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Aufgeraucht bis zum Filter

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06.05.2005
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Aufgeraucht bis zum Filter

Aufgeraucht bis zum Filter


Ich lebe in einen Raum mit einem Fenster, Bett, TV, Waschbecken, Kleiderschrank und einigen alten Fotos an den Wänden. Mein Name ist Bernhard Ebbe. Ich lebe hier schon sehr lange. Wie lange weiß ich nicht. Ich höre nicht mehr so gut. Besuch bekomme ich kaum. Meistens liege ich ausgestreckt auf meinem Bett oder sitze vor dem Bett auf einem Stuhl, schaue Fernsehen und rauche Zigaretten. Ständig muss ich einen Pfleger nach Zigaretten fragen. Die erlauben mir hier nicht, mir selbst welche zu kaufen. Die Pfleger kaufen eine Stange von meinem Geld und geben mir nur ab und zu welche davon. Ständig muss ich sie darum bitten. Anbetteln, nur damit ich mal eine rauchen kann. Ich bin es leid. Ich weiß ganz genau was hier vor sich geht.

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Nein, ich kann mir nicht vorstellen was im Kopf von Herrn Ebbe vor ging. Vielleicht war ich zu jung, an meinem ersten Tag im Altenheim St. Marien:
"Hmm, was könntest Du denn machen? Würdest du dir zu trauen mit Bernhard Ebbe was raus zu gehen? Einfach was spazieren und ins Cafe", so was hatte der Pfleger der Station 3 im Haus F zu mir gesagt. Und mich dann in das Zimmer von Herrn Ebbe geführt. Bernhard Ebbe saß auf einen Stuhl und schaute das Vormittags Programm der ARD. Er rauchte.
Ich erschrak ein wenig: Herr Ebbe hatte nur wenige Restfetzen von grauen Haar auf dem blanken Schädel, eingefallene Wangen und rote müde Augen. Eine Mischung aus einem Geier und einem alten Vampir. Er war mager, wie ein Tier, dass zu alt ist um noch Nahrung finden zu können und daher sterben muss.
Der Pfleger - dessen Namen ich sofort wieder vergessen hatte, es waren einfach zu viele Namen in den ersten Tagen im Altenheim - schrie Herrn Ebbe ins Ohr, dass "der Junge Mann" mit ihm spazieren gehen würde und erklärte mir: "er hört schon ziemlich schlecht". Ebbe schaute mich erfreut an, starrte dann aber wieder auf die Mattscheibe, während der Pfleger mich hilflos stehen ließ und den Rollstuhl holen ging. Er zog an seiner Zigarette, dann wandte er sich mir zu, dem "Jungen Mann", dem Zivildienstleistenden - dem Kriegsdienstverweigerer, wie die meisten Alten sagten.
"Meine Mutter ist gestern gestorben."
Ich erschrak. Was war das? Ich machte ein bestürztes Gesicht, wusste nicht wirklich was ich davon halten sollte. Kann das denn sein? Was sagt man noch mal in so einer Situation, dachte ich.
"ehh, mein Herzliches Beileid."
In dem Moment schob der Pfleger den Rollstuhl herein und meinte, "Nein, das stimmt nicht. Seine Mutter ist schon lange tot."

Herrn Ebbe in seinen Rollstuhl durch den Park des Sanatoriums zu schieben wurde mir nach wenigen Tagen zur Routine. Es war leichte Arbeit, denn mit Bernhard Ebbe seine Dienstzeit tot zu schlagen war deutlich einfacher als sich das Geschwätz der anderen Heimbewohner anzuhören, dass ich schon auswendig kannte, denn Ebbe sagte nie etwas. Er äußerte sich nicht, außer wenn er etwas wollte. Kaffee, Zigaretten, Kuchen, Cola, das waren die einzigen Dinge, die Ebbe zu mir sagte und manchmal ein "bitte" oder ein "danke". Ich nehme an, für ihn war ich eine Möglichkeit rauszukommen und einfach das Werkzeug durch das er seine Wünsche erfüllen konnte. Von den Pflegern bekam ich jedes mal abgezähltes Geld und einige Zigaretten für ihn.

Ich erinnere mich an einen Tag. Wiedereinmal schob ich Herrn Ebbe durch die Gartenanlage und machte dann eine Pause, damit er eine Zigarette rauchen konnte. Ich schob den Rollstuhl neben eine Bank, gab Ebbe eine seiner Zigaretten und setzte mich. Hinter vor gehaltener Hand begann er die Zigarette mit seinen Feuerzeug anzuzünden. Er brauchte mehrere Versuch bis es ihm gelang. Sein Ringfinger und sein Mittelfinger der rechten Hand, mit denen er die Zigarette hielt waren gelb verfärbt. Spastisch führte er sie zum Mund und zog. Ich starrte nach einer Weile gelangweilt in die andere Richtung und wartete bis ich ihn weiterschieben konnte. Auf einmal hörte ich wie Ebbe ganz leise die einzelnen Züge mitzählte. Ich schaute ihn an, aber er beachtete mich gar nicht, zählte weiter, kam raus, verhaspelte ein paar Zahlen und zählte dann wieder. Dann war die Zigarette bis auf dem Filter aufgeraucht und nach dem letzten Zug, der nur noch scharf nach verbrannten Filter geschmeckt haben konnte, warf Herr Ebbe wütend den Stummel auf den Boden. Ich stand von der Bank auf uns schob ihn weiter.

