft gehabt hätte, würde ich jetzt mein Schwert ziehen und diesen Mistkerl angreifen. Er würde mich zwar ohne weiteres niederstrecken, aber vielleicht wollte ich das ja. Den Weg, den ich beschritten hatte konnte ich nicht mehr zurückgehen und der Weg der vor mir lag war unerreichbar weit entfernt. Die Hoffnung war mit einem Mal erloschen. Vielleicht hatte Fameth sie mit seinem heiligen Feuer aus meiner Seele getilgt.
Ich schaute rauf zu ihm. Sah in sein Maskenähnliches Gesicht, das bar jeden Mitgefühls war.
Und dann geschah etwas, mit dem ich nie hätte rechnen können ...

Eine rote Linie zog sich augenblicklich durch Fameth´ Gesicht. Im nächsten Moment rutschten beide Körperhälften auseinander und brachen zur Seite weg.
Dahinter stand Griffith, dessen Hellebarde tief im Stein steckte. Eine gewaltige Blutlache weitete sich in sekundenschnelle aus und brandete an meinen Handflächen vorbei. Ich konnte gar nichts machen, außer Griffith fassungslos anzustarren.
„Steh jetzt sofort auf, Kleiner“, sagte er ruhig und gefasst.
„Fameth ist nicht tot. Wenn er wieder aufsteht wird er uns beide in Stücke reißen.“
Ich versuchte schnell auf die Beine zu kommen, obwohl mir der Gedanke in Engelsblut zu baden gefiel.
„Verdammt Griffith, du bist ein Held. Du hast einen der höchsten Engel einfach so platt gemacht“, sagte ich euphorisch, während ich mich innerlich vor Freude fast überschlug.
Als ich vor ihm stand wechselte diese Stimmung sofort wieder und ich warf mich weinend auf den Boden.
„Du verfluchter Spinner. Du hast das alles nur für mich getan? Warum das? Du hättest in Frieden leben können. Und nur für einen Versager wie mich nimmst du ein Leben auf der Flucht in kauf?“
Griffith lächelte mich an, packte mich unter den Armen und zog mich wieder auf die Beine.
„Mein Leben endet hier, Lucky.“
Ich verstand überhaupt nichts mehr. Was hatte der Typ für ein Problem?
„Lass den Scheiß jetzt bleiben, Griffith. Wir sollten zusehen, dass wir unsere beiden Ärsche so schnell wie möglich durch die Pforte bewegen“, sagte ich belehrend, während ich mich schon auf den Weg zum Lichtturm machte. Griffith aber folgte mir nicht und ich schaute mich nach einigen Metern fassungslos zu ihm um.
„Du meinst es ernst, Großer? Aber warum?“
„Weil ich niemals eine Chance hatte, zurück in den Himmel zu kommen.“
„Was soll das heißen?“
„Das heißt, dass kein gefallener Engel je wieder die Gelegenheit dazu bekommt, sich von seinen Sünden rein waschen zu lassen.“
Griffith unterbrach kurz und schaute auf Fameth, dessen Körperhälften sich allmählich wieder zusammenfügten.
„Dieser Dreckskerl hier wusste das. Aber anscheinend hat er mich als einfachen Engel unterschätzt.“
„Lucky, wenn ich versuchen würde durch die Pforte zu gehen, würde mein Körper augenblicklich verbrennen. Der Flügelschlag hat mein Leben als Geschöpf Gottes entgültig beendet.“
„Darum will ich, dass du für mich zum Schöpfer gehst und ihm kräftig in den Arsch trittst. Und wenn das nicht funktioniert, so will ich wenigstens seine Ordnung stören, indem ich einem Sünder wie dir Zugang zum Himmel verschaffe.“
„Und jetzt verschwinde. Gleich bricht hier die Hölle los.“
„Das kannst du vergessen“, sagte ich entschlossen und zückte mein Schwert.
„Ich lasse dich ganz sicher nicht hier sterben.“
Griffith´ Mimik veränderte sich. Er sah jetzt verdammt ernst und böse aus.
„Wenn das so ist, dann werden wir halt beide sterben“, sagte er erschöpft, während er sich umdrehte um seine Hellebarde aus dem Stein zu ziehen.
„Und ich dachte bisher immer, dir liegt was an den Wünschen anderer Leute.“
Das hatte gesessen. Marcia und Dismas waren tot, weil sie ihre Wünsche nicht aus den Augen verloren hatten und sie unbedingt erfüllen wollten. Griffith hatte seine ganz eigene, private Vendetta mit Gott im Kopf. Er wusste, dass er hier den sicheren Tod finden würde und hat sich uns trotzdem angeschlossen. Ich musste jetzt klar denken. Und das einzig Richtige, was ich jetzt tun konnte war die Erfüllung seines Wunsches.
„Ich werde nie vergessen, was du für mich getan hast, mein Freund.“
Griffith drehte sich um, lächelte mir siegessicher entgegen und warf mir Marcias Puppe vor die Füße.
„Mach deinen Weg, Kleiner. Vielleicht sieht man sich irgendwann wieder.“
Die Tränen liefen mir die Wangen herunter, aber innerlich war ich so stark wie nie zuvor. Ich hob Sophias Puppe auf und rannte zur Pforte. Erst als ich einen Fußbreit davor stand, blickte ich mich um.
Griffith´ Wunsch würde sich gleich schon Mal zur Hälfte erfüllen. Jetzt war es an mir, meinen ganz eigenen Weg zu gehen. Und trotz aller Anstrengungen und Opfer wurde mir erst jetzt richtig klar, dass ich nicht am Ende, sondern ganz am Anfang meiner Reise stand.
Ich drehte mich um und lief durch die Pforte. Meine Sinne vernebelten sich augenblicklich, als das Licht in meinen Kopf eindrang um mich in den Himmel zu geleiten ...

