Mitglied
- Beitritt
- 23.09.2008
- Beiträge
- 50
- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 17
Animalisches für eine Neukölnerin
Ich weiß ja nicht, wie Sie am Wochenende das Eintüten und Bezahlen Ihres Einkaufs an der Supermarktkasse erledigen, aber ich handhabe das immer so:
Nachdem ich mich schiebend Zentimeter für Zentimeter vorgearbeitet habe, quetsche ich mich in Höhe des Laufbands flugs am Einkaufswagen vorbei, um an dessen Kopfende die von mir favorisierte Ware aufs Band zu legen.
Schwere Teile zuerst, Getränke und Gefriergut, gefolgt von Lebensmitteln, die einen leichten Druck vertragen. Dazwischen stapele ich Reinigungs- und Pflegemittel und das Schlusslicht bildet meist das frische Gemüse mitsamt Backwaren, sowie das quetschempfindliche Obst und die Eier.
Wenn ich das alles zu meiner Zufriedenheit erledigt habe, natürlich nicht, ohne mich zu vergewissern, dass der Trennungsstab für meinen Nachfolger richtig platziert ist, habe ich noch genügend Zeit mich ein wenig umzusehen. Genauso, wie heute.
Mit einem kurzen Blick auf das Laufband registriere ich, dass der Kunde vor mir ein Mann sein muss.
Entschuldigung, aber es kann gar nicht anders sein, denn vor meiner ordentlich sortierten Beute drängt sich ein bunt durcheinander gewürfelter Haufen darum, endlich gescant und eingetütet zu werden.
Ein derartiges Gewusel ist zweifelsohne völlig untypisch für Frauen und mein erweiterter Blick auf einen kräftigen Männerrücken bestätigt meinen Verdacht. Groß und breit steht er vor mir, ganz so, als wolle er sagen, „Stopp! Das ist mein Territorium! Kommen Sie mir ja nicht zu nahe!“
Um mich seiner körperlichen Warnung nicht zu widersetzen, bleibe ich abrupt stehen.
Beinahe entschlüpft mir ein, „is` ja schon gut, mach ich ja nich`“, als meinem empfindlichen Riechorgan auffällt, dass ein eigentümlicher Duft von diesem Rücken ausgeht. Hm, was ist das nur für ein Geruch? Irgendwie kommt er mir bekannt vor ...
Einem spontanen Bauchgefühl folgend will ich zurückweichen, doch aus Platzmangel gelingt es mir nicht. Es sei denn, ich gehe das Risiko ein und quetsche mich, unter Protestlauten der Nachfolgenden, auf meinen Ausgangspunkt zurück. Da ich aber keinen Unmut erzeugen will, füge ich mich mit teilweise angehaltenem Atem meinem Schicksal und bleibe gezwungenermaßen stehen. Somit muss ich wohl oder übel meiner Nase diese „Vordermann-Duftfahne“ zumuten.
Aus den Yoga-Übungen kenne ich einige Entspannungs-Atemtechniken, die ich nun anzuwenden versuche. Ich konzentriere mich und schließe für einen kurzen Moment die Augen, doch der Geruch holt mich immer wieder ein. Hm, eigentlich ist er ja gar nicht so übel. Oh nein, ganz und gar nicht übel! Nahezu - lecker!
Nun kennt ja ein jeder, der schon einmal in einer Schlange anstand, zur Genüge das Gemisch aus abgestandenem und frischem Schweiß, gepaart mit diversen Parfümkreationen, die sowohl aus den exklusivsten Parfümerien, als auch aus dem Supermarktregal stammen. Da jagt Jil Sander den Hugo Boss, sowie der Mann, der den Schwanz auf dem Rücken trägt - wie heißt er doch gleich? Ach ja, der Karl Lagerfeld den Wolfgang Joop; ganz abgesehen von den Billigdeodorantien, die Sinnlichkeit und Leidenschaft versprechen ...
Doch dieser Duft ist anders. Ganz anders.
Meine flachen Atemzüge in tiefe verwandelnd nehme ich Witterung auf und gönne meiner Nase eine gehörige Portion Testosteron. Und jetzt, jetzt trifft sie mich unmittelbar: Ahhh, was für eine Sinnesexplosion!
