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Auf der Suche nach dem Glück

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19.03.2003
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Auf der Suche nach dem Glück

Ich bin ein Mädchen. Eins, das mit seinen Eltern in einer verschissenen Straße unserer Stadt lebt. Sagen jedenfalls meine Mitschüler immer, wenn sie in den Pausen hinter mir herjagen, weil ich meinen verschossenen Rock schon eine Woche trage. Wir bewohnen eine zweieinhalb Zimmerwohnung in einem Haus mit grau verputzter Fassade. Unsere Wohnung liegt im dritten Stock. Das ist die Etage, in der es im Treppenhaus nach Kohl und Kümmel riecht. Zwanzig Treppenstufen tiefer stinkt es nach Knoblauch und Zwiebeln. Oder, nach den eingeschlafenen Füßen der Kanaken, denen man die Schuhe im Laufen besohlen kann, sagt Vater.
„Sie sind stinkendfaul, verschlafen den Tag“, sagt meine Mutter, wenn wir abends im Park auf eine Gruppe von Ausländern treffen. Männer, die seltsam lachen und auf einem Teppich sitzen. Meine Mutter zieht mich, wenn ich stehen bleiben will, am Arm. Spät abends und bis tief in die Nacht geistern Stimmen durch das Haus. Die Gespenster kommen von unten, kriechen durch den Warmluftschacht. Selbst wenn ich dessen Lamellen schließe, verstummt ihr Wispern nicht. Es klingt, als seien sie auf der Suche. Vater sagt, es sind unsere Nachbarn, die Kanaken, die ihre Musik mit ohrenbetäubender Lautstärke laufen lassen. Dann und wann klopfen meine Eltern gegen die Wand und der Nachbar hämmert ebenso dagegen. Ich schlafe spät ein. Höre noch die Klospülung und schließlich das Bett meiner Eltern ächzen. Ich will nicht zuhören. Doch ich presse mein Ohr gegen die Wand. Sie grunzen, denke ich und nachdem die Klospülung noch einmal gerauscht hat, wird es endlich still. Ich stehe auf, schleiche mich in das Zimmer meiner Eltern. Vorsichtig lege ich mich zu ihnen. Nicht lange. Nur ein bisschen. Sie sollen es nicht bemerken.
Weil ich morgens oft müde bin, gehe ich nicht gern zur Schule. Aber wenn ich dort bin, gefällt sie mir doch. Nur die Pausen könnte man ausfallen lassen. Am schlimmsten sind die Regenpausen. Wir müssen dann im Klassenzimmer bleiben. Ich habe keine Chance, mich zu verdrücken. Versuche trotzdem unsichtbar zu werden. Aber die Kinder spüren mich auf, springen über Tisch und Bänke, nehmen mein Pausenbrot, halten es mit spitzen Fingern in die Höhe. Alle sehen den Dosenfisch zwischen den Klappstullen.
„Renate Fischgranate!“ dröhnen sie in allen Oktaven.
Sie sind meine alltägliche Hölle. Kleine Pfeile spuckend lärmen sie weiter. Treffen immer wieder mich. Ihre Spitzen haben Widerhaken. Ich bleibe also mit zu Boden gesenktem Blick stehen, gepackt von Entsetzen bei der Vorstellung, die Widerhaken würden mich blutig reißen.
Ich habe Mutter gebeten, mir lieber Wurstbrote zu machen. Lange habe ich mit mir gerungen, sie deswegen zu fragen. Und als sie mir verspricht, Leberwurst aufzustreichen, bin ich selig. Doch sie hat es vergessen.
Eine Woche lang habe ich mein Pausenbrot fortgeworfen. Bis die Lehrerin es mir untersagt hat.
Meine Eltern arbeiten viel. Während mein Vater auf der Baustelle malocht, säubert meine Mutter Arztpraxen, Schulen, und die Umziehräume einer Fischfabrik. Vater sagt, damit ich es besser habe. Sie sparen auf ein Häuschen im Grünen.
