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Apricari

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17.04.2007
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Apricari

Ich erwache. In der gleichen drückenden Stille wie jeden Tag. Um mich ist nichts als das graue Metall des Raumschiffs. Tot. Kalt. Leer.
Manchmal wird es zu viel. Ich spüre die Leere des Alls, die versucht, mich zu ersticken. Schreie verpuffen an den Grenzen meiner Welt.
An manchen Tagen möchte ich mich hinsetzen, in einer Ecke verkriechen. Verdursten, darauf warten, dass die Sonne mich frisst. Doch ich reiße mich zusammen. Es ist zu früh, um aufzugeben. Ich werde einen Weg hinaus finden.
Ich greife zu dem Werkzeug, das an einer Schnur um meinen Hals hängt. Ein länglicher Griff mit dünner, langer Spitze, beides besteht aus filigraner Mechanik wie ein kleines Kunstwerk. Darauf befindet sich ein Schiebeschalter: Nach vorne baut zusammen, nach hinten auseinander. Das Alien-Werkzeug passt sich der Aufgabe an, macht von selbst das Richtige. Als Mensch bin ich nicht in der Lage, den eigentlichen Namen auszusprechen oder auch nur dessen Bedeutung zu begreifen. Also habe ich den demütigendsten Begriff gewählt, der mir eingefallen ist und bezeichne es als Schraubenzieher. Was es im Übrigen auch kann.
Ich raffe mich auf zur Morgenroutine, laufe das gesamte Schiff ab, suche nach Auffälligkeiten. Wie eine Seuche kriechen Ausfälle langsam über das Schiff, fressen unaufhaltsam an dem Wrack, das meine Welt darstellt. In der Kommandozentrale klettere ich auf die Steuerkonsole, mein Finger schwebt über dem Display, zeichnet die Linie nach, die den Zeitverlauf der bereitgestellten Energie darstellt. Ein Teil davon verschwindet über Nacht, markiert den Ausfall eines weiteren Solarpanels. Ich überlege, welchen Verbraucher ich als nächstes opfern kann, um den Rest am Leben zu halten: Die mit verbrauchsintensiven Berechnungen ausgestattete Temperaturregulierung der Dusche - mit Sprachsteuerung und mit der Beobachtung der Besatzung durch zahlreiche Sensoren versucht sie, meine Vorlieben zu erfassen, um die Heiz- und Kühlelemente abwechselnd ein- und auszuschalten, um auf ein Zehntelgrad genau die Temperatur zu halten, von der es meint, sie wäre mir gerade angenehm. Braucht kein Mensch, hätte ich schon lange abschalten sollen. Die Zimmertemperatur, auf die ohnehin das Schiff herunterkühlt, genügt.
Die Verbrauchslinie sinkt, entfernt sich um ein paar Millimeter von der Linie der bereitgestellten Energie.

Ich betrete den Ausguck durch eine von mir gebaute Luftschleuse. Stickig-warme Luft, schwer von Feuchtigkeit, schlägt mir entgegen. Dies ist der einzige Raum mit Fenstern, daher habe ich ihn zu einem Gewächshaus umfunktioniert. Über dem Glas werfen die Solarpanels Schatten auf den Innenraum, sodass man nicht von der Sonne geröstet wird. Es dringt ohnehin genug Licht durch. Die Bohnen kommen getrocknet mit den Lebensmittel-Lieferungen - natürlich sind sie als Nahrung gedacht und nicht zur Aussaat, doch da kann ich mich nicht drauf verlassen. Was, wenn die Lieferung einmal ausbleibt? Die Tomaten, Möhren und Radieschen sind die Nachfahren der ersten Ration frischer Lebensmittel, mit denen ich auf dem Schiff zurückgelassen wurde. Mein Herz verkrampft noch immer vor Wut, wenn ich daran denke.

"Sag mir, würdest du einen Feind, der deiner Welt so viel Schaden beigebracht hat wie du, vernichten? Oder würdest du ihn für immer wegsperren?"
Mein eigenes Gestammel hallt in meinem Kopf wieder, verwirrt von der Frage, die so bedeutungsvoll klang, deren Tragweite ich jedoch nicht so schnell erfasste.
"Man muss seine Leute beschützen", antwortete ich und dachte daran, was er im Gegenzug für eine Gefahr für die Menschen bedeutete. "Aber ich würde es wohl nicht über mich bringen ... ich meine, es besteht immer die Hoffnung auf Frieden."
Und dann sind sie einfach gegangen, haben die Luke hinter sich geschlossen und waren fort, bevor ich sie erreicht habe.
Ich versuche, nicht ständig daran zu denken, sonst macht es mich nur wütend, vor allem auf mich selbst und meine dumme Antwort.

