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Attentat auf den Schwarm
Vergeltung eines Jahres!
Auf dem Arnim Platz, einem kleinen Park mitten in einer Wohnsiedlung, versteckte Gary Brock sich in einem Gebüsch. Er beobachtete die Seelowerstraße an der Süd-Ost-Ecke des Parks. Sein Herz klopfte wie wild und trotz der Kälte schwitzte er leicht. Die Außentemperatur betrug im Moment um die 16°C, fiel aber stetig, denn der Tag neigte sich dem Ende zu. Die Straßenlaternen waren schon seit einiger Zeit eingeschaltet, obwohl die Dunkelheit sich erst langsam über den Park legte.
Gary hockte hinter einer ein Meter großen Strauchreihe, die entlang des Ostzaunes stand. Er hatte gute Sicht auf die Ecke von der Seelowerstraße und der Paul-Robesonstraße, welche am Park die Ostseite entlang lief. Er hatte einen Plan, den er ständig durch seinen Kopf laufen ließ. Immer wieder, bis er sich sicher war, dass er an jede Kleinigkeit gedacht hatte. Jedes Mal, wenn er dies tat, fühlte er sowohl die Demut, die Angst, die Wut, aber auch die Erregung. Alles zusammen verursachte in ihm eine gewaltige Gefühlsladung, die er heute, nach einem Jahr, entladen wollte. Ein Jahr lang hatte er alles in sich aufgestaut, völlig auf sich allein gestellt und nun war der Zeitpunkt gekommen, wo er Rache nehmen würde. Die Person, der er das alles zu verdanken hatte, sollte dafür büßen, sollte dasselbe durchmachen wie er.
Gary war ein großer Teenager im Alter von 15 Jahren. Er hatte normalerweise hellbraunes Haar, doch das war zurzeit schwarz gefärbt. Im Gegensatz zu einigen anderen war er gut gebaut. Kräftig, jedoch nicht muskelbepackt, und dünn, wobei er allerdings keiner Bohnenstange glich. In der Schule war er vom Benehmen bisher unauffällig gewesen und sorgte nur durch seine guten Leistungen für Aufmerksamkeit. Er war einer der guten, vornehmen Schüler, zumindest in der Gegenwart von Erwachsenen. Seine richtigen Freunde kannten ihn jedoch auch anders. Er hatte sich zwar bis zu diesem Tage noch nie geprügelt und war im Grunde gegen Gewalt, aber es gab auch Momente, in denen er dessen nicht abgeneigt war. Und an diesem unheilvollen Tag würde er all seine Zurückhaltung und all sein gutes Benehmen für kurze Zeit völlig außer Acht lassen.
Er hatte es auf Christopher Reimer abgesehen, den ,,Sunnyboy“ aus seiner Nebenklasse. Dieser war dunkelblond, sehr dünn, aber trotzdem sportlich. Im Ausdauerlauf war er kaum zu schlagen, was wahrscheinlich an seinem jahrelangen Training im Fußball lag. Christopher war generell sehr beliebt und bei manchen sogar angesehen und auf der anderen Seite gab es welche, die ihn durchschauten und verabscheuten. Er war wie viele Jungs in seinem Alter, eingebildet und von sich selbst überzeugt, in den schulischen Leistungen allerdings mittelmäßig bis schlecht. Über andere macht er sich gerne lustig, drückt sich aber vor allem, was ihm peinlich werden könnte. Für seine Zukunft hat er mit Sicherheit nicht den kleinsten Plan und macht sich auch nicht sonderlich Gedanken darüber.
An diesem Tag soll er für alle seine Taten bezahlen. Für alles, was er Gary jemals angetan hatte.