In unserer gemeinsamen Zeit am Abend bei Tisch schweigen wir uns unter dem Schein einer Hängeleuchte an. Mutter kocht unser Essen am Sonntag vor. Ich rühre mit meiner Gabel Muster in den aufgewärmten Kartoffelbrei. Sehe fleischige Raupen. Vielleicht schmecken sie besser, wenn sie rot sind, denke ich, als ich das Fleisch in den Mund schiebe. Aber Ketchup gibt es nicht bei uns. So kaue ich mit langen Zähnen und versuche die Gummiraupen in einem Stück herunter zu würgen. Ich achte darauf, nicht mit dem Besteck über das Porzellan zu kratzen. Auch wenn ich es gerne täte. Ich mag es, wenn Töne hoch und runter tanzen. In dem Moment wo das Kratzen aufjault und stirbt, flimmern die Härchen meiner Arme, stellen sich vor Wonne auf. Gerne hätte ich Flöte gelernt, aber Vater und Mutter sind müde. Die Feierabendruhe ist heilig.
Ich darf nur reden, wenn ich gefragt werde. Meine Antworten habe ich mir schon zurecht gelegt. Abends. Im Bett. Dann stelle ich mir vor, was meine Eltern mich fragen werden. Ich erzähle, dass ich fast zur Klassensprecherin gewählt worden bin. Nur eine Stimme fehlte!
Leider bleibt das, was ich erzählen möchte oft ungesagt. Was soll ich denn antworten, wenn Mutter anordnet:
„Nach der Schule musst du einkaufen“, Sie schreibt mir keinen Einkaufszettel. Sie weiß ich werde nachsehen, was im Kühlschrank fehlt. Einmal habe ich nur das Licht darin gesehen. Das Weiß hat mir in die Augen gestochen. Ich habe blinzeln müssen, auch wegen der Tränen, die plötzlich herausschwemmen wollten, als hätte ich den Wasserhahn überdreht. Trotzdem habe ich nur bunte Flecken erkennen können. Farbige Kleckse aus dem Tuschkasten. Sie verliefen, wurden immer größer, kamen auf mich zu, sprangen in mein Gesicht, vermengten sich zu einer Schwärze. Ich habe vor Angst gezittert, bin einen Schritt zurückgetreten, habe befürchtet das Schwarz würde ebenso schmerzen, wie das Weiß.
„Alles klar, ich kümmere mich, was ich einholen soll!“, antworte ich schnell. Freue mich, ihr zu gefallen. Mein Vater tätschelt mir die Wange und erinnert mich daran, aus dem Vorratskeller die Kohlen herauf zu holen. Ich mache es gerne, nicke ihm zu. Mein Vater ist stolz auf meinen Eifer. Zur Belohnung streicht er mir übers Haar. Ich mag den Druck seiner Hand.
Wir haben ein paar Bücher. Sie sind magisch. Verführen mich. Ganz tief in mir wächst etwas heran, wenn ich lese. Es prickelt. Hokospokus? Die Geschichten erzählen nicht nur, sie berühren mich. Ich bekomme Fieber, wenn Hanni krank wird oder rudere mit den fünf Freunden auf eine Insel. Das Buch, ist wie eine Befreiung meiner Sinne. Als die fünf Freunde im Sommer barfuss durch einen Regenschauer laufen und in Pfützen springen, kitzeln meine Fußsohlen mal heiß, mal kalt. Mutter hätte mir nie erlaubt es ihnen gleich zu tun, denke ich. Könnte ich doch krank werden! Und doch wünsche ich es mir. Die Geschichten erlauben es, werden wirklich, aber auch wahr? Wo beginnt die Fantasie?, will ich wissen, als ich das kühle Nass zwischen den Zehen spüre, frage meine Mutter, ob die Erlebnisse wahr sind. Sie starrt mich hilflos an, scheint überrascht zu sein, stottert, ich möge den Vater fragen, der kenne sich besser in diesen Dingen aus.
