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Arachnophobie
Durch die geöffnete Balkontür wehte ein lauer Nachtwind. Die Grillen zirpten und ab und zu hörte man in der Ferne das Motorengeräusch eines vorbeifahrenden Autos.
Ich räkelte mich gemütlich im Sessel vor dem Fernseher, eine Chipstüte in der Hand und ein Glas Bier neben mir auf dem Tisch. Mit wohligem Gruseln schaute ich einen Horrorfilm an, in dem mutierte Monsterspinnen eine Kleinstadt bedrohten.
Ein blonder Spinnenexperte erklärte den verängstigten Bewohnern die Gefahren, die ihnen drohten, wenn sie nicht binnen 21 Stunden die große Mutterspinne zu fassen bekämen.
Im Nachbarhaus hatte sich die metergroße Mutterspinne in einer Besenkammer eingerichtet und war dabei, den Staubsauger in ein dichtes Gespinst aus silbrigen Spinnenfäden zu hüllen.
Zufällig entdeckte die wunderschöne junge Bewohnerin in diesem Moment ein Staubkorn auf der Treppe. Natürlich brauchte sie zu dessen Entfernung dringend den Staubsauger.
Fröhlich vor sich hin summend hüpfte das Mädel auf die Besenkammer zu und öffnete arglos die Tür. Worauf die bösartige Spinne nur gewartet hatte. Untermalt von grusliger Musik stürzte sich die Bestie sofort auf ihre liebliche Beute.
Ich hatte die Chipstüte aus der Hand gelegt und richtete mich angewidert im Sessel auf. Gebannt starrte ich auf den Bildschirm wo die schöne Darstellerin in einem aussichtslosen Kampf vergeblich versuchte, ihr Leben zu retten. Ihre fürchterlichen Entsetzensschreie gingen mir durch Mark und Bein.
Unter dem Fernsehschrank bewegte sich etwas Schwarzes. Für einen kurzen Augenblick wurde mein Blick davon abgelenkt.
Die Riesenspinne biss der jungen Frau in den Hals, die Schreie erstarben.
Erst in diesem Moment wurde mir bewusst, dass ich da eben eine Bewegung wahrgenommen hatte, an einem Ort, an dem sich eigentlich nichts bewegen kann. Ich schaute genau hin, konzentrierte mich auf den dunklen Spalt zwischen Schrank und Fußboden.
Tatsächlich! Da war es wieder! Ein schwarzer Schatten huschte lautlos von links nach rechts.
Im Fernsehen war das Monster gerade damit beschäftigt, ihr in einen Kokon verpacktes Opfer in die Besenkammer zu stopfen.
Der Schatten unter dem Fernsehschrank bewegte sich nach vorn und im nächsten Augenblick erschien eine große schwarze Spinne mit langen behaarten Beinen. „Tegenaria larva, die gewöhnliche Hausspinne“ meldete mein Gehirn, das sich noch an einzelne Fragmente eines längst vergessenen Biologiestudiums erinnern konnte.
Die Tegenaria rannte geradewegs auf mich zu und verschwand unter meinem Sessel.
Eigentlich hatte ich keine Angst vor Spinnen, in meiner Kindheit züchtete ich zum Entsetzen meiner Mutter sogar welche in Einmachgläsern.
Trotzdem zog ich in diesem Moment sofort reflexartig die Beine hoch. Vor diesem riesigen Exemplar hatte ich doch etwas Respekt!
Leicht verwirrt und etwas unsicher starrte ich eine Weile auf den Fußboden. War da gerade wirklich eine Spinne gewesen oder hatte ich mir das nur eingebildet?
Die Riesenspinne im Fernsehen begab sich inzwischen munter auf die Suche nach weiteren Opfern, verließ das Haus und machte sich auf den Weg in die stockdunkle Nacht.
Die unheimliche Musik des Films nahm meine ganze Aufmerksamkeit in Anspruch, so dass ich nicht weiter über die Spinne unter meinem Sessel nachdachte.
Ein neuer Beutezug bahnte sich an.
Zwei Helfer des Suchtrupps beleuchteten die Straße mit ihren Stirnlampen, in der Hand ein entsicherter Revolver. Das Monster lauerte geifernd hinter einer Hausecke.
