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Angst
Er knallte vor einen Baum. Seine Wange platze auf, Blut rann die Wange hinunter und sein Auge schwoll an. Jürgen fand sich auf dem nassen feuchten Waldboden wieder und sein Körper schmerzte. Durch die Baumwipfel sah er Sterne funkeln und der kalte nasse Geruch von Wald stieg in seine Nase.
Was mach ich hier verdammt noch mal. Hätte er laut gesprochen, so hätte seine Stimme vor Angst gezittert.
Fahles Mondlicht leuchtete in den Wald aber Konturen konnte er keine erkennen. Wohin er auch blickte, sah er Bäume und Gestrüpp.
Er richtete sich wieder auf. schmierte das Blut der Wange an seiner Hose ab. Was soll ich hier? Wie bin ich hier hergekommen? Sein Atem ging schnell. Ab und an streifte etwas seine Haut an den Armen, kleine fliegende Tiere die sich an der Wärme seiner Haut wärmen und sein Blut trinken wollten um zu überleben.
Er selber wollte dies ebenfalls. Seit Stunden irrte er nun im Wald herum. Plötzlich war er in diesem Wald und wusste nicht warum. Wer hatte Ihn hier hergeschickt. Warum musste er durch diesen Wald laufen? So viele unbeantwortete Fragen.
Und nun auch noch die Verletzungen. Wo sollte das hinführen?
Stolpernd und hechelnd ging er weiter. Von Baum zu Baum, sich immer wieder festhaltend. Er blieb stehen und lauschte. Er hörte nichts. Ihm war, als ob er alleine auf dieser Welt war. Er lauschte angestrengter. Es muss doch etwas geben woran ich mich orientieren kann! Ein Auto, ein Flugzeug, irgendetwas.
Nichts.
Der Lärm seines Blutes, der durch seine Venen pochte, übertönte alles.
Selbst das rauschen in den Ohren tat weh. Mit zitternden Knien kauerte er sich hinter einen Baum. Er schaute nach oben zu den Sternen. Warum? fragte er sich.
Plötzlich ein Geräusch. So leise es auch war, so unhörbar. Aber es war da.
Jürgen zuckte zusammen und überlegt ob er aufspringen sollte um zu sehen was dieses Geräusch verursacht hatte oder lieber in Deckung blieb. Er blickte starr in den dunklen Wald, dessen Bäume zehn, zwanzig Meter hoch waren. Wieder lauschte er.
Diesmal noch angestrengter. Mit seinen Augen versuchte er jeden Lichtstrahl einzufangen um zu sehen wer das Geräusch verursacht haben könnte. Er entschloss sich dem Geräusch nachzugehen. Panische Angst stieg in Ihm auf.
Langsam pirschend ging er in die Richtung aus der er glaubte das Geräusch gehört zu haben. Kleine Äste knackten und er sog dabei Luft durch die Zähne. Weder wollte er das Geräusch verjagen, noch unbedingt auf sich aufmerksam machen. Eine gewisse Vorsicht sollte doch geboten sein. Aber seine Neugier trieb ihn weiter. Vielleicht war es das Geräusch was ihn hier hergebracht hatte. Es konnte Ihn sicherlich wieder zurückbringen. Nach Hause zu Ihr und seinen Freunden. In seine Welt. Jürgens Atem raste. Ein großer Adrenalinschub durchfuhr seinen Körper. Er bekam eine Gänsehaut, die Haare stellten sich buchstäblich zu Berge. Seine Hände ballten sich ob der Anstrengung. Kalter Schweiß lief im von der Stirn in die Wunde auf der Wange. Doch ermerkte es nicht.
Wieder blieb er stehen und lauschte. Er hockte sich hin. Obwohl es dunkel war glaubte er sich so besser verstecken zu können. Wer weis was für ein Ungeheuer das sein mag das Ihn hier hergebracht hat. Er atmete kurz tief durch und lauschte.
Stille.
Da! Er hatte wieder was gehört. Da war es. Aufgeregt stand er auf. Sein Herz raste. Dann hörte er es; ganz leise, ganz weit weg und doch so klar und deutlich das er wie angewurzelt im Wald stand. „Jürgen......!“
Eine leise kaum wahrnehmbare Stimme flüsterte Seinen Namen. Sie war so weit weg, dass er nicht wusste aus welscher Richtung sie zu kommen mag.
Und doch so eindringlich, als wenn ihm jemand direkt ins Ohr flüsterte.
„Jürgen....!“
Was sollte er tun. Was will es? Er bekam Angst. Panische Angst. Er wollte weg, nur schnell raus hier. Er wusste nicht wohin, drehte den Kopf nach allen Seiten und rannte plötzlich los. Die Angst in Ihm hetzte Ihn wie ein gejagtes Tier durch den dichten dunklen Wald.