Als ich eine Woche später zur Arbeit kam traf ich, im Aufenthaltsraum für die Pflegekräfte auf einen anderen Zivildienstleistenden, denn ich aus der Kantine kannte:
"Hallo, hast du das von Ebbe schon gehört?" "Nee", sagte ich und legte meine Tasche ab. "Erzähl mal!"
"Naja, also...der ist tot. Gestern Abend. Wollte wohl was essen, oder so. Und dann hat er sich verschluckt. An Brot. Du weißt doch der schlingt immer so und daran ist er dann erstickt. Der Notarzt ist zwar noch gekommen - hat aber viel zu lange gedauert. Da war er schon tot. Nichts zu machen."
An diesem Tag schob ich Herrn Ebbe nicht durch den Park, genauso wie am Nächsten und an allen folgenden Tagen.

Die Senioren ohne Angehörige, die ein Begräbnis bezahlen könnten werden verbrannt und Anonym auf Melaten bestattet, so auch Herr Ebbe. Die Betriebsleitung hängte eine Todesanzeige für Herrn Bernhard Ebbe an die Tür ihres Büros neben den Monatsplan.

 

Hallo Teenage Angst,

herzlich Willkommen auf Kurzgeschichten.de!

Du schilderst in deiner Geschichte das traurige Schicksal eines Mannes, der anscheinend niemandem mehr etwas bedeutet und auch seinerseits nicht viel hat, dass ihm noch etwas bedeutet. Außer seinen Zigaretten scheint er nichts mehr zu haben.

Insgesamt hat mir deine Geschichte eher nicht gefallen. Während des ganzen Textes erwartet man, dass die Zigaretten noch eine größere Rolle spielen, nachdem du diesen so viel Aufmerksam gewidmet hast. Dem ist aber nicht so: Der Prot. stirbt am Ende einfach. Das ist für mich als Leser sehr enttäuschend, weil du mich quasi auf eine falsche Fährte gelockt hast. Wenn du einfach nur das traurige Schicksal des alten Mannes schildern möchtest, dann würde ich der Zigarette weniger Aufmerksamkeit widmen. Ich glaube zwar, dass die Zigarette so etwas wie ein Symbol, für sein abgebranntes Leben war, aber trotzdem.

Sprachlich/Stilistisch hat deine Geschichte mir nicht so gut gefallen. Sie war zwar insgesamt schon recht flüssig erzählt, aber in deinem Text finden sich noch einige störende Wortwiederholungen. Bei längeren Sätzen verhedderst du dich manchmal. Ich habe dir weiter unten eine Reihe von Anmerkungen heraus gesucht.

Ich lebe hier schon sehr lange.

Da du das Wort "lebe" schon zwei Sätze vorher verwendet hast, würde ich hier vielleicht "wohne" schreiben.

Ich höre nicht mehr so gut. Besuch bekomme ich kaum.

Meistens liege ich ausgestreckt auf meinem Bett oder sitze vor dem Bett auf einem Stuhl, schaue Fernsehen und rauche Zigaretten.

Hier würde ich einmal Bett streichen bzw. ersetzen.

Die erlauben mir hier nicht, mir selbst welche zu kaufen.

Die Wörter "hier" und "mir" würde ich streichen.

"Hmm, was könntest Du denn machen? Würdest du dir zu trauen mit Bernhard Ebbe was raus zu gehen? Einfach was spazieren und ins Cafe", so was hatte der Pfleger der Station 3 im Haus F zu mir gesagt.

zutrauen (zusammen)

Der Pfleger - dessen Namen ich sofort wieder vergessen hatte, es waren einfach zu viele Namen in den ersten Tagen im Altenheim - schrie Herrn Ebbe ins Ohr, dass "der Junge Mann" mit ihm spazieren gehen würde und erklärte mir: "er hört schon ziemlich schlecht".

junge (klein)

Er zog an seiner Zigarette, dann wandte er sich mir zu, dem "Jungen Mann", dem Zivildienstleistenden - dem Kriegsdienstverweigerer, wie die meisten Alten sagten.
"Meine Mutter ist gestern gestorben."

"Er" solltest du hier durch einen Namen ersetzen. Gerade war noch von einer anderen Person die Rede und der Leser kann nur aus dem Zusammenhang erraten, wer gerade gemeint ist.

"ehh, mein Herzliches Beileid."

Groß anfangen.

Es war leichte Arbeit, denn mit Bernhard Ebbe seine Dienstzeit tot zu schlagen war deutlich einfacher als sich das Geschwätz der anderen Heimbewohner anzuhören, dass ich schon auswendig kannte, denn Ebbe sagte nie etwas.