Alles begann vor einem Jahr, als Gary und Chris in der 9. Klasse waren. Gary hatte bis zu diesem einen verheißungsvollen Tag nicht einmal eine Notiz von Christopher genommen, obwohl sie zusammen den Sportunterricht verbringen mussten. An diesem einem September Tag stand erneut Ausdauerlauf auf dem Programm und Gary, der sonst in fast allen sportlichen Anforderungen der Beste war, wusste von Anfang an, dass er dabei mehr oder weniger versagen würde, denn Ausdauerlauf lag mehr als nur nicht in seinem Blut. So kam es, dass Christopher wie immer weitaus vorne lag und gewann. Natürlich war Gary eifersüchtig, doch dieses mal war es anders. Irgendwie war er besonders gekränkt. Gary fiel das nicht sofort auf, erst als er in der folgenden Nacht einen weitreichenden Traum von Christopher hatte, der ihn zugleich verwirrte als auch schockte. Da merkte er zum ersten Mal, dass er für Christopher etwas besonderes empfand. Ungläubig versuchte er diesen Traum immer und immer wieder zu analysieren und zu überdenken, kam letztendlich aber zu dem selben Schluss wie beim ersten Mal: Er schien etwas von Christopher zu wollen. Spätestens als er ihn an diesem Morgen sah, wurde ihm das bewusst, denn er bekam eine gewaltige Gefühlsladung bei seinem Anblick. Blitze schossen dabei durch seinen Körper und ließen das Antlitz von Chris noch leuchtender erscheinen.
So fing alles an. Da er den Namen des guten Ausdauerläufers bis dahin noch nicht kannte, erkundigte er sich unauffällig danach und fand ihn heraus. So ging es weiter. Innerhalb eines viertel Jahres kannte er seinen vollständigen Namen und wusste, wann er Geburtstag hatte. Jede Hofpause und bei jedem Treffen auf dem Gang und bei jeder Sportstunde konnte er seine Augen nicht von ihm lassen. Es erfüllte ihn sowohl mit Freude, ihn zu sehen, aber auch mit Trauer und Verlangen. Ein halbes Jahr später fand er zusätzlich noch seine Adresse heraus. Alles entweder durch Zufall oder durch Spionagearbeit. Innerhalb dieses Dreivierteljahres hatte er Christopher so lange beobachtet, dass er seine meisten Gewohnheiten kannte.
Abends nach der Schule, an Wochenenden oder gar in den Ferien saß Gary oft allein da und musste seine Gefühle ertragen, denn sie quälten ihn, mehr und mehr. Jedes mal, wenn er etwas Neues herausgefunden hatte, verschlimmerte sich seine Situation und er fühlte sich niederträchtiger denn je. Er hatte sogar eine Menge von Andeutungen gemacht und ihm Hinweise zukommen lassen, damit er ihn endlich verstand, doch Chris wusste immer noch nichts. Er schien sich nicht im Geringsten für seine Hinweise zu interessieren, obwohl er nichts von Garys Gefühlen wusste. Selbst wenn Gary kein Junge, sondern weiblichen Geschlechts wäre, wüsste Chris nichts von ihm, denn er machte sich wahrscheinlich nicht einmal die Mühe über die Andeutungen nachzudenken. Generell war Chris in Sachen Liebe und Einfühlungsvermögen eine totale Niete. Er hatte mit seiner Freundin per SMS Schluss gemacht und ihr so gut wie nichts erklärt. Es war typisch für jemanden wie ihn.
Für das alles, für Garys einsame Stunden, für seine Qualen, für seine Probleme und für seine Gefühle sollte Christopher heute seinen Kopf hinhalten und Gary hatte vor, ihn bereitwillig entgegenzunehmen.
Christopher wohnte in der Seelowerstrasse direkt neben dem Park. Gary konnte den Eingang von seinem Versteck zwar nicht sehen, weil er um die Ecke lag, jedoch wusste er, dass Chris irgendwo vorbei musste, wo er ihn sehen konnte. Christopher war zu dieser Zeit immer beim Fußballtraining, das wusste Gary, und in nächster Zeit würde er nach Hause kommen. Gary würde so lange warten und sich ihm dann annehmen. Er hatte absichtlich diesen Zeitpunkt ausgesucht, weil es bereits dunkel sein würde, wenn Chris zurück kommt. Bis dahin blieb ihm nur das Warten übrig.