Daneben wachsen Kartoffeln und Zwiebeln, die vergleichsweise einfach aus den Lieferungen zu ziehen sind. Nun stehen alle Pflanzen in metallenen Lagerboxen, die ich auf dem Schiff gefunden und von ihrem vorigen Inhalt befreit habe.
Also habe ich mittlerweile die Luftaufbereitungsanlage runtergeregelt und bekomme einen Teil meines Sauerstoffs von den Pflanzen. Meine nächsten Projekte müssen sich mit Strom und Wasser beschäftigen. Und mit den Antrieben.
Mein Frühstück, das ich im Lager einnehme, besteht aus kalten Bohnen und zermatschtem Gemüse, das ich liebevoll "Salat" nenne. Das Konservenessen konnte ich schon nach Wochen nicht mehr ausstehen.
Dann ist es Zeit für meinen morgendlichen Bericht. Punkt zehn Uhr hocke ich auf der Steuerkonsole und flöte einen aufgesetzt fröhlichen Gruß in das Mikrofon des Funkgeräts. "Guten Morgen, Margret."
Eine männliche Stimme antwortet genervt. "Wann wirst du dir endlich meinen Namen merken."
Niemals, denke ich sarkastisch. "Es ist schon wieder ein Solarpanel ausgefallen. Ich brauche neue Solarzellen. Oder am besten eine Maschine, die welche herstellen kann."
Stille. Natürlich bekomme ich nichts, aus dem ich eine Waffe herstellen könnte.
"Heute bekommst du eine Lieferung. Da sind Solarzellen bei. Und ... etwas Gesellschaft."
Gesellschaft? Für mich? Haben sie etwa einen Hund oder eine Katze auf die monatelange Reise zu mir geschickt oder wie darf ich das verstehen? "Es ist hoffentlich stubenrein, oder?"
Keine Antwort.
"Margret?"
Nichts.
Ich erinnere mich zurück an Tage, an denen ich kein Wort mit ihm sprach. Sie können mich nicht töten, solange Magnabot glaubt, ich würde ihm was Bedeutsames verheimlichen. Aber nachdem ich auf meiner letzten Flucht ihren Planeten angezündet habe, können sie mich auch nicht frei herumlaufen lassen. M-426237 hat die Aufgabe, mit mir zu reden, damit ich in der Einsamkeit nicht durchdrehe.
Doch ich stand vor der Tür und strafte ihn mit Schweigen. Hoffte, dass er Ärger dafür bekam.
An anderen Tagen erzählte ich ihm in der Stunde zwischen zehn und elf alles Mögliche. Träumte ihm laut was vor von der unendlich vielfältigen Natur der Erde. Machte sarkastische Bemerkungen über die klägliche Aussicht aus dem Raumschiff im Vergleich dazu. Zwei Sterne, wunderbare Aussicht, aber keine Atmosphäre. Die kulinarische Verpflegung lässt zu wünschen übrig. Staff ist niemals zu sehen. Würde nicht wiederkommen, aber es ist das einzige Hotel im Umkreis von einer Million Meilen. Zehn Millionen.
Fragte ihn nach seiner Familie und seinen Hobbys, doch er wich mir aus. Bis die Stunde herum war und ich ihn anflehte, länger zu bleiben und mir die Einsamkeit zu vertreiben.
Heute lasse ich ihn diskussionslos ziehen. Vor Aufregung kann ich mich kaum auf andere Aufgaben konzentrieren. Eine Lieferung an sich ist schon was Besonderes, aber etwas Lebendiges?
Ich hoffe allerdings nicht, dass sie mir ein Tier schicken. Womit sollte ich einen Hund oder eine Katze füttern? Die drei Käfer, die einmal zwischen dem Getreide mitkamen, halte ich für ungenießbar. Höchstens einen Hamster. Wobei es aus Sicht der Effizienz wohl schlauer wäre, ihn gleich zu essen.
Das Herannahen der Transportkapsel wird über den Bordcomputer angekündigt. Aufgrund der Nähe zur Sonne müssen Lieferungen im Schatten des Raumschiffs anfliegen. Glücklicherweise muss ich nichts dafür zahlen, sonst würden mich die Lieferkosten umbringen.
Ich drücke einen Knopf, um die Schleuse zu öffnen. Beim Aufstehen stolpere ich fast über meine eigenen Füße, so wenig kann ich es erwarten, einen Blick in die Kapsel zu werfen.
Halbautomatisch bremst die Kapsel mithilfe eigener Antriebe ab. Ein leises Ruckeln verrät mir, dass sie erfolgreich andockt.
Aufgeregt hüpfe ich auf der Stelle, bis der Druckausgleich hergestellt ist und ich die Tür öffnen darf.
Zwischen den üblichen Lieferungen liegt ein Mann, festgeschnallt an einer Unterlage.
Ein kräftig gebauter Mann mit großen Muskeln und kahlrasiertem Kopf. Das trifft meinen Typ nicht ganz. Ich bin mir nicht sicher, was sie sich dabei gedacht haben. Aber egal, ich habe menschliche Gesellschaft, ist das nicht großartig? Ich bin gespannt zu hören, wie es der Erde in der Zwischenzeit ergangen ist.
Er liegt da wie tot. An seinem Halsband leuchtet ein roter Punkt. Ich fühle am Handgelenk - kein Puls. Sie haben ein Hibernationsmodul ins Halsband eingebaut.
Ich drücke auf den Knopf.
Der Mann reißt die Augen auf. Sieht mich, will aufspringen, doch stürzt zu Boden. Die Muskeln sind kalt und müssen sich erst aufwärmen. Das Halsband wird seine Körperfunktionen langsam hochregeln.
"Ugh", macht er und versucht den Kopf in meine Richtung zu heben. Ich erinnere mich an die Male, in denen ich aus tiefer Hibernation erwacht bin und knie neben ihm nieder. Überlege, ob es ihm helfen würde, wenn ich seinen Arm berührte, lasse es aber bleiben. "Es wird eine Weile dauern, bis Sie sich normal bewegen können, nur Geduld."
Da ich erstmal nichts für ihn tun kann, schaffe ich die neuen Vorräte ins Lager.
Dann hole ich einen Schraubenzieher und baue die Antriebe aus. Natürlich ist die Kapsel ein Wegwerfmodell, der Treibstoff punktgenau berechnet, sodass kein Tropfen nach dem Andocken übrig bleibt, den ich zu einer abenteuerlichen Flucht verwenden könnte. Ich sammle sie trotzdem, vielleicht finde ich irgendwann heraus, wie ich sie nutzen kann. Außerdem ist die Kapsel dann leichter. Ich muss sie irgendwann vor der nächsten Lieferung auf die andere Seite schaffen, um den Platz freizuräumen.
Damit bin ich eine Weile beschäftigt. Als ich fertig bin, hat sich der Neuankömmling aus eigener Kraft an die Wand gelehnt.
"Willkommen im Luxushotel Apricari." Ich zeige einladend zur kahlsten Ecke in der Halle.
Leider teilt er meinen Humor nicht. "Wo bin ich? Wo liegt das?"
Zur Antwort male ich unsichtbare Linien auf den blanken Boden. "Das ist unser Sonnensystem. Hier kreist die Erde."
Ich male einen engeren Kreis. "Hier kreist Merkur."
Und einen winzig kleinen Kreis. "Und hier dieses Raumschiff."
"Ein Raumschiff?" Er lacht auf. Kalt und spöttisch. "Als ob. Wo sind wir wirklich?"
Die Halle, in der wir uns befinden, entspricht einem Würfel mit 20 Metern Kantenlänge. Die glatten Metallwände sind mit Rillen durchzogen, wo die Panele aneinander grenzen. Hinten links von uns stehen alte Transportkapseln und anderes Zeug herum, unter anderem liegt dort ein Solarpanel, an dem ich derzeit herumschraube. Rechts beginnt die Querteilung des Schiffs, dort führt eine Rampe zur oberen Etage mit der Kommandozentrale, unten rechts ein Gang in die untere Ebene. Leuchtstoffröhren an den Wänden erhellen den Raum mit kaltem Licht. Es ist groß, leer und öde. Wonach sieht es sonst aus wenn nicht nach einem Raumschiff?
Ich warte mit ernstem Gesicht, bis er fertig gelacht hat. Verschieben wir den Punkt auf später.
Er sagt, sein Name sei Vincent. Ich frage ihn, was er getan hat.
"Nichts."
Ich mache eine Bewegung durch den Raum. "Du musst lebenslänglich bekommen haben, sonst hätten sie dich nicht hergeschickt. Weswegen wurdest du verurteilt?"
"Ich bin unschuldig." Er verzieht das Gesicht - wie konnte ich nur wagen, das zu fragen. "Ich wurde angeschwärzt."
Wenn sie jemanden herschicken zu diesem Ort, von dem es keine Rückkehr gibt, dann müssen sie sich sehr sicher sein, dass er es verdient hat. Aber einen Mörder werden sie mir wohl kaum schicken, da hätten sie mich gleich töten können. Vielleicht erzählt er später davon.
Doch erstmal bin ich dermaßen begeistert davon, einen Mitbewohner zu haben, dass ich ihn aufgeregt vollquatsche, bevor er in der Lage ist, davonzulaufen.
Ich stelle mich großspurig als Seldra vor, die Mutter von Tod und Zerstörung. Erzähle, wie sie dem Raumschiff die Antriebe ausgebaut und die Solarpanels dranmontiert haben, bevor sie mich zurückgelassen und es auf eine Umlaufbahn um die Sonne geschickt haben. Warum? "Ich habe ihren Planeten angezündet", erkläre ich voller Stolz. "Und ich habe eins ihrer Raumschiffe mit nichts als einem Schraubenzieher zerstört." Ich zeige zum Werkzeug an meinem Hals.
Okay, ich habe eigentlich nur eine Stadt angezündet. Ein Gebäude in einer Stadt. Einen Raum in einem sehr großen Gebäude. Aber es ist Teil ihres Heimatplaneten. Mein Punkt steht.
Die Zerstörung des Raumschiffs meine ich auch nur symbolisch. Zumindest hasst es mich.
Wer dieses mysteriöse "sie" ist, zeige ich ihm später. Jetzt glaubt er mir ohnehin kein Wort und dreht seinen Zeigefinger neben dem Kopf als Zeichen, dass bei mir eine Schraube locker wäre. Aber die Meinung von jemandem, der an meiner Stelle schon lange gestorben wäre, interessiert mich nicht.
Ich kann es kaum erwarten, ihm das Schiff zu zeigen und zerre ihn auf die Füße, sobald er meines Erachtens nach beweglich genug dafür aussieht, obwohl der Punkt am Halsband noch leuchtet.
Mit steifen Schritten und genervtem Ausdruck folgt er mir. Ich weiß gar nicht, was er hat.
Zuerst zerre ich ihn die schräge Rampe hoch zur zweiten Etage, wo sich der Kontrollraum befindet.
"Von hier kann man das ganze Schiff kontrollieren." Ich mache eine Handbewegung zur Konsole, bevor ich drauf klettere, wobei ich die Füße in die Rillen zwischen die Panele setze. Sie stehen einen Spaltbreit auseinander, sodass ich die Füße schief einklemme und genug Halt habe, dass ich mich an einer Oberkante hochziehe. Für das letzte Stückchen greife ich über die Kante nach einem Hebel.
Oben kann man durch die Scheibe auf das Gewächshaus hinuntersehen. Ich schalte ein paar Anzeigen auf dem Display durch und beginne, die außerirdischen Symbole zu erklären, deren Sinn ich teilweise im Laufe von Monaten herausgefunden habe, doch mein Gast bleibt unten stehen.
"Ich kann da nicht rauf." Was für ein Anfänger, er hat es nicht mal versucht.
"Dann schau eben von unten zu." Der Bildschirm ist groß genug, dass er auf die Entfernung was sehen sollte. Ich stelle mich neben den Monitor und präsentiere die Anzeige wie der Moderator in einer Fernsehshow. "Das ist die Energie, die von den Solarpanels bereitgestellt wird und das hier ist unser Stromverbrauch. Die Panels fallen der Reihe nach aus, deswegen schaue ich, wo man Strom sparen kann. Du siehst hier, dass der meiste Verbrauch für die Kühlung draufgeht, siehst du?"
Er schaut abgelenkt zur Seite. "Ja ..."
"Bei der Kühlung können wir nichts machen, aber der zweite Posten ist der Verbrauch des Bordcomputers, der steigt mit seinen Berechnungen. Daher schalte ich nach und nach alle Systeme auf manuelle Steuerung um. Kühlung und Sauerstoffproduktion müssen gelegentlich nachjustiert werden, hier, so." Da wir nun zu zweit sind, fahre ich die Sauerstoffproduktion hoch und beobachte mit einem flauen Gefühl, wie die Linie des Stromverbrauchs auf eine neue Höhe klettert.
Ich bin mir nicht sicher, ob er mir folgt. Eigentlich will ich es ihn selbst machen lassen, aber ich muss mir vorher überlegen, wie ich ihn hier raufschaffen kann. Vielleicht kann ich aus den Kartoffelsäcken und Teilen einer Kiste eine Leiter bauen.
Vincent verschränkt die Arme. "Okay, das ist sehr überzeugend und alles. Wann wird aufgelöst? Wo ist die versteckte Kamera?"
Meine Hand erstarrt kurz über dem Diagramm mit den Zahlen. Berührt ein paar Symbole. Er will es ja nicht anders.
Obwohl ich jede Folge schon hundertmal gesehen habe - alles Aufzeichnungen im Speicher des Bordcomputers - springt mein Herz in Vorfreude. Irgendwie muss ich abends runterkommen und die vorgefertigten Aufnahmen kosten weniger Energie, als wenn das Schiff selbst aufwendig irgendwas berechnen muss.
"Das ist meine Lieblings-Sendung: 'Alien! Jagd'."
Ich rufe irgendeine Episode auf und mit Gedudel beginnt das Intro.
Vincent starrt ungerührt auf den Bildschirm. Im Hintergrund kriechen bunte Blobs aus Schwefelseen.
Die Roboter fangen an, die Sendung zu moderieren. Ihre Stimmprozessoren genieren eine komplexe Abfolge von einander überlagernden Lauten, zu kompliziert für das menschliche Ohr.
"Immer noch nicht?"
Vincent zuckt mit den Schultern.
"Das ist Lärm."
Ich bin beleidigt und lasse es erstmal. Er wird es schon noch einsehen.
Ich klettere hinab und führe ihn zurück in den Hangar, und von dort zum Gang unten rechts.
Die Gänge mit ihren acht Metern Höhe haben übermenschliche Ausmaße und sind mit den gleichen kargen Panelen bedeckt wie der Hangar. Nach einigen Metern zweigt der Gang nach links ab.
"Hier ist das Lager." Durch den vorderen Durchgang gelangen wir in einen Raum, wo sich unter der acht Meter hohen Decke deplatziert wirkende Holzregale und Kühltruhen mit menschlichen Ausmaßen befinden. Die Regale sind leer bis auf ein paar Tuben mit Senf, Tüten mit Hefe und Backpulver und anderem unnützen Kleinkram. Ich hege den starken und wohlbegründeten Verdacht, dass die Condigitianer einen Tante-Emma-Laden überfallen und alles mitgenommen haben, was es gab, weil sie keinen Plan haben, was ich wirklich brauche.
Die Säcke mit getrockneten Bohnen und Zwiebeln und die Paletten mit Konserven habe ich in einer anderen Ecke gestapelt.
"Warum kleben dort Preisschilder an den Regalen?"
Ist er so dumm oder tut er nur so? "Du hast hoffentlich genug Geld dabei. Dachtest du, hier gäbe es alles umsonst?"
Ich bin nicht sicher, ob er die Ironie verstanden hat. Er sagt jedenfalls nichts mehr dazu, beugt sich stattdessen über eine Kühltruhe. "Die muss angeschlossen werden."
Die einst tiefgefrorenen Hähnchen haben in der durchsichtigen Plastikverpackung eine schwarze Farbe angenommen. Ich habe die Truhe nie geöffnet und werde das auch nie, eher verhungere ich freiwillig. Der Stecker liegt nutzlos herum.
"Siehst du hier irgendwo eine Steckdose?", frage ich sarkastisch. Für das Geflügel kommt jede Hilfe zu spät.
Der Mann tippt auf das Glas. "Das geht so nicht."
"Du kannst gerne einen Adapter von Alien-blau-leucht-Zerfall-Energie auf 220 Volt Strom bauen", erwidere ich und rolle mit den Augen. Er ist nicht mal einen Tag lang hier und schon fängt er an, mir auf die Nerven zu gehen. Vincent verschränkt beleidigt die Arme.
Zurück im Korridor führe ich ihn durch den hinteren Durchgang. "Hier sind die Waschräume", erkläre ich und zeige die Steuerung an der Wand, die man nur mit gestrecktem Arm erreicht. Damit kann man die Düsen an der hohen Decke ansteuern - oder auch die Walzenbürsten an der gegenüberliegenden Wand, die an eine Autowaschanlage erinnern, aber ich benutze sie nie.
Folgen wir dem Gang hingegen geradeaus, gelangen wir zum Ausguck, dem Gewächshaus, wo die Zweiteilung des Schiffs wieder aufgehoben ist.
In der Luftschleuse nimmt Vincent erneut seine Ablehnungshaltung ein. Dann präsentiere ich den Raum, wo meine Pflanzen stehen, mit einer ausladenden Bewegung, bevor mein Zeigefinger nach oben wandert. "Schau dort hin."
Vom Eingang aus kann er oben nichts sehen. Er muss vortreten bis zu den Pflanzen, damit er durch das Glas an der Schiffshülle vorbeischauen kann, durch das lichtdurchlässige Solarpanel.
"Ist das ... die Sonne?" Da steht er und betrachtet ungläubig den Himmelskörper, den er sein Leben lang kennt, aber noch nie in dieser Größe gesehen hat, inmitten eines schwarzen Himmels. Das Licht der Sonne überstrahlt alles. "Das ... kann nicht sein."
Doch endlich beginnt er zu glauben, das sehe ich an seinem Blick, höre es aus seiner Stimme, egal was die Worte bedeuten.
Ich berühre in einem kläglichen Versuch, ihn zu trösten, seine Schulter, dann lasse ich ihn alleine.

