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Arbeitsmensch

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22.03.2005
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Arbeitsmensch

Fünf Uhr. Zeit aufzustehen. Die Arbeit wartet, und ich bin einer der letzten Menschen auf der Welt, die zur Arbeit zu spät kommen.
Seit einiger Zeit bin ich morgens etwas hektisch. Die Konkurrenz auf meinem Gebiet ist hart, kleine Versäumnisse können bereits entscheidend sein. Wenn meine Frau nicht manchmal sehr bestimmt auf mich einwirken würde, ließe ich wohl sogar noch die Dusche und die Zahnpflege ausfallen, wenn ich am selben Tag gerade kein Meeting hätte. Anziehen, Hygiene, Essen – nichts davon kann für mich schnell genug gehen. Manchmal zieht sie mich damit auf, dass ich regelrechte Rekordjagden damit veranstalte. Ich käme heute schneller in die Hosen rein als ich in unseren Flitterwochen je herausgekommen sei, meint sie. Zugegeben, ganz übertrieben ist das nicht.
Ich bin das, was man gemeinhin ein „Arbeitstier“ nennt. Mich stört der abwertende Unterton des Wortes ein wenig, denn ich finde, dass Fleiß und Disziplin keine Sekundärtugenden sind, sondern von essenzieller Bedeutung für die Gesellschaft und das Leben überhaupt. Denn wo wäre die menschliche Zivilisation ohne diese Eigenschaften geblieben? Wir würden immer noch in Höhlen hausen und rohes Fleisch fressen. Erst harte Arbeit hat uns dahin gebracht, wo wir jetzt sind.

„Findest du nicht, dass du ein wenig übertreibst?“
„Inge, ich mach das doch alles nur für euch.“
„Das weiß ich doch, Thomas, aber du steigerst dich einfach zu sehr rein. Wir machen dir ganz bestimmt keinen Vorwurf, wenn du mal einen Gang runterschaltest. Du hast doch auch noch uns.“
Sie sie sieht mich noch eine Weile an und seufzt dann resigniert. Schließlich wendet sie sich zur Tür, um selbst zur Arbeit zu gehen.

Vormittags ist Heimarbeit angesagt. Das hört sich sehr komfortabel an, aber es kostet mehr Mühe, als man gemeinhin zu denken pflegt. Man ist ständig genötigt, sich selbst zu motivieren, und in meinem derzeitigen Geschäftsfeld ist zudem eine hohe Frustrationstoleranz erforderlich, bis dann endlich der Durchbruch kommt. Der Umstand, dass ich über fünfzig bin, erschwert es mir zusätzlich. Da ist man schnell draußen, wenn man sich nicht ranhält.
Allerdings habe ich im Bearbeiten der Angebote inzwischen eine solche Routine bekommen, dass ich sie so schnell abfertigen kann wie kaum ein anderer. Ich hole immer das Maximum aus mir heraus. Niemand wird je sagen können, ich sei an meinem Mangel an Leistungsbereitschaft gescheitert.
Die Offerten, die meinen Bildschirm füllen, sind wie üblich mannigfaltig und erfordern sorgfältige Aussortierung: Oft geht es um windige Geschäftsideen, und es ist schon ein hartes Stück Arbeit, die Spreu vom Weizen zu trennen. Aber dort, wo man vornehmlich seriöse Angebote antrifft, ist die Konkurrenz meist so stark, dass es eine Menge Glück braucht, überhaupt Resonanz zu bekommen, und selbst dann ist der Deal noch lange nicht unter Dach und Fach. Bis zum ersten Meeting sind so manche Hürden zu nehmen, und selbst wenn es doch dazu kommt, kann man oft zweihundert Kilometer fahren und es kommt nichts dabei heraus. Wären da nicht Inge und die Kinder, ich wüsste nicht, woher ich dafür noch die Kraft nehmen sollte. Es gibt Momente, in denen mir das alles so merkwürdig sinnlos vorkommt. Aber gerade dann muss man den Kopf oben halten. Niemals unterkriegen lassen, das ist mein Motto. Dagegen lasse ich keine unsinnigen Zweifel ankommen. Zweifel bringen niemanden weiter.

Am Nachmittag ist wieder ein Meeting. Nichts Entscheidendes diesmal, nur wieder eine dieser lächerlichen Motivationsansprachen oder „Training“, wie sie das nennen. Auch eine Methode, Menschen von der Arbeit abzuhalten.