„Einfach widerlich!“, ich schüttelte mich. Dabei nahm ich aus den Augenwinkeln eine Bewegung draußen im Flur wahr. Diesmal richtete ich meinen Blick sofort darauf.
Was ich dort sah, jagte mir einen kalten Schauer den Rücken hinunter.
Vom düsteren Flurlicht spärlich beleuchtet rannte eine fast handtellergroße Spinne an der geöffneten Wohnzimmertür vorüber!
Mein Herz klopfte laut. Das angenehme Gruselgefühl war echtem Entsetzen gewichen. Die Tatsache, dass sich anscheinend zwei riesenhafte Spinnen in der Wohnung befanden, beunruhigte mich mehr als ich wahr haben wollte.
Trotzdem zweifelte ich immer noch an mir selbst, war es möglich, dass ich mir das alles vielleicht doch nur einbildete?
„Schau nach“, sagte ich mir, „und wenn da Spinnen sind, dann fang sie!“
Wie albern von mir, mich so anzustellen!
Das Scheusal im Fernseher war gerade dabei, sein zweites Opfer genüsslich auszusaugen.
Ich nahm meinen ganzen Mut zusammen, setzte meine Füße vorsichtig auf den Boden, in der Hoffnung das Tier unter dem Sessel würde nicht gerade jetzt hervorkommen. Ich schnappte mir mein Bierglas und kippte den letzten Schluck schnell hinunter.
Zögernd betrat ich den Flur.
Neben meinen Turnschuhen lauerte sie. Sie drehte sich sofort zu mir um. Es schien mir, als würde sie mich anstarren.
Geräuschlos schlich ich ganz langsam näher. Es war das erste Mal, dass mir beim Fang einer Spinne gar nicht wohl in meiner Haut war.
Ich stülpte das Bierglas blitzschnell über sie. Gefangen!
Erleichtert schaute ich sie mir genauer an, auch sie schien eine gewöhnliche Hausspinne zu sein, doch war sie ungewöhnlich groß.
Sie ließ mich nicht aus den Augen, hob ein Bein und zeigte damit auf mich, dabei bewegte sie bedrohlich ihre dolchartigen Giftklauen.
Erschrocken wich ich zurück.
Ich ließ das Glas einfach stehen und beschloss, die Spinne unter dem Sessel auf dieselbe Art wegzusperren.
Mit einem weiteren Glas aus der Küche bewaffnet, schob ich vorsichtig den Sessel zurück.
„Sie braucht noch mehr Beute für ihre Nachkommen!“, hörte ich die Stimme des Spinnenexperten sagen, ein angstvolles Stöhnen war die Antwort.
Abgelenkt durch den Film war ich nur halb bei der Sache, als ich niederkniete um nach der Spinne Ausschau zu halten.
Diese hatte mich jedoch längst entdeckt und noch bevor ich sie richtig wahrnahm, eilte sie hurtig auf mich zu und landete mit einem Satz auf meiner Hand.
Panik ergriff mich, ich sprang auf, schrie gellend und schüttelte mich wild. Dabei fiel die Spinne zu Boden.
Sie hatte eindeutig genauso viel Angst wie ich. Nach einem schützenden Ort suchend rannte sie geradewegs in mein Fangglas, das ich in meiner Panik am Boden liegen gelassen hatte!
Geistesgegenwärtig drehte ich sofort das Glas um. Auch sie war gefangen.
Ich atmete tief durch.
Die Spinne begann, das Glas abzutasten, suchte nach einem Ausgang.
Ich hatte genug vom Spinnen fangen. Ich würde mich erst am nächsten Morgen um die Biester unter den Gläsern kümmern.
Jetzt wollte ich endlich in aller Ruhe den Rest des Films anschauen. Mit einem Seufzer der Erleichterung ließ ich mich in meinen Sessel fallen und war bald wieder von der Handlung des Films gefesselt.
Man hatte nun das Nest der Mutterspinne entdeckt, in dem viele hundert Eier in dichten weißen Kokons lagerten. Bewegte sich in einem Kokon nicht schon etwas? Die mutigen Helfer beratschlagten mit dem Spinnenexperten, wie man am besten bei der Vernichtung vorgehen sollte.
Was waren sie doch feige! Ich fühlte mich ihnen weit überlegen, schließlich hatte ich sofort gehandelt und die Gefahr wie eine Heldin beseitigt!