Er braucht eine Weile, um sich an den Gedanken zu gewöhnen. Wie lange ist es her, seit ich das erste Mal ins All gereist bin? Aber ich habe der Angelegenheit mit mehr Abenteuerlust entgegen gesehen. Tue ich immer noch. Es ist zu früh, um sich geschlagen zu geben.
Ich höre Vincent nach einer Weile das Gewächshaus verlassen und durch das Schiff streifen. Er findet mich in der Nähe der Heckklappe im Hangar, wo ich an einem Solarpanel herumschraube.
Was war das für ein Akt, da ranzukommen. Ich musste es durch ein Stück Hülle einer Transportkapsel ersetzen, damit die Sonne nicht durch die Lücke direkt auf das Schiff scheint und die Kühlung noch mehr belastet. Das Schiff verfügt über ein paar schlangenartige Greifarme aus miteinander verbundenen, flexiblen Gliedern, die ich in stundenlanger Handarbeit dahin gesteuert habe, dass sie das Panel ersetzen und ins Schiff transportieren. Hier habe ich es einfach auf den Boden gelegt, weil es mir zu lange gedauert hätte, es besser zu platzieren. Jetzt hocke ich darüber und schraube mit dem Schraubenzieher daran herum. Condigitianische Technologie. Immer wieder faszinierend.
Vincent bleibt in einiger Entfernung stehen, schaut zu oder wenigstens zu mir herüber. Ich tue, als würde ich ihn nicht bemerken und arbeite weiter. Nacheinander baue ich jede Zelle aus, schließe eine Lampe an und ersetze die, die nicht funktionieren.
"Die Pflanzen haben zu wenig Erde. Die Wurzeln wachsen heraus."
Seine Hand ist dunkel, kostbare Lebensgrundlage hängt verloren an seinen Fingern.
"Ich kratze die Oberfläche der Kartoffeln ab, die angeliefert werden und mische das mit Küchenabfällen und einer winzigen Menge Kot. Das, was sich dort befindet, ist alles, was sich hier bisher an Erde gebildet hat. Mehr kann ich nicht tun."
Ich bin gekränkt. Blödes Gerede. Als wäre ich auf einer einsamen Insel gestrandet und ein Besucher würde meine mühsam zusammengezimmerte Holzhütte betrachten und fragen: "Wäre das nicht aus Beton und Glas besser?" Uh.
Ich erhebe mich, strecke meinen steifen Rücken, dass es knackt und hocke mich wieder hin.
"Was machst du da?", fragt er schließlich.
"Ich baue eine Zeitmaschine." Wonach sieht es wohl aus? Können die Wohlstandskinder von der Erde kein Solarpanel von einer Zeitmaschine unterscheiden. "Damit komme ich zum Zeitpunkt zurück, bevor sie dem Raumschiff die Antriebe ausgebaut und mich mit ihm auf eine Umlaufbahn um die Sonne geschossen haben."
"Ist das nicht anstrengend?"
"Nein, das ist unglaublich bequem, hock dich mal 'ne Stunde dahin."
Er schaut mir eine Weile zu. Ich würde ihn ja fragen, ob er mir hilft, aber abgesehen davon, dass ich ihn erst einweisen müsste, habe ich nur einen Schraubenzieher.
"Lass mich mal."
Überrascht schaue ich auf, erwarte hoffnungsvoll, dass er mir den Schraubenzieher abnimmt und sich als Mechaniker-Talent herausstellt. Doch Vincent greift mit breit ausgestreckten Armen das Solarpanel, stemmt es mit unglaublicher Kraft hoch und lehnt es an die Wand, wobei ein paar lockere Teile runterfallen und er auf eine - glücklicherweise kaputte - Solarzelle tritt, der sich knirschend unter dem Gewicht in seine Bestandteile zerlegt.
"Was machst du da?", kreische ich auf.
Der Mann schaut mich mit einem breiten, fast kindlich-naivem Lächeln an, das bei meinem Aufschrei stirbt, vor Enttäuschung zerbrochen wie die Solarzelle. "Dann musst du dich nicht mehr runterbeugen. Ist schlecht für den Rücken."
Ich versuche mir ein Danke rauszuwürgen, doch Vincent stampft bereits enttäuscht davon. "Weiber."