„Jürgen..!“
Die Stimme wurde lauter. Sein Herz schien zu zerreißen, sein Atem röchelte. Doch als das nahm er gar nicht war. Bloß weg hier, bloß weg... Mit panischer Angst und dem Gefühl ein gehetztes Tier zu sein rannte er in die entgegengesetzte Richtung aus der er meinte das Geräusch gehört zu haben.
Die Stimme wurde leiser. Er wusste nicht wie weit er gerannt war. Völlig außer Atem hielt er an und legte sich in das feuchte Moos das mit Blättern bedeckt war. Bis vor kurzem liebte er den Geruch von frischem Waldboden und klarer Luft in den Wäldern. Doch jetzt hasste er ihn.
Warum? Was will das Ding. Was ist es? Was mach ich jetzt?
Lange blieb er dort liegen. Sein Körper beruhigte sich. Ihm war kalt, da er schon Stunden auf dem Boden lag und fror nun bitter. Sollte er versuchen ein Feuer zu machen? Nein bloß nicht. Das Ding! Und außerdem; womit sollte er Feuer machen? Er hatte keine Streichhölzer, das Laub und die Äste waren nass. Und die alte Indianermethode mit einem Bogen durch Reibung Feuer zu machen schien ihm dann doch weit hergeholt. Fröstelnd und frierend stand er auf. Die Flucht hatte ihn zudem noch hungrig gemacht. Wann hatte er das letzte Mal was gegessen? Wann getrunken? Das Adrenalin hatte diese Signale verschwinden lassen, doch nach Stunden auf dem nassen Boden spürte er die Schmerzen und den Hunger..
Ich muss was tun, sagte er sich. Nur was; was nur? Er versuchte klar zu denken. Er musste sein Überleben sichern. Wasser, Nahrung, Wärme.
Er ging ein paar hundert Meter nach links und rechts aber Wasser hatte er nicht gefunden und zum Essen war er viel zu müde.
Er hatte sich ein paar Tannenäste abgebrochen und auf den Boden hinter einer schützenden Fichte aufgebaut. Hie und da müsste er ein paar Zapfen wegräumen die sich ihm in die rippen bohrten.
Zwei lange, verfaulte Äste an die Fichte gelehnt und ein wenig Reisig darüber gaben ihm das Gefühl wenigstens ein kleines Dach über dem Kopf zu haben. Schlafen, das war nun das wichtigste. Einfach schlafen und es alles nur geträumt haben.
Mit nichts im Magen, nichts in den Ohren und nichts im Kopf, völlig ausgelaugt, legte er sich auf sein „Bett“ und schlief sofort ein.
„Jürgen.!“
Schlagartig war er wach. Wo war er? Ach ja; im Wald. Wie lange hatte er... wo?... was? Seine Gliedmaßen waren wie Blei. Verwirrt kauerte Jürgen sich unter seinem provisorischen Verschlag, als die Stimme, die er die Nacht schon gehört hatte, ihn aus dem Schlaf riss. Sein Blut pochte in den Ohren. Mit schweren Beinen und weit geöffneten Augen starrte er wieder in die Dunkelheit.
Nicht schon wieder, sagte er in sich hinein.
Wie lange sollte das noch weitergehen? Was willst Du, flüsterte er.Eher für sich als für jemand anderen bestimmt.
„Dich!“, hörte er klar und deutlich aus dem Wald. Ein eiskalter Schauer lief ihm über den Rücken. Konnte das sein? Das Ding war so weit weg. Die Stimme die er wahrgenommen hatte, so leise. Und doch konnte es ihn hören wenn er flüsterte? Ist es über mir? Jürgen rollte sich blitzartig, die Hände zu Fäusten geballt, auf den Rücken und sah die Fichte hinauf. Nichts zu sehen. Er drehte sich auf die Seite, dann auf die andere. Nichts in seiner Nähe deutete darauf hin das jemand bei Ihm wäre.
Unruhig saß er da und zerpflückte einen Tannenzapfen. Es konnte nicht ewig so weitergehen. Entweder er raffte sich jetzt auf und tat das unmögliche oder es würde ihn zermalmen, wie ein Mühlstein das Korn.
Unbewusst, und eher vom Instinkt getrieben als logisch gefolgert, richtete er sich auf.
Eine Wolke die vor dem Mond hing glitt langsam zur Seite. Die Sterne funkelten. Leise sprach er in die Dunkelheit. „Was soll ich tun? „
„...finde...!“
Er zuckte zusammen als er die Reaktion auf seine Frage hörte. Drehte sich um, hob einen Stock auf um sich zu wehren. Doch niemand den er hätte angreifen können. Niemand an dem er seine ganze Wut und Frustration über die Situation in der er steckte hätte entladen können. Wie gerne hätte ein Ziel das für all das Verantwortlich ist. Aber da war nichts. Absolut nichts.
