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Arbeit auf Abruf
Genüsslich schiebe ich die Gabel mit der äußerst schmackhaften Spinat-Lachs-Lasagne in den Mund. Es ist Samstag, und wir, das sind Conny, ihr Freund und ich, genießen unseren ersten gemeinsamen Brunch seit Wochen. Sie hat uns eingeladen, denn sie möchte mit uns etwas feiern. Etwas, von dem ich noch nichts weiß. Ich hole mir schnell noch eine Crème brûlée von dem reichlichen Buffet des Restaurants und überlege gerade, wie ich ihre Neuigkeit aus ihr herausbekommen könnte, als plötzlich mein Handy zu summen beginnt.
Ich schaue auf den Display und enttäuscht platze ich heraus: „Das ist jetzt nicht wahr! Schon wieder Lenzig!“
Conny und ihr Freund sehen mich gespannt an, während ich mit dem Disponenten der Zeitarbeitsfirma am anderen Ende rede. Vorsichtig, da er sicher noch in Erinnerung hat, wie er mir gestern ein freies Wochenende versprach, versucht er mich zu überzeugen, heute noch einmal in diese Spülküche zu gehen. Er versucht es mit allen Mitteln, und schließlich gebe ich auf und sage zu. Ich muss mich überstürzt von den Beiden verabschieden. Entnervt schaut mich Conny an und ich begreife plötzlich, dass sie das wohl nicht mehr länger mitmachen wird.
Ich hab keine Lust mehr! Ich will das nicht mehr! Diese ständige Bereitschaft für diese Firma ist mir einfach zuviel. Es ist mir sogar schon passiert, dass ich morgens im Halbschlaf das Handy habe klingeln hören und als ich nachschaute, hatte gar niemand angerufen. Ist das noch normal?
Aber was soll ich machen? Das Geld, das ich dort verdiene, brauche ich. Ich kann nicht darauf verzichten. Wie oft habe ich mich schon gefragt, ob es für mich keine andere Arbeitsmöglichkeit gäbe, doch jedes Mal, wenn ich mir vornehme, etwas anderes zu suchen, kommt irgendetwas dazwischen, meistens ist es sogar der Disponent von Lenzig, der mich dann plötzlich telefonisch in die Arbeitsrealität zurückholt.
Nun bin ich hier in dieser riesigen Spülküche. Ein dreistöckiger Küchenwagen, voll gestellt mit Besteckkörben, die randvoll mit tausenden gespülten Messern, Gabeln, Kaffeelöffeln und Kuchengabeln bestückt sind, wird von Matthias, unserem Vorarbeiter, zu mir in die Ecke geschoben.
„Du musst sie noch einmal nass machen, das weißt du ja, damit sie besser poliert werden können.“
Natürlich weiß ich das. Ich bediene ja schließlich die Poliermaschine. Wie sie genau funktioniert, ist mir nicht so ganz klar, ich weiß nur, dass das Besteck fast perfekt glänzend wieder ausgespuckt wird. Meine beiden vietnamesischen Kollegen kontrollieren anschließend jedes einzelne Teil, ob nicht vielleicht doch noch ein Fleck zu sehen ist und zählen das Besteck zu je 50 Stück in Boxen.
Ich muss alles vorsortieren und in den Schlund dieser mit einem speziellen Granulat befüllten, unangenehm lauten Apparatur werfen. Diese ständige Konzentration, erst nur die Messer, dann nur die Gabeln und zum Schluss die kleinen Teile, Kuchengabeln und Kaffeelöffel, ist auf einen ganzen Arbeitstag verteilt doch sehr anstrengend. Wir schaffen trotzdem die geforderten vier Wagen, der Auftrag muss termingenau fertig gestellt werden. Da hilft es nichts, sich über die Monotonie der Arbeit zu beklagen. Einfach Augen zu und durch.
Aber da ist ja noch etwas, das mich zumindest ein wenig ablenkt, natürlich nur am Rande, denn es soll ja kein Kaffeelöffel mit einem Messer zusammen in die Maschine getan werden: Gestern schon bemerkte ich bei Matthias ein gewisses Interesse an mir. Immer wieder wanderten seine Augen in meine Richtung. Während des Frühstücks wollte er viel von mir wissen, sehr bereitwillig gab ich die Antworten. Während dieser paar Minuten waren wir beide, so schien es, gleichzeitig neugierig und verlegen, immer wieder musste er seinen Blick abwenden.
Trotzdem, heute wieder dieses schüchterne Versteckspiel. Wir besprachen morgens die Arbeit, nur wir beide, und er hatte ein Lächeln im Gesicht. Ein Lächeln, das von ganz tief innen kam, so, dass er es wohl nicht unterdrücken konnte. Und später, als ich ihn etwas fragen wollte, bemerkte ich es auch bei mir. Ich strahlte ihn an, und so sehr ich es auch wollte, ich konnte es nicht lassen. Matthias sprach gestern ganz offen von seinen Kindern, auch dass sie ihn ganz schön auf Trab halten. Dann hat er eben eine Familie. Aber das stört mich nicht, denn das hier macht Spaß, die Gedanken wandern, während die Hände Besteck sortieren, zu viel interessanteren und aufregenderen Dingen. Träumen ist ja nicht verboten.
Irgendwie genieße ich die Situation. Matthias´ Aufmerksamkeit tut mir gut. Sie lenkt mich von meinen manchmal quälenden Überlegungen in Bezug auf die Arbeit ab.
Jetzt werfe ich die letzte Handvoll mit Messern in die Maschine, denke gerade darüber nach, ob Matthias und ich, wie gestern, zusammen in der S-Bahn sitzen werden, fantasiere, was er mich heute fragen würde. Ich merke, wie ich beginne, mich darauf zu freuen. Da dringt ein „Tschüß“ an mein Ohr, es ist seine Stimme. Was, er geht jetzt schon? Na klar, er hatte ja heute eine Stunde früher begonnen als wir anderen. Ich drehe mich um und sehe ihm direkt in die Augen. Seine Lippen formen ein weiteres Mal das Abschiedswort und er schlägt langsam und betont die Augen nieder.
Als er weg ist, bin ich traurig, aber auch glücklich, alles durcheinander.
Meine Gedanken wandern wieder in meine Wirklichkeit. Ich bin mir nicht sicher, ob ich diese Art zu arbeiten lange durchhalten werde. Ich habe ja sogar schon Angst vor dem Klingeln meines Handys. Daran merke ich nun endlich, ich muss etwas ändern!
Nur wo soll ich anfangen? Kündigen?
Hätte ich nicht auch gute Chancen in einem Restaurant auf eine Festanstellung, damit dieses ständige verfügbar sein müssen endlich aufhört?
Nun habe ich mich umgezogen und bin auf dem Weg zur S-Bahn. Insgeheim hoffe ich, dass Matthias noch irgendwo wartet. Aber er ist weg. In seinen wohlverdienten Feierabend. Ob er mit seiner Frau glücklich ist? Was geht mich das eigentlich an…? Egal, heute habe ich im Augenblick gelebt und morgen sehe ich ihn wieder. Ich freue mich auf sein Lächeln…
Und die Arbeit? Das kann ich nächste Woche auch noch einmal überlegen! So ein wichtiger Entschluss braucht eben Zeit!
Jetzt rufe ich ganz schnell Conny an. Ich muss das von heute Vormittag wieder gutmachen. Und außerdem will ich endlich wissen, was sie mit uns feiern wollte. Da bin ich echt gespannt.