Zum Abendessen setze ich Vincent rohe Kartoffeln in blanker Schale vor, die Erde fein säuberlich abgekratzt. Aus eigenem Anbau und sie sind winzig, aber immerhin. Ich bin stolz auf mich.
"Was ist das für ein Dreck? Willst du mich vergiften?" Er schleudert sie beiseite. Die Früchte meiner Arbeit rollen über das Metall wie wertlose Kiesel.
Ich bemühe mich um Fassung, doch koche innerlich so sehr vor Wut, dass ich die Knollen damit garen könnte. "Wir brauchen den Strom für Reparaturen, Luftfilter und Abwasserentsorgung, alles andere ist Luxus. Zum Kochen müsste ich die Kartoffeln in eine Kiste packen und sie mit einem Greifarm in der richtigen Entfernung und für die richtige Dauer hinter den Solarpanels entlangführen. Das ist sehr aufwendig, daher mache ich das nur bei den Bohnen."
Ich weise mit einer Kopfbewegung zu den Knollen und gebe mir den Anschein, als wären sie mir egal. "Also iss oder koch selbst."
"Na schön, tut mir leid." Seine Hand landet dort, wo meine bis eben noch gewesen ist. Ich verschwinde mit meiner Portion. Vincents enttäuschter Blick entgeht mir nicht, doch ich habe Besseres zu tun, als mich darum zu scheren.