Ich fahre niemals mit der U-Bahn, wenn es sich vermeiden lässt. Nicht nur, dass dann schnell alle denken, man könne sich das Auto nicht mehr leisten, es ist auch einfach nicht angenehm, auf Bahnhöfen herumzustehen. Es ist verplemperte Zeit und erzeugt ein seltsames Gefühl der Schutzlosigkeit.
Vor kurzem – oder ist das schon länger her? - ist mir hier ein ehemaliger Angestellter begegnet, den ich ein Jahr zuvor entlassen hatte. Er pöbelte mich an und schmiss mir Vorwürfe an den Kopf, von wegen ich hätte sein Leben zerstört. Diese Ausredensucher sind einfach zum Kotzen. Anstatt endlich den Hintern in Bewegung zu setzen, suchen sie sich einen Schuldigen, dem sie alle Übel der Welt anhängen können. Wen hätte ich denn behalten sollen, den mit mehr oder den mit weniger Leistung? In dieser Welt ist jeder seines eigenen Glückes Schmied. Wer unten durchfällt, ist selbst schuld.
In meinem Grübeln habe ich gar nicht gemerkt, wie sich mir von der Seite jemand genähert hat. Es ist ein Punker mit Stachelhaaren, der aussieht, als hätte er sich seit Jahren nicht gewaschen. Die vielen Nieten an seiner versifften Kleidung sollen mir wohl Angst einflößen.

„Ey Alter, haste mal’n Euro übrig?“
„Ich hab keinen Euro übrig, und jetzt lass mich in Ruhe.“
„Dann eben zwanzig Cent. Ich muss nur eben telefonieren, das ist alles.“
„Geh lieber arbeiten, Junge.“
„Arbeiten?“ Bitteres Auflachen. „In was für ner Welt lebst du denn, Alter? Soll ich vielleicht dabei mithelfen, irgendwelchen Scheiß zu produzieren und die Umwelt zu verpesten? Oder andere Menschen ausbeuten, ja, das wär ne Idee, siehst ja auch aus wie einer, der so was macht. Und dann immer schön nach oben buckeln und nach unten treten, die armen Schweine da unten können sich ja nicht wehren, ne? Und wer braucht schon Menschenwürde fürs Arschkriechen?“
Die Wagontüren öffnen sich zischend. Ich beeile mich, hineinzukommen.
„Paläste für alle könnten wir bauen, wenn’s kein Kapital gäbe, du Arschloch. An deinen Händen klebt Blut“, schreit er mir hinterher.

Zum Meeting komme ich wie immer überpünktlich. Nicht zu früh, versteht sich, einmal Warterei am Tag ist genug. Früher habe ich des Öfteren versucht, mit der Seminarleiterin im Vorfeld ergiebige Gespräche zu führen, aber schon bald gab ich es auf und versuchte stattdessen, mir das richtige Zeitfenster einzurichten. Es kommt darauf an, die U-Bahn zur richtigen Abfahrtszeit zu benutzen und danach das richtige Tempo auf dem Weg zum Ziel vorzulegen. Genau zwei Minuten vor der Zeit, das ist meine Richtschnur. Ich bin stolz, auf dem Fußmarsch nicht einmal mehr die Geschwindigkeit wechseln zu müssen, um dieses Ziel zu erreichen.