Ich verstehe nicht, warum Mutter mir nichts erlaubt. Ich sehe, ihren Mund, die Lippen dünn. Verkniffen. Was ist denn so falsch daran? Meine Zehen kneifen, krallen sich am Fußboden fest. Es tut weh. Aber ich kann nicht damit aufhören. Früher habe ich an meinen Nägeln gekaut. Da hat Mutter mir eine stinkende Paste auf die Hände geschmiert. Es hat bitter geschmeckt. Seitdem kralle ich mit den Zehen heimlich unterm Tisch.
In den Ferien lungere ich zu Hause herum bis meine Eltern wiederkommen. Mutter meint, ich sei alt genug, alleine zu Hause zu bleiben. In der Wohnung ist es still. Man hört die Wanduhr ticken. Manchmal halte ich das Pendel an. Nur um zu fühlen, dass ich noch bin. Ich halte die Luft an. Die Zeit baut sich vor mir auf. Ein Ungeheuer, grün mit glänzenden Zähnen, verschlingt mich. Schnell stoße ich das Pendel wieder an. Erst sirrt die Luft, als es schwingt, dann tickt die Uhr. Ich atme auf. Laufe wie ein Löwe im Käfig umher. Denn ich langweile mich. Spiele trotzdem nicht mit den Kindern in unserer Straße. Auch wenn es mich juckt, sie zu fragen, als ich sehe, wie sie geschmeidig um den Ball tänzeln.
„Sie sind laut und unverschämt“, sagt Mutter, wenn sie uns im Treppenhaus nicht grüßen.
Ich höre Gelächter, sehe sie den Fußball gegen Wände kicken. Die Kinder laufen Rollschuhe auf der Straße. Ich drücke meine Nase an der Fensterscheibe platt, erinnere mich an den autofreien Sonntag, als ich abseits der kreischenden Schar gestanden habe. Ein Mädchen mit blauschwarzen Haaren unter dem Kopftuch hat mir die Rollschuhe angeschnallt. Es hat mich ermutigt, es auch zu versuchen, weil es himmlisch sei. Doch ich habe alles falsch gemacht. Ich bin über den Gullideckel gerollt und hingefallen. Es hat hässlich in geknirscht, als mein rechter Unterarm gebrochen ist. Als ich am Abend den Tisch eindecken sollte, ist mir der Teller aus der Hand gefallen. Ich bin wie versteinert gewesen, als meine Mutter mir deswegen eine schallende Ohrfeige verpasst hat. Dann hat sie die Schwellung gesehen. Ist mit mir zum Arzt gefahren. Ihre Vorhaltungen sind durch den ganzen Bus zu hören gewesen. Ich habe mich entsetzlich geschämt, als ich gesagt habe, Nurray habe mich gedrängt.
Ich mag Nurray. Sie ist die einzige in meiner Klasse, die mich nicht ärgert. Ihre Mutter arbeitet am Fließband in der Fischfabrik. Auch Nurray wird geärgert. Nicht, weil sie nach Fisch stinkt, wie ich. Sie riecht nach Knoblauch.
Als mein Vater seine Arbeit verliert, muss ich nicht mehr die Kohlen aus dem Keller holen. Dafür laufe ich drei Mal täglich zum Konsum, um jeweils einen Sechser Pack zu holen.
Vater trinkt sein Bier unten im Park. Zusammen mit den anderen arbeitslosen Männern vertrinkt er die Stütze. Mein Vater wettert unaufhörlich gegen die Türken, die ihn so schändlich um seine Arbeit betrogen haben.
Mutter jammert ihm vor, sich bei Herrn Özdemir, dem Polier, zu entschuldigen. Dann würde man ihn auch wieder einstellen.
Diese Möglichkeit ängstigt mich. Ich bin glücklich, wenn Vater tagsüber da ist. Ich höre ihm zu, finde er hat Recht, seinem Ärger über die Ungerechtigkeit im Leben, Luft zu machen. Denke an meine Bücher, die Staub angesetzt haben, an meine Mitschüler, an Nurray und Mutter, die sich abrackert und doch nichts hat. Manchmal darf ich ein Bier mittrinken. Es schmeckt bitter. Nach Wahrheit, denke ich. Wenn ich es ausgetrunken habe, finde ich, mein Leben ist schöner geworden.

