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Augenblick mit einem Fremden

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13.05.2005
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Augenblick mit einem Fremden

Er sah mich an. Schon lange hatte mich niemand mehr so angeschaut und um ehrlich zu sein, wusste ich nicht einmal, ob überhaupt ein Mensch mir jemals so einen Blick geschenkt hatte.
Der Fremde saß ganz ruhig auf der gegenüberliegenden Bank, die Beine entspannt von sich gestreckt, so dass ich sie spüren konnte, obwohl wir uns nicht berührten. Seine Arme waren vor der Brust verschränkt, aber es war eher eine abwartende als eine abwehrende Haltung und in seinen Augen spiegelte sich das warme Licht der Kerze auf dem Tisch. Ich versuchte zu erkennen, welche Augenfarbe er hatte, doch es hätte alles sein können, denn durch die Dämmerung und den Kerzenschein sah ich nur goldene Funken, die ihm etwas mysteriöses und unheimlich anziehendes verliehen.
Es war wohl offensichtlich was ich versucht hatte, denn er fing an zu lächeln und allein das machte mich schon glücklich.
Doch konnte das überhaupt sein? Ich hatte diesen Mann gerade erst kennen gelernt und selbst das war eigentlich schon eine Übertreibung.
Der Fremde war einfach zu mir an den Tisch gekommen, hatte sich ungefragt gesetzt und sah mich seitdem mit diesem Blick an, den ich nicht deuten konnte.
Um uns herum redeten und lachten die Menschen, die an den anderen Tischen des Biergartens saßen, doch an unserem Tisch war auch nicht nur ein Wort gesagt worden. Es war als hätte jeder von uns Angst den Zauber dieses Augenblicks durch eine zu laute Stimme oder falsche unwichtige Worte zu zerstören - also schwiegen wir.
Ich fing an mich zu fragen, wie er heißen könnte, woher er kam, was er hier tat und ob er sich immer zu Frauen an den Tisch setzte und sie mit seiner Art hypnotisierte. Ich spürte, wie dieser Gedanke, mir einen Stich versetzte, weil ich wollte, dass ich für ihn genauso einzigartig und besonders war, wie er für mich. Das Gefühl erschreckte mich: Ich kannte diesen Mann doch gar nicht! Er war erst vor fünf Minuten in mein Leben getreten. Ich kannte weder seine Vergangenheit noch den Klang seiner Stimme, ich wusste nicht einmal seinen Namen! Aber warum wollte ich dann etwas besonderes für ihn sein? Hatte ich mich verliebt - in diesen Fremden?
Ich drehte den Kopf und sah nun nicht mehr in seine Augen, sondern auf die glatte Oberfläche des nahegelegenen Sees und schaute zu, wie sich die letzten Sonnenstrahlen auf der Oberfläche spiegelten. Ich lächelte, denn ich liebte solche Momente der Ruhe.
Nein, ich war nicht verliebt, denn wäre ich es gewesen, hätte ich Schmetterlinge im Bauch gehabt, wäre nervös geworden und hätte ihm lauter dumme Sachen gesagt, aber ich hätte sicherlich niemals diesen Sonnenuntergang so ruhig und gelassen genießen können.
Ich drehte mich zu ihm, sah wieder in seine Augen und in diesem Moment wurde es mir klar:
Ich wusste vielleicht nicht, wie er hieß, woher er kam oder wie seine Stimme sich anhörte, aber trotzdem kannte ich ihn. Ich konnte in ihn hinein sehen und ihn erkennen, ich wusste wer er war ohne es in Worte fassen zu können, aber das musste ich auch nicht, denn ihm ging es genauso wie mir. Ich fing an zu lächeln.
„Du bist wunderbar“ sagte er und seine warme Stimme und das Strahlen seiner Augen, seines ganzen Körpers, ließen mich eine Gänsehaut bekommen.
Dann stand er auf und ging.
Im ersten Moment wollte ich aufspringen, ihm meine Telefonnummer geben oder wenigstens fragen, ob wir uns wiedersehen würden. Doch ich blieb einfach sitzen und sah ihm glücklich nach, denn ich wusste, dass diese Begegnung nicht unsere Letzte sein würde. Wir würden noch viele solcher Augenblicke miteinander teilen. Die Frage nach dem Wann wollte ich mir jedoch erst morgen stellen.

 

das sind so Augenblicke, and die man sich später erinnert und ins Träumen gerät...
reinhard
:thumbsup:

 

Hallo Luca,

Du beschreibst sehr schön und nahebringend die AugenBlicke mit dem Fremden, baust eine dichte Stimmung auf, lässt mich mitfühlen. Das gefällt mir sehr, dann am Ende steht er auf und geht. So müssen gute Geschichten enden, Liebestraurigkeitsschwermutschöngeschichten. Denke ich bei mir und stelle - zugegeben enttäuscht - fest, daß da noch ein Absatzchen folgt.

Der, Du wirst es ahnen, mir garnicht gefällt.

Weil es plötzlich so _real_ wird, dazu ein bisken verkitscht, und so präsent. Ich hätte gerne in den Gedanken geschwelgt, warum er einfach geht, warum sie ihn gehen lässt oder ob überhaupt, doch dann lieferst Du mehr als eine Antwort, dabei hab ich doch garnicht fragen wollen :)

Grüße,
C. Seltsem

 

Hallo,
danke für die Kritiken und dass es euch zum größtenteils doch gefallen hat ;-)

Ich denke allerdings, dass ich den letzten Absatz auf jeden Fall beibehalten werde, eben weil es keine traurige Geschichte werden sollte, sondern einfach ein positives Gefühl hinterlassen soll und ich glaube wenn er einfach geht wird es zu sehr Herzschmerz ;-)

Habt noch einen schönen Abend!
LG Luca

 

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