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Auf dem Wege nach Hause
Er ging die Straße entlang, blickte mit seiner verärgerten Miene hin und wieder auf die Straße,
wenn ein Auto vorbei rauschte, und trat sich im Geiste selber in den Arsch. Und das tat er fest.
"Du bist doch ein Depp!", flüsterte er leise, aber voller Wut vor sich hin.
Die Erkenntnis kam nun leider zu spät, wie so oft im Leben. Und deshalb musste er jetzt
einen viel längeren Weg, als sonst, nach Hause zurück legen.
All das hatte mit einer einfachen Busfahrt begonnen.
Daniel saß müde im Bus, glotzte aus dem Fenster und schmied sich Pläne für den
restlichen Tag. Dann, als der Bus ungefähr fünfzig Meter vor seiner Bushaltestelle war, hatte
er seine Schultasche genommen und sich auf den Schoß gestellt. Er rutschte vom Fensterplatz
zum Gang und verharrte dort einige Augenblicke, wärend dessen er die anderen Menschen im
Bus beäugelte. Eine ältere Dame saß vor ihm und zwei junge Mädchen auf der anderen Seite
des Ganges. Somit war der hintere Teil des Busses fast leer. Vorne saßen ein paar Erwachsene,
die desinteressiert und verträumt auf die Welt hinaus starrten.
Zügig stand er auf, schmiss sich die Tasche um die Schultern und trabte durch den Gang in
richtung Tür. Unterwegs drückte er lässig den "Stop-Knopf" und ging weiter, bis er vor der Türe
zum Stehen kam. Möglichst unauffällig stand er da und blickte durch das Glas der Türe auf die
vielen Menschen, die wie Blinde aneinander vorbei liefen und ihrem Weg folgten.
Kurz darauf fuhr durch Daniel's Verstand ein beunruhigendes Gefühl, der ihm sagte, dass etwas
nicht stimmte. Und es stimmte etwas wirklich nicht. Der Busfahrer bremste nicht ab, sondern fuhr
einfach mir gleichbleibender Geschwindigkeit fort. Nur noch wenige Meter lagen zwischen Bus und
Haltestelle. Daniel konnte fühlen was gleich passieren würde und die Anspannung in seinem
Körper wurde spürbar größer. "Verflucht, was soll ich jetzt tun?", fragte er sich in Gedanken. Eine
starke, überzeugt klingende Stimme, seine Vernunft trat in den Vordergrund. "Sag dem Busfahrer,
dass du hier raus musst, schrei wenn es sein muss. Oder willst du den ewig langen Weg gehen?"
Nein, das wollte er sicher nicht, doch er konnte nichts sagen, denn eine andere Stimme war
aufgetaucht und stritt sich mit der Vernunft, um die Hauptrolle auf der Bühne. Es war die Scham,
die nun durch seinen Kopf brüllte und mit allen Mitteln versuchte die Vernunft zu übertönen. Sie war
der Meinung, dass er einfach den Mund halten sollte, da er sich sonst lächerlich machen würde.
Mittlerweile war der Bus schon an der Bushaltestelle angekommen und fuhr einfach weiter, ohne
Daniel's Wunsch, das er hier aussteigen wollte, zu beachten. Die Nervosität machte sich in seinem
Verhalten breit und Schweiß lief ihm über die Haut. Er entschloss sich nicht zu handeln, denn die
Vernunft wurde vom Bühnenrand geschubst und die Scham stand nun mit erhobener Brust da und
protzte damit, dass Daniel ihr mehr Vertrauen als seiner Vernunft schenkte.
Sein Blick klebte an der Haltestelle, die bereits zu weit hinten lag, als das er noch hätte handeln
können, und er merkte, wie die Blicke der Frau und der Mädchen an ihm klebten und ihn pieksten.
Wie kleine, spitze Nadeln bohrten sie sich in seine Haut und es kam ihm so vor, als würden ihn die
stummen Stiche laut auslachen.
An der nächsten, unglaublich weit entfernten Haltestelle stieg er dann aus, wandte sich nach rechts
und machte sich auf den Weg. Viele verwirrende Gedanken und Gefühle huschten über die Bühne, die
nun nicht mehr von seiner Scham dominiert wurde. Die Scham, die doch so stolz auf sich gewesen war,
dass sie ihn davor bewahrt hatte sich lächerlich zu machen, war nun gar nicht mehr auszumachen. Doch,
da war sie, mit grübelndem Ausdruck im Gesicht. Der ganze Hochmut hatte sie anscheinend verlassen.
Dann, nach einer Weile kam sie wieder zu Wort, aber nur widerwillig. Sie sprach leise, flüsterte schon
fast.
"Man, der Weg ist wirklich verdammt lang. Vielleicht ... hättest du doch ... was sagen sollen."