Am nächsten Morgen suche ich Vincent auf, der mir mürrisch folgt - er hat auf ein paar Säcken getrockneter Bohnen geschlafen. Ich habe mir den Luxus eines Bettes schon vor Jahren abgewöhnt und schlafe in der Hocke.
Es ist kurz vor zehn. Ich zeige hoch zur Kommunikationseinheit. "Die Condigitianer betreiben das Gefängnis. M-426237 muss mich jeden Morgen unterhalten - du kannst ihn einfach Margret nennen. Die Zahlen kann sich kein Mensch merken."
Ich gluckse und klettere hinauf. Vincent murmelt eine Beschwerde und bleibt unten stehen. Dieses verwöhnte Luxuskind versucht sich nicht mal an dem Hindernis. Woher soll man wissen, ob etwas möglich ist, wenn man es nicht mal versucht? Wenn sein Leben davon abhinge, würde er einen Fuß zwischen die Panele klemmen oder würde er gleich sterben? Diese Einstellung kann ich nicht nachvollziehen.
Ich begrüße M-426237: "Nein, ich habe das Raumschiff noch nicht niedergebrannt. Überraschenderweise. Habt ihr eigentlich Wetten laufen, wie lange das noch dauert?"
Die Stimme reagiert nicht auf meine Provokation und fragt stattdessen, wie es dem "anderen Menschen" geht.
"Frag ihn, wann ich von hier wegkomme", fordert Vincent.
Ich würde von ihm verlangen, dass er raufkommt und selbst danach fragt, wenn er es unbedingt wissen will, aber er ist neu hier, da will ich nicht so sein und gebe die Frage weiter. Ich könnte sie ihm beantworten, aber von mir aus soll er es von offizieller Stelle hören.
"Das ist nicht geplant", antwortet M-426237 knapp.
"Was für eine Unverschämtheit", regt sich Vincent auf. "Ich habe Rechte. Ich will meinen Anwalt sprechen."
"Menschliche Gesetze werden von uns nicht anerkannt." Ich habe M-426237 schon oft genug erfolglos gereizt, dass ihn die Beschwerde des Mannes kalt lässt.
Vincent fängt an herumzuschimpfen, daher beende ich das Gespräch und springe neben ihn. Ein Lächeln kann ich mir nicht verkneifen. "Ich würde ja sagen, dass von hier noch nie jemand entkommen ist, aber da ich die erste Gefangene bin, bedeutet das nicht viel. Ich arbeite dran. Kann allerdings noch ein paar Monate bis Jahre dauern."
Ich zeige Richtung Sonnenseite. "Erst muss ich mich um die lebensnotwendigen Systeme kümmern, allen voran Energie und Sauerstoff. Dann muss ich einen Weg finden, Treibstoff herzustellen, um die Antriebe der Transportkapseln zu betreiben."
Doch er scheint mich nicht zu hören. Er schaut zur Decke, krallt sich selbst in die Muskeln seines Nackens, wie um sich durch Schmerzen aus dem Albtraum zu erwecken, doch auch das ist kein Ausweg.
Er verlässt den Raum, um nochmal das Schiff abzulaufen. Unsere ganze Welt.