Seine Wut hatte sich sogar noch gesteigert, als er über das letzte Jahr nachgedacht hatte. Sein T-Shirt war mittlerweile schweißgetränkt, aber sein Herz klopfte nun nicht mehr wie wild. Das Warten hatte ihn vorerst beruhigt, doch das würde sich schlagartig ändern, wenn Chris vorbeikommt. Er freute sich auf die Vergeltung und würde sich nicht entgehen lassen, alle Kleinigkeiten seines Vorhabens zu genießen.
Es konnte nun nicht mehr lange dauern. Er prüfte nochmals alle Gerätschaften, die er für seine Tat benötigte. Die Chloroformflasche hatte er geöffnet in seiner Hand. Die Handschuhe waren längst angezogen und bei der Kälte war er auch froh, dass er sie brauchte. Das Stück Stoff, in dem er das Chloroform hineinschütten musste, sobald er Christopher sah, bewarte er in der anderen Hand auf. Soweit er den Betäubungsvorgang in seinem Kopf durchging, hatte er dafür alles bereit. Als nächstes würde er seine elektrischen Geräte brauchen, dessen Batterien er früh genug aufgeladen und diesen Zustand mehrmals überprüft hatte. Einen kleinen Vorrat mit Verbandszeug hatte er vorsichtshalber ebenfalls in seinen Taschen verstaut, denn er wollte Chris ja körperlich nicht verletzen. Immerhin liebte er ihn. Das einzige, was er wollte, war ihn zu demütigen und zum Nachdenken anzuregen. Sein Vorhaben würde für Chris grausam genug sein, dachte Gary sich.
Bei den Vorbereitungen war er sehr konzentriert und gründlich gewesen. Schon seit Wochen hegte er diesen Plan, so dass er genug Zeit hatte, alle Kleinigkeiten zu erkennen. Viele Bücher und Filme hatte er studiert, so dass nichts schief gehen konnte.
An das Chloroform war er ziemlich leicht rangekommen. Als seine Schule ein zweiwöchiges Praktikum angeboten hatte, war er bei einer Tierärztin gewesen, weil er sich mit Tieren gut verstand und sie sehr zu schätzen wusste. Oft hatten ihm die Tiere auch die nötige Beruhigung und Ablenkung gegeben, so dass er nicht schon früher ausgeflippt war, doch nun hielt er es nicht mehr aus.
In der Praxis standen die Medikamente alle auf den Schränken und es war ein richtiges Chaos, durch das nur die Ärztin blickte. Zu Garys Glück stand dort noch eine Flasche mit dem Chloroform, welches früher zur Betäubung der Tiere benutzt wurde, nun aber durch bessere Mittel ersetzt wurde. Da es nicht mehr gebraucht wurde, konnte er es ohne großes Aufsehen zu erwecken einstecken. Die Handschuhe hatte er in einem Internetshop ersteigert, so dass niemand die Spur zu ihm zurückverfolgen konnte und das Stück Stoff hatte er aus dem Arzneischrank seiner Eltern entnommen. Es war von einer Mullbinde, von der er etwas abgeschnitten und mehrmals zusammengefaltet hatte.
Wie so oft stellte er fest, dass er wirklich alles durchdacht hatte. Jetzt musste nur noch Chris auftauchen. Die Sonne war mittlerweile hinter den Dächern verschwunden und über den Park legte sich ein kaltes, dunkles Tuch, dass die Tat schon förmlich ankündigte. Die Dunkelheit gefiel Gary. Genau so hatte er es geplant und er hoffte, dass der Rest gleichermaßen planmäßig ablaufen würde.
