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- 20.12.2002
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Atemkontrollspiele
Leroy saß auf seiner Couch tief in einem Buch vergraben, nuckelte an einer Bierflasche, und ertrug die Beschimpfungen seiner Frau mit stoischer Ruhe.
“Du Schlappschwanz! Du Loser! Ich will dich nie wieder sehen! Nie wieder, verstehst du? Nie wieder!“
Leroy führte die Flasche ganz langsam an seine Lippen und kippte sie dann mit einer raschen Bewegung aus dem Handgelenk nach hinten. Das Bier war lauwarm, aber Leroy hatte sich daran gewöhnt. Der Kühlschrank war schon seit Wochen kaputt.
“Wann gehst du wieder arbeiten, Leroy? Du brauchst doch einen Job. Wir können so nicht leben! Scheiße, hörst du mir überhaupt zu? Leeee-rooooy!”
Leroy sah kurz hoch, hob die Augenbrauen, fragte sich, was jetzt schon wieder los war, und las dann weiter.
Das Geräusch, das jetzt aus Carlas Kehle kam, war so laut und schrill, dass Pete Montgomery, der zwei Stockwerke unter ihnen mit einem Strick um den Hals und seinem Penis in der Hand auf einem Stuhl stand, erschrak und beinahe starb.
Leroy jedoch, der gerade eine besonders tiefgründige Stelle nun zum zweiten Mal durchlas, schüttelte nur den Kopf und sah erst auf, als ein paar Sekunden später etwas vor seinen Füßen zerbrach und ihn aus seinem Gedankenstrom riss.
Carla hatte eine Kaffeetasse nach ihm geworfen.
„Ach Schatz, muss das denn sein...?“
Ja, es musste sein. Eine Frau kann auch nur so viel vertragen. Feierabendbiere, Aufbackpizzas, schlechte Männerwitze, verschimmelte Socken, verstopfte Klos, die Angst, die Miete nicht zahlen zu können, das Gefühl, dass sich das Leben woanders abspielt, und Leroy, ja vor allem Leroy. All das hatte Carla satt. Sein dämliches Grinsen, diese verträumte Gleichgültigkeit... Warum war er nicht ein wenig zielstrebiger? Konnte er nicht mal selbst die Dinge in die Hand nehmen? Verdammt, wie war sie bloß auf den reingefallen?
Plötzlich hielt Carla eine Blumenvase in der Hand. Es war ein Geschenk von Leroys Mutter gewesen, ein wahnsinnig schönes goldbraunes Ding aus Ägypten, aber das war jetzt egal. Die Vase zersprang mit einem ohrenbetäubenden Knall auf dem Fußboden wie eine Opfergabe an den Gott des Zorns.
Leroy seufzte und fuhr mit einer Hand durch sein langes ungekämmtes Haar.
„Jetzt sag doch was, Leroy, jetzt sag doch was!“
Leroy legte das Buch beiseite und zuckte mit den Achseln. „Ja, was soll ich denn sagen?“
Jetzt war Leroys Plattensammlung dran. Die Vinylscheiben flogen kreuz und quer durch den Raum, zerplatzten auf Möbeln und krachten gegen Fensterscheiben. Carla machte erst halt als ihr Kater Schnuffi, der wohl etwas abbekommen hatte, laut aufschrie.
Leroy stand sofort auf und nahm ihn in den Arm.
„Ist alles in Ordnung, mein Großer?“, fragte er mit besorgter Miene.
Schnuffi kniff die Augen zusammen und begann zu schnurren. Leroy grinste ihm zu und nahm ihn dann mit auf die Couch.
„Also, jetzt gehst du zu weit, Carla.“
Aber Carla war nicht fertig. Noch lange nicht. Schnuffis Schrei hatte ihr zwar einen kleinen Schreck versetzt, aber davon hatte sie sich längst erholt. Schnuffi ging's offensichtlich wieder gut, also dann...
