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Aufgewühlt
Tom friert. So ist es häufig, wenn er sich auf die karg anmutenden, von handhohem Gras und braun-grauem Moos überwachsenen Felsen an der Küste sitzt. Wenige Meter von seinem Wohnhaus, zugleich sein Arbeitsplatz, entfernt, genießt er trotz der Kälte den Ausblick. Ein unendliches Wolkenmeer, aufgewühlt, Schatten in rosa, orange, lila, rot kämpfen miteinander um die Vorherrschaft am Himmel. Unruhe überall, nur der Horizont setzt dem Kampf der kurzlebigen Himmelsgiganten eine klare, ruhige Kante entgegen.
Einsam ist es hier, nur selten kommt jemand an diesem Teil der Küste vorbei - nur ein paar Leuchtturmliebhaber, die seinen Arbeitsplatz, oft "das weiße Hexagon" genannt, besuchen wollen. Tom ist Leuchtturmwärter. Die Besonderheit seines Leuchtturms ist die ungewöhnliche Form. Nicht rund, sondern sechseckig. Besonders hoch ist Turm 16K5,2, wie er im Verwaltungsjargon bezeichnet wird, nicht: Gerade einmal 30 Stufen führen zur 15 Meter über dem Erdboden trohnenden, regenwolken-grauen Kuppel hinauf.
Der Leuchtturm arbeitet bereits, sein grünes Licht strahlt nun hell und klar. Tom betrachtet alles, so wie jeden Abend kurz vor Sonnenuntergang. Er liebt das Meer, den Wind, seinen Leuchtturm. Hier, wo die Elemente Wasser, Luft und Erde aufeinander treffen, fühlt er sich frei. Hier, wo oft Sturm und Regen den idyllischen Blick auf das Meer verwehren, kommt er zur Ruhe. Einige Jahre hat Tom in der Stadt gelebt, war Techniker, verdiente gutes Geld und hatte immer viel zu tun. Nur eins hatte er nicht: seine innere Ruhe.
Die fand Tom am Meer, an seinem Leuchtturm. Wo die Umwelt rau und das Wetter wechselhaft ist, gelang es ihm, seinen Frieden zu finden. Nachdenklich betrachtet Tom das Meer. Es liegt heute seltsam ruhig dar, fast als Gegenpol zum unruhigen Firnament. Die Ruhe vor dem Sturm, dachte Tom.