Ich schnuppere begehrlich. Irgendwie riecht mein Vordermann - animalisch. Ja, zweifelsfrei animalisch! Pure, unverfälschte Männlichkeit hat sich auf diesem Rücken zusammengeballt und ich spüre, wie mein Herz zu klopfen beginnt und mich dieser Duft förmlich zu übermannen droht.
Himmel, wenn mich jetzt meine Freundinnen sehen könnten! Als „chronisch untervögelt“ würden sie mich nicht bezeichnen, da sie wissen, dass ich durchaus Frau genug bin für ein ausgeglichenes Sexualleben zu sorgen. Doch an meinen erweiterten Pupillen und den geblähten Nüstern würden sie erkennen, wie sehr ich auf dieses unbeabsichtigt gesendete Männlichkeitssignal reagiere.
Meine anfängliche Gegenwehr missachtend drängt es meine Nase fortwährend in seine Rückenpartie.
Und ich? Ich kann einfach gar nichts dagegen tun!
Bin gleichermaßen fasziniert, als auch völlig "gaga" und mein nach vorn geneigter Oberkörper touchiert fast den seinen, nur, damit ich mehr davon erhaschen kann. Überdies bin ich, da ich mir meines merkwürdigen Verhaltens bewusst werde, echt peinlich berührt, doch meine Nasenflügel beben und der Inhalt meines Unterkörpers spielt nahezu verrückt.
So, genauso muss es gewesen sein, sich angefühlt haben, als unsere Ur-Ur-Urahninnen in den Höhlen auf ihre männliche Sippschaft lauerte, die zur Jagd in freier Wildbahn unterwegs war. Dabei war es völlig unerheblich wie deren Beute aussah; vom Hunger mal ganz abgesehen. Gleichgültig, ob Mammut oder Gnu, lediglich die Sehnsucht zählte…
Genauso wie jetzt, denn seine durcheinander gewürfelte Beute auf dem Laufband ist mir in diesem Augenblick völlig schnurzegal!
War es vorher ja auch, doch nun verlieren meine anfänglichen Befürchtungen - geboren aus negativen Dufterfahrungen - komplett an nachhaltiger Wirkung. Unkritisch neige ich mich weiter nach vorn und spüre instinktiv, dass es sich um ein Alphamännchen handeln muss – so, wie der riecht!
Meine Nase in Höhe seiner Achseln verharrend stelle ich mir gerade vor, wie ich mit meiner Zunge sanft in deren Vertiefung hineinfahre, um anschließend zärtlich hineinzubeißen, als ich die monotone Stimme der Kassiererin vernehme.
„83 Euro und 27 Cent, bitte. Haben Sie eine Paybackkarte... Sammeln Sie unsere Treuepunkte...“
„Nee“, höre ich meinen Vordermann brummen, der nun einen Schritt nach vorn tut, während ich mit vorgedrängter Nase die Balance verliere, zu stolpern beginne und ihm dabei leicht in die Hacken trete.
„Sorry“, entschuldige ich errötend meinen Fauxpas und versuche mich gleichzeitig zu sammeln und zur Ordnung zu rufen.
Just in diesem Moment dreht er sich um.
Ich starre in sein Gesicht.
Normalerweise weiß ich mich zu benehmen und starre so gut wie nie. Doch jetzt kann ich nicht anders.
Während er seinen Mund öffnet und der Kassiererin ausführlicher antwortet, entdecke ich eine Reihe unregelmäßiger, gelber Zähne, aus denen es herauszischt:
„Hören Se mahl! Isch sammel weder Dreuebunktä, noch hän isch ne Päibäckkahrte. Wat soll isch met däm Driss, hä?!“ Anschließend blickt er sich beifallheischend um und beginnt laut und schallend zu lachen.
Fasziniert glotze ich ihn an. Sein Lachen wird, ganz abgesehen von seinem Kölschdialekt, auch noch von einem röchelnden Husten begleitet, der rasselnd aus den Tiefen seiner Kehle an die Oberfläche dringt und nun in einem nahezu ohrenbetäubenden Crescendo endet.
Irritiert wende ich mich ab. Ich schlucke.
Okay. Alphamännchen hin- oder her. Animalischer Duft? Adé! Das reicht.
Ich befinde mich in Köln. In diesem herrlichen, wunderbaren, leichten Köln! Und ich muss mich wohl daran gewöhnen, dass nicht alles Gold ist, was glänzt.
Und wissen Sie was? Ich werde es schaffen!