Diesen Satz finde viel viel zu lange. Am Ende verhederst du dich dann.
Vorschlag: Es war leichte Arbeit. Mit Bernhard Ebbe seine Dienstzeit tot zu schlagen war deutlich einfacher, als sich das Geschwätz der anderen Heimbewohner anzuhören. Herr Ebbe sagte nie etwas. (Das er das Geschwätz schon auswendig kann, könntest du meiner Meinung nach weglassen. Das kann sich der Leser selbst denken.)

Wiedereinmal schob ich Herrn Ebbe durch die Gartenanlage und machte dann eine Pause, damit er eine Zigarette rauchen konnte.

Das Wort "dann" würde ich hier streichen. Ich verwendet es selbst auch immer wieder, obwohl man es in den meisten Fällen gar nicht braucht.

Dann war die Zigarette bis auf dem Filter aufgeraucht und nach dem letzten Zug, der nur noch scharf nach verbrannten Filter geschmeckt haben konnte, warf Herr Ebbe wütend den Stummel auf den Boden.

Auch hier "dann" wieder streichen.
"Filter" würde ich hier einmal streichen/ersetzen.

Ich stand von der Bank auf uns schob ihn weiter.

und

LG
Bella

 

Hallo Teenage Angst!

Natürlich könnte ich jetzt an deinem Nickname oder dem unspektakulären Titel rumnörgeln, aber ich habe mir vorgenommen, das weniger häufig zu machen, also nur „Herzlich Willkommen“. J
Tja, unter Alltag findet man viele Geschichten, die den Anschein machen, ein reales Alltagserlebnis des Autors widerzugeben, und so ging es mir auch bei deinem Text. Probleme bereitet bei dieser Art Text zumeist der Spannungsaufbau – das Leben schert sich nicht um Choreographie, und da es ja auch die besten Geschichten erzählen kann, scheut man oftmals das „Tunen“.
Man merkt während des Lesens, dass dein Plot auf einen Satz reduziert werden kann und gradlinig erzählt wird. Einzige Ausnahme ist hierbei noch der Perspektivwechsel zum Einstieg. Aber keine Sorge, hat mich nicht besonders gestört, auch wenn es natürlich bedeutet, dass du nicht den großen Wurf gemacht hast. Ich fand deine Geschichte unaufgeregt, plätschernd, aber durchaus lesbar und ohne allzu harte Längen, da du ja recht gradlinig erzählst. Vielleicht könntest du die Isolation, die Ebbe wohl empfindet, die Stimmung im Heim etc. stärker betonen, oder Ahnliches, damit sie ein wenig eindringlicher, nachdenklich machender würde. Um nicht länger drumrum zu schwatzen: ordentlicher Einstieg, Alltagserlebnis ohne erzählerische Höhepunkte, aber ordentlich geschrieben.
Ich hoffe, die folgenden Bemerkungen helfen dir weiter, falls du etwas an deinem Text verändern willst, benutze „Bearbeiten“!
Frohes Schaffen,
...para

Bernhard Ebbe saß auf einen Stuhl und schaute das Vormittags Programm der ARD.
Auseinanderschreiben finde ich pfui-bah, wie wäre z.B. „Vormittags-Programm“?

Eine Mischung aus einem Geier und einem alten Vampir.
Sprachlich besser: „Eine Mischung aus Geier und altem Vampir“

während der Pfleger mich hilflos stehen ließ und den Rollstuhl holen ging. Er zog an seiner Zigarette, dann wandte er sich mir zu, dem "Jungen Mann", dem Zivildienstleistenden - dem Kriegsdienstverweigerer,
Hier kann man durcheinander geraten: wer zieht an der Zichte? Der Pfleger ist es ja nicht.

"ehh, mein Herzliches Beileid."
Satzanfang groß, Adjektive klein.

und manchmal ein "bitte" oder ein "danke".
Hier ist, glaub ich, Großschreibung angebracht: „Danke“, „Bitte“

Von den Pflegern bekam ich jedes mal abgezähltes Geld und einige Zigaretten für ihn.
Achja, die neue Rechtschreibung. „jedes Mal“, oder?

Hinter vor gehaltener Hand begann er die Zigarette mit seinen Feuerzeug anzuzünden.
Ich würd „vorgehalten“ zusammenschreiben. „mit seinem Feuerzeug“, na ja, irgendwie überflüssig.

Ich stand von der Bank auf uns schob ihn weiter.
„und“


Als ich eine Woche später zur Arbeit kam traf ich, im Aufenthaltsraum für die Pflegekräfte auf einen anderen Zivildienstleistenden, denn ich aus der Kantine kannte:
Komma nach „kam“ statt „ich“.

Die Senioren ohne Angehörige, die ein Begräbnis bezahlen könnten werden verbrannt und Anonym auf Melaten bestattet, so auch Herr Ebbe.
besser Komma nach „könnten“, „anonym“

 

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