 

Hey ANiMA!
Endlich, endlich kann ich mit meinem Englisch-LK protzen: :teach:
-Angel's Holocaust: die Rede von EINEM Engel
-Angels' Holocaust: eben mehrere Engel.
Lass dich net verwirren.

Hab nich so was umfangreiches zu sagen, hab noch nichts vergleichbares gelesen, jedenfalls find ich die story mitreißend und spannend! Man geht beim Lesen richtig mit auf die Reise, und die Prots sind alle ziemlich gegensätzlich, das macht's gleich interessanter. Besonders Marcia hat's mir angetan, hab mich irgendwie mit ihr identifizieren können...
Auf jeden Fall darf's das nicht gewesen sein, da muss definitiv noch was kommen...obwohl ich bisher Lucky gar nicht so interessant gefunden hab, wahrscheinlich wegen Info-Mangel, er kam mir eher wie der Beobachter vor...da würd mich eher das Leben der anderen interessieren...Moment, die sind ja aus dem Weg geräumt... :bonk:

Besonders klasse hast du die so komplexe Umgebung beschrieben, durch die vielen (Phantasie-?)Namen gerät man noch tiefer hinein und es kommt einem wirklicher vor.
Hab manchmal vorm inneren Auge den Fellowship of the Ring da durch diese Welt wandern sehen, von wegen den ganzen Tag laufen, Gefährten verlieren, Lucky's Halluzination... ;) *g*
Die von Jack erwähnten Sätze fand ich auch goil! Aber was ist das schlimme an den Adjektiven? Hatte sie bislang überzeugt exzessiv benutzt! :hmm:

Übrigens warn da ein paar dass-das Fehler! (kommt direkt hinter dem Grpß/Kleinschreibungs-Problem, hm?)

MfG
Peanutmonster :shy:

 

Hi Monster,

sorry das ich mich jetzt erst zu einer Antwort aufraffen konnte, aber ich bin ja so schrecklich faul momentan :sad:

Gut, dass wir das mit dem Apostroph nun anscheinend endlich geklärt haben, ich fürchte, dass war mehr Thema hier als die eigentliche Geschichte *g*

Freut mich, dass dir die Locations und Charaktere gut gefallen haben. Ich sammle zurzeit Ideen für die Fortsetzung, aber bei meinem Tempo kann das noch Monate dauern :)

Also, auf bald (wenn die Kraft in meine müden Glieder zurückkehrt, werde ich mir auch mal ne Story von dir vornehmen)

besten Gruß
*Chris*

 
Zuletzt bearbeitet:

Tach Anima,

da ich keinen Drucker habe, brennen mir jetzt die Augen vom Starren auf den Bildschirm. Aber es hat sich gelohnt.

Thematisch hast du einen guten Geschmack bewiesen :)
Mystische Wesen, Götter, Engel und schröööckliche Monster zieh ich mir gerne immer wieder mal rein. Deshalb hat mir deine Story auch gut gefallen. Es sind viele gute Szenen darin enthalten, doch möchte auch ich noch einmal das Wort von der „Geschichte zwischen den Stühlen“ aufgreifen – ich hätte sie mir durchaus länger vorstellen können, das Ende ist... na ja, nicht so wirklich. Irgendwie fehlt da was.

Also, kannst dich ja mal aufraffen und einen zweiten Teil schreiben.

Die zu großzügige Verwendung von Adjektiven hat dir Jack ja schon auf die Stulle geschmiert. Meine Erfahrung ist, daß man die Biester am besten in der Nachbearbeitungsphase ausmerzen kann.

Detailanmerkungen:

Ich musste auf der Hut sein, denn auch mich übermannte so langsam die Müdigkeit.
Entweder geht mein Wecker falsch, oder hier findet tatsächlich ein nicht begründbarer Tempuswechsel statt. Gegenwart – Vergangenheit – später wieder an einigen Stellen Gegenwart... etc.