Es hört mich wirklich. Keuchte er. Er atmete ruckhaft aus und verließ die Abwehrhaltung.
Es kann mich verstehen. Es ist intelligent und beherrscht Sprache. Folglich muss es ein menschliches Wesen sein.
Ob das nun gut oder schlecht war, war ihm im Moment egal. Wie gerne würde er diesen Menschen zu finden und zur Rechenschaft ziehen der Ihm das angetan hatte. Aber, alleine durch den dunklen Wald?
Mit seinem Knüppel in der Hand ging er los. Zittrig waren seine Beine. Seine Füße waren Nass. Sein T-Shrit war zerrissen, Seine Hose schmutzig. Seine Wange verkrustet, das Auge dick und blutunterlaufen.. All dies war nun vergessen. Er wollte es finden und besiegen, um endlich nach Hause zu kommen. Zu seinen Freunden, seiner Familie.
Da war er. Ein schwarzer Schatten huschte kurz vor Ihm vorbei. Noch immer hielt Jürgen seinen Knüppel in der Hand und schlich, mit leicht gebeugtem Oberkörper, rasendem Herzen und schweißnasser Stirn in die Richtung aus der er den Schatten gesehen hatte.
Ein kalter Luftzug ließ ihn erschaudern und eine Gänsehaut entstehen.
Das war das letzte was er noch spürte bevor etwas hartes ihn am Kopf traf. Er schlug auf den Boden auf und sah etwas in einem roten Schimmer über ihm kauern.
Alles um Ihn herum war rötlich. Vermutlich war eine Ader in seinem Auge geplatzt. Er wollte aufstehen doch es gelang ihm nicht. Jemand hielt seine Beine fest. Er griff, von Panik erfasst, in den Waldboden und versuchte sich mit den Händen fortzubewegen.
Alles was dies bewirkte war aufgewühltes Laub. Die Kreatur holte aus. Jürgen konnte sie nicht erkennen. Er starrte Sie an und versuchte zu identifizieren was da auf ihm lag. Er nahm nur einen schwarzen Schatten war. Aber man konnte nicht hindurch sehen. Wie ein riesiges schwarzes Plakat, zweidimensional, saß es auf ihm und holte zum schlag gegen ihn aus. Der erste traf ihn am linken Ohr, der zweite direkt auf den Mund. Jaulend hielt er sich den Kopf. Er spürte einen harten Gegenstand in seinem Mund. Wie ein Bonbon.
Während er sich krampfhaft wehrte und versuchte sich aus der Umklammerung des Bösen zu lösen, merkte er dass ein Zahn ausgebrochen war.
Er spuckte ihn aus um nicht an ihm zu ersticken, als das Ding ihn immer wieder mit dem Hinterkopf auf eine Baumwurzel schlug.
Wie ein Hund saß es auf Ihm, wie ein Stein so schwer, doch so unantastbar wie Luft. Sein linkes Jochbein splitterte und knirschte, wobei das Ding noch seine Nase brach. Das Ding griff nach seinem Handgelenk; es knackte. Seine Elle und Speiche waren gebrochen und sein Arm lag in einem ungewöhnlichen Winkel an seinem Körper. Seine Sinne schwanden. Von fern hörte er nur noch wie das Ding auf ihn einschlug.
Warum? Was war es?
„So wie ich es mit den Anderen gemacht habe, haha… genauso werde ich auch dich zermalmen. Langsam und qualvoll.“ quietschte das Ding während es weiterhin auf ihn einhämmerte.
„Du wirst leiden, Du wirst Höllenqualen durchstehen. Haha,… Deine Eingeweide werde ich essen und auskotzen. Dann werde ich Sie Dir wieder einpflanzen, haha… und dann….“
Was dann? Jürgen bewegte sich nicht mehr. Doch denken konnte er noch. Was dann? Was willst Du mir tun wenn ich tot bin? Eine seltsame Gleichgültigkeit stieg in ihm hoch. Es war nun egal ob er starb. Ihm war es egal. Es war ihm so gleichgültig als wenn er seinen Totenschein mit einem Blauen oder Roten Kugelschreiber unterschreiben sollte. Er hatte keine Angst mehr. Keine Angst mehr vor dem Sterben. Keine Angst mehr vor dem Leben. Keine Angst mehr vor dem Leben! „Du machst mir keine Angst“.
Als er das Gedacht, nein, gefühlt hatte, hörte es auf.