Gerade als der Experte vorschlug, einen Flammenwerfer zu holen, bewegte sich wieder etwas unter meinem Fernseher.
Nein! Das konnte nicht wahr sein! Riesige behaarte Beine schoben sich langsam unter dem Schrank hervor. Mir lief es eiskalt den Rücken hinunter. Noch eine Spinne! Und sie war noch sehr viel größer als die beiden vorigen!
Fassungslos starrte ich auf dieses unheimliche Tier. Das konnte doch nicht mit rechten Dingen zugehen? Gab es denn wirklich mutierte Spinnen? Wollten sie mich am Ende angreifen?
Die Spinne richtete ihren Blick nun direkt auf mich und begann sich langsam in meine Richtung in Bewegung zu setzen.
Panik machte sich wieder in mir breit. Was sollte ich nur tun? Verzweifelt schaute ich mich im Zimmer um, entdeckte aber nichts was mir helfen könnte. Ich traute mich aber auch nicht mehr den Sessel zu verlassen.
Hilflos beobachte ich wie sie langsam näher kam. Dabei behielt sie mich die ganze Zeit fest im Blick. Es schien ihr sogar irgendwie Vergnügen zu bereiten, wie sie mich da so im Sessel zittern sah.
Auf einmal blieb sie stehen und fixierte mich mit allen ihren acht Augen. Mein Herz klopfte laut bis zum Hals. Ich konnte nicht anders, wie in Hypnose musste ich sie anstarren, es gelang mir nicht, meine Augen von ihr abzuwenden.
Lange Zeit saß ich so da, Auge in Auge mit diesem entsetzlich großen achtbeinigen Ungetüm.
Irgendwann drangen die Geräusche des Fernsehers wie aus weiter Ferne wieder an mein Ohr. Im finalen Showdown war es dem Spinnenexperten gelungen, das Nest samt Muttertier mit dem Flammenwerfer zu vernichten.
Das Bild und der Ton wechselten abrupt. Werbung folgte.
Darauf schien die Spinne nur gewartet zu haben. Sie wandte sich von mir ab, lief zielstrebig auf das Glas mit meiner gefangenen Spinne zu, das vor mir auf dem Boden stand.
Das Tier im Glas schaute seine Verwandte draußen erwartungsvoll an.
Ungläubig beobachtete ich, wie die Riesenspinne die Spitze eines Beins unter den Glasrand schob, das Glas anhob und mit Leichtigkeit umwarf.
Die befreite Spinne betastete die andere erfreut.
Im Flur war ein leises Klirren zu hören. Ich erahnte den Grund. Mir trat der kalte Angstschweiß auf die Stirn.
Wie erwartet marschierte nach einem kurzen Augenblick mein erster Fang ins Wohnzimmer. Auch diese Spinne betastete kurz die beiden anderen und drehte sich dann zu mir um.
Mein Herz setzte aus. Ich war sicher, nun mit dem Leben abschließen zu müssen. Sie wollten sich an mir rächen! Sie würden mich töten und aussaugen!
Doch dann geschah etwas Unglaubliches.
Die Spinne vom Flur zeigte mir abermals ihre spitzen dolchartigen Mundwerkzeuge, wandte sich dann aber um zu ihren beiden Kameradinnen und alle drei machten sich mit flinken Schritten auf den Weg in Richtung Balkon.
Kurz bevor sie den Balkon betraten, drehte sich die größte von ihnen noch einmal zu mir um und hob ein Bein wie zum Gruß. Dann verschwanden sie in der Dunkelheit.
Völlig verwirrt saß ich noch einen Augenblick im Sessel, bevor ich endlich begriff, dass sie wirklich draußen waren.
„Schnell die Balkontür schließen!“, war mein erster vernünftiger Gedanke.
Die letzte Spinne ließ sich gerade vom Geländer hinunter in den Garten fallen, als ich die Balkontür mit einem Ruck zudrückte.
Ich hatte genug, ich wollte nur noch ins Bett. Im Vorbeigehen zog ich den Stecker vom Fernseher aus der Steckdose und knallte alle Türen hinter mir zu.
Als ich auch noch das Schlafzimmerfenster schloss, bemerkte ich, dass das Zirpen der Grillen im Garten vollkommen verstummt war.
Mit Schaudern sprang ich in mein Bett und zog mir die Bettdecke über den Kopf.