„Du Arschloch!“
Leroy hielt seine Hände über Schnuffis Ohren. Das Geschrei machte ihn nervös. „Schatz, ich weiß doch gar nicht, was dein Problem ist.“
„Hier ist alles mein Problem! Wann reparierst du den Kühlschank? Wann siehst du endlich ein, dass ihr es mit eurer beschissenen Band nie zu etwas bringen werdet! Wann besorgst du dir endlich einen richtigen Job?“
Leroy atmete tief durch. Hatten sie nicht schon an die hundert Mal darüber geredet? Musste er ihr etwa nochmal erklären, dass dies seine allerletzte Chance war, und wenn die Band jetzt nicht den Durchbruch schaffte, dann nie.
„Schatz, kommt nicht was Nettes im Fernsehen?“
„Fick dich, Leroy!“
Leroy nahm unbeeindruckt sein Buch wieder in die Hand und blätterte um, worauf Carla reflexartig die Hände in die Hüften stemmte und ihre blassblauen Augen fürchterlich weit aufriss.
Leroy brauchte nicht aufzublicken, um zu wissen, wie sie ihn ansah. Er konnte es sich hinreichend gut vorstellen. Die Jogginghose, die vor ein paar Jahre noch schönere Rundungen gesehen hatte, die schwarzgefärbten Haare, die mal wieder eine neue Tönung brauchten, die vom langjährigen Rauchen röchelnde Atmung. Carla wusste es nicht, aber in dieser Pose sah sie ihrer Mutter ungemein ähnlich. Leroy begann etwas zu sagen, die Worte lagen schon auf seinen Lippen, aber dann verstummte er. Man kann doch keine 32-Jährige Frau, die ihre ersten Fältchen bekommt und ihre Mutter hasst, sagen, dass sie wie ihre Mutter aussieht...
„Du wirst genauso wie dein Vater enden!“, kreischte Carla, „ganz alleine, ohne Familie, ohne Geld, als jämmerlicher Nichtsnutz!“
Leroy blickte nicht einmal auf. Die Worte hingen zwar noch eine Weile in der Luft, aber sie blieben ohne Wirkung. Und damit war Carla geschlagen, ihre Energie plötzlich dahin. Tränenüberströmt stürmte sie in die Küche, ließ ein oder zwei Teller fallen, zündete sich eine Zigarette an, machte eine Flasche Rotwein auf, und setzte sich dann vor den Fernseher.
Und damit wäre der Abend für gewöhnlich gelaufen gewesen. Carla hätte ihren Krimi angeschaut und Leroy sein Buch weitergelesen. Dann wären sie zusammen mit Schnuffi ins Bett gesprungen und hätten sich angeschwiegen wie zwei Fremde, bis Leroy irgendwann etwas Nettes zu ihr sagte, sie in den Arm nahm, und anschließend flach legte.
Aber dies war kein gewöhnlicher Abend.
Denn noch ehe Carla sich ihren Krimi aussuchen konnte, klopfte jemand an die Tür. Leroy machte auf, und da stand Pete Montgomery, der schmächtige junge Student, der zwei Stockwerke unter ihnen wohnte, mit Tränen in den Augen und einem Joint in der Hand.
„Scheiße, was ist denn mit dir passiert?“, fragte Leroy.
Petes Augen waren angeschwollen, sein weißes T-Shirt klebte verschwitzt an seinem Oberkörper und sein Hals war knallrot, so als hätte jemand kochendheißes Wasser drüber geleert.
„Kann ich reinkommen?“, fragte Pete, in seiner Stimme ein leichter Tremor.
Leroy wusste, dass das Carla nicht gefallen würde, vor allem wenn sie das Gras roch. Aber hatte er denn eine Wahl? Er konnte Pete doch nicht einfach die Tür ins Gesicht knallen. Er kannte ihn zwar nicht wirklich, aber Pete war mal bei einem seiner Konzerte gewesen. Und es hatte ihm gefallen. Ja, das hatte Pete gesagt, er hatte ihm sogar ein paar Tage danach im Flur gefragt, wo es denn die CD gibt. Aber natürlich konnte er reinkommen...
„Komm nur rein, kann ich dir was zum Trinken anbieten?“
„Ein Glas Wasser vielleicht...“
Als Leroy in die Küche lief, sah er, wie Carla vom Sofa aufstand und Pete wie einen Einbrecher musterte.
„Hallo Carla“, hörte er Pete sagen.
„Hallo“, sagte sie mit einem Unterton, den Pete kaum aufnahm, Leroy aber sagte, dass er heute Nacht im Schlaf besser aufpassen sollte.