 

Hallo Goldene Dame,

mal abgesehen davon, dass ich die Geschichte nicht für challengetauglich erachte, fand ich sie nicht schlecht. Zu Anfang störten mich die kurzen, wenig prägnanten Sätze und die Erzählweise. Doch etwa ab der Hälfte hatte ich mich mit dem langsamen Erzähltempo angefreundet und den eigenen Stil erkannt, der die Trostlosigkeit ohne Perspektiven schön vermittelt. Insbesondere den Schluss finde ich sehr gelungen.

Dennoch fehlt mir ein bisschen der Handlungsstrang. Du nennst einige Anekdoten, beschreibst ein bisschen und zeigst vieles auf. Aber daraus entsteht vor meinen Augen keine flüssige Geschichte, auch wenn mir die einzelnen Komponente gefallen. Ein zusammenhängender Verlauf der Ereignisse wäre wünschenswert gewesen - so ist das ganze eher eine (zu) nüchterne Alltagsschilderung. Zu kurz und leider auch zu oberflächlich, um wirklich zu erzählen. Daher blieb bei mir eine gewisse Distanz zum Text, ich konnte mich nicht in die Protagonistin einfühlen. Vielleicht war das beabsichtigt, aber die nüchternen Beschreibungen aus der Ich-Perspektive scheinen mir zu überlegt und rational für eine Betroffene. Insbesondere, da nicht aus dem Abstand von einigen Jahren die damalige Situation aufgearbeitet wird.

Die Challengevorgaben sind meines Erachtens schlecht bis gar nicht umgesetzt worden - gerade die Suche war für mich nur im Titel erkennbar. Ich hab mich sogar gefragt, ob du in der richtigen Rubrik gepostet hast.

Und dennoch hab ih es nicht bereut, diesen nachdenklichen Text gelesen zu haben.

schönen Gruß,

Anea

 

Hallo Goldene Dame!

Ich schliesse miche der Meinung Aneas an. Die Sinne sind leider nur kurz und oberflächlich eingeflochten worden, die Suche ist im Titel, nur nicht in der Geschichte zu finden. Du könntest die "Suche nach dem Glück" immer wieder auftauchen und den Erzähler eine bessere Situation wünschen lassen.
Trotz alledem hat mir die Geschichte gut gefallen, mit etwas mehr Handlung (zu einem erkennbaren Ziel), wäre es eine schöne Alltag-KG.

Gruß

 

Hallo Anea,
Mit allen Sinnen kann auch heißen, abgestumpft seine Welt wahrzunehmen. Auch wenn ich das Thema vielleicht dadurch in deinen Augen verfehlt habe, bestand für mich die Herausforderung das Nichtfühlen der Protagonistin zu beschreiben.
Ich freue mich, dass du meinen Text trotzdem gerne gelesen hast. Deine Kritik habe ich zum Anlass genommen, inhaltlich auf die Gefühlswelt der Protagonistin in einer Einleitung einzugehen.
LG
Goldene Dame

 

Auf der Suche ...

Hi Goldene Dame,

ohne Zweifel eine gut geschriebene Geschichte, aus dem Leben eines armen (in jeder Hinsicht) Kindes.