... das ich fast einen Herzkasper bekam
Gut, nur meine Meinung, aber ein Herzkasper in einer düsteren Engelsgeschichte? Fast so wie:
„Du, ich muß mal in die Büsche, ich hab so schlimmen Dünnflitsch.“
Vielleicht liegt es aber auch daran, daß der Leser den Prot Lucky nicht wirklich als Menschen einordnen kann – und gäbe es eine Vorgeschichte, in der Lucky sich bereits auf der guten alten Erde in einem solchen Sprachgebrauch übt, dann würde ich dir den Herzkasper in der vorliegenden Story auch eher abkaufen. So aber scheint mir die Wortwahl angesichts des Settings nicht angemessen.
Und: das -> dass


Der Himmelskorridor war ein gefährlicher Ort, voller Ghouls. Und die würden bei weitem nicht das schlimmste Übel darstellen, so viel war Mal sicher.
Überflüssige Sicherheit, wie ich finde. Streichen?

Diese Schmutzfinken haben ihre eigene Moral
Auch hier wieder: Engel als Schmutzfinken paßt nicht so richtig. Und im Fall der Fälle bitte nicht durch Dreckspatzen ersetzen :D

Das konnte doch nicht wahr sein. Dieser üble Verräter. Dieser Scheiß Engel!
Hmmm...

Konnte das denn wirklich stimmen. Alles nur eine Halluzination? Verursacht wohlmöglich von den bösen Kräften, die an diesem Ort herrschen. Na klar!
Als ich dieses „Na klar!“ las, hatte ich sofort eine Comicfigur vor Augen, die gerade einen hippen Gedanken hat und über deren Kopf eine kleine Glühbirne aufleuchtet. :idee:
Logi, ist nur Fliegenschiß, aber ich würd´s nicht so formulieren.

Den Kopf vergrub er in meinem Bauch.
Übler Splatter an dieser Stelle. Den Kopf vergräbt man ja allgemein noch in den Händen, aber in einem Bauch? Vielleicht kann man ein Gesicht gerade noch im Bauch vergraben.
Vorschlag:
„Er preßte das Gesicht gegen/in meinen Bauch.“ Vor mir aus auch den Kopf. Aber bitte nicht gleich das ganze Gedöne mit reinstopfen...

Die Tränen kullerten gemächlich seine Wangen herunter
Gemächlich -> sich entspannten Gemüts in Schneckengeschwindigkeit fortbewegen
Vorschlag: „Die Tränen rannen/kullerten seine Wangen hinab.“

Die Rufe der Ghoultruppe verebbten schnell, denn jeder wusste um ihre Trägheit.
Das liest sich, als bestünde da eine Kausalität: Die Ghoulrufe verebben, weil die Prots von der Trägheit der Schleimis wissen.
Das aber meinst du ja nicht. Am einfachsten wäre es, die beiden Sätze durch ein Semikolon oder einen Punkt zu trennen, also z.B.:
„Die Rufe der Ghoultruppe verebbten schnell; jeder wusste um ihre Trägheit.“
Dann könnte man sich allenfalls noch streiten, worauf sich das „ihre“ bezieht... :)

Ok, ich belasse es mal dabei. Es sind noch einige fantasyuntypische Ausdrücke in der Story (Kreissäge, auf den Senkel gehen, Engel plattmachen).

Fazit: Insgesamt hat mir die Geschichte gut gefallen, Straffung/Streckung würden sie aber wohl „runder“ machen.
Gerne mehr davon :)

Grüße ins Römerlager,
Some

 

Hi Some,

freut mich, dass dir die Thematik und somit auch die Geschichte gut gefallen hat. Wir teilen ja auch eine gewisse Vorliebe für Dämonen, Engel und Götter! :)

Scheinbar geht der Sprachgebrauch von Lucky wirklich den meisten hier auf den Geist und scheinbar ist wirklich nicht klar, dass es sich bei ihm um einen ehemaligen Menschen handelt. Ich muss da vielleicht noch einige Zeilen einfügen, die eine Brücke zu seinem früheren Leben und vor allen Dingen seinem Charakter baut.
Die Tempuswechsel sind sicherlich vorhanden. Ich neige oft dazu, die Zeiten durcheinander zu bringen. Das ist manchmal sogar so schlimm, dass ich ganze Seiten noch einmal betreffend Tempus umschreiben muss!

Deine Verbesserungsvorschläge sind allesamt vollkommen hilfreich und ich werde sie auch dementsprechend umschreiben!

Engel als Schmutzfinken paßt nicht so richtig. Und im Fall der Fälle bitte nicht durch Dreckspatzen ersetzen
Das lasse ich mir auf jeden Fall durch den Kopf gehen :D

Es wird mit Sicherheit eine Fortsetzung geben, ich bin schon ab und an damit beschäftigt gedanklich den Himmel und seine Locations zu entwerfen! Das "Drehbuch" ist allerdings noch zu schwammig um mich jetzt schon dahinter zu klemmen. Ich möchte nämlich auf jeden Fall die Geschichte einiger Charaktere weiterführen (das einige von ihnen tot sind, stört bei der Thematik zum Glück ja nicht)

besten Gruß
*Christian*

 

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