Pete nahm ein Zug von seinem Joint. „Also es tut mir Leid wegen der Störung, aber...“
„Hier ist dein Wasser!“, sagte Leroy, als er mit einem gezwungenen Lächeln aus der Küche zurückkam. „Setz dich.“
Pete nahm das Wasser an, setzte sich aber nicht hin, sondern ließ seinen Blick ganz langsam durch die Wohnung schweifen. Ganz langsam...
„Ihr habt euch ziemlich heftig gestritten“, sagte Pete.
Es war keine Frage, und auch kein ironischer Versuch, die Stimmung aufzuheitern, sondern einfache eine Feststellung.
„Ja, das haben wir“, sagte Carla.
Ein Augenblick verstrich, in dem niemand was sagte, und dann setzte sich Pete auf die Couch.
Leroy zögerte.
„Wollt ihr euch nicht setzten?“, fragte Pete.
Carla und Leroy sahen sich an.
„Ja, klar...“, sagte Leroy und zog einen Stuhl heran, worauf Carla sich mit ausdrucksloser Miene neben Pete auf die Couch setzte.
„Also“, sagte Pete, „ich wollte euch nicht stören, aber kennt ihr euch mit Atemkontrollspielen aus, ihr wisst schon, so SM-mäßig?“
Leroy traute seine Ohren kaum.
„Also gut“, sagte Carla, und sie klatschte in die Hände, als wäre das Gespräch damit beendet, „es ist schon spät, ich denke...“
„Lass mich bitte ausreden“, sagte Pete. „Bitte, lasst mich ausreden.“
Carla seufzte.
„Es ist so, mir hat ein Kumpel erzählt, dass wenn man beim Runterholen die Luft anhält, beziehungsweise, wenn man sich selbst würgt, dass man dann viel intensiver kommt. Und na ja, heut ist Montag, mir war’s langweilig, und da habe ich mir gedacht, fuck it, ich probier’s mal aus. Also habe ich mir einen Strick gebastelt und mich auf einen Stuhl vor meinen Laptop gestellt, und dann, na ja, ihr wisst schon... Und es lief ganz gut, bis du dann irgendwann so laut geschrieen hast, Carla. Da bin ich erschrocken, und im nächsten Augenblick war der Stuhl weg, und ich hing dann in der Luft und hab gezappelt wie ein Fisch. Dreißig Sekunden lang kämpfte ich um mein Leben, und dann löste sich auf einmal der Knoten an der Decke, einfach so, ohne besonderen Grund, und ich fiel zu Boden. Und nur deswegen sitze ich hier und rede mit euch, ansonsten wäre ich schon tot. Krass, oder?“
Leroy holte tief Luft. „In der Tat... das ist eine heftige Geschichte, aber...“
„... das erklärt nicht, was du hier eigentlich machst“, ergänzte Carla. „Es tut mir Leid, dass ich dich so in Gefahr gebracht habe, aber bei allem Respekt, du bist selbst Schuld, wenn du solche Sachen machst.“
„Ja natürlich“, sagte Pete. „Um Gottes Willen, ich erwarte doch keine Entschuldigung von euch, darum geht’s hier nicht.“
„Worum geht’s dann?“, fragte Carla.
„Es geht darum, dass ich fast gestorben wäre. Ich war richtig knapp davor. Ich hatte mich schon aufgegeben.“
„Sollen wir einen Arzt rufen?“, fragte Leroy.
Pete lächelte und schüttelte seinen Kopf. „Wisst ihr, was ich gedacht habe, als ich da oben hing?“
„Nein.“
Pete zog tief Zug an seinen Joint wie ein wahrer Jah-Krieger, um seine Worte Nachdruck zu verleihen.
„Ich hab mir gedacht, scheiße, wie wird das wohl aussehen, wenn man mich nackt auffindet, und auf meinem Laptop laufen Pornos? Was werden alle von mir denken, wenn sie rausfinden, auf welch dämliche Art und Weise ich gestorben bin?“
Carla runzelte die Stirn. Sie kapierte es offensichtlich nicht.