„Sie müssen wissen, ich habe Familie mit drei Kindern und …“
„Falsch.“
„Warum?“
„Wenn Sie als Bittsteller auftreten, haben Sie schon verloren. Denken Sie immer daran: Sie sind Partner auf gleicher Augenhöhe. Sie können was. Sie leisten was. Wenn Sie das zeigen, steigen Ihre Chancen erheblich. Sie dürfen sich nicht entmutigen lassen.“
„Das ist leicht gesagt. Sie waren ja auch nicht zwei Jahre arbeitslos und haben gesucht und gesucht und nur Absagen bekommen …“
„Beruhigen Sie sich bitte erst mal. Sie sind doch hier, um sich helfen zu lassen. Und glauben Sie mir, das hilft Ihnen weiter. Atmen Sie tief durch. Zählen Sie nicht die Misserfolge …“
Der bebrillte Glatzkopf seufzt, als würde keiner im Raum seinen Schmerz verstehen. Dann fährt er fort, sich alles von der Seele zu jammern, was wir seit Wochen von ihm kennen: Dass es im mittleren Management doch viel zu wenig Chancen auf Wiedereinstieg gäbe wegen der vielen Rationalisierungen, es ganz bestimmt nicht an ihm gelegen habe, dass er gefeuert wurde, der Chef habe ihn einfach nicht gemocht, die Politik müsse sich ändern, es gäbe doch sowieso immer weniger Arbeit und so weiter und so fort.
Der Mann ist um die vierzig und wagt es, sich zu beschweren! Hat er ein ums andere Mal diese Ohrfeige bekommen, weiß er, wie es ist, wenn auf jeder Absage „zu alt“ drauf steht? In einen Raum müsste man ihn sperren und dann von allen Seiten zusammenbrüllen: „Zu alt! Zu alt! Zu alt!“ Dann wüsste er, wie das ist. Und, gebe ich auf? Nein, ich mache weiter bis zum Letzten, wer arbeiten will, kriegt auch Arbeit, so ist das.
Ich kann sie einfach nicht ausstehen, diese Weichlinge, Ausredensucher und Schmarotzer, die sich auf meine Kosten ein schönes Leben machen und alle Zeit mit Schwafeln und Jammern und Pöbeln zubringen, während ich für mein Geld arbeite und mein Leben in die Hand nehme. Abschaum ist das, wertloser Müll. Alle Unterstützung würde ich denen streichen, wer nicht arbeiten will, soll auch nicht essen.
Ich muss mich wieder beruhigen. Gleich bin ich an der Reihe, mein Können bei dem simulierten Vorstellungsgespräch zu beweisen.

Die Sitzung war aufschlussreicher, als ich dachte. Habe ich wirklich meinen Biss verloren? Wenn ich das Gespräch noch mal durchgehe, dann fällt mir auf, dass sich in mein Auftreten tatsächlich ein bittender Unterton eingeschlichen hat. Hätte die Trainerin mich nicht darauf aufmerksam gemacht, es wäre mir völlig entgangen.
Ich darf meine Entschlossenheit nicht bröckeln lassen. Wenn das passiert, gebe ich irgendwann vielleicht wirklich nach, und dann kann ich nicht mehr in den Spiegel schauen. Morgen werde ich mich bei einem Motivationstrainer anmelden. Das bezahlen sie mir bestimmt.
Es ist nahezu unverschämt, wie mir alle Welt permanent meine Unzulänglichkeit unter die Nase reibt. "Mach doch einen Übergang in die Frührente, du weißt doch, wie es überall aussieht", sagen die Freunde. "Es gibt doch eh immer weniger Arbeit."
"Wir machen dir ganz bestimmt keinen Vorwurf", sagt die Ehefrau. Das ist wie ein Schlag ins Gesicht. Aber das Schlimmste sind diese mitleidigen Blicke. Selbst die Kinder beginnen die Achtung vor mir zu verlieren. Phillip wollte vor kurzem nicht in unseren alten Gebrauchtwagen steigen, als wir einen Familienausflug machen wollten. Er sagte, in „dieser alten Karre“ wäre es ihm peinlich, von Freunden gesehen zu werden. Glauben die denn wirklich alle, ich weiß nicht, was ich meiner Familie zumute? Nichts kann ich ihnen noch bieten. Inge wird bestimmt auch schon schief angeguckt von ihren Freundinnen, weil sie putzen gehen muss. Und was müssen die Kinder erst in der Schule durchmachen?
Nein, das Einzige, was in Frage kommt, ist die Flucht nach vorne.

Zehn Uhr. Zeit, mich schlafen zu legen. Es war ein recht anstrengender Tag, und diesmal hat Inge mich erfolgreich davon abgehalten, mich wieder vor den Computer zu setzen und weiterzusuchen. Sie hat ja Recht. Wenn ich erschöpft bin, übersehe ich vielleicht ein Angebot, das sich erst bei näherem Hinsehen als brauchbar erweist. Wenn Inge nicht wäre, wüsste ich wohl nicht einmal mehr, was ich mit mir anfangen soll, wenn ich nicht arbeite.
Aber der Abend mit der Familie war eine willkommene Abwechslung. Man muss ja auch wissen, wofür man die ganzen Mühen auf sich nimmt. Ich bin mir sicher, dass das keine verschwendete Zeit war. Ganz sicher.
Wenn ich den heutigen Tag noch einmal durchgehe, bin ich im Großen und Ganzen recht zufrieden. Ich habe keine Minute verschwendet. Ich kann als stolzer Mensch zu Bett gehen.