Da fragt man sich, wie solche Kinder, je aus ihrem Elend herauskommen sollen.
Da muß schon viel Kraft und Lebenswille vorhanden sein.
Doch deine Prot scheint diesen Willen nicht zu haben, wenn sie schon keine Lust hat in die Schule zu gehen.
Traurig, wenn man darüber nachdenkt. :(

Ich höre ihr Gelächter im Treppenhaus, wenn sie den Fußball gegen die Wände kicken. Manchmal juckt es mich, ihnen hinterher zurufen, ob ich mitspielen dürfe. Aber dann erinnere ich mich an den autofreien Sonntag. Fühle meinen Bauch, wie es zwickt.
Hierbei verstehe ich den Zusammenhang der ersten beiden Sätzen zu den letzten nicht. :hmm:
So gut wie ich deine KG auch finde, so sehe ich doch (keinen?), kaum die Challengevorgabe erfüllt.

Du sagst:

Mit allen Sinnen kann auch heißen, abgestumpft seine Welt wahrzunehmen. Auch wenn ich das Thema vielleicht dadurch in deinen Augen verfehlt habe, bestand für mich die Herausforderung das Nichtfühlen der Protagonistin zu beschreiben.

Aber das Thema heißt doch. "Mit allen Sinnen."

Wenn du Nichtfühlen beschreiben möchtest, was du ja nicht tust, du führst nur auf, könntest du vielleicht beschreiben, was sie fühlen würde, oder gerne fühlen möchte. Diese Gabe ihr aber verloren ging.
Somit könnte die Intention deiner Geschichte, die Suche nach Gefühlen sein.
Du weißt sicher was ich meine ;)

liebe Grüße, coleratio

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Coleratio,

Aber das Thema heißt doch. "Mit allen Sinnen."
Wenn du Nichtfühlen beschreiben möchtest, was du ja nicht tust, du führst nur auf, könntest du vielleicht beschreiben, was sie fühlen würde, oder gerne fühlen möchte. Diese Gabe ihr aber verloren ging.
ich weiß nicht welcher Geist mich treibt die Heausforderung misszuverstehen ;) Ich habe auf alle Fälle im Info Thread nachgefragt Ist wohl mein Gefieder, dass sich sträubt. Wenn ich mich geirrt habe, werde ich diese Geschichte einfach verschieben lassen.
Hallo Blackwood,
Vielen Dank für deine Meinung. Ich finde es sehr interessant, dass du diese Geschichte für überzogen hälst. Du sagst, du guckst lieber betreten weg. Das finde ich schade, denn dieses Schauspiel findet alltäglich statt. Vielleicht nicht dort, wo du lebst...

Dafür, dass Du aus den Augen des Kindes schreibst, ist sie mir zu wertend.
HM
Ich dachte:
Aus den Augen des Kindes zu schreiben ist immer wertend. Kinder besitzen so etwas wie Impulsivität, dass ihr Gefühl für Unrecht sprechen lässt. Wenn du einem Kind Unrecht tust, erkennst du es schon an seiner Mimik. Schau mal hin, wenn es die Ohrfeige erhalten hat. Sie verstellen sich nicht.
Ein kleines Mädchen würde sagen: -> Ich will kein kleines Mädchen mehr sein.
Offen gesagt bin ich auch ein bisschen verwirrt. Weil ich so entsetzlich daneben zu liegen scheine... Oder? Dieses Mädchen hat seine Kindheit abgestreift. Es will nicht. Es ist. Zu mindest empfindet es so.. aus seiner Sicht, hat es seine Kindheit schon lange verloren. Kinder die zu früh erwachsen werden. Kennst du das nicht?
(Statt: Diese Möglichkeit ängstigt mich -> Ich will nicht, dass er sich entschuldigt. Ich bin glücklich … . Dann habe ich nicht mehr das Gefühl, etwas suchen zu müssen
Aber gerade das Kind kann doch in seinem Gefühlserleben nicht schon wie ein Erwachsener reflektieren! Du sagst es doch selbst:
obwohl in einer Welt des Nicht-Fühlen-Dürfens zeitverzögert (deshalb die Anregung zur Erinnerung) die abgestumpfte Wahrnehmung resultieren kann. Mit anderen Worten: Du kannst mit der Beschreibung von schönen Sinnen ihre Welt noch etwas trostloser machen.