Jetzt hörte er etwas. Schritte näherten sich ihm. Zum ersten Mal, seit er in dem Busch hockte, kam jemand an ihm vorbei. Die Schritte kamen aus dem Park und wurden immerzu lauter und deutlicher. Es waren zwei Personen. Gary hatte sich umgedreht, um zu sehen, wer dort kam. Es hätte Chris sein können, jedoch nahm Gary an, dass er von der rechten Seite der Seelower- oder von der Paul-Robesonstraße kommen würde.
Jetzt erkannte er eine Frau mit einem Kind. Das Kind zog am Arm der Mutter und schien etwas zu wollen. Die Mutter verweigerte dem Kind aber offensichtlich, was auch immer es wollte. Sie gingen an Garys Versteck vorbei, ohne auch nur in seine Richtung gesehen zu haben. Es schien zu dunkel zu sein, als dass man ihn dort erkennen konnte, wenn man nicht genauer hinsah. Trotzdem pochte Garys Herz wieder schneller, denn die Gefahr, dass er entdeckt wurde, hatte dennoch bestanden und es wäre unangenehm, sein seltsames Verhalten zu erklären. Zumal man die Flasche in seiner Hand bemerken würde, wenn er aus der Dunkelheit treten müsste und das konnte er auf keinen Fall erklären. Zu seinem Glück waren in der Gegend relativ wenig Leute unterwegs. Ein großes Problem hätte er, wenn in dem Moment, wo Chris kommt, noch eine Person in der Nähe sein würde. Wenn das geschah, müsste er das Attentat verschieben, doch das wollte er auf keinen Fall.
Wenn Chris an der Südseite des Parks vorbeikommt, dann würde Gary warten, bis er an ihm vorbei war und sich dann lautlos an seine Fersen heften, sollte er allerdings die Paul-Robesonstraße hoch laufen, was Gary besser gefallen würde, dann konnte Gary sich an der Ecke verstecken, wenn Chris in die Seelowerstraßen eingebogen war.
Wieder hörte er jemanden. Diesmal kam jemand die Seelowerstraße, an der Südseite des Parks, entlanggelaufen. Es war ein Junge, ungefähr die Größe von Chris. War er es? Gary war aufgeregt. Er fühlte sich fast so, als wenn er in eine Achterbahn stieg. Alles war in Alarmbereitschaft. Jetzt war der Zeitpunkt gekommen, auf den er schon so lange gewartet hatte. Der Junge war jetzt beinahe bei Gary angelangt. Es schien Christopher zu sein. Die nahegelegene Straßenlaterne war allerdings kaputt und es war zu dunkel, um ihn zu identifizieren. Gary musste warten, bis er in den Lichtschein der nächsten Laterne, die auf der anderen Seite der Kreuzung stand, trat. Er war mit Gary jetzt gleichauf, ging weiter bis zur Ecke und bog dann überraschenderweise in die Paul-Robesonstraße ein. Also war er es doch nicht! Bei der nächsten Laterne etwas weiter die Straße hoch erkannte Gary dann auch, dass er braune Haare hatte und völlig anders gekleidet war. Es hieß nun wieder warten.
Bei der Aufregung hatte Gary die andere Straßenseite völlig außer Acht gelassen. Als er sich nun wieder seiner Aufgabe widmete und die Umgebung beobachtete, merkte er, dass ein weiterer Junge die Seelowerstraße in seine Richtung lief, doch dieser war auf der gegenüberliegenden Seite. Er war schon auf gleicher Höhe mit Gary. War er es diesmal? Dort drüben funktionierten die Laternen und als dieser Typ in das Licht der nächsten lief, traf Gary der Schock, denn es war Christopher. Es waren seine Sachen, die Jeans, die Jacke, die Sporttasche, die Haare und die Frisur. Es bestand kein Zweifel. Jetzt musste Gary schnell, aber weiterhin überlegt, handeln.
