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Anna und die kleine Feder
Ich zählte laut mit: die Kirchenglocke schlug zwölf Mal.
Jetzt reichte es mir, wieder mal fand ich keinen Schlaf. Ich rückte mein Kopfkissen zurecht und drückte meinen Kopf hinein. Augen zu, langsam einatmen - langsam ausatmen, dann wird es schon. Doch der Schlaf wollte nicht kommen.
Diese Nacht wollte ich mich nicht wieder hin und herwälzen. Diesmal würde ich die Zeit besser nutzen. Ich stand auf, zog mir meinen Bademantel über, ging in meine kleine Küche und kochte Kaffee.
Eigentlich idiotisch, wie soll ich nach Coffeingenuss einschlafen können? Egal.
Ich setzte mich ans Fenster, nippte an dem Kaffee und sah hinaus in die Nacht.
Leere Straßen, sonst nichts. Wie immer gab es nichts zu sehen. Und da oben am Himmel:
nur dreckige, grauschwarze Wolken. Gibt es etwas trostloseres als leere Straßen? Ja, eine schlaflose, kaffeesüchtige Frau. Ich lachte still in mich hinein. Verrückt, ja, vielleicht.
Ich löschte das Licht, öffnete das Fenster und setzte mich mit angewinkelten Beinen auf die Fensterbank. Im Glas spiegelte sich das Licht einer Straßenlaterne und mein Gesicht.
Wieso funkelt da was auf meiner Stirn, dachte ich. Meine Hand fuhr unbewußt darüber, aber da war nichts. Vielleicht spiegelte sich von irgendwoher ein kleiner Lichtstrahl darauf. Ich zuckte mit den Schultern und starrte wieder auf den dunklen Asphalt.
Plötzlich fühlte ich einen warmen Flusenhauch auf meiner Stirn. Ihgitt, hoffentlich keine Spinne, ich wischte mit einer schnellen Handbewegung nach diesem Etwas und hielt - ich traute meinen Augen kaum - eine kleine goldschimmernde Feder in der Hand. Das müssen Kaffeehalluzinationen sein. Ich sprang auf und patschte meine Finger auf den Lichtschalter um mir diese Feder genauer anzusehen. Tatsächlich, es war wirklich eine kleine Feder.
"Wo kommst du denn her?" fragte ich erstaunt.
"Was glaubst du denn wo ich herkomme?" antwortete die Feder mit einer leisen, sanften Stimme.
Ich ließ sie vor Schreck los, doch anstatt einfach nach unten zu segeln, schwebte sie vor meinen Augen. "Gehst du immer so mit deinen Gästen um?"
"Was? Wie bitte? Wer bist du eigentlich?!" mein Mund fühlte sich taub an, ich stand kurz vor einer Ohnmacht.
"Ach ja, du kennst uns ja nicht. Ich vergesse es immer wieder, wenn ich Ungläubige besuche."
"Ungläubige? Was meinst du damit?" Nur die Ruhe, schön locker bleiben. Ich suchte Halt an der Wand und befahl meinen Gummibeinen gerade stehen zu bleiben.
"Ungläubige, das sind Menschen ohne Phantasie. Ohne Phantasie geht die Welt unter. Verstehst du das?"
"Pah! Weltuntergang. So ein Unsinn!" Mir ging es schon viel besser.
"Ohne Phantasie ist die Welt leer, eine einzige leere Straße!"
"Tagsüber ist die Straße nicht leer, im Gegenteil. Viel zu viele Autos und diese Abgase und außerdem....", ich wurde trotzig, "...außerdem kannst du nicht echt sein!"
"Herrje, ich denke du bist ein schwieriger Fall. Ich hatte es schon im Gefühl als ich dich sah."
"Ich will dir mal was sagen, du komische Feder. Ich wette an dir ist irgendwo ein Faden angebracht oder du wirst ferngesteuert - von diesem frechen Jungen, der mit seinen Eltern über mir wohnt." Meine Hände fuhren durch die Luft.
"Heh, paß auf. Ich bin noch nicht unverwundbar, das bin ich erst wenn ich erwachsen bin!" empörte sich die Feder und schwebte bis zur Küchendecke.
"Oh, eine Feder die noch in den Windeln steckt." Bei der Vorstellung mußte ich lachen.
"Du scheinst doch nicht so ein schwieriger Fall zu sein, wie ich zuerst dachte." Die Feder schien mich anzugrinsen.
"Das war nur ein Witz und hat nichts mit Phantasie zu tun! Außerdem heisst das noch lange nicht, daß ich an deine Existenz glaube. Ich sehe eine Feder. Ja, gut. Es gibt viele Federn, warum dann nicht auch eine, die an meiner Küchendecke klebt. Aber du bist auf keinen Fall magisch oder sowas!"
Ich war mir meiner Sache sehr sicher.
"Ach ja? Und weshalb kann ich dann das hier?" Die Feder schwebte langsam auf mich zu.
"Vielleicht ist hier Durchzug und der Wind hat dich heruntergepustet."
"Und weshalb kann ich sprechen?"
Ich dachte angestrengt nach.
Es mußte eine logische Erklärung für eine sprechende Feder geben. Vielleicht sollte ich sie mir mal ganz genau anschauen.
"Darf ich dich nochmal anfassen? Ich bin auch ganz vorsichtig."
"Versprichst du es?"
"Ja, versprochen!" Ich öffnete meine Hand und die Feder legte sich sanft hinein. Sie kitzelte auf meiner Haut. Ich nahm sie vorsichtig zwischen 2 Fingern und hielt sie nah vor meinen Augen. Eindeutig eine ganz normale Feder, nur daß sie goldfarben schimmerte. Da war kein Mund, kein Gehirn - es war unmöglich daß ich hier weit nach Mitternacht in der Küche sitze und mich mit einer Feder unterhalte.
Ich zwickte mich. "Aua! Ich bin ja doch wach!"
"Du glaubst es immer noch nicht, nicht wahr?"
"Ich komme in die Klapsmühle, wenn ich irgendjemandem davon erzählen würde."
"Anna, hör mir mal zu: du glaubst nicht an Dinge die du nicht siehst und du glaubst nicht an Dinge die du siehst. Sag mir - woran glaubst du eigentlich?"
Meine Gedanken drehten sich wie in einer Achterbahn. Die Feder wusste sogar meinen Namen, sie konnte sprechen und womöglich auch ... aber daran wollte ich nicht denken.
"Ich glaube an das, was ich sehe." sagte ich und wußte, es klang nicht sehr überzeugend.
"Du glaubst nun an mich?"
"Jetzt warte mal, nicht so schnell. Vielleicht ist es doch nur ein Traum. Ich muß wissen ob ich wach bin, wenn du dann noch da bist, will ich gern an deine Existenz glauben. Aber Magie? Nein!
Das müsstest du mir anders beweisen!"
"Anna, dann schau her!" die kleine Feder stellte sich auf ihre Spitze, murmelte ein paar Wörter und verwandelte sich in einen Kugelschreiber.
Ich blinzelte verwundert.
Dann nahm ich den goldenen Kuli, setzte mich an meinen Schreibtisch und nahm mir ein leeres Blatt Papier. Das war alles so verrückt, ich konnte nicht anders - und schlafen erst recht nicht. Ich schrieb:
Anna und die kleine Feder.....
[Beitrag editiert von: Alessandra am 03.01.2002 um 13:45]