Ich schraube am Solarpanel herum, als sämtliche Lampen im Schiff ausfallen. Ich habe mir gedacht, dass deren Stromverbrauch kaum ins Gewicht fällt, aber wenn sie beim Einschalten durchbrennen, könnte ich sie nicht einfach ersetzen, also bleiben sie dauerhaft an.
Dann fällt die Gravitation aus - ich schwebe einige Zentimeter in die Luft, suche im Dunkeln nach einem Halt und verpasse beim Herumrudern mit den Armen versehentlich dem Solarpanel einen Schlag. Nur die Kühlung läuft noch, denn ich habe das System so eingestellt, dass die Kühlung unter allen Umständen weiterläuft.
Auf der Erde heißt es, Sauerstoff wäre wichtiger als alles andere zum Überleben. Haha, sie haben keine Ahnung. Ich kann fünf Minuten die Luft anhalten, aber wenn die Sonne hier durchbrennt, werde ich sofort geröstet. Kühlung ist wichtiger als Sauerstoff. Kühlung ist sogar wichtiger als Gravitation.
Aber warum haben sich die anderen Systeme abgeschaltet? - Vincent! Wo ist er, was tut er?
Ich rufe nach ihm und er antwortet aus den Waschräumen.
"Hast du etwa brühend heiß geduscht???" Auf die Entfernung höre ich nur ein dumpfes Murmeln als Antwort. Habe ich ihm nicht erklärt, dass sich bei dieser Nähe zur Sonne Kühlung und Erhitzung gegenseitig hochschaukeln, weil ich die Justierung durch den Bordcomputer abgeschaltet habe? Was für ein Schwachkopf.
Leider sind sowohl die Sprachsteuerung als auch die automatische Kontrolle der Systeme abgeschaltet und ich habe mich durch das Herumrudern in ein Momentum versetzt. Nun schwebe ich durch den Raum und warte eine gefühlte Ewigkeit im Dunkeln, bis ich an die gegenüberliegende Wand stoße und mich an den Wandpanelen und Lampen in den Kontrollraum ziehen kann, wo ich die Anzeigen überprüfe, bevor ich die wichtigen Systeme einschalte.
Mit dem Einsetzen der Gravitation geht das Licht an, doch manche der Lampen leuchten auf, nur um für immer zu verglühen. Überall im Schiff scheppert es, als die Dinge an ihre Plätze zurückfallen. Ich fange mich ab, doch aus den Waschräumen höre ich ihn aufjaulen. Wütend stampfe ich zu Vincent und stemme meine Hände in die Hüften. Eine warme, feuchte Wolke schlägt mir aus den Waschräumen entgegen.
"Ich habe dir die Steuerung nicht gezeigt, um deinen Luxusarsch zu verwöhnen."
Er liegt dort nackt auf dem Bauch, getrockneter Seifenschaum auf seiner Haut. Das Gesicht schmerzverzerrt begutachtet er die lächerlichen Schrammen an seinen Ellbogen. "Ja und? Ich habe seit Monaten nicht geduscht."
Als er sich erhebt, laufe ich rot an. Drehe mich um, als würde ich es eilig haben, mich anderen Aufgaben zuzuwenden. "Du bringst uns noch beide um. Mach das nochmal und ich werfe dich vom Schiff."
"Zicke."
Ich stampfe davon, um das Chaos im Schiff zu begutachten. Die Pflanzen hängen zerfleddert in ihren Aufhängungen. Ich bringe sie in Ordnung, so gut ich kann und hoffe, dass sie es überleben. Die meisten Zellen im Solarpanel, an dem ich gearbeitet habe, sind beim Aufprall gebrochen. Ich gehe davor in die Hocke und streiche über die Sprünge in der Oberfläche. Das kann ich nicht reparieren. Wahrscheinlich würde es schneller gehen, die wenigen funktionsfähigen Zellen in eins der anderen ausgefallenen Panels einzusetzen.
Das ist doof. Aber ich wäre nicht ich, wenn ich wegen eines kleinen Fehlschlags aufgeben würde.
Da es hier nichts mehr zu tun gibt, gehe ich in den Kommandoraum und rufe meinen Ordner mit Entwürfen auf, die ich umständlich mit den Steuerknöpfen der Konsole gemalt habe. Eine Zeichnung von einem Schmelzofen an einem Greifarm. Kritzeleien der Teile der Transport-Kapsel-Antriebe kombiniert zu einem einzelnen, großen. Eine Liste ölhaltiger Pflanzen und Berechnungen des Energiegehalts von deren Ölen.
Ich rufe die Zeichnung vom Schmelzofen auf und male darunter eine rechteckige Auffangform. Die Scherben könnte ich einschmelzen, aber wie würde eine flache Scheibe daraus? Vielleicht genügt die Gravitation des Schiffs. Wie werden überhaupt Solarpanels hergestellt? Keine Ahnung und bestimmt hätte ich sowieso nicht die Mittel dazu. Vielleicht sollte ich die Sonnenenergie lieber nutzen, indem ich Wasser erhitze, aber hätte ich dafür genug Wasser an Bord?
So vertiefe ich mich in Überlegungen, bis ich keine Lust mehr habe und erfolglos aufgebe.