 

Hallo Megabjörnie!

Der Arbeitslose, der glaubt, etwas Besseres zu sein, nicht wahrhaben kann oder will, daß es ihm auch nicht anders geht als den anderen. Selbst voller Vorurteile, kann er es sich nicht so recht eingestehen – es kann nicht sein, was nicht sein darf, bei ihm ist ja alles ganz anders, und wenn nicht dieses und jenes wäre, hätte er längst wieder Arbeit. Zur Solidarität mit anderen wäre er nie bereit, die anderen sind ja schließlich alle selbst schuld.

Hat mir gut gefallen, wie Du Deinen Protagonisten charakterisierst. Ein bisschen mehr show statt tell könnte es sein, zum Beispiel könntest Du zeigen, wie die Frau ihm zuredet, da könntest Du viele Informationen unterbringen, die Du jetzt erzählst. Die Dialoge würde ich ein bisschen mehr in den Text einbauen, so freigestellt wirken sie fast wie Fremdkörper, da Du sonst nur erzählst.

Sonst noch:

»Wenn meine Frau nicht manchmal sehr bestimmt auf mich einwirkte, würde ich wohl sogar noch die Dusche und die Zahnpflege ausfallen lassen,«
– und wie gefällt Dir »einwirken würde, ließe ich wohl …«? ;)

»Ich bin das, was man gemeinhin ein „Arbeitstier“ nennt.«
– »ein« kannst Du streichen

»Die Offerten, die meinen Bildschirm füllen,«
– Offerte

»Er pöbelte mich an schmiss mir Vorwürfe an den Kopf,«
– an, schmiss

»Der Mann ist um die Vierzig und wagt es, sich zu beschweren!«
vierzig

»Zehn Uhr. Zeit, sich schlafen zu legen.«
– wäre für ein »mich« statt »sich«


Liebe Grüße,
Susi :)

 

Hi Megabjörnie,

für den Arbeitslosen wird die Suche nach Arbeit selbst zur Arbeit, sogar zur Vollbeschäftigung, die ähnlichen Stress verursacht, aber weniger
Erfolgserlebnisse.
Am Anfang bleibt sich dein Prot in dieser Sichtweise und Artikulierung treu, lügt sich dabei fast in die eigene Tasche, jedenfalls schönt er die Realität.

Glauben die denn wirklich alle, ich weiß nicht, was ich meiner Familie zumute durch meine Arbeitslosigkeit?
Diesen Satz würde ich deshalb nach "zumute" beenden, denn es ist klar, dass dein Prot keine "bezahlte" Arbeit hat und der einzige Ausbruch in die Wahrhaftigkeit deines Prots, der sonst sogar die Termini verändert. Statt von Vorladungen bei der Agentur oder Bewerbungsgesprächen ist von Meetings die Rede.
Ansonsten habe ich nichts zu meckern. Hat mir sehr gut gefallen.

Lieben Gruß, sim

 

Hi sim und Susi!

Erst mal danke für das positive Feedback. Mein Zittern legt sich, und ich bin gegen Verrisse gewappnet. ;)

Eure Anmerkungen werde ich dann bald umsetzen. Die von sim angegebene Stelle ist schon geändert. Irgendetwas hatte mich da auch gestört. :)

Ich hatte schon überlegt, ob ich ein Zitat aus dem "Manifest gegen die Arbeit" dranhängen sollte, aber die Aussage scheint auch so rüberzukommen.

Nur:
Zitat von Häferl:

Der Arbeitslose, der glaubt, etwas Besseres zu sein, nicht wahrhaben kann oder will, daß es ihm auch nicht anders geht als den anderen. Selbst voller Vorurteile, kann er es sich nicht so recht eingestehen – es kann nicht sein, was nicht sein darf, bei ihm ist ja alles ganz anders, und wenn nicht dieses und jenes wäre, hätte er längst wieder Arbeit.

