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Auf der Flucht
Gerade noch auf meinem nächtlichen Rundgang kann ich sie jetzt in meinem Nacken spüren. Ich renne. Laufe um mein Leben. Ich höre das Bellen, das gierige Winseln. Meine Beine bewegen sich von allein. Ich fliege über den Boden. Steine, Äste, Baumstümpfe. Der Weg wird enger. Äste schlagen mir ins Gesicht. Ich renne weiter, immer weiter. Nur nicht stehen bleiben. Der Vollmond dringt hektisch durch die Blätter. Weiß und kalt. Eine Weggabelung. Ich steuere auf die Brücke zu. Drehe im letzten Moment ab. Nehme den Weg. Sand, Steine. Das laufen fällt mir schwer. Sie sind ganz nah. Sie riechen meine Angst. Ich kann mich nicht verstecken. Nur laufen, fliehen.
Was ist das? In der Dunkelheit. Ein helles Glänzen. Wasser! Nein! Der Weg ist zu Ende! Springen? Umkehren? Schaffe ich den Sprung? Kann ich ihn schaffen?
Ich schließe die Augen. Ich sehe Bilder. Mein Leben in Bildern. Die Weite, die Freiheit, das Licht. Meine Familie. Ich sehe mich laufen. Ruhig, entspannt. Über eine Wiese, Blumen, Klee. Meine Kinder. Spielen um meine Beine. So friedlich, so frei. Rollen über die Wiese wie ein einziges, großes Knäuel. Ich schaue ihnen zu. Ihre Mutter steht neben ihnen. Neben mir. Wir schauen gemeinsam. Glücklich und stolz.
Ich öffne die Augen. Dunkelheit. Nur das Licht des Mondes. Der kalte Glanz im Wasser. Der Fluss, so nah. Ich renne schneller. Ich springe.
Eisige Kälte, erdrückende Nässe. Ich paddle. Das Jaulen, die Stimmen: „Er ist gesprungen!” Wasser, Kälte, Ungewissheit. Ich paddle weiter. Bewege mich vorwärts. Stück für Stück. Wellen spritzen Wasser in meine Augen. Ich sehe nichts. Schwäche! Sie klettert in meinen Beinen nach oben. Nur nicht aufgeben. Sie erobert meinen Körper. Dann, das Ufer. Angst weicht Verwirrung. Geschafft? Ich ziehe mich an Land. Mit letzter Kraft krieche ich in die nahen Sträucher. Erschöpfung. Ich höre sie entfernt, bevor die Müdigkeit gewinnt. Bevor ich sie gewinnen lasse: „Er ist weg! Der Wolf ist weg!”