Pete atmete langsam den Rauch aus. „Ja, ist das nicht dämlich? Anstatt mich zu fragen, wie ich mich losbinden kann, oder mich darüber aufzuregen, dass ich schon mit 21 den Löffel abgeben muss, galten meine letzten Gedanken, was die anderen denken.“
Leroy und Carla schwiegen.
Pete lächelte wieder. Checkten die etwa nicht, was er wollte? Er wäre fast gestorben, verdammt, das hier war kein normaler Anlass. Und der eine war doch Musiker, oder nicht? So Spießig konnte er nicht sein. Oder stimmte es etwa doch, dass man ab dreißig verloren war?
Pete hielt das Pärchen den Joint mit einem beleidigten Gesichtsausdruck hin, der eine Verneinung fast unmöglich machte, es sei denn, man wollte für alle Ewigkeit jeglichen Anspruch auf Coolness verlieren.
„Wollt ihr etwa nicht mitrauchen?“, fragte er.
„Nein, Danke“, sagte Carla.
Leroy zuckte mit den Achseln. „Ich nehm' ein Zug.“
„Super!“, sagte Pete und reichte ihm die Joint. „Rauch den fertig, ich mach uns gleich einen neuen. Wie läufts eigentlich mit der Band?“
Pete zog seine Utensilien aus der Hosentasche und fing sofort an auf seinem Schoß zu bauen.
„Also ihr beiden“, sagte Carla, „ich wünsch euch noch viel Spaß.“
Pete legte sofort eine Hand auf ihren Oberschenkel. „Was? Du kannst doch noch nicht gehen, Carla, wir fangen erst an.“
„Ja, das sehe ich.“
„Wann musst du morgen arbeiten? Du bist doch Krankenschwester, oder nicht?“
„Sie hat morgen Spätdienst“, warf Leroy ein.
„Ja, super! Dann brauchst du nicht aufstehen. Komm schon, Carla, chillt noch ein wenig mit uns, würde mich echt freuen.“
Carla sah Leroy an, und sie spürte wie die Wut erneut ihr aufstieg. Diesen selbstgefälligen Blick setzte er immer dann auf, wenn er meinte, ihr in Sachen Ruhe und Ausgeglichenheit überlegen zu sein. Leroy, der obercoole Musiker, der „Lebenskünstler“, der alles auf die leichte Schulter nahm. „Du bist so stressig!“, sagte er immer zu ihr. Dabei war sie doch einfach nur die Vernünftige. Irgend jemand musste ja gelegentlich mal die Verantwortung übernehmen, wenn er es schon nie tat! Wie würde es denn sonst hier aussehen? Gott, sie würden schon längst auf der Straße stehen...
„Und?“, hakte Pete nach.
Also was Leroy konnte, konnte sie schon längst. Als hätte sie nie an einen Joint gezogen. Ha! Denen würde sie es zeigen.
„Klar bleibe ich, komm Leroy, gibt den Joint her.“
Leroy hob überrascht die Brauen, reichte ihr aber den Joint.
„Super!“, sagte Pete mit einem Grinsen. „Sag mal, wie läuft’s mit der Band?“
„Scheiße“, sagte Carla, als sie den Rauch ausblies.
„Echt? Eure letzte Show war doch supercool, Leroy.“
„Das sagt sie nur, weil sie schlecht drauf ist. Es läuft ganz gut, wir haben einen neuen Agenten, und... na ja... mal sehen...“
„Cool,“ sagte Pete, der den nächsten Joint gerade fertig drehte. „Supercool, habt ihr Feuer?“
Carla gab ihm ihr Feuerzeug.
„Danke schön!“
Pete machte den Joint an, und reichte ihn gleich weiter an Carla, die heftig daran zog, und ihn an Leroy weitergab.
„Und wie läufst bei dir, Carla?“, fragte Pete.
„Ach du... Arbeitsalltag, na? So wie es eben ist...“
„Ja, verstehe, verstehe... und wie läuft’s bei euch beiden im Bett so?“
In diesem Augenblick begann Leroy, der gerade am Ziehen war, zu husten, worauf Carla ihren Kopf zurückwarf und loslachte, als hätte sie nie etwas Witzigeres gesehen.
