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Auf einem Friedhof bei starkem Regen und Westwind
Nekrolog
Es war ein trüber verregneter Sonntagnachmittag. Das Wasser seilte sich in seemannstaudicken Fäden aus den schwarz-grauen Wolken und von Westen her wehte ein frischer Wind, der die nassen Seile in leichte Pendelbewegungen versetzte. Das Rauschen der Bäume stimmte mit ein in das plätschernde Geräusch, das der auf den feinen Kies des Friedhofsweges prasselnde Regen verursachte. Die Luft war gesättigt vom feucht-moosigen Geruch, wie er auf Friedhöfen, an verregneten Sonntagnachmittagen nun mal so üblich ist.
Kein Klischee hätte diesen Sonntagnachmittag besser zeichnen können, kein Klischee hätte die Umstände für eine Beerdigung besser wiedergeben können, als es hier die Realität vormachte.
Um die rechteckige Grube, die wohl am Tag zuvor irgendjemand ausgehoben hatte, standen fünf, in tiefes Schwarz gekleidete, Menschen. Der Regen nutze ihre dunklen Mäntel als Filter und tropfte unten in den sowieso schon nassen Boden. Schweigend standen sie vor dem Erdloch und blickten still hinein. Niemand bewegte sich, nur der Wind zupfte ab und zu an einem Hut oder einem Kragen.
Als die Stille kurz vor ihren Höchstpunkt stand, trat einer vor, stellte sich an die Stirnseite der Grube und blickte den anderen auf die geneigten Häupter. Erst zögernd, dann fließender begann er zu sprechen. Er sprach von Blumen, die, naturgemäß, verwelken, doch an deren Schönheit man sich auch darüber hinaus erinnern könne. Sprach noch von manch anderen Dingen, erwähnte einmal, in einem Nebensatz, Gott, reihte sich dann wieder zu den anderen Vieren ein, neigte sein Haupt und schwieg.
Ein Weiterer aus der Runde trat, nach einiger vergangener Zeit nun auch nach vorn, sah in das ruhige Quartett und sagte ein paar Worte. Fügte, anders als sein Vorredner, einige Beispiele an, erwähnte, weder in einem Hauptsatz, noch in einem Nebensatz Gott, dafür aber, ohne dass ein Komma hörbar gewesen wäre, Satan, den Leibhaftigen und sprach von Versuchungen, von Prüfungen die man bestehen müsse, wandte sich dann ab, stellte sich zu den anderen und schwieg.
Nun schwiegen wieder alle zusammen und übertönten damit beinahe den Regen und sein unaufhörliches Plätschern und den Wind, dessen Pfeifen das Plätschern trug.
Keiner traute sich etwas zu sagen, keiner wollte die Stille unterbrechen und somit das Gesagte, das noch immer unumstößlich in der Runde stand, stören.
Wer hätte es sich wagen sollen, hier zu stören, die Worte, die wie Felsen waren, auf ihrem Weg in den zerebralen Verdauungstrakt zu behindern? Niemand wagte sich und so schwiegen sie weiter, ließen sich nicht stören, von Wind und Wetter, schwiegen verdauend, vielleicht auch nicht mehr, doch schwiegen trotzdem.
Bis einer aus dem Verbund trat, dadurch das Schweigen störte, anfing zu sprechen und damit das Schweigen unterbrach. Seine Stimme verriet seine Empörung, seinen Unmut und sprengte die Andacht. Er sprach von Heuchelei und Scheinheiligkeit, benutzte Wörter wie "verlogen" und "ekelerregendes Pack", erwähnte Gott in einem Hauptsatz, Satan in einem Nebensatz, hielt kurz inne, blickte in die entsetzte und aufgeschreckte Gemeinde, drehte sich dann wortlos um, ging auf dem aufgeweichten und schwammigen Kiesweg, zu seinem Bedauern, leider nicht geräuschlos in Richtung Tor und verschwand.
Nach einer Weile, die, gefüllt mit Stille, vielleicht eine Minute dauerte, vielleicht länger, bewegte sich die Gruppe der verbliebenen Vier, fast zeitgleich, auch in Richtung Tor. Langsam, eine Kette bildend, liefen sie, alle mit errötetem Gesicht, bei einem von ihnen war das Wetter schuld, den Weg entlang. Auch ihre Schritte wurden begleitet von Geräuschen und ließen die leere Grube hinter sich zurück.