Chris überquerte die Kreuzung auf der anderen Seite. Das erschien Gary gelegen, denn so kam er theoretisch aus der Richtung, die ihm lieber war. Gary ging langsam rückwärts aus dem Busch. Halt! Er musste erst den Stoff mit Chloroform beschütten. Das hätte er um ein Haar vergessen. Ohne das Chloroform brauchte er Chris den Stoff überhaupt nicht unter die Nase zu halten und in den nächsten Minuten oder Sekunden würde er mit anderen Dingen beschäftigt sein und hatte keine Zeit, das Chloroform zu benutzen.
Chris war auf der anderen Seite. Gary stülpte kurz die Flasche über den Stoff, machte die Flasche schnell mit dem Deckel zu, den er ebenfalls in der Hand gehalten hatte und verstaute die Flasche in seiner Jackentasche. Chris bog im Augenblick nichts ahnend links ab und lief über die Seelowerstraße. Gary ging hastig nach hinten, aus dem Gebüsch heraus, blieb aber geduckt, damit Chris ihn nicht sah. Er ging zum Ende des Weges, der aus dem Park hinausführte und blieb beim Zaun stehen, dort wartete er darauf, dass Chris die Kreuzung überquert hatte und ihm den Rücken zudrehend zu seiner Tür ging, die nur zwanzig Meter von der Ecke entfernt war. Als es soweit war, kam Gary, mit dem Stoff in der Hand, aus dem Park heraus und beeilte sich, über die Straße, gegenüber von seinem Versteck, zu kommen und sich an der Ecke erneut zu verstecken. Dabei versuchte er leise zu sein, achtete darauf, dass Chris sich nicht umdrehte und dass niemand anderes im Umkreis zu sehen war.
An seinem neuen Versteck schaute er mit einem Auge um die Ecke. Chris war kurz vor seiner Tür. Unbekümmert stellte er sich dann in den halben Meter tiefen Eingang und schloss sorglos die Tür auf. Das war Garys Zeitpunkt. Chris konnte ihn nicht sehen, da sein Blick von der Hauswand abgeschirmt war. Gary musste jetzt zu der Tür rennen, bevor Chris darin verschwunden war. Mit rasendem Herzen, zitternden Knien und angespannt wie nie zuvor, stürzte Gary um die Ecke. So schnell wie er konnte lief er zu dem Eingang. Dann musste alles blitzschnell ablaufen. Chris hatte gerade die Tür aufgeschlossen, wobei er die große Tasche abgestellt hatte, da kam Gary von hinten an und schlang seinen Arm mit dem Stoff in der Hand um ihn. Er drückte seine Handfläche fest auf Christophers Mund. Es ging alles so schnell, dass Chris nicht die geringste Chance hatte, zu kapieren, was mit ihm geschah. Er wehrte sich kurz, stieß Gary den Ellbogen in den Magen, aber Gary ließ nicht locker. Er klammerte sich fest an ihn und nach wenigen Sekunden gab Chris nach und fiel bewusstlos nach vorne in die geöffnete Tür.
Bis jetzt hatte alles funktioniert, wie geplant. Gary legte Chris sachte auf dem Boden ab, stieg über ihn und zog ihn in den Korridor. Die Tasche griff er sich, nachdem Chris im Hauseingang verschwunden war, und sah dabei nochmals flüchtig auf die Straße und in die Fenster, ob ihn jemand gesehen hatte. Er sah zum Glück niemanden.
Jetzt musste Gary seinen Plan vollenden. Das Chloroform würde Chris für zirka 10 Minuten außer Gefecht setzen. Diese Zeit hatte er gut ausgefüllt, also musste er sofort beginnen. Außerdem bestand die Gefahr, dass jemand aus dem Haus auftauchen würde.
Da lag er nun auf dem Boden. Seine größte Begierde. Trotz des Zwangsschlafes sah er noch so gut aus. Gary setzte den leblosen Körper in eine aufrechte Position und lehnte ihn gegen die Wand. Der Flur war nicht sehr breit und ziemlich dunkel. Er drückte auf den Lichtschalter neben der Tür, wo er auch die Tasche deponiert hatte. Der Flur erleuchtete und er sah Chris jetzt noch deutlicher. Er wurde geradezu verleitet zu träumen, als er Chris so vor sich sah, doch das durfte er im Augenblick nicht.