Nicht ganz. Er selbst sucht die Schuld ja nicht bei den äußeren Umständen. Er hält die Jeder-ist-seines-Glückes-Schmied-Denke konsequent durch ( zumindest war das meine Intention, wenn das an einer Stelle gebrochen wird, bitte anmerken ). Das bedeutet: Er verachtet alle Arbeitslosen, die nicht so engagiert nach Arbeit suchen wie er und glaubt gleichzeitig, alle anderen würden ihn nach den gleichen Maßstäben beurteilen, egal was sie zu ihm sagen. Und weil die Erfolgserlebnisse ausbleiben, weiß er nicht mehr, wie gut er noch wegkommt.
Kommt das nicht so rüber?

Auf bald, Megabjörnie

 

So, habe das Ganze ein wenig ergänzt und verbessert. Ich hoffe, dass noch ein kleines bisschen mehr Resonanz kommt. Vorschläge und Verrisse sind mir gleichermaßen willkommen *heuchel*. ;)

 

Ah, dann sollte ich wohl in Zukunft mehrdeutiger schreiben. Okay, da kann ich bei der nächsten Story wohl mit dienen.
Und ich dachte schon, die Leute könnten nichts damit anfangen, weil sich der Prot aus ihrer Sicht so normal verhält. :D

 

Guten Abend!

Ja, nee, weiß nich; das Problem bei diesen Stories ist immer, dass sie zwar das Problem umreißen - hier recht handzahm, aber nie nie nie nen echten alternativen Vorschlag darbieten ... Klar, sicher, alles sinnentleert, aber was MACHT MAN? AY? :D

Mit sinnentleerten Grüßen!

Der Dante

 

Hi Dante!

Na ja, eine Kurzgeschichte kann nun mal nicht mehr als ein Schlaglicht auf ein Problem werfen. Wenn ich den notwendigen Weg des Prots aus seiner Hölle beschreiben wollte, müsste ich einen Roman schreiben, um es glaubwürdig zu schildern.
Denn sein Problem ist - auf der persönlichen Ebene - nicht, dass er unbedingt arbeiten muss, um leben zu können. Denn er könnte ja ( im Gegensatz zu vielen anderen ) in den Vorruhestand gehen. Er hat ein mentales Problem.
Was er machen müsste? Nun, Arbeit nicht mehr als moralische Kategorie wahrnehmen, sich nicht mehr zieren, wenn er vor Freunden und Bekannten sagen muss: "Ich arbeite nicht mehr." Sein traditionelles Rollenbild vom Familienversorger aufgeben. Den Konsumfetischismus aufgeben. Seinen Kindern beibringen, dass man auch gegen den Strom schwimmen kann. Selber gegen den Strom schwimmen. Etc. pp.
Er müsste seine ganze Lebensphilosophie, die er von Kindesbeinen an gelernt hat, in Frage stellen und vom stromlinienförmigen Leistungsgesellschafts-Konformisten zum standhaft-kantigen Gesellschaftskritiker werden. Erst von da aus kann man überhaupt erst die "Was tun?"-Frage stellen.
Manchmal muss eine Geschichte es auch dem Leser überlassen, eine Lösung für das dargestellte Problem zu finden. Das Problem des Prots ist auch, dass nicht nur sein Charakter und seine sturen Überzeugungen, sondern auch seine ganze soziale Umgebung ihn immer davon abhalten werden, eine Drehung um 180 Grad zu vollziehen. Denn grundsätzlich vertritt die Gesellschaft ja die gleiche Arbeitsmoral wie er.
Der Leser, sofern er in einer ähnlichen Situation ist, kann sich ja immer noch sagen: "Das lass ich mit mir nicht machen."

Mit schulmeisterlichen Grüßen,

Megabjörnie

 

Na ja, eine Kurzgeschichte kann nun mal nicht mehr als ein Schlaglicht auf ein Problem werfen.
Nö, wieso? Das Problem ist ja hinlänglich bekannt und muss in dieser Breite mE gar nicht mehr dargestellt werden; viel interessanter wäre es doch, wenn unser Protagonist nach wenigen Sätzen alles hinwirft und einen glaubhaften(!) Alternativplan verfolgt, den er gegen seine Umwelt durchboxt ... Aber wie sähe jener aus? DAS würde mich wirklich interessieren ... :)

 

... und so etwas wollte ich in einer anderen Geschichte darstellen, aber es war in meiner Prioritätenliste weit hinten. Ich sollte das jetzt wohl doch weiterverfolgen.

 

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