Die Anregung, ihre Erinnerungen sprechen zu lassen empfinde ich als falsch, weil die Reflektion der Gefühle nicht die kindgerechte Perspektive ist, aus der ich schreiben wollte. Aber warum nicht ausprobieren?

LG
Goldene Dame

 

So ich hatte im Info Thread noch einmal nach der Herausforderung Mit allen Sinnen, wie sie zu verstehen ist nachgefragt. Die Antwort ist jene.
Ich meinte sie auch so vertanden zu haben. Andere sahen aber in meiner Geschichte die Sinne nicht bedient. Ich habe eine zweite Version gepostet und bitte um Eure Meinung.
Goldene Dame

 

Tag Goldene Dame

Ohne jetzt alles vorhergesagte zu wiederholen, muss ich nochmal bestätigen, dass auch mir dein Text gut gefallen hat. Wie Anea bereits sagte, fängst du mittels deiner Sprache wunderbar die Trostlosigkeit und Tristess im Leben dieses Mädchens ein.

Auch bin ich der Meinung, dass man "mit allen Sinnen" auch nichts fühlen kann. Gute Ansätze sehe ich bereits in dem Text, doch fehlt ihnen noch eine gewisse Anschaulichkeit, das "show" aus "show, don't tell".


lassen sie ihre Musik mit ohrenbetäubender Lautstärke laufen.
Das ist bisher eigentlich nur "tell". Flechte dort noch etwas "show" hinein: Die hohen Stimmen dringen ungehindert durch die Wände, so als würden sie direkt zu mir sprechen wollen. oder Die Wände um mich herum dröhnen wie eine riesigere Bassbox oder Meine Perlenkette, die am Spiegel hängt, tanzt mit fremdländischen Rhythmus über das Glas. oä Das dem Leser klar wird, wie ohrenbetäubend die Musik ist.

säubert meine Mutter Arztpraxen, Schulen, und die Umziehräume einer Fischfabrik.
Dito:
Wenn sie nach Hause kommt, weiß ich immer sofort, wo sie heute wieder war: Stinkt sie nach Essig und Desinfektionmittel, hat sie wohl wieder eine Arztpraxis gebohnert. Aber wenn Fisch in der Luft liegt, war sie unten am Hafen in der Fischfabrik. Dann gibt es meist Sprotten zum Abendbrot.


Das Essen schmeckt fad und ich rühre mit meiner Gabel Muster in den Kartoffelbrei.
Schmeckt jedes Essen fad? Hier klingt es so, als wäre es nur das aktuelle. Jedenfalls kann auch hier noch mehr gefühlt werden: Das Essen schmeckt fad. Ich kippe einen Esslöffel voll Salz rüber, um überhaupt etwas zu schmecken.


In dem Moment wo das Kratzen aufjault und stirbt, flimmern meine Härchen, stellen sich vor Wonne auf.
Sehr schöne Versinnbildlichung :thumbsup: Aber vielleicht könntest du hier schreiben: die Härchen meiner Arme. Ich hatte mich an dieser Stelle erstmal fragen müssen, welche Härchen du meinst.


Da gibt es noch die ein oder andere Stelle, die man intensivieren könnte. Generell würde ich dir raten, von diesem Stil einer Erzählung (dann das ist es) wegzugehen und eher eine KG mit echtem Handlungsbogen draus zumachen. Ein ganz gewöhnlicher Tag, bis Vater seinen blauen Brief erhält. Oder bis er vom Arbeitsamt zurückkommt. Die Einzelheiten wie die mit der Schule oder dem Supermarkt kannst du auch weiterhin einpflechten:
Mein Zimmer dröhnt wie eine Bassbox. Ich kann nicht Schlafen, dabei muss ich morgen früh zur Schule. Dienstags habe ich 7 Stunden hintereinander. Ich werde bestimmt einschlafen. Tue ich immer. In der dritten Stunde, Deutsch bei Frau Steenbeck...