Gegen Abend verschwinde ich ins Bad. Meine Haare habe ich ewig nicht gewaschen, dazu ist mir das bisschen Seife zu kostbar. Vielleicht sollte ich M-426237 um ein Seifenkraut bitten. Aber ich habe ihm von dem Gewächshaus nichts erzählt. Ist es das wert, den Grad meiner Selbstständigkeit zu offenbaren? Nachher erfahren sie noch von meinen Anstrengungen einer Flucht und finden ein noch strengeres Gefängnis für mich. Oder werfen mich nach all dem Ärger persönlich in die Sonne.
Ich ziehe mich aus, staple die Kleidung an der Seite. Narben kommen zum Vorschein, eine lange senkrecht mittig auf dem Oberkörper, ein kurzer, weißer Strich an der linken, unteren Rippe. Der großflächige, rote Brandfleck an der rechten Seite ist noch deutlich zu sehen.
Die Steuerung hoch an der Wand, drehe ich die Dusche gerade so auf, dass Wasser von der Decke kleckert, hocke mich vor den Strahl, spritze mir zimmerwarmes Wasser ins Gesicht. Als ich die Augen öffne, spüre ich einen Luftzug. Ein Schritt in der Tür. Dumpf wird eine Hand auf den Rahmen gelegt.
"Sexy."
An meinem Körper vorbei schaue ich auf eine spiegelnde Pfütze. Die Augen ein undefinierbares blau-grün-grau, die Haare irgendwas zwischen blond und braun, bei dem Fettfilm noch schlechter zu entscheiden. Mein Gesicht vergisst man leicht, perfekt symmetrisch, keine besonderen Merkmale. Hübsch ist was anderes. Und der Körper erst, dünn, knabenhaft, kaum Busen. Das soll sexy sein? Veräppeln kann ich mich selbst.
Ich funkle ihm über die Schulter zu. "Hier ist besetzt und ich habe dich nicht hergebeten."
Ich tue, als würde ich die Reinigung fortsetzen und reibe mir mit den feuchten Händen über die Achseln, doch er bleibt stehen.
"Ich habe nachgedacht. Du. Ich. Hier. Alleine. Da steckt ein höherer Wille hinter."
"Aha", mache ich gelangweilt. Die Entscheidungen von M-426237 würde ich nicht als "höher" einstufen, doch ich sehe die Absicht dahinter. Ich bücke mich nach dem Kleidungsbündel, als würde ich etwas darin suchen, dabei lege ich die Seife ab.
Die Schritte nähern sich langsam, bedrohlich. "Ich habe gesehen, wie du mich anguckst. Du stehst auf mich. Lass uns Kinder machen."
Ich erhebe mich, setze das Scheinwaschen fort. "Ich bin unfruchtbar."
"Davon will ich mich persönlich überzeugen!"
Er stürmt mit vorgestreckten Händen auf mich zu. Ich gebe der Seife einen Tritt - sie rutscht unter seinen Fuß und er knallt auf den Boden. Schon springe ich über ihn hinweg und flüchte den Gang runter.
"Bleib stehen, du Hure!"
An einer Kreuzung stoppe ich, Herzklopfen, links oder rechts? Keine Zeit, Schnappatmen, rechts. Mist, Mist, Mist. Ich brauche eine Waffe, ein Versteck. Aber hier gibt es nichts.
Das lässt sich ändern. Rutschend mit nassen Füßen bleibe ich stehen, klappe eine Abdeckung an der Wand auf, dicke Kabelstränge dahinter. Ich reiße das gelbe heraus und im Gang wird es zappenduster. Leise taste ich mich an der Wand vorwärts, so schnell ich kann.
"Au!" Es scheppert und Vincent heult auf, als er mit voller Wucht gegen die offene Klappe rennt.
Gang, Kapseln, Lager, Bildschirme - meine Gedanken suchen das Schiff nach einer Lösung ab. Verstecken? Nur vorläufig. Verhandeln? Nur zum Schein. Kampf? Ich brauche eine Waffe ...
Die Helligkeit im hinteren Raum empfängt mich. Mein Blick fällt auf das zerbrochene Solarpanel und es macht Klick. Ich kralle eine Scherbe, die gut in meine Hand passt, und stelle mich breitbeinig meinem Gegner.
Vincent läuft herein und stoppt.
"Du undankbare Schlampe." Er nähert sich, die Hände wie Bärenpranken erhoben, bereit zuzuschlagen. "Ich habe versucht, nett zu dir zu sein."
"Ich brauche keine Nettigkeiten. Meinst du, dein ekliger Pimmel tut mir einen Gefallen? Pack mit an oder verlasse das Schiff!"
Er sieht mich verletzt an, wieder so ... zerbrochen. Wie das Panel, auf das in stummer Anklage sein Blick fällt.
Fäuste spannen sich. Die Augen heben sich mit neuer Entschlossenheit zu mir. Dann stürmt er wie ein Stier auf mich zu, das Gesicht wütend verzerrt, stößt Luft durch die Nase. Die Scherbe schwingt zu seinem Hals, fährt durch Fett und Muskeln. Er schlägt meinen Arm beiseite, die Wunde seitlich am Kinn hat den kurzen Hals verfehlt.
Der Faustschlag haut mich um. Vincent stürzt mir nach. Ich schaffe es gerade so, dass er mich nicht unter seinem Gewicht begräbt und robbe rückwärts. Hände greifen mich, halten, ziehen mich ran. Ich packe einen Finger, biege ihn nach hinten. Spitzer Schrei, der Griff löst sich, Tritt ins Gesicht. Ich rapple mich auf und laufe nach hinten. Warmes Blut sickert aus meiner Faust und hinterlässt tropfend eine Spur, die Scherbe habe ich irgendwann verloren.
Zwischen den leeren Transportkapseln bücke ich mich, höre laut stampfende Schritte in meine Richtung kommen. Er denkt, er hätte mich in die Enge getrieben. Ich fahre herum und stoße ihm den blutbeschmierten Schraubenzieher bis zum Anschlag ins Auge.
Der Körper erstarrt, zuckt, taumelt rückwärts in eine Kapsel, wo er wie im Instinkt nach dem Schraubenzieher greift. Ich schließe die Tür, will nicht darauf warten, ob er sich erholt.
"Seldra ..."
"Niemand fasst mich ohne Erlaubnis an." Ich nehme ein paar Handgriffe vor, drücke Knöpfe, betätige Hebel und Schalter, beschmiere sie mit Rot. Die Transportkapsel wird von einem Greifarm in die Schleuse befördert. Ich schaue zu, als die Luft abgesaugt wird. Dann öffnet sich die Klappe und schiebt die Kapsel Richtung Sonne davon. Mit Leere in meinem Innern sehe ich ihr eine Weile hinterher, emotionslos, es musste gemacht werden. Das Herz hat Zeit, sich zu beruhigen.
Doch als ich die Zerstörungen überall im Schiff denke, kommen mir heiße Tränen der Wut. Ich hätte ihn viel früher töten sollen.