Er holte sein technisches Gerät, den elektrischen Rasierer, aus seiner Tasche. Er würde Chris etwas verunstalten, denn Chris war ziemlich eitel und so war das die wirksamste Art, ihn etwas zu quälen. Die Haare waren Chris außerdem besonders wichtig, vermutete Gary, nach dem, was er beobachtet hatte.
Gary schaltete den Apparat ein und sofort erklang das ratternde Geräusch in dem Gang, hohl von den Wänden wiederhallend. Seine linke Hand fuhr er hinter Chris’ Kopf und hielt ihn somit etwas von der Wand weg. Dann begann Gary zu rasieren. Von vorne fuhr er mit dem Gerät über Chris Kopf. Erst eine Linie an den Ohren vorbei, dann über die Schädeldecke, bis er wieder am Ohr vorbeikam, diesmal auf der anderen Seite. Das Haar fiel Chris auf die Schultern oder flog sanft zu Boden. Kurz darauf war Chris Kopf vollkommen kahl. Es wird ihn sicherlich gewaltig schocken, wenn er aufwacht und das bemerkt, dachte sich Gary.
Gary nahm sich ein paar Haare und steckte diese in eine kleine Tüte, die er in der Hosentasche getragen hatte. Als nächstes zog er ihm die Jacke, den Pullover und das T-Shirt aus. Der flache, glatte, jungenhafte Oberkörper kam nun zum Vorschein. Gary betrachtete ihn ausgiebig, wurde sich seinem Plan jedoch wieder bewusst und holte einen Stift ebenfalls aus seiner Hosentasche. Damit wollte er eine Nachricht auf seinem Körper hinterlassen. Mit einem schwarzen Edding schrieb er: ,, Lass mich in Ruhe!“
Es machte auf den ersten Blick vielleicht nicht viel Sinn, aber es würde die Aufmerksamkeit von Gary ablenken, denn Chris hatte ihm öffentlich noch nie etwas getan, also würde man ihn nicht verdächtigen. Gleichzeitig überbrachte er allerdings seine Nachricht, dass Chris ihn in Ruhe lassen sollte, auch wenn er nicht viel mehr für Garys Zuneigung konnte als dieser selber.
Die Schrift war gut zu lesen. Gary wischte mit seiner Hand über den flachen, zarten Bauch, entweder um zu überprüfen, ob sich die Schrift leicht abmachen ließ, oder einfach nur um seinen Drang zu befriedigen. Er wusste es selber nicht genau. Für ihn blieb alles, was Chris betraf, ein Rätsel. Jedenfalls ließ sich die Farbe weder wegmachen, noch verwischen.
Der nächste Schritt würde die Photokamera beinhalten, die Gary in der Innentasche seiner Jacke verstaut hatte. Er holte diese heraus, schaltete sie ein und schoss Fotos von Chris. Erst eins von vorne, dann von oben und eins von der Seite. Zuletzt noch eins von vorne. Er wollte diesen Augenblick festhalten. Außerdem brauchte er für sich selber Beweise, dass er das wirklich getan hatte. Es klang für ihn selber merkwürdig, aber irgendetwas drängte ihn dazu.
Jetzt sah er flüchtig auf seine Uhr und stellte fest, dass er schon ziemlich lange mit ihm dort war. In ungefähr zwei Minuten würde Chris langsam zu sich kommen und dann musste er verschwunden sein. Zum Glück war bisher noch niemand im Flur aufgetaucht, so dass sie ungestört waren, aber das musste nicht zwingend so bleiben, deswegen entschloss Gary sich zurückzuziehen.