Leroy klopfte sich auf die Brust. „Naja, eigentlich läufts schon gut, nur manchmal ist eben so, dass...“
„Leroy!“, kreischte Pete mit einem gigantischen Grinsen. „Das, war doch nur ein Scherz, Mann! Ich wollte doch keine Details!“
„Ach so...“ sagte Leroy mit einem verlegenen Lächeln, und plötzlich konnte er sich nicht mehr halten, das Gekicher seiner Frau hatte ihn irgendwie aus der Bahn geworfen. Er begann zu lachen, und dann stimmte ihm Pete bei, und schon bald lagen sie zu dritt fast auf dem Boden, wanden sich vor Lachen und überließen sich dem Rausch.
Eine Minute später kehrte dann eine Ruhe ein, die unnatürlich wirkte. Es war ganz still in der Wohnung.
„Wann haben wir das letzte Mal so gelacht, Leroy?“, fragte Carla ihren Mann.
Er dachte kurz nach. „Ich glaube es ist ziemlich lang her.“
Pete hatte etwas sagen wollen, aber auf einmal fühlte er sich fehl am Platz. Die Stimmung war gekippt, so als hätte der Lachanfall das ganze gute Karma in einem Zug aufgebraucht. Zum Glück sprang ein fetter grauer Kater in eben diesem Moment auf seinen Schoß. Pete sah nach unten und begann ihn zu streicheln.
„Vielleicht sollten wir es lassen?“, sagte Leroy.
„Meinst du?“
Leroy zuckte mit den Achseln. „Du kannst mich nicht ausstehen.“
Carla zuckte ebenfalls mit den Achseln. „Es ist eben sehr schwierig in letzter Zeit.“
„Du kannst mich also nicht ausstehen?“
„So habe ich das nicht gesagt.“
„Doch, gerade eben, das hast du.“
„Na gut, Leroy, dann kann ich dich halt nicht ausstehen.“
„Warum machen wir das dann?“
„Na, ich hab gehofft, dass es wieder wird.“
Leroy ließ seinen Blick mit Absicht durch die Wohnung schweifen, wo überall Scherben und kaputte Platten herumlagen. „Vielleicht ist schon alles kaputt.“
„Kann sein, du liebst mich ja auch nicht mehr.“
„Woher willst du das wissen?“
„Ich weiß es, Leroy, ich weiß es.“
„Von Liebe verstehst du doch sowieso nichts.“
„Aber du!“
„Ja, aber ich.“
„Weil du darüber singst, und diese kleinen Schlampen dich für einen sinnlichen Romantiker halten, oder wie? Ich lach mich tot!“
Leroy schüttelte seinen Kopf, sichtlich genervt, und Carla reichte ihm den Joint.
„Danke“, sagte er und zog daran.
„Bitte schön.“
„So hat es ja wirklich keinen Sinn, Carla, so hat es keinen Sinn.“
„Dann trennen wir uns.“
„Ich meine auch.“
„Gut.“
„Gut.“
„Du kannst haben was du willst, Carla.“
„Ach ja?“
„Ja.“
„Auch das Hochzeitsgeschenk von deinen Eltern, das Silberbesteck?“
„Ja, auch das.“
„Aber?“
„Aber ich bekomm Schnuffi.“
Carla atmete tief durch und sah dann nach rechts, wo Schnuffi wie ein kleiner Buddha zusammengerollt auf Petes Schoß saß. Pete! Gott, der saß ja immer noch dort...
„Meinetwegen“, sagte sie. Und dann fügte sie noch hinzu: „Ich wollte ja einen Hund.“
Pete schüttelte bestürzt den Kopf. Für ihn war die Sache damit erledigt.
„Dass du so über Schnuffi reden kannst.“
„Es tut mir Leid“, sagte sie und plötzlich hatte sie Tränen in den Augen. Sie hatte keine Ahnung warum.
Leroy biss sich auf die Zunge. Auch er hatte Tränen in den Augen. „Ja, mit tut’s auch Leid“, sagte er im Aufstehen. „Mir tut’s auch Leid...“
Pete legte Schnuffi beiseite und stand auf. „Also ... ähmmm.“
Leroy gab ihm seine Hand. „Danke, dass du vorbeigekommen bist, Pete.“
„Ja, klar... gern geschehen.“ Pete grinste verlegen. „Euch beiden dann alles Gute, na?“
„Dir auch Pete.“
„Alles klar ... tschüss.“
Pete machte die Tür hinter sich zu und dann sahen sich Carla und Leroy in die Augen. Ein Augenblick verstrich, in dem beide nach den richtigen Worten suchten. Sie fanden sie nicht. Carla verschwand dann im Bad. Als sie zurückkehrte, lag Leroy mit Schnuffi auf der Couch und schlief.