Manchmal darf ich ein Bier mittrinken. Es schmeckt bitter. Nach Wahrheit, denke ich. Wenn ich es ausgetrunken habe, finde ich, mein Leben ist schöner geworden.
Super toll passender Abschluss. Wunderbar deprimierend :thumbsup: Vielleicht ließe sich diese Suche nach der Wahrheit schon vorher im Text andeuten. In zwei drei Nebensätzen über die Länge verstreut. Dann kriegst von der Seite auch keine Probleme mehr mit den Challengevorgaben :)

Jetzt noch zwei Sachen, die mir aufgefallen sind:

Es hat hässlich in geknirscht,
Da ist wohl ein "in" zuviel

das mit seinen Eltern in einer verschissenen Straße
Hier drückt sich bereits am Anfang eine gewisse Härte aus, die dann aber nirgendwo im Text zurückkehrt. Vielleicht solltest du diese Worte der Mutter in den Mund legen: Sagt jedenfalls Mutter immer, wenn mir mit dem Buss an der Haltestelle angekommen sind.

Vielleicht überarbeitest du den Text ja noch ein wenig. In diesem Falle hoffe ich, meine Vorschläge konnten dir helfen.


Viel Erfolg
Hagen

 

Hallo Hagen
vielen Dank für deine ausführliche Kritik. Ich habe in einigen Punkten dir recht geben müssen. Insbesondere das Show dürfte großzüger ausgearbeitet sein. Weiss der Geier, warum ich so geize? ;) Deine Vorschläge haben mir geholfen. Danke. Die Änderungen sind noch nicht komplett. Ein bisschen Zeit habe ich ja noch.

Hallo Blackwood

Die Messlatte für Geschichten einer unglücklichen Kindheit liegt bei mir sehr hoch: Häferls Anna-Irene-Geschichten. Und diese sind deshalb so ergreifend (angreifend!), weil sie auf eine naive Weise werten lassen. Sie sagen nicht: Das war böse, schlecht, verletzend, etc. - sie zeigen es, dass sich jeder Nicht-Hinschauende wie eine emotionale Niete vorkommt, was er ja auch ist.

Ich bin nicht so versiert, in Häferls Anna Irene Geschichten. Aber das, was ich gelesen habe hat mich verstört. Ich wollte mit dieser Geschichte nicht unbedingt den Leser verstören. Mir reicht es, ihn nachdenklich zu stimmen.
Das war böse, schlecht, verletzend, etc. - sie zeigen es, dass sich jeder Nicht-Hinschauende wie eine emotionale Niete vorkommt, was er ja auch ist.

Das machst Du hier weitestgehend auch, hälst es meines Erachtens aber nicht konsequent durch. Das war das, was ich vermitteln wollte.

Die Wertung habe ich ja bereits hinausgenommen. Der Rest ist noch in der Übearbeitung.
LG
Goldene Dame

 

Hallo Goldene Dame,

zunächst: Deine Geschichte hat mir gefallen.

Allerdings stimme ich der Kritik einiger Vorgänger zu. Zu wenig Show!

Auch habe ich den Eindruck, dass manche Sachen die deine Prot. denkt, nicht so recht zu ihr passen. Du verwendest eine sehr einfache Sprache, die auch sehr gut die Situation der Prot. angepasst ist. Vor mir entsteht dadurch der Eindruck eines Mädchens, dass ein sehr trauriges Leben führt - sich dessen aber nicht unbedingt in allen Bereichen bewusst ist. Sprich: Sie ist ein wenig naiv. (Wie die meisten Mädchen ihres Alters.)

Eins, das mit seinen Eltern in einer verschissenen Straße unserer Stadt lebt.

Solange ich zurückdenken kann, sehe ich mich immer allein.

Der Satz hier will mir nicht richtig zu deiner Prot. passen. Besser wäre vielleicht: Ich habe keine Freunde.

Meine Eltern sind nur mit sich beschäftigt. Meine Belange kümmern sie nicht.