Er packte alle seine Sachen ein und überprüfte die Umgebung, damit er auch nichts vergaß. Als er dann aber so dastand, bereit zu gehen, fiel sein Blick erneut auf Chris, wie er dort seinem Schicksal überlassen liegen würde und ohne dass Gary vielleicht je wieder eine derartige Chance bekam, da konnte er einfach nicht gehen. Etwas fehlte ihm noch. Etwas zu seiner eigenen, vollständigen Befriedigung. Er wusste, was er von sich noch verlangte. Er versuchte dem zu widerstehen, doch sein Drang danach war zu stark. Er musste es tun, doch dabei blieb ihm nicht viel Zeit.
Er kniete sich ein letztes Mal vor dem leblosen Körper hin, streckte eine Hand nach vorn und langte nach seinem Hosenschlitz. Dann nahm er die zweite Hand hinzu und öffnete ihn lustvoll. Zuerst hinderte ihn ein Knopf zu seinem Ziel zu gelangen, als nächstes der kurze Reißverschluss. Darunter wurde eine bunte Seidenboxershorts offenbart, die locker auf dem darunter vorhandenen Gegenstand der Begierde lag. Das Herz pochte in ihm, als würde er seinem Schicksal persönlich gegenüberstehen. Die Hände zitterten unter den wärmenden Handschuhen, und der Schweiß lief ihm die Stirn hinab. Ein starkes Gefühl des Verlangens durchströmte ihn und er konnte es nicht länger zurückhalten. Er griff mit zwei Fingern in die Öffnung der Shorts und zog sie mit einem Mal nach unten. Vor seinen Augen wurde ein glanzvolles, kleines, schlaffes Glied entblößt, dass sorglos auf dem leicht behaarten Sack lag. Er befestigte die Unterhose unter dem Sack, um sich eine frei Hand zu verschaffen. Er musste ihn einfach berühren, das beste Stück seines heiß geliebten Jungen. Er griff zu, doch spürte er durch die Handschuhe nur wenig. Aus diesem Grund entledigte er sich von seinem rechten Handschuh, mit der Absicht, alles das, was er berührte, später wieder abzuwischen. Als er nun mit seiner warmen Hand nach dem Stück griff, fühlte er ihn ausgiebig, das weiche, längliche Teil, was dem so großartigen Christopher Reimer gehörte, ohne das dieser ihm eine Erlaubnis für das erteilt hatte. Wenn er das Christopher erzählte, würde er ihm nie im Leben glauben, deshalb entschloss er, noch ein Foto davon zu schießen, auch wenn er eigentlich nicht vorhatte, ihm davon jemals zu berichten.
Er kramte seinen Fotoapparat aus der Tasche, schaltete ihn erneut ein und das Blitzlicht erhellte den Flur als er fotografierte, da regte sich Chris auf einmal. Sein Mundwinkel hatte kurz gezuckt. Gary hatte es nur aus dem Augenwinkel gesehen, doch es war tatsächlich passiert. Jetzt legte sich die Stirn kurz in Falten, lockerte sich jedoch sofort wieder.
Gary musste sich beeilen. Er nahm seinen ausgezogenen Handschuh, fegte damit flüchtig, aber fest aufdrückend über Chris’ Schwanz, dort, wo er ihn berührt hatte und stand dann schleunigst auf. Er sah erneut prüfend auf den Boden des Flurs, schien aber nichts vergessen zu haben, wie er vorher schon bemerkt hatte. Also konnte er gehen. Gary sträubte sich allerdings zu gehen, da er das Gefühl hatte etwas vergessen zu haben. Plötzlich hörte er eine Tür aufgehen. Er vermutete jemanden im ersten Stock. Die Tür fiel wieder ins Schloss und jemand machte sich auf den Weg nach unten. Sofort raus hier!, dachte er sich nur noch und sprang zu Tür, die er heftig aufriss und in die Außenwelt stürzte. Er hörte die Tür innen gegen die Wand schlagen, da rannte er aber schon nach links zur Hauptstraße in die entgegengesetzte Richtung, als von wo er gekommen war. Hoffentlich sieht mich keiner, dachte er dabei. Mit einer Hand fummelte er über seinem Kopf an der Kopfbedeckung seiner Jacke rum, um sie schützend über seinen Kopf zu ziehen. Nachdem ihm das gelungen war, konzentrierte er sich wieder darauf, so schnell wie möglich vom Tatort wegzukommen. An der Hauptstraße angelangt, bog er nach rechts ein, in Richtung seines Zuhauses, dass allerdings noch mehrere Kilometer entfernt war. Er musste zu seinem Fahrrad gelangen, dass er in der Nähe versteckt hatte. Zuerst wollte er jedoch von dieser Straßenseite runter, also wartete er beim Weitegehen darauf, dass die Straße leer wurde und lief dann im Laufschritt zum Mittelteil.