Carla war kein bisschen überrascht, als sie Leroys große warme Hände mitten in der Nacht plötzlich zwischen ihren Schenkeln spürte. Das war so typisch für ihn. Er kam nicht an, und sagte: Schatz, wir sollten vielleicht nochmal darüber reden – und sie war sich sicher, dass er das früher oder später wollen würde – nein, er legte sich einfach nackt neben sie ins Bett mit einem Ständer und begann sie zu begrapschen wie ein Stück Fleisch. Was war denn bloß los mit ihm? Wofür hatte er denn überhaupt einen Mund? Beim Sex setzte er den auch nicht richtig ein – wenn überhaupt.
Konnte er doch gleich eine Gummipuppe holen!
Aber Carla war jetzt zu müde, um ihn abzuwehren, denn dann hätte er tatsächlich zu reden angefangen, allerdings über die ganz falschen Sachen, und das wäre wirklich anstrengend gewesen, viel zu anstrengend. Carla ließ ihn machen, und schon bald lag er auf ihr und drang in sie ein. Sie kannte seinen Körper in- und auswendig. Aber komischerweise musste sie sich eingestehen, dass sie sich wohl fühlte. Er war wie ein altes Fahrrad, mit dem man schon tausend Mal gefahren ist. Sie wusste genau, wie man mit der Gangschaltung rumspielen musste, um in die richtigen Gänge zu kommen, sie konnte sich helfen, falls die Kette abfiel, und sie verstand es auch, die alten abgenutzten Bremsen optimal einzusetzen.
Der Sex schaukelte sich dahin, Carlas Beine klammerten sich um Leroys Rücken, und dann, ganz plötzlich, hatte er eine Hand um ihren Hals gelegt. Seine langen Finger drückten ganz zart zu, sein heißer Atem brannte auf ihr Gesicht, und Carla musste unverzüglich an Pete denken. Der Gedanke turnte sie an. Sie stöhnte auf.
„Drück zu“, sagte sie.
Leroy gehorchte.
„Fester“, kreischte Carla. „Fester!“
Leroy drückte fester zu, und es gefiel Carla, es gefiel ihr wirklich. Ihre Augen waren zu, ihr Becken bewegte sich auf und ab. Sie wollte Leroy bitten, beide Hände zu benutzen, aber dann merkte sie, dass er das bereits tat.
Sie versuchte wieder aufzustöhnen, aber sie brachte keine Laute mehr hervor, ihre Luftröhre war zu. Sie ließ Leroy weitere fünf Sekunden fortfahren, und dann war der Atemantrieb plötzlich da. Carla brauchte wieder Luft. Sie nahm ihre Hand, und zerrte an Leroys Arm.
Er ließ nicht ab.
Carla machte die Augen auf, und sah plötzlich in das Antlitz eines Mannes, den sie überhaupt nicht kannte. War das Leroy? Ihr Leroy? Eine furchterregende, vor Wut zerfurchte Grimasse starrte auf sie herab. Die Augen waren hart und kalt wie Steine, der Mund weit aufgesperrt wie eine Schlangenmaul.
Carla hatte nicht viel Zeit Panik zu schieben. Ein oder zwei Mal schlug sie wie wild gegen die Fratze, aber dann verließen sie schon ihre Kräfte, und sie war weg.
Als Leroy wieder zu sich kam, lag seine Frau tot neben ihm in Bett. Im Gegensatz zu ihr hatte er viel Zeit für Panik. Er rannte wie wild durch die Wohnung, trat zwei Mal in Scherben, fluchte laut vor sich hin, zerkaute sich sämtliche Fingernägel, und stürmte dann mit Schnuffi unter dem Arm aus der Tür. Er wusste nicht wohin, und so stieg er in sein Auto und fuhr einfach los. Als ihm dämmerte, dass er jetzt ein Flüchtling war, hatte er bereits die deutsche Grenze passiert.