Punkt zehn am nächsten Morgen sitze ich vor dem Kommunikationsgerät. Da ich keine sterilen Verbände habe und auch sonst nichts, um die Wunde zu behandeln, habe ich sie mit heißem Wasser ausgespühlt und halte die Faust nun reglos. Die nächsten Wochen muss ich meine Arbeiten einhändig verrichten. "Captain Long Jack Pulsar meldet sich zum Statusreport. Vincent musste gestern kurzfristig abreisen." Ich habe keine Lust, einem Wesen seiner Spezies die Bedeutung des Vergehens zu erklären.
"Du hast ihn getötet?"
"Er war ein Vergewaltiger, oder?"
"Steril. Das Wort bedeutet, dass es nicht möglich ist, sich mit dir fortzupflanzen, korrekt?" Blöde Büchsenbirne.
"Vergiss es. Dir fehlen die biologischen Voraussetzungen, um das zu verstehen." Ich zwinge mich zu Sarkasmus, um nicht zu explodieren und ihn anzuschreien.
"Möchtest du einen anderen?"
"Ähm, nein danke." Ja, schick mir einen Ingenieur. Schick mir eine Frau. Allerdings kann ich das nicht sagen. "Aber ich brauche einen neuen Schraubenzieher. Um die Panele zu reparieren." Und alles andere.
"Du hattest einen Schraubenzieher? Du darfst keine Waffen haben."
Manchmal habe ich den Eindruck, die Sache mit dem Gefängnis ist nicht gut durchdacht. "Was dachtest du, wie ich die Sachen hier repariere? Ich kann mir keine Werkzeuge aus dem Körper wachsen lassen so wie manche von euch."
"Ich sehe, was sich tun lässt. Es kann eine Weile dauern."
"In Ordnung."
Nein, nichts ist in Ordnung. Mir ist weder nach Streit, noch nach weiteren Gesprächen. Stille senkt sich auf das Schiff. Hier sitze ich nun in meinem Reich des Chaos' und der Zerstörung, doch noch immer ist es zu früh, um aufzugeben und ich sehne den Tag herbei, an dem ich sie alle mit bloßen Händen auseinandernehmen werde.

 

Hallo @Silverhawk,

vielen lieben Dank! Kommata durch Punkte zu ersetzen war mir als Stilmittel nicht wirklich bewusst. Kann sein, dass ich das einmal in irgendeiner Geschichte gemacht habe. Könnte ich in der Tat öfter anwenden.

Ich greife zu dem Schraubenzieher, der an einer Schnur um meinen Hals hängt. Eigentlich sieht das Werkzeug nur mit viel Fantasie wie einer aus und ich bin als Mensch nicht in der Lage, den eigentlichen Namen auszusprechen oder auch nur dessen Bedeutung zu begreifen, daher habe ich den demütigendsten Begriff gewählt, der mir eingefallen ist.
Beim Lesen bin ich hier gestolpert. Eventuell genauer beschreiben.
Gute Idee! Habe ich gemacht, gefällt zumindest mir nun besser.

An denen er nach mir rief und mir erklärte, dass sie mich nicht hatten töten wollen, doch sie konnten mich nach allem, was ich getan hatte, nicht frei herumlaufen lassen.
Das habe ich so verstanden, das sie, sie getötet hätten? Eventuell genauer beschreiben, was du meinst.
Ich bin jetzt mal etwas konkreter geworden und hoffe, dass das nicht irgendein Fass aufmacht, das weitere Erklärungen verlangt. Mit all der Vorgeschichte muss ich irgendwo einen Punkt machen.

Staff ist niemals zu sehen. Würde nicht wiederkommen, aber es ist das einzige Hotel im Umkreis von einer Million Meilen. Zehn Millionen.
Auch hier bin ich beim Lesen gestolpert. Ich wusste nicht, was du meinst.
Mein/ihr Humor, die Nachahmung eines Reviews im Internet. Ich dachte, Ausdrücke wie "Zwei Sterne" oder "würde nicht wiederkommen" in Anlehnung an "würde ich nicht nochmal kaufen" wären eindeutig.

Ich warte mit ernstem Gesicht, bis er fertig gelacht hat. Verschieben wir den Punkt auf später.
Er sagt, sein Name sei Vincent. Ich frage ihn, was er getan hat.
"Nichts."
An dieser Stelle würde ich die beiden wirklich einen dialog führen lassen.
Ich habe mit der Idee herumgespielt und es nichts Gescheites bei rausgekommen, nur trockenes A B A B. Das müsste ich mit einer längeren Szene und Handlung verbinden, aber nicht heute.

kreische i
kreischend kann man nichts sagen, und oder rufen. Schreien ist besser
Warum soll das nicht gehen? Kreischen ist ein Synonym von schreien.
kreischen Vb. ‘schrill, mit sich überschlagender Stimme schreien’
https://www.dwds.de/wb/kreischen

"Weiber."
Weiter oben erfahre ich als Leser das es sich um eine Frau handelt. Hätte ich schon von Anfang an gewusst.
Die Anmerkung kam schon öfter. Keine Ahnung, was ich da machen soll, da es auch keine Rolle spielt, solange sie alleine ist.

Die Stimme reagiert nicht auf meine Provokation und fragt stattdessen, wie es dem "anderen Menschen" geht.
Hier würde ich auch einen Dialog schreiben, dann wird es für mich als Leser spannender.
Ich denke mal drüber nach.

"Frag ihn, wann ich von hier wegkomme", fordert
Fordernd kann man nichts fragen. Eventuell so: Seine Stimme ist fordernd.
Er kann darum bitten, es verlangen oder es fordern. Warum soll das nicht gehen?

Meine Haare habe ich ewig nicht gewaschen, dazu ist mir das bisschen Seife zu kostbar.
An dieser Stelle habe ich mir gedacht, wie sieht sie aus? Welche Haarfarbe welche Augenfarbe .
Das mit dem Aussehen ist so eine Sache, insbesondere die eigene Augenfarbe nimmt sie ja aus der Ego-Perspektive nicht wahr. Ich habe mal als Mittel zum Zweck eine spiegelnde Oberfläche eingefügt, damit sie sich an der Stelle selbst beschreiben kann.

Du, ich, hier, alleine.
Hier würde ich Punkte setzen. Liest sich dann stärker.
Ich merke schon, du bist ein Fan von Punkten. :D Die meisten der kleinen Anmerkungen habe ich übernommen. Müssten die sein, zu denen ich nichts gesagt habe.

Vielen Dank für deinen Besuch.

Viele Grüße
Jellyfish

 

Hallihallo,

freut mich, wenn ich helfen konnte. Wie bereits geschrieben, finde ich deine Geschichte toll! Es hat mir sehr viel Spaß gemacht, sie zu lesen. Und ja, ich bin ein Fan von Punkten.:D Schreib weiter.

 

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