Er spürte die Blicke förmlich in seinem Rücken, die ihn verurteilten und verraten würden. Die, die ihn gesehen hatten und wussten, was er getan hatte. Bestimmt war bereits jemand hinter ihm her, doch er durfte sich nicht umdrehen, denn sonst würde er nur verdacht schöpfen, denn eigentlich wusste er genau, dass ihn keiner gesehen haben dürfte. Und wenn doch, wer würde vermuten, das er etwas derartiges vollbracht hatte. Sein Verstand widersprach sich auf dieser kurzen Strecke eindeutig mit seinem Gewissen, doch die Tat war begangen und er konnte sie nicht rückgängig machen.
Als er schließlich die andere Straßenseite erreicht, fühlte er sich endlich frei. Er befand sich seiner Meinung nach in Sicherheit, wenngleich er dort genauso entdeckt werden konnte. Er fühlte es einfach.
Die Straße weiter runter laufend, dachte er über das eben Geschehene nach. Was würde Chris jetzt denken? Und vor allem: wie fühlte er sich? Ging es ihm schlecht, war er entsetzt, traurig, wütend oder sogar ängstlich. Gary hatte bei diesem Gedanken irgendwie ein schlechtes Gewissen. Er wollte Chris einerseits nichts tun und fühlte sich selber schlecht, wenn es ihm schlecht ging oder zumindest er dachte, dass es ihm nicht gut ging. Andererseits empfand er sein Attentat als berechtigt und befreiend. Er hatte auf einer Weise von Chris das bekommen, was er gewollt hatte. Nähe und Verbundenheit. Jetzt waren sie verbunden, aber wie: sie beide verband diese Tat.
Gary hatte sein Fahrrad erreicht, dass an einem Zaun gekettet war. Er schloss es ab und fuhr geschwind nach Hause, ohne das er verfolgte wurde. Dort angekommen, nahm er zuerst ein heißes Bad und gab sich seiner Befriedigung hin. Als er sich seinen Schlafanzug angezogen hatte, versteckte er seine Beweise an einem Versteck, wo nie jemand suchen würde. Seine Handschuhe hatte er schon auf dem Weg nach Hause in eine Mülltonne geworfen, zusammen mit dem Chloroform und dem Tuch, dass er in der Jackentasche aufgehoben hatte.
Seine Mutter hatte ihn gleich gefragt, wo er denn gewesen sei und natürlich log er sie an. Dabei fragte er sich, wie oft er diesen Abend noch verleugnen würde oder dafür lügen musste. Er erzählte ihr jedenfalls, bei einer Freundin gewesen zu sein und dort Hausaufgaben gemacht zu haben. Da sie ihm vertraute, fragte sie nicht weiter nach. Als nächstes musste er seine Sachen im Zimmer verteilen, denn die meisten davon waren von oben bis unten hin mit Schweiß durchnässt und mussten erst mal trocknen. Er hatte überhaupt nicht mitbekommen, dass er dermaßen viel geschwitzt hatte. Aber dafür hatte er jetzt immerhin sein Ziel erreicht. Die Rache war erfolgreich verlaufen.