Es hörte auf weh zu tun. Es hörte auf Angst zu tun und ein wohliges Gefühl stellte sich ein.
Er lag da; die Augen offen, blutüberströmt, als etwas das Ding von Ihm zerrte. Es war so kraftvoll, das es das Ding in einem Satz zwei Meter hoch von ihm wegriss.
Durch blutige Augen, den Kopf an einen Baum gelehnt, beobachtete er den Kampf. Das Ding ging zu Boden. Es war wirklich zweidimensional. Ein zweidimensionaler Schatten!
Die beiden Dinger kämpften. Das erste Ding, der Schatten, holte gerade mit einem Knüppel aus, als er von dem anderen von einem Speer durchbohrt wurde. Quietschend und schreiend zog der Schatten sich den Speer aus seinem „Leib“.
Gleichzeitig versetzte Ihm der andere eine Serie von Schlägen auf den Kopf. Der Kopf sah nun aus wie zerknittertes Papier. Der Schatten wankte. Ein paar Schläge des anderen auf die Stelle wo bei Menschen das Knie war und ein Fetzen Papier folg durch die Luft. Das zweidimensionale, schattige Ding fiel um. Der andere sprang auf den Schatten und bohrte ihm Stöcke und Äste in den Leib. Bis es angenagelt auf dem Boden liegen blieb und sich nicht mehr rührte.
„Jürgen! Hilf mir. Alleine schaffe ich es nicht.“ Der andere rief von dem Schatten her seinen Namen.
War das die Stimme die er zuvor gehört hatte?
„Wer bist Du?“ fragte er mit Blut spuckender, hustender Stimme.
„Komm her und hilf mir es unschädlich zu machen!“. Fordernd aber nicht bestimmend drang die Stimme zu Ihm durch.
„Was willst Du? Woher kommst Du? Was ist das für ein Ding? Wer bist Du?“
Jürgen war auf die Seite gerollt und spuckte das Blut aus seinem Mund.
„Du musst mir helfen, alleine schaffe ich es nicht“.
Jürgen sah auf. Er erblickte den anderen. Er kniete sich hin. Aus seinem Mundwinkel lief immer noch Blut. Er wischte sich seine Augen, die ebenfalls mit Blut benetzt und jetzt mit Tränen durchzogen waren. Er spürte keinen Schmerz. Langsam stand er auf und ging auf den anderen zu.
Bist du der, der ich zu glauben meine?
Mit offenem Mund, staunend und ungläubig betrachtete er den anderen.
„Los, hilf mir endlich das Ding unschädlich zu machen“. Trieb in der andere an.
Er trat auf den anderen zu.
„Bist Du es der mich gerufen hat?“
„Ja!“
„Warum hast Du dich nicht gezeigt? Warum bist Du nicht zu mir gekommen?“
„Weil Du mich nie gesucht hast“ antwortete der andere ruhig.
„Los, lass uns das Ding zusammenfalten.“
Wie denn dass, dachte Jürgen. Was ihn viel mehr wunderte war, dass ihm nichts mehr wehtat. Der andere trat auf den Schatten zu und faltete die zweidimensionale Figur wie ein Stück Papier zusammen. Jürgen half ihm. Und je mehr er ihm half, desto weniger wehrte das Ding sich und hörte schließlich gänzlich auf. War es tot?
Es war nun so klein das es in Jürgens Brieftasche passte. Wie ein Stück Papier das man zusammenfaltet.
„Steck es ein. Du wirst es immer bei Dir tragen. Aber so lange wir zusammen sind wird es uns nichts tun.“
„Danke, aber was ist es?“ erwiderte Jürgen verwirrt. Den Kopf voller Fragen.
„Das ist die Angst die Dir alltäglich begegnet. Sie sieht Dich aus dunklen Ecken an und macht Dich mürbe, kriecht an Dir hoch, lähmt Deinen Geist und Verstand. Du wirst Sie nicht töten können aber mit mir an Deiner Seite kannst Du sie zum schweigen bringen.“
Jürgen ging auf den anderen zu.
Dieser Jemand war niemand anderes war als er selbst.
„Du bist ich“ stotterte Jürgen.
„Nein“ sagte der andere.
„Ich bin ein Teil von Dir. Ich konnte nicht zu Dir kommen so lange Du mich nicht gesucht hast. Du hattest immer Angst vor Dir selbst und hast mich, Dein Selbstbewusstsein, nie zu Dir gelassen. Und heute hätte Dich Deine Angst fast besiegt. Aber nun hast Du mich gefunden.“
Jürgen hielt den anderen, im Arm und fühlte sich so groß. So unverletzlich. So gut.
„Endlich habe ich mich selbst gefunden.“