Auch das ist mir zu wenig passend für deine Prot. Dem Mädchen wird ja sicherlich erzählt, dass die Eltern keine Zeit haben, weil sie so viel arbeiten (damti es das Mädchen besser hat). Wenn sie abends nach Hause kommen sind sie zu müde, sich mit ihr zu beschäftigen (möglicherweise haben sie auch keinen Bock, aber das kann von deiner Prot. wahrscheinlich so nicht erkannt werden.) So würde ich das aber auch schreiben - sprich: Meine Eltern arbeiten sehr viel, damit ich es besser habe. Abends sind sie viel zu müde, um noch etwas mit mir zu machen. Wenn ich ihnen etwas von der Schule erzählen möchte etc.
Verstehst du, worauf ich hinaus möchte?

Porzellan

Aus deinen Schilderungen habe ich das Gefühl, dass es sich um eine arme Familie handelt. Natürlich können auch ärmere Familien Porzellan haben, aber da das ja sehr teuer ist gehe ich eher nicht davon aus.

Ich mag es, wenn Töne auf der Schwelle zum Hörbaren tanzen.

Eine Formulierung deiner Prot., die insgesamt etwas aus der Reihe tanzt.

Gerne hätte ich Flöte gespielt, aber ich habe nicht das Recht, die geheiligte Feierabendruhe zu stören.

Hier ist sie mir zu ironisch.

Das Buch, ist mein Elixier.

Ach dieser Satz will mir nicht richtig zu dem Mädchen passen.

Das waren jetzt die paar Sachen, die mir an deinem Text noch nicht so gut gefallen haben. Natürlich sind diese Anmerkungen nur als Vorschläge, bzw. meine persönliche Meinung anzusehen.

LG
Bella

 

Hallo Bella,
Vielen Dank fürs Lesen. Auch deine Anregungen haben mir gefallen, die Geschichte insgesamt noch mehr zu überarbeiten.

Allerdings stimme ich der Kritik einiger Vorgänger zu. Zu wenig Show!

Ich hoffe, diesen Kritikpunkt in den nächsten Kommentaren nicht mehr zu lesen ;)
Ich habe die Geschichte umgestrickt. :)

LG
Goldene Dame

 

Hallo Goldene Dame,

habe jetzt deine Geschichte nochmal gelesen. Sie hat durch die Überarbeitung sehr gewonnen, finde ich. Deine Prot. wirkt jetzt sehr viel authentischer. Gut gemacht!

LG
Bella

 

Hallo Goldene Dame,

deine Geschichte erfüllt zwar die Kriterien gut, kann mich aber nur stellenweise überzeugen. Zu oft plätschert sie in unendlichen Betrachtungen vor sich hin. Die Suche als Sinnsuchewar mir zu wenig. Langeweile war kein Kriterium. Wenn du frei drauf los schreibst, bist du besser.

Lieben Gruß, sim

 

Hallo Goldene Dame

Leider hat auch bei mir die Story nicht so recht gezündet. Alle Sinne wurden bedient.
Nicht falsch verstehen, es sind schöne und traurige Stimmungsbilder, die du in mir auslöst.
Aber die Suche als Thema und Bestandteil der Geschichte war mMn etwas langatmig umgesetzt. Es handelt sich eher um eine Momentaufnahme einer Millieustudie als um eine Suche nach dem Glück.

2 Textfussel hab ich noch:

Hokospokus?
Hokuspokus
Es hat hässlich (in) geknirscht, als mein rechter Unterarm gebrochen ist.
ohne 'in'.

Lieben Gruss
dot/

 

:shy: Hallo sim, hallo dotslash,
Erst mal vielen Dank für eure Mitarbeit an der Jury.
Die Geschichte ist tatsächlich nicht so der Brüller, weil die Handlung zäh und verschachtelt aneinandergereiht vor sich hin plätschert. Das habe ich auch so gesehen.:shy: Die Stimmung darzulegen, hat mich offensichtlich zu sehr beschäftigt.

Danke